des ZigarettenzollcS auf 1500 M. fei das Zentrum zu haben. Die Zigarette könne entschieden eine höhere Belastung vertragen. Abg. Krcth erklärt sich mit einer starken Belastung der Zigarette einverstanden, hat aber nicht? dagegen, wenn die Steuer auf die billigsten Sorten ennästigt wird. Nach lveiterer Diskussion, die neue Momente nicht mehr bot, erfolgte die Abstimmung mit folgendem Resultat: 1. Zigaretten im Kleinverkaufspreise ») bis zu 1-/z Pf. das Stück... 1.50 Mark für 1000 Stück b) von über Pf- das Stück 3„„ 1000„ c)„„ 21/a-SVa- 4,50„„ 1000„ d)„„ llVa— 5„..„ 6,50„„ 1000„ e)„„ 5-7„„ 10„„ 1000„ k)„? Pf-.. 15„„ 1000„ 2. Für Zigarettenpapier, mit Ausnahme des zur gewerblichen Verarbeitung bestimmten, 1 Mark für 1000 Zigarettenhüllen. Das Gesetz tritt am 1. Oktober in Kraft. Nach einer Pause trat die Kommission in die Beratung der Branntweinsteuer ein. § 1 wurde ohne Debatte angenommen. Zu§ 2 brachte Abg. Zehnter(Z.) einen Antrag ein, der die Berbrauchsabgabe für die Obstbreunereien, die nicht mehr als 30 Liter Alkohol jährlich herstellen, um 3/j0 ermäßigt. Abg. Sieg hat Bedenken gegen diese Ermäßigung, die ein Privilegimn bedeute. Abg. Südekum dagegen findet, daß diese Bedenken gar nicht bestehen. Der Antrag entspräche dem Interesse der kleinen Obstzüchter und hindere die Umgehung des Gesetzes. Der Negicrungskommisiar, Geheimrat May erklärte dagegen, daß der Antrag anreize zur Einrichtung vieler kleiner Brennereien und ersuchte, den Antrag abzulehnen. Die Freisinnigen stinnnten dem Antrage zu.— Der Abg. Dietrich will dagegen die Bestimmung nur für Süddeutschlaud gelten lassen und die Ermäßigung auf 2/10 herabsetzen. Ueber das Reservatrecht, das Dietrich angeregt hat, entspinnt sich eine längere Debatte. Man einigt sich schließlich dahin, dieses fallen zu lasten.— Abg. Zehnter ermäßigt daraufhin den Erlaß in seinem Antrage von 8/10 auf Mit dieser Aenderung wird der Antrag angenommen. Da aber noch eine ganze Reihe weiterer Anträge zu Z 2 vor- lagen, wird die Beratung bis morgen Donnerstag ausgesetzt. Außerdem wird auf die Tagesordnung der Antrag der Konservativen gestellt, der eine Erhöhung des Zolles auf Kaffee und Tee bezweckt. Kongreü der Gifchiitlenproietarier. Zu einer der allerergiebigsten Quellen für das profitlüsterne Kapital hat sich die chemische Industrie in Deutschland entwickelt. Sie steht mit ihren Gewinnen an erster Stelle in der Reihe der industriellen Unternehmungen. Die Statistik für den preußischen Staat ergibt nach den Geschäftsergebnisten im Jahre 1907 im Durchschnitt auf das in sämtlichen Aktiengesellschaften angelegte dividendenberechtigte Kapital eine Rente von 3,6 Prozent; die chemische Großindustrie schüttete aber 16,6 Prozent Dividende aus. und die Farbenfabriken allein wirtschafteten sogar eine Durchschnittsdividende von 26,8 Proz. heraus. Um die Rekorddividende nicht noch höher heraufschnellen zu lassen, wird seit einiger Zeit das Kapital„verwässert", wobei den alten Aktionären durch Ueberlassung neuer Aktien zu niedrigen Kursen enorme Extra- gewinne zufließen. Gerade in der chemischen Industrie arbeitet das Kapital mit allen Kniffen und Pfiffen. In der Ausbeutung der Arbeitskraft legt man sich trotzdem keine Schranken auf. Nirgends wird rücksichtsloser mit dem Leben und der Gesundheit der Lohnsklaven gewirtschaftet, als in den Gifthütten der chemischen Industrie. Diese Mehrwert-Retorten mit ihren fabelhaften Profiten sind Massenverzehrer von Proletarier- leben. Und es ist eine gewaltige Schar, die