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gerade in enkgegengesetztsm Sinne über den Zukunftsstaat äußert. Er sagte:Das Revolutionäre unserer Partei liegt darin. daß wir keine Kompromisse mit den jetzigen faulen Verbältnissen wollen, daß wir sagen, die Uebel der heutigen Gesellschaft fließen aus einer bestimmten Quelle und sie können nur geheilt werden, wenn diese Quelle t, e r st o p f t wird. Der Kapitalismus ist die Ursache des gesell- schaftlichen Elends. Die ganze heutige kapitalistische GesellschaftS» ordnung mit ihrer Grundlage und mit allen ihren Auswüchsen muß beseitigt werden." Das haben wir zu allen Zeiten erklärt und d a r u nr sind wie eine revolutionäre Partei. Aber nie- mals hat ein Sozialdemokrat gesagt, daß wir nun über Nacht durch irgend ein Wunder, durch Verschwörung, durch einen Putsch den heutigen Staat, die heutige Gesellschaft umstürzen können oder wollen, und wir halten jeden für einen Schwindler oder törichten Fanatiker, der da behauptet, gewaltsam, willkürlich� eine Revolution machen zu können.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Revolutionen iverden nicht g e m a ch t, sie werden, sie entstehen, sie wachsen organisch, sie sind das Produkt geschichtlicher Eni- Wicklungsverhältnisse. Uebrigens hat sich in derselben Debatte Bebel ganz ähnlich geäußert. Ich überlasse das Urteil über diese Art, mit gefälschten oder aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten gegen uns vorzugehen, dem Urteil aller gerecht Denkenden. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Ich wende mich wieder zu dem Alinister. Er meinte, wir seien gar nicht so friedlich, wir demonstrierten auf der Straße für das Wahlrecht. Ich habe damals schon nachgewiesen, daß, wo es bei den Demonstrationen nicht ruhig zugegangen ist, die Polizei die Schuld daran trägt.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das hat sich wieder bei dem Prozeß gegen die Wahlrechtsdcmonstranten in Hannover gezeigt, wobei die Polizei einen bösen Reinfall erlebt hat, den sie durchaus verdient hat. In Hannover sahen nicht die paar Leute, die dort zu ganz geringen Strafen verurteilt wurden, eigent- lich auf der Anklagebant, sondern die Beamten der preußi- schen Polizei.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ebenso haben die Verbandlungen über die sögelkannten großen Krawalle beim Einzug des Königs von England bewiesen, daß die Angeklagten im Grunde ganz harmlose Menschen waren, die mit unserer Partei nichts zu tun hatten: sie wurden auch zu ganz minimalen Strafen verurteilt. Weiter muß ich erneut Beschwerde führen über die Handhabung des neuen Vereinsgesetzes gegen die Sozialdemokratie. Den Vogel dabei scheint das Landgericht Halle abgeschlossen zu haben. In Halle wurde im April ein Gartenkonzert des dortigen Nadfahrerve'rgnügungsvereinsStern" als eine öffentliche Veranstaltung im Sinne des§ 1 des Vereinsgesetzes angesehen und vier Personen sind wegen Teilnahme an diesem Konzert verurteilt worden.