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Dr. 121. 26. Jahrgang. 2. feite des J Smmw, 27. Mai 1909. parte!- Hngelcgcnbeiten. Weißcnsce. Dcn Mitgliedern des sozialdemokratischen Wahl- Vereins zur Kenntnis, daß die Vereinsbibliothek zwecks Regelung Und Neuordnung im Monat Juni geschlossen ist. Da nun noch zirka 100 Bände ausstehen, ist eine unverzügliche Ablieferung bis zum Sonnabend, den 29. Mai er. beim Genossen Roßkopf, König- chanssee 38, dringend geboten. Der Vorstand. Berliner J�acbricbtem Grunewald-Flor. Wer querwaldein durch den Forst wandert, dem werden ein Paar bescheidene Schmuckstücke der heimatlichen Flora nicht entgehen. Weithin heben sich bor allem gelbe Flecken vom Grase ab. Auf kaum fußhohen Stengeln sitzen unscheinbare, aber bei näherer Besichtigung recht sonderbar gebaute Blüten in dichten Molden. Die grünlich gelben Blütenbüschel werden so leicht nicht gebrochen, denn wir haben es mit der Zypressen- Wolfsmilch zu tun, der, wie allen anderen Arten ihres Ge- schlechtes, der Ruf der Giftigkeit anhaftet. In der Tat besitzt der weiße MIchsaft, der bei der geringsten Verletzung der Pflanze hervorquillt, ätzeude Eigenschaften, ohne daß man ihn deshalb übermäßig zu fürchten hätte. Erfließt aus Milchröhren, die die Pflanze nach allen Richtungen durchziehen, und er schützt sie vor dem Gefressenwerden, eine Aufgabe, die allein gegenüber der schön gezeichneten Raupe des Wolfsmilchschwärmers versagt, der die Blätter der Wolfsmilch trefflich schmecken. So auf- fallend die gelben Dolden der Wolfsmilch, so unscheinbar sind die hübschen tiefblauen Veilchen, die im Grase und zwischen ihrem eigenen Laub sich kaum vom Waldboden erheben. Hundsveilchen heißt die Art. Vielleicht ist der Name eine vom Volksmund geprägte Strafe dafür, daß die Blumen nicht riechen, wie beim Märzveilchen. Neben den Veilchen glitzern weiße Röschen zwischen dreizähligen graugrünen Blättern; die Erdbeeren blühen. In der Mitte der Blüte sitzt der kleine Fruchtknoten, der noch nichts von seiner späteren Größe, seiner Farbe und seinem Aroma ahnen läßt. Aehnlich wie die Erdbeerblüten, jedoch nicht weiß, sondern schön gelb erscheinen die Blüten des Frühlings- Fünffingerkrautes mit den tief(fingerartig) eingeschnittenen Blättchen. Damit haben wir, wenn wir von einigen großarttgen Gewächsen absehen, deren Blüten sich durch die aus den Hüllblättern herausragenden gelben Staub- beute! verraten, die Maiflora des Grunewaldes so ziemlich erschöpft. Bei der Heimkehr sehen wir an Bahndämmen und auf allen Grasplätzen die eigentliche Maiblume unserer Gegenden. Nicht das Maiglöckchen, das man nur in dunklen Laubwäldern findet, sondern die als Löwenzahn oder Butterblumen be- kannten gelben Blüten. Sie blühen fast das ganze Jahr hindurch, im Mai aber zu ungezählten Tausenden. Auch die Butterblume läßt beim Pflücken einen weißen Milchsaft aus- fließen wie die Wolssniilch; hier aber ist er unschädlich und den Kühen auf der Weide ein Hochgenuß. Verlegung von Straßenbahnlinien. Die Straßenbahn ist ge- nötigt, wegen Straßeilbauarbeiten der Stadt zwei wichtige Linien zu verlegen. Es sind dies die Linien 11 Moabit Görlitzer Bahnhof und 30 Swineuiünder Straße Rixdorf. Die Stadt Berlin will am 2. Juni mit der Asphaltierung der Dresdener Straße von der Bukower Straße bis zum Oranienplatz beginnen. Es wird deshalb notwendig, die beiden Linien für die Dauer der Arbeiten über den Moritzplatz durch die Prinzen- und Oranienstrahe umzuleiten. Die Arbeiten nehmen voraussichtlich sechs Wochen in Anspruch. Der Rohrstock im Religionsunterricht. Die Religion solldem Volk erhalten werden". DemVolk" soll sie erhalten werden. das heißt: demniederen" Volk. Der unruhiggewordenen Arbeiterklasse, die sich nicht länger auf die Wonnen des JemeUs vertrösten lassen will, gilt die rcligiöserhaltende Tätigkeit des«laates. Bei diesen seinen Bemühungen ist ihm ein wichtigstes Hilfsmittel die Volksschule. Sie mutz in den Nachwuchs der Arbeiterklasse ein reichlich bemefienes QuanwiyReligion" hineinstopfen, Bibelgeschichten. Kirchenlieder. Spruchweisheit und dergleichen mehr. Das ist aber nicht so leicht, wie es aussieht. Bei vielen Kindern läßt es sich nur erreichen mit Hilfe eines ebenso reichlich bemessenen Quantums Hiebe. Manchen Eltern ist es ganz unfaßbar, daß sogar im Religions. Unterricht nicht ohne dieses Universalmittel auszukommen sein soll. So meldet uns jetzt wieder ein Vater in großer Erregung, daß in der141. Mädchen-Gemeindeschule(Müllerstr. 