hier ausgebeutet, früh- zeitig vernichtet wird. Wie ein Hohn nimmt sich gegenüber den Rieseugewinnen der Lohn der Arbeiter in den chemischen Fabriken aus. Nach den Ausweisen der Berufsgenossenschaft dieser In- dustrie für das Jahr 1907 entfällt auf den Kopf deS in ihr beschäftigten, zirka Vi Million zählenden Arbeiterheeres nur ein durchschnittlicher Tagesverdienst von 3,73 M. DaS ist viel weniger, als man in anderen Industrien mit viel niedrigeren Dividendenziffern zahlt. In der chemischen Industrie betrug das Jahreseinkommen eines Vollarbeiters nur 1120 M.. während z. B. in einer Reihe Berufsgenostenschaften der Eisenindustrie sich Jahres- löhne von 1250 bis 1500 M. ergeben. Ganz unbestreitbar muß aber die Arbeit in den Gifthütten zu den allergefährlichsten, die Arbeitskraft am schnellsten verzehrenden Beschäftigungen gerechnet werden. Der mörderischen Folgen der Tätigkeit in den chemischen Be- trieben wohl bewußt, haben die Unternehmer eine planmäßige Ver- jüngung deS Arbeiterstammes als der kapitalistischen Profiw, acherei vorteilhaft erkannt und eingeführt. Ms Mittel dazu dienen die Krankcnkasten. Die Chemickapitalisten haben fast ausnahmslos Betriebskrankenkassen eingeftihrt. die völlig in ihren Händen sind. Krankmeldung ohne langjährige Borbeschäftigung in der Fabrik ist meist gleichbedeutend mit Entlassung! Die Krankenversorgung dieser Unternehmerkasten ist einzig von dem Gedanken beherrscht. daß jeder zweite Kranke ein„Simulant' sei. Die Fabrikärzte müssen für prompte Ausscheidung unbrauchbaren— Materials sorgen. Trotzdem ist die Krankenziffer in den Betriebskassen der chemischen Industrie erschrecklich hoch. Während beispielsweise auf je 100 Ver- sicherte sämtlicher Kassen des Reiches im Jahre 35—40 ErkrankungS- fälle kommen, ergeben sich für alle Betriebskrankenkassen zusammen 40—50 Fälle; aber bei den Kassen der chemischen Industrie steigt die Zahl auf 70-80. Welches sind nun die Ursachen solcher nach Abhilfe schreienden Zu- stände? Woher neben der fabelhaften Profitmacherei die schlimmste AuS« beutung der Arbei tskrast, die erschreckende Vernichtung von Menschenleben und Gesundheit? Die Unternehmer in der chemischen Industrie verstehen es. bei der Regierung und im Parlament ihren nicht ge- ringen Einfluß zu ihrem Vorteil zu verwenden. Man weiß, was Verbindungen wert sind. In der Leitung der rentabelsten Riesen- betriebe der chemischen Industrie Deutschlands sitzen auf fürstlich bezahlten Posten ehemalige Regierungsräte, aktive Parlamentarier und die Jndusiriefürsten nebeneinander und bringen durch solche enge persönliche Verbindung die Beherrschung deS Klassenstaates auch durch das chemische Großkapital zu sinnfälligem Ausdruck. WaS wunder, daß die Arbeiterschutzgesetzgebung an der chemischen In- dustrie wie ein Blinder vorbeirennt. Längst hat die Wissenschaft die furchtbaren Verwüstungen mach- gewiesen, die die Ausdünstungen in den chemischen Fabriken im menschlichen Organismus anrichten, längst find Mittel und Wege zur Herabminderung der GesundheitSgefahren bekannt; aber immer noch herrscht daS schrankenlose Vernichtungsrecht des Kapitals, immer noch wartet man vergeblich auf einen energischen Schutz für die Arbeiter. Eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit besteht nur für die Herstellung der gifttgen Bleifarben. Von allen andern. ebenso giftigen Branchen(wir nennen nur daS Hantiren mit Anilin, Brom , Alkalichromaten usw.) hat der Einfluß der deutschen Gifthüttengewaltigen noch jede gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit, auch der SonntagSarbeit und der 24stündigen Wechselschichten fernzuhalten gewußt. Solche aller Kultur und Humanität hohnsprechenden Verhältniste konnten nur entstehen, weil bis vor kurzem die große Schar der Arbeiter in den mörderischen Gifthütten der gewerkschaftlichen Organisation gleichgültig gegenüberstand. Seit einigen Jahren hat nun aber der Fabrikarbeiterverband eine energische und erfolgreiche Agitattons- und Organisationsarbeit entfaltet. Das Unternehmertum in der chemischen Industrie verfolgt erklärlicher- weise diese Bestrebungen mit wütendem Haß..ES tischt die alten Phrasen auf von der Störung der Harmonie zwischen Kapital und Arbeit durch die Gelverkschaft, und es kämpft gegen sie mit den bekannten Mitteln eines skrupellosen Terrorismus. Schwarze Listen, Maßregelung usw. sind die mildesten Waffen, die gegen organisierte Arbeiter verwendet werden. Unternehmer in der chemischen Industrie waren die ersten, die Streikbrecher mit Waffen ausrüsteten. Die Leverkuser Knüppel haben Anspruch auf historische Bedeutung— als Beweis dafür, wie das Unternehmertum den sozialen Frieden fördert und die Harmonie zwischen Kapital und Arbeit stärkt und fördert. Nach mühevollen Arbeiten und großen Opfern ist die Organist- rung der Gifthüttenproletarier endlich so weit gediehen, daß diese nun mit einer öffentlichen Demonstration gegen die gemeingefährlichen Verhältnisse in der chemischen Industrie auftreten können. Der Fabrikarbeiterverband hat zu Pfingsten eine Konferenz der in chemischen Fabriken beschäf- tigten Arbeiter nach Frankfurt a. M. einberufen. Hier sollen zum ersten Mal vor aller Oeffentlichkeit und unter ihrer Kontrolle die Erfahrungen, die aus der eigenen Not gewonnen sind, erörtert werden. Es soll festgestellt werden, wie die schrankenlose Ausbeutung der Arbeiter gewirkt hat, und es soll unter- sucht werden, an welchen Punkten zuerst und mit allen Kräften ein- gesetzt werden muß, um den unheilvollen Einfluß des Kapitalismus zu beschneiden. Die sachkundigen Berichterstatter der Konferenz sollen durch ihre Referate den Boden vorbereiten, worauf sich ein frucht- barer Meinungsaustausch vollziehen kann. Ueber„Die Unfall- und VergiftungSgefahren in den chemischen Fabriken' referiert Herr Professor Dr. Sommerfeld- Berlin ; einen Vortrag über.Die Wirt« schaftliche Lage der in der chemischen Industrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen' hat Genosse Redakteur Heinr. Schneider übernommen, während Reichstagsabgeordneter Genoste Aug. Brey über.Die Gesetz- gebung und die Arbeiterschaft in der chemischen Industrie' sprechen wird. Das rege Jntereste für die Verhandlungen, die Erwartungen, die die geknechteten und schrankenlos ausgebeuteten Arbeiter ihnen entgegenbringen, bekundet der große Andrang zu der Konferenz. Ueber 100 Delegierte aus allen Gauen Deutschlands haben sich be- reits angemeldet. Die Konferenz bedeutet eine Kulturtat, von der wir reichlichen Segen sowohl für die direkt beteiligten Arbeiter als auch für die gesamte Arbeiterbewegung erwarten. feudaler und ilrmeleute-Sport. Ilm die Gestaltung des Stempelsteuergesetzcs führt man nun schon seit mehreren Tagen im preußischen Abgeordnetenhaus heiße Kämpfe. Diese Kämpfe wären von vornherein überflüssig gewesen, wenn die bürgerlichen Parteien seinerzeit die Einkommen- und die Vermögens st euer entsprechend erhöht hätten. Hier aber, wo wirklich das Einkommen und der Besitz nach seiner Höhe hätte zur Steuerleistung