(Hörtl hört! bei den Sozialdemokraten.) An dem Konzert nahm auch der Gemeindevorsteher teil. Ein Konzert als eine Versammlung anzusehen, eS scheint wirklich, als ob die Behörden die preußische Regierung durch solche Entscheidungen lächerlich machen wollten. Bekannt ist, daß anscheinend auf Weisung von Berlin her in verschiedenen preu. ßischen Städten Sozialdemokratenumzüge am 1. Mai. die bereits ge- nehmigt waren, nachträglich wieder untersagt wurden. ES scheint also, daß das Reichsvereinsgesetz tatsächlich für die Sozialdemokratie nicht gilt. Das beweist auch folgende Tatsache: es existiert bekannt- lich eine Ausführungsverordnung zum Reichs» vereinsgcsetz vom 4. Mai 190 8. Ich frage den Herrn Minister, ob er weiß, daß daneben noch ein geheimer Erlaß an die Regierung existiert, worin dem Sinne nach gesagt ist, daß, wenn ein Verein eine große Mitgliederzahl, jedoch leinen inneren Zusamnienhang habe, bei dem der Ein- tritt also leicht zu bewirken und der Beitrag ganz gering ist. er überwacht werden soll. Die Behörden werden also ange- wiesen, sozialdemokratische Vereine denn nur auf diese trifft das zu so zu behandeln, als wenn das Reichsvereinsgesetz noch n,cht in Kraft getreten wäre. Auf diesen Geheimerlaß ist ja das wunderbare Ein- schreiten der Polizeipräsidenten von Breslau . Magdeburg und Hannover zurückzuführen, die in alle Versammlungen und Ver- einSsitzungen sozialdemokratischer Wahlvereine Polizeibeamte ent- senden.(Hört, hört! b. d. Soz.) Von einer einwandSfreien Ausführung des Neichsvereinsgesetzes. die Herr v. Beth- mann-Hollweg zusicherte, ist also keine Rede.(Sehr wahr! b. d. Soz.) Auf die Wahlrechtsreform will ich heute nicht eingehen. Wenn aber verschiedene Blätter der Rechten bei der preußischen Re- gierung einen Zug nach links bemerkt haben wollen, der angeblich durch den Block hervorgerufen worden sei. so habe ich davon nichts wahrgenommen: im Gegenteil werden wir wahrscheinlich auf die Erfüllung des Versprechens der Thronrede in bezug auf die Wahl- rechtsreform noch recht lange zu warten haben. Wenn die Herren der Linken auch nur zum zehnten Teil der Energie für die Er. ringung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahl- rechts an den Tag legen würden, die die Herren der Rechten gegen diese Erringung zeigen, dann tziären wir heute in Preußen schon einen Schritt weiter.(Sehr richtig! b. d. Soz.) Die ein. zige Möglichkeit, das Dreiklaflenwahlsystem zu stürzen, besteht in der Aufklärung der Massen des Volkes, damit die Mehrheit dieses Landtages hinweggefegt wird. Der Kampf gegen dieses Wahlrecht wird sich nicht im Parlament abspielen. er wird sich draußen abspielen, nicht etwa in Form einer blutigen Revolution, sondern dadurch, daß die Massen so aufgeklärt werden, daß es in Preußen keinen vernünftigen Menschen mehr gibt, der einem Anhänger des Dreiklassenwahlsystems seine Stiuilne gibt.(Sehr richtig! b. d. Soz.) Nach dem, was ich aus- geführt habe, und was von verschiedenen meiner Parteifteunde sonst bei der Etatberatung gesagt worden ist. bedarf es weiter keiner Begründung dafür, daß wir sowohl den Etat des Ministeriums des Innern als auch den Gesamtetat ablehnen werben. Wir erblicken in der Zustimmung zum Etat eme Ver- traucnskilndgebuilg für die Regierung. Dazu liegt für uns nicht der geringste Anlaß vor; im Gegenteil, wrr haben allen Grund, der Regierung offen und deutlich namens des größten Teiles des preußischen Volkes unser Mißtrauen auszusprechen.