herangezogen werden können, begnügte man sich mit einem möglichst geringen Zuschlag, obgleich man nicht davor zurückschreckte, die Einkommen schon von 1200 M. an mit dem Zuschlag zu belasten. Da die Besitzenden sich nicht zu der einzig vernünftigen Be- steuerung des Besitzes entschließen konnten, hat man bei der Stem» pelsteucr zu allen möglichen Steuerflickereien gegriffen. Oben- drein hat die Kommission die Vorlage der Regierung noch ganz erheblich verschlechtert. So hatte die Regierung einen Stempel auf Jagdpachtverträge in der Höhe von 10 Proz. vorgeschlagen. Die Jagdliebhaber im Zentrum und unter den Konservativen wollten jedoch von solcher Erhöhung nichts wissen. Sie drückten den Jagdstcmpel auf den Höchstsatz von 6 Proz. herab. Um die dadurch verlorengegangene Million wieder einzubringen, heckte man andere Stempelsteuern auS. So den Stempel auf Fahr- räder. Diese Fahrradsteuer war von sozialdemokratischer und freisinniger, ja sogar von nationalliberalcr Seite als unsozial ge- brandmarkt worden. Was taten nun die Herren Konservativen? Sie schlugen schleunigst eine andere Fastung vor, dergestalt näm- lich, daß der Stempel auf Fahrräder jährlich 1,50 M.(statt wie zuerst vorgeschlagen 50 Pf.) betragen solle; für die gewerblichen Zwecken dienenden Fahrräder solle der Stempel auf 50 Pf. er- mäßigt werden. Das heißt, die 50 Pf. jährlicher Steuer auch für die„gewerblichen Zwecken" dienenden Fahrräder der Proletarier soll bestehen bleiben, dagegen soll der Stempel für die Sport- zwecken dienenden Fahrräder verdreifacht werden. Diesen jähr- lichen Beitrag von 1,50 M. aber sollen auch die vielen Tau- sende von Arbeitern bezahlen, die sich den„Luxus" eines Fahrrades leisten, um am Sonntag der staubigen Atmosphäre der Großstadt zu entfliehen und einmal in der freien Natur frische Luft schöpfen zu können. Die Herren Agrarier also, die hinter den fadenscheinigsten Ausreden die Abneigung dagegen verbergen, daß die Leute, die dem kostspieligen Jagdsport frönen, auch ent- sprechend zu den Steuern herangezogen werden, wollen dem g e- sundheitsdienlichen, vom sozialen Standpunkt aus nur zu begrüßenden Sport der kleinen Leute. den Radelsport, durch eine Stempelsteuer von 1,50 M. be. lastet haben I Die Redner der Linken, namentlich auch der Vertreter der sozialdemokratischen Partei, Genosse Leinert, geißelten noch einmal mit scharfen Worten die schreiende Ungerechtigkeit der Rad. fahrsteuer. Vergebens! Bei der namentlichen Abstimmung wurde mit den Stimmen der Konservativen, der. Freikonservativcn und eine? starken Teils des Zentrums der Radfahrstempel angenommen! Radelnde Arbeiter werden also künftighin mit 50 Pf. bis zu 1,50 M. jährlich die Benutzung eines Fahrrades zu versteuern haben! Wie wenig die Besitzenden selbst geneigt sind, sich ihren Luxus, ihren Sport durch Steuern verteuern zu lassen, bewies das Schicksal eines freisinnigen Antrages, jedes Reitpferd mit 30 M. zu versteuern. Bei der Abstimmung wurde dieser Antrag gegen die überwältigende Majorität der Konservativen und des Zentrums abgelehnt. Der luxuriöse Reit- und Jagdsport soll steuerfrei sein oder möglichst niedrig besteuert werden; die nicht. besitzende Klasse aber soll für jedes harmlose Vergnügen, ja sogar für die Benutzung des Fahrrades zu gewerblichen Zwecken Steuern bezahlen t_, Die ßadbod'Kolonle vor Gericht. Dortmund , 25. Mai. (©ig. Ber.) Heute begann die Zeugenvernehmung. AIS erster wurde Direktor Andre vernommen. Nach seiner Aussage ist natürlich alles in