(Sehr gut! b. d. Soz.) Das tun wir, indem wir den Etat ablehnen. lÄravo! b. d. So�.) Abg. Nissen(Däne) polemisiert gegen Aeußerungen des Abg. Schifftrer aus der zweiten Lesung über die dänische Propaganda Nordschleswigs. Redner wendet sich gegen einen Teil der deutschen Presse, der aus anonymer Feder ganz haltlose Verleumdungen des Schleswigschen Dänentums verbreitete. Abg. Dr. Schifferer(natl.) verteidigt die Politik der Regierung gegenüber den Dänen in Schleswig . Ahg. Johaitsen(fk.) schließt sich dem Vorredner an. Abg. Hoff(fr f. Vg.): Sollte mit dem Gedanken der LoS- {rennung Nordschleswigs seitens der Dänen gespielt werden, so verurteilen auch wir das. Aber das Recht auf die Muttersprache muß man den Dänen lassen. Abg. Dr. v. Mizerski(Pole) protestiert gegen die Umwandlung polnischer Ortsnamen in deutsche. Minister v. M-ltke betont, daß auf Veränderungen polnischer Ortsnamen in deutsche Einwände aus den betreffenden Gemeinden nicht erfolgt seien. Abg. v. Arnim(k.): ES ist mir vorgeworfen, daß ich bei der zweiten Etatsberatung am 4. März das Bebelsche Buch nicht richtig zitiert hätte. Ich habe es so zitiert. wiecSfürmeine Zwecke ausreichte.(Hört, hört! b. d. Soz.) Redner ver- liest ein längeres Zitat und fährt fort: Aus diesem Werke ergibt sich, daß die Sozialdemokratie die Anwendung der Gewalt predigt. Das Zitat schließt mit den Worten:Wenn die Kanonen die ultim» ratio regum sind, dann ist das Dynamit das letzte Recht per Unterdrückten."(Zurufe b. d. Soz.) Vizepräsident Dr. Krause: Ich bitte, die Unterbrechung zu unterlasse», die Herren können sich ja zum Wort melden.(Abg. Kosfmann: Es ist ja Schluß beantragt!) Abg. v. Arnim: War es etwa eine friedliche Demonstration, Kas beim Einzug der englischen Herrschasten in Berlin geschehen ist? Nennen Sie das. etwadurch wissenschaftliche Mittel" die Menge von der Rechtmäßigkeit ihrer Tätigkeit überzeugen? Das Gericht war anderer Ansicht, das Gericht hat zu 9 Monaten Ge- fängnis verurteilt wegen Landfrieöensbruch. Dann möchte ich Sie weiter fragen, ob Sie dieBremer Bürgerzeitung als ein sozialdemokratisches Organ anerkennen?(Rufe: Ja! b. d. Soz.) Darin ist die Rede des Abg.'Dr. Frank im Reichstage als unehrlich gebrandmarkt.(Hört, hört! rechts.) Diese Zeitung hält Dr. Frank vor, daß seine Darlegungen einen Geist atmeten, der nicht der Geist der Sozialdemokratie sei.(Rufe b. d. Soz.: Das hat in derPo st" gestanden. Heiterkeit.) Wollen Sie diese Ausführungen derBremer Bürgerzeitung" etwa auch nicht an- erkennen?(Abg. Hoffmann: DiePost" fälscht ebenso schön wie Sie!) Jedenfalls habe ich bewiesen, daß den Sozialdemokraten der Beweis, den sie versucht hatten, vollkommen mißglückt ist. (Gelächter b. d. Soz.) Vizepräsident Dr. Krause: Der Abg. Hoffmann hat dem Redner zugerufen:DiePost" fälscht ebenso wie Sie!" Das verstößt gegen die Ordnung des Hauses, ich rufe den Abg. Hoff- mann hiermit zur Ordnung! ES ist ein Antrag auf Schluß der Debatte eingegangen.(Lebh. Zurufe b. d. Soz.: Wie sollen wir da antworten? Was ist das für eine Kampfesweise!) Der Antrag auf Schluß der Debatte wird an- genommen. Abg. Hirsch(Soz.): Durch den Schluß der Debatte ist es mir unmöglich gemacht, nachzuweisen, daß Herr v. Arnim den von ihm bereits in der zweiten Lesung erwähnten Artikel aus demSozialdemokrat" mit der UeberschriftDynamit" heute zum ersten Male ge- lesen und noch immer nicht verstanden hat. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Es ist mir ferner durch den Schluß der Debatte unmöglich gemacht worden, ihm den Nach. weis zu führen, daß er aus dem Gerichtsurteil gegen die Ange» klagten, die während der Einzugs des Königs von England angclv. lich Straßentumult begangen haben, nur eine Stelle zitiert hat, daß er aber nicht daraus zitiert hat, daß das G e- richtsurteil selbst festgestellt hat, daß kein Zu- sammenhang zwischen dem Tumult und der So- zialdemokratie besteht.(Sehr richtig! bei den Sozial- demokraten.) Es ist mir ferner unmöglich gemacht worden, nachzu- weisen, daß das Zitat aus derBremer Bürgerzeitung" nicht im Original, sondern nach einem Ausschnitt aus bürger- lichen Blättern wiedergegeben ist.(Zuruf bei den Sozial- demokraten: DerPost"!) Es ist mir ferner unmöglich gemacht, nachzuweisen, daß das Zitat, welches in der zweiten Lesung vor- geführt wurde, aus der Schrift von Bebel überUnsere Ziele" tat- sachlich von den Herren Konservativen falsch wiedergegeben ist. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Daß es auch trotz des Hinweises des Abg. v. Arnim auf die betreffende Seite heute von ihm nicht richtig wiedergegeben ist. Die Schrift von Bebel ist hier, wer sich dafür interessiert, mag sie durchlesen. Ich konstatiere im übrigen, daß Herr v. Arnim gesagt hat, fürseineZwecke reiche das aus. Vizepräsident: Dr. Krause: Das gehört nicht mehr zur Ge- schäftsordnung. Abg. Hirsch(Soz.): Dann möchte ich bemerken, daß ich. wenn ich zum Wort ge- kommen wäre, ausgeführt hätte, daß Herr v. Arnim seine Zitate für seine Zwecke zurechtgelegt hat. Abg. v. Arnim(kons.): Ich habe aus demSozialdemokrat" das zitiert, was notwendig war, um Herrn Hirsch die Unrichtig- keit seiner Behauptungen und dem Hause die Richtigkeit meiner Behauptungen nachzuweisen. Ich habe auch aus derBremer Bürgerzeitung" das zitiert, was notwendig war, um zu bcwetsen, daß die Sozialdemokratie auch gegenwärtig noch Gewalt will.(Abg. Hoff mann(Soz.) ruft: Sie lügen, daß sich die Balken biegen und dann machen Sie Schluß! Große Unruhe recht, Zurufe: raus!) Vizepräsident Dr. Krause: Herr Hoffmann, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich hier in einer anständigen Gesell- schaft befinden.(Unruhe bei den Sozialdemokraten.)'Ich verbitte mir jede Kritik meiner Geschäftsführung und rufe den Abg. Hoff- mann zur Ordnung. (Bravo ! rechts.) Damit schließt die Beratung des Etats des Ministeriums des Innern. ES folgt die Beratung eines zu diesem Etat gestellten An- träges v. Wenden(kons.), der eine Bekämpfung der Ani. mierkneipen fordert. Der Antrag wird angenommen, nachdem Minister v. Moltke erklärt hatte, daß die preußische Re. gierung beim Reiche den Antrag gestellt habe, die Gewerbeordnung dahin abzuändern, daß eS der Landesregierung überlassen werde, Maßnahmen zu treffen, welche die Annahme von Kellnerinnen be- schränken oder ausschließen. Ohne Debatte wird ein Antrag Engel brecht(ftkons.) an» genommen, der verlangt, daß zwecks besserer Nutzbar- in a ch u n g der agrarstatistischen Erhebungen die nächst- jährigen Ergebnisse der Zlitbaustatistik nach Gemeinden und Gutsbezirken veröffentlicht und verarbeitet werden. Beim Etat der Eisen bah»Verwaltung wünscht Abg. Schmieding(natl.) Konzessionierung von elektrischen Schncllbahnverbindungen im Rheimsch-westsälischen Jndustriebezirk. Eisenbahnminister v. Brritenbach gibt eine entgegenkommende Erklärung ab. Abg. Dr. Gottschalk- Solingen(natl.) kritisiert, daß der Minister einen liberalen Ingenieur wegen seines Verhaltens bei der Stadt- verordnetenwahl in Opladen