Ordnung gewesen. Andre gibt zu. daß mit der Abkehr auch die Wohnung zu räum en ist. Von Massenentlasinngen, die im inkriminierten Artikel behauptet werden, wisse er nichts. Die Kürzung des Gedinges sei nicht willkürlich er- folgt. Der Durchschnittslohn sei im Februar noch höher gewesen als im Januar. Von schlechter Behandlung der Arbeiter wisse er nichts; er würde die Beamten scharf rügen, wenn ihm solches be- kanut würde. Dann traten die Zeugen in langer Reihe-auf, die alle die behaupteten Mißstände bestätigen. Aber ebensoviele Zeugen hatte auch die Zeche aufgeboten, die die Woh- nungen als gute bezeichneten und von Nässe nur wenig oder gar nichts bemerkt haben wollten. Das D!iß- Verhältnis klärte sich schon bald auf: Die' Zeugen der Au- geklagten kannten und schilderten die Wohnungen, wie sie ur- sprünglich, vor zwei Jahren, gewesen waren. Die Zeugen der Zeche hatten die Wohnungen der Kolonie entweder im Sommer bewohnt oder sie hatten die Wohnungen erst in j ü n g st e r Zeit bezogen. Den ursprünglichen Zustand der Wohnungen kannten die Zeugen der Zeche also gar nicht. Noch eine sehr wichtige Feststellung: Der Vorsitzende machte wiederholt Andeutungen, daß bei der Besichtigung saubere und auch sehr unsaubere Haushaltungen angetroffen worden seien. Anscheinend zog das Gericht auf Grund dieser Erscheinung seine Schlüsse auf die Ursachen der Nässe und des Zustandcs der Wohnungen. Rechtsanwalt Frank, der Verteidiger Nottebohms, fragte deshalb den Direktor Andre, ob er die Bewohner aller Häuser von der Besichtigung benachrichtigt habe. Direktor Andre mußte zugeben, daß er in b e st imm t en Häusern, auf die er Wert legte, gesagt habe:„Wir wollen dem Gericht'mal eine saubere Kolonie zeigen!" Die Herren von Radbod hatten also wieder recht nett vorgearbeitet. Bestätigt wurde in der Zeugenvernehmung die Gedinge- k ü r z u n g. Die Arbeit wurde schwieriger und das Gedinge geringer. Vier Monate lang sei jeden Monat der Schichtlohn um 20 oder 30 Pf. gekürzt worden. Die Verwaltung nahm viele hunderte Bergleute an, während andererseits wieder die Leute in großer Zahl entlassen wurden. Wie noch heute das Leben der Arbeiter auf der Zeche Radbod von der Verwallung„geschützt' wird, zeigte eine Bekundung des Zeugen Höh selb. Danach ist dieser Tage ein Ort auf Anordnung des FahrfteigcrS trotz lebhafter Beschwerden der Ar- beiter ganz ungenügend verbaut worden. Während deS Schichtwechsels brach das ganze Gewölbe herein. Wäre der Zusammenbmch ein wenig früher erfolgt, so wäre die ganze Kameradschaft begraben worden! Scharf waren die Urteile der Bezirksleiter der Bergarbeiter- organisationen über die Kolonie. Zeuge Terbrügge vom«christ- lichen' Verband und Zeuge H o h f e l d, der Beamte des Berg- arbciterverbaiides, erklärten, schon manche Kolonie gesehen zu haben; so schlecht wie die von Radbod war keine. Terbrügge bekundete, daß daS Bauterrain ein Sumpf gewesen sei. Nur gut einen Spatenstich sei ausgeschachtet worden. Etwa 35 Zentimeter tief unter den Dielen habe das Wasser gestanden. Hoffeld und eine ganze Reihe weiterer Zeugen sagten auS, Wohnungen gesehen zu haben, wo die Nässe so stark war. daß daS Wasser mit Besen von den Wänden gefegt wurde. In einer Wohnung sei daS Wasser an- scheinend durch die Dielen gedrungen und die Frau habe dreimal im Tage die Dielen austrocknen müssen. Hinter der Bettstelle war daS GraS durch die Fugen der Dielen gewachsen; in einer anderen Wohnung hinter der Wasserbank bis zur Höhe der Bank. In einem Hause bröckelte die durchnäßte Wand so sehr ab, daß ein Loch entstand, durch daS man ins Freie sehen konnte. Die Wände einer Wohnung waren dermaßen mit Pilzen bewachsen, als ob sie mit einem Zentner fauler Acpfel beworfen worden wären. Wohnungen, an deren Wänden Schimmelpilze wuchsen, wurden in größerer Zahl bezeichnet. Manche Zeugen klagten, daß ihnen durch Nässe und Pilze d i e Kleider. Betten und Möbel verdorben seien, andere, daß ihnen die Kartoffeln im Keller erfroren, obschon fie sie mit Säcken und Stroh zugedeckt hatten. Auf die Frage, ob sie sich beschwert hätten, antworten die meisten Zeugen mit„Nein"! Eine Frau sagt auS, ihr Mann habe sich nicht beschwert, wei�l er befürchtet habe. er bekomme dann die Abkehr. Aber der Kolonievogt Tcichmüller muß zugeben, daß in der Tat eine Anzahl Beschwerden an ihn gelangt sind. Ueber das Brunnenwasser sagt ein Zeuge auS, es habe furchtbar gerochen. Zeuge Hohfeld bekundet, es habe gerochen, als wenn Urin zwei Tage gestanden. Dem ersten Zeugen erkrankte der Sohn. Der Arzt Dr. Meyer bezeichnete das Wasser als Ursache der Erkrankung. Sehr lebhaft diskutieren der gerichtliche Bausachverständige Schäfer und die Bauleiter von Radbod über Baumaterial, die zur Anwen- dung gebrachte Isolierschicht, die Bauzeit, die Zeitdauer der Aus- ttocknung usw. Schäfer bezeichnet alles als ungenügend, die Bau- Polizei in Dortmund würbe solche Bauten nicht abgenommen haben. Sehr hilflos gcberdete sich dagegen der Sachverständige Bau- inspektor Thierbach auS Bochum , Angestellter des Allgemeinen KnappschnftSvcreins. Grobe Verstöße wollte er nicht anerkennen, ideal seien die Zustände der Kolonie ja auch nicht, gab er aber zu. Der GraSwuchs in den Wohnungen sei vielleicht darauf zurückzuführen, daß die L e u t e V i e h hielten. Die Nässe der Wohnungen rühre vielleicht von Kochschwaden her. Wenn cS aber wahr sei, daß die Nässe so groß war, daß die Dielen mehr- malS am Tage aufgetrocknet werden mußten, bann sei daS aller» dingS„etwas Ungewöhnliches". Dann wurde die Verhandlung auf den nächsten Tag vertagt. PoUtifcbe Clcberficbt Berlin, den 26. Mai 1909. Unfreiwillige Komik. Da? Herrenhaus setzte am Mittwoch die Etats- beratung fort. Im allgemeinen wurde viel Schlafpulvcr produziert; im besonderen aber schufen ein paar hinterwäldlerische Junker durch die ftöhliche Unbefangenheit, mit der ste ihre aus der Zeit bor dem 80jährigen Kriege stammenden Ansichten vortrugen, den etwa noch nicht eingeschlafenen Zuhörern(soweit solche vor- Händen) ein paar köstliche Augenblicke. Da war der Herr v. Buch. der vom Samisitz der I. Eisenbahnklasse sich nach der schönen IV. Klasse hinwcgsehnt, die fiir die Knoten viel zu gut ist und eigentssch für die Junker reserviert werden müßte. Da ist ein Herr v. Klitzing, dessen Jammer über die Gewerbefreiheit sogar dem Handelsminister Delbrück Gelegenheit gab, sich einmal ganz von fern wie ein moderner Mensch auszuuehmen. Ihm ging daS noch so hin; aber als so'n Plebejer wie der Oberbürgermeister von Breslau , Bender, bescheidene Zweifel an der Wunderherrlichkcit der vierten Eüenbahnklasse äußerte, da wurden die Junker grob, markierten die Steuer- und WirtschaftSrefornicr und bewarfen den opponierenden Roturier mit rednerischen Pferdeäpfeln. Und in ähnlich anziehender Weise schlug man noch weiter ein paar Stunden tot, bis auf einmal, man weiß nicht recht wie, der verflossene Kultus- minister Studt mit dem repräfentablen Vollbart das Bedürfnis ver-
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