unberechtigt getadelt habe. Nicht- politische Beamte dürften in ihrem Verhalten bei Wahlen nicht beschränkt werden. Minister v. Areitenbach: Der betreffende Beamte hat sich den ganzen Tag im Wahllokal aufgehalten, in dem die Arbeiter wählten. Dadurch mutzte der Eindruck hervorgerufen werden, als wolle er die Arbeiter kontrollieren. Wenn alle Fälle, wo ich einem Beamten eine Rüge erteile, hier im Hause vorgebracht werden sollten, so wäre eS schwer, die Disziplin aufrechtzuerhalten. wird dann jeder Boainte, der eine Nase bekommt, versuchen, d'ie Sache hier zur Sprache zu bringen.(Sehr richtig! rechts.) Abg. Röchling (natl.): ES muß jedem Beamten gestattet sein, die Vorgänge bei der Wahl mitanzusehen. Der Einfluß der Geist- lichkeit auf die Wähler ist übrigens viel größer als der der Bc- aniten. Ein gewissenhaft frommer Mann hat vor dem Geistlichen auch Angst, wenn er ihn nicht sieht.(Sehr rtchiigl bei den Natio- iialliberalen; große Unruhe im Zentrum.) Rodner kritisiert dcS weiteren den schlechten Zustand, der auf den deutschen Bahnen ver- kehrenden ausländischen Eisenbahnwagen. Abg. Dr. Schcpp(frs. Vp.) wünscht Ermäßigung der Fahrpreise bei Schülcrturnfahrten. Abg. Meyer(Z.): Die katholischen Arbeiter sind so helle, daß sie ruhig nach ihrer Uebcrzeugung wählen, auch wenn der Geistliche dabei ist.(Gelächter links.) Die Gefahr der Beeinflussung besteht vielmehr, wenn ein Vorgesetzter die Ärbetter beobachtet. Denn dann müssen sie befürchten, daß ihnen der Brotkorb höher gehängt ivird. Bei den evangelischen Arbeitern mag das ja anders fein. (Gelächter links.) Hierauf vertagt das Haus die Weiterberatung auf Freitag 11 Uhr. Schluß: Wi Uhr._______ parlamentarifcbeö. Die Bltdgetkommission des Reichstags und Herr v. Rheinbavea. Die Budgetkoimnission beriet in ihrer gestrigen Sitzung die zurückgestellten BesoldungSverhältntsse der Beamten des Reichstags. Eine Besprechung der Fraktionen war vorauS- gegangen, wobei auch eine Einigung über die Höhe der Aufbesserung erzielt worden war. Bei dieser Gelegenheit kam zur Sprache, daß der preußische Minister v. Rheinbaben am Tage vorher im preußt- schen Abgeordnetenhause eine ungehörige Kritik an den Beschlüssen der NeichStagSkom Mission geübt und dieselben als sehr bedenklich bezeichnet hatte. Dabei hat er sich denWitz' geleistet, zu erklären, wo die Mittel für die von der Reichstagskommisstoa für die Beamten« ausbesseruiig beschlossene Mehrausgabe h'ergeholt werden sollte, sage, wie es in anonymen Anzeigen zu geschehen Pflege, die Expedition. Am Schlüsse hat der preußische Finanzmiiiister auch noch die Abgeordneten aufgefordert, auf ihre Freunde im Reichstage einzuwirken, damit sie mit ihren Bewilligungen innerhalb der Erciizcn des Möglichen blieben. Selbst Graf Oriola fand, daß die Aeußerungen Rhein - Habens von wenig Achlnng vor den Beschlüssen der Reichs- tagslommission zeigten. Er halte den Borgang für außer- ordentlich bedauerlich uild weise die versuchte Ein- Mischung des preußischen Ministers in die Entschließungen deS Reichstages entschieden zurück. Abg. Erzberger unterstreicht die Worte deS Grafen Oriola noch besonders. Wenn Rheinbaben Belehrungen geben wolle, so solle er sie�an den prenßischeii Landtag richten. Abg. Singer erklärt, daß er die Einmischung v. RheinbabenS mit aller Entschiedenheit zurückweise. Der preußische Landtag sei der ungeeignetste Platz, sich über den Reichstag lustig zu machen. Die Aeußerung zeige wieder einmal die bekannte preußische Ucberhebung mit aller Deutlichkeit. Erforderlich erscheine eS ihm, daß der Berichterstatter im Plenum auf diesen allffälligen Vorgang ziiriickkommen und namens der Kommission gegen die Einmischung Protest einlege. Die Kommission beschloß demgemäß. Herr v. Rheinbaben wird also Gelegen- heit haben, seine Vorwürfe gegen die ReichStagSkommlsston öffentlich zu begründen._ Em der frau6nben>egung. Nachklänge vom internationalen Stimmrechtskongreß. Es war mal ein Hamburger Bübchen, das wurde von seinen Eltern für acht Tage mit nach Helgoland genommen. Am zweiten Tage fragten die Eltern den trübe dreinblickenden Kleinen, wie es ihm auf dem schönen Eiland gefalle, und grämlich antwortete der Knirps:Es ist hier langweilig; es war gestern schon lang- weilig." So muß man vom Londoner Frauenstimmrechtskongreß sagen:Er war langweilig, sterbenslangweilig!" Und er konnte auch gar nicht anders sein, denn alle anfeuernden, lebensprühenden Elemente, an denen gerade England zurzeit so reich ist, waren mund- tot gemacht. So die Suffragettes. die die Vertreterinnen der Adult Suffrage Society. Die Suffragettes waren offiziell zur Tagung geladen worden, aber es sollten ihnen für ihre Darlegungen be- treffs ihrer Kampfesweise nur zehn Minuten bewilligt werden, und diese zehn Minuten nicht einmal zu einer bestimmten Zeit. sondern irgendwann im Verlauf der Tagung. Darum blieben sie fern. Die Delegierten der Adult Suffrage Society waren erschienen, weil sie, die in England zurzeit einen ganz besonders schweren Standpunkt haben (sogar eigenen Genossen gegenüber), sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen wollten, gerade den internationalen Delegierten darzutlin, daß es durchaus richtig sei, allen gegenteilige,! kon- tinentalen Berichten zum Trotz, in England mit Energie das Universal right" zu verlangen. Wie es ihnen erging, ist ja schon imVorwärts" dargelegt, man verweigerte ihnen das Wort, wahrscheinlich aus Furcht, daß die internationalen Delegierten durch eine sonnenklare Rede der Mrs. Montefiore denn doch ein wenig in ihren Sympathien für die Vorschläge der aristokratischen Mrs. Fawcett erschüttert werden könnten. Diese Wortverweigerung muß in erster Reihe auf die Vertreterin des amerikanischen Nationalverbandes, auf die bekannte Methodisten- predigerin Anna Shaw, zurückgeführt werden. Man kann sich nicht des Gedankens erwehren, in dieser Predigen» der allgemeinen Menschenliebe den Spiritus rector, den eigentlichen Geheim- kommandanten, der ganzen internationalen Frauenstimmrechtö- bewegung zu sehen. Mit ihrerallumfassenden Liebe" und wunder- samen Beredsamkeit tritt diese Frau auf der Kanzel für die Armen und Mühseligbeladenen ein und im Damenkongreß schloß sie den Vertretern der Arbeiterinnen, den Abgesandten der Aermsten. den Mund zu.Es soll der Sänger mit dem König gehen" und der Priester mit dem Besitz. Weiblicher oder männlicher Pfaffe, Pfaffe ist Pfaffe. So wurde denn die Vorsitzende des internationalen Ver. bandes, Mrs. Chapman-Catt, die ja auch kürzlich hier in Berlin öffentlich geredet, wobei sie dargetan, daß sie das Stimmrecbt in erster Reihe für die arbeitende Frau fordere, durch die Vor- gange auf dem Kongreß in die tollsten Widersprüche verwickelt. Daß Mrs. Chapman-Catt als Gegnerin der Suffragettes an- zusehen sei, war jedem klar, der die Artikel der Berichterstatter imLokal-Anzeiger" undBerliner Tageblatt" gelesen, die ihr Interview mit der amerikanischen Führerin betrafen, besonders aber nach der eigenen matten Verteidigung der MrS. Chapman- Catt am Schluß ihres Vortrages hier im Architektenhause. Daß sie aber als Vorsitzende des internationalen Stimmrechts- Verbandes den Vertretern der arbeitenden Frau massiv und rücksichtslos das Wort verweigern würde, hätte niemand von ihr erwartet. Jedenfalls ist es, wie schon im ersten Vorwarts "-Bericht betont, ein ganz vorzüglicher Erfolg des Londoner Kongresses, daß die Sachlage nun vollständig geklärt worden ist. Der� internationale Stimmrechts» verband ist lediglich ein reaktionärer Damen- stimmrechtsverband! Der augenblicklich in England mit größter Schärfe tobende Kampf um das Frauenstimmrecht wurde auf dem Kongreß nicht in die Debatte gezogen, weil das eine national-englische Au- gelegenheit sei, mit der sich der Kongreß nicht zu befassen habe. Daß übrigens die deutschen Delegierten nicht die Konsequenzen dieser Tagung gezogen, ist insofern zu berichtigen, als sie daraus verzichteten, in diesem Vorstand vertreten zu bleiben. Das war zwar nur eine Halbheit, aber doch etwas. Daß es trotzdem die Frau des Genossen Lindemann- Stuttgart fertigbrachte, an Stelle der hinausgewählten Dr. Käthe Schirmacher in diesen reaktionären Vorstand als Dol- metscherin einzutreten, muß Befremden erregen. Sie bildet nun das würdige Pendant zu der Holländerin Martina Kramer. die als Sozialdemokratin in diesem würdigen internationalen Stimmrechtsverband. der sich gegen das allgemeine Wahlrecht aus- gesprochen hat, thront. Hochinteressant gestaltete sich, allerdings nur einen kurzen Moment, die Debatte dieser langweiligsten Tagung, als die Schwedin Frau Wychsel als Vorstandsmitglied vorgeschlagen wurde. Die Dame erklärte, daß sie nicht abgeneigt sei, diese hohe Ehre(!) für ihr Land und für sich anzunehmen, wenn die gesamten Delegierten wüßten, daß sie seit zwanzig Jahren mit ihrem Manne in freier Ehe lebe und wenn die Delegierten darin keinen Hinderungsgrund erblickten. Zwanzig Jahre!!! Tiefe Stille trat einen Augenblick ein, und schon wähnte unser deutsches Gemüt, daß die neue Ethik international geworden. Aber irren ist menschlich, mehr als menschlich. Eine Delegierte aus Südafrika erhob sich, machte unserem blöden Wahn ein Ende und erklärte sich nüchtern auf Grund ihrer Anschauungen von der Ehe gegen Frau Wychsel. Und sie fand keinen Widerspruch. Widerwärtig berührte es, daß die versammelten Frauen, die im vorigen Jahre in Amsterdam getagt und trotz der an- gestrengtesten Bemühungen keines Blickes, keines Wortes von der holländischen Königin gewürdigt waren, nun dieser selben Königin ein langes, echt byzantinisches Glückwunschtelegramm zur Geburt ihres Töchterchens sandten. Ja, Charakter muß man zeigen, wenn man einen hat. Die öffentlichen Abendversammlungen zeigten ein etwa keb- baftereS Kolorit, wie daZ bei solchen Kongressen ja meistens der Fall ist. Das größte dieser Abendmeetings fand in der Albert Hall statt. Es war mit einem imposanten Fackelzug verbunden. der sich von Eatens Square nach der Albert Hall bewegte. Ein Fackelzug von Frauen arrangiert und ausgeführt. So etwas wäre Zier bei uns in Deutschland einfach undenkbar