48) in Klasse VN seine Tochter von dem Lehrer Voigt im Religionsunterricht mit dem Stock auf die Hände geschlagen worden sei. Das Kind hat angegeben, deshalb geschlagen worden zu sein, weil es das LiedHerr Jesu Christ, dich zu uns wend'" nicht nach Wunsch habe hersagen können. Das erscheint durchaus glaubhaft nach allem, was aus unseren Schulen über das W a l t e n des Rohrstocks im Religionsunterricht bekannt geworden ist. Empört ist der Vater nicht nur über den Grund der Züchtigung, wie ihn das Kind dargestellt hat, sondern auch über Art und Maß. Als die Kleine mittags nach Hause kam, war an der einen Hand ein Fingernagel blutunterlaufen. Sie versicherte, das rühre von einem Rohrstockhiebe her. Der Vater will die Mahnung beherzigen, die kürzlich einem wegen Lehrerbeleidigung und Hausfriedensbruch angeklagten Ehepaar von dem verurteilenden Richter gegeben wurde. Er will nicht sich per» sönlich an den Lehrer oder an besten Rektor wenden, wobei man nur zu leicht sich obenein noch eine Anklage holen kann, sondern beabsichtigt, gegen den Lehrer eine Anzeige einzureichen. ES wirkt wie eine grimmige Ironie, daß just das Wort Herr Jesu Christ, dich zu uns wend'" Anlaß ge- worden sein soll, dcn Rohrstock in Bewegung zu setzen. Wenn Jesus Christus heute unter uns wandeln und solcher religionS- erhaltenden Tätigkeit zuschauen könnte, dann würde er selber wahrlckzeinlich sich abwenden von den stockschwingcnden Wer- bern für das Gottcswort. Und vermutlich wäre er der Erste, der es begreiflich fände, daß auch die Arbeiterklasse sich ab- wendet, immer mehr sich abwendet von einer Kirchs deren Lehre mit Krstgeln eingebläut werden muß, Jeremiaden über die Kirchenaustrittsvewegung wurden auf der Tagung der Kreissynode Berlin - Kölln Stadt an- gestimmt. Die liberalen Pastoren schreiben die Schuld an den vielen Kirchenaustritten den orthodoxen Pastoren zu und letztere wieder den liberalen. Der liberale Prediger Steiniger meinte: Viele Leute kämen schon verärgert nach Berlin . Sie haben früher immer ge- sehen, wie der Pfarrer mit dem Landrat ging; nun macht sich der Nachteil der Verbindung von Thron und Altar geltend. Hebt man die Verbindung von Religion und Politik auf. so wird man bald das Herz der Arbeiter gewinnen.<1 1 Red.) Jetzt höre man, daß die Geistlichen sozial wirken sollten. Hätte man das vor 20 Jahren gesagt, so wäre die Austrittsbewegung nicht I so stark geworden. Man könne mit dem Erlasse des j Evangelischen Oberkirchenrats über die Austtittsbewegung einverstanden sein, sofern er rechtliche Folgerungeu zieht, aber wider sprechen müste man ihm, daß man sage: Die Ausgetretenen unter stehen noch immer unserer Seelsorge. Die moderne Theologie und der kirchliche Liberalismus hat an dieser Bewegung keinerlei Schuld. Im Gegenteil, diese Bewegung ist die Quittung für die Art. wie Sie predigen, lehren, reglementieren im Konfirmandenunter- richt usw. I Dem widersprach der orthodoxe Hofprediger Ohly. Der meinte: Unsere Stadtmissionsbrüder haben festgestellt, daß in den meisten Fällen ein ganz unerhörter Terror der Sozialdemokratie die Leute zum Austritt tteibe. Die Sozialdemokratie hat nun einmal die Parole ausgegeben, daß die Kirche durch- geprügelt werden müsse für die Schlappe der Partei bei den Reichstagswahlen. Man könnte dieser Bewegung übrigens auch eine andere Seite abgewinnen: wir sind dadurch aus dem Dämmerzustand unklarer Verhältnisse hinausgetreten in das Licht des Tages, wo man schärfer sieht und wo die Ent- scheidung kräftiger ist. Nun fällt im Sturm das dürre Holz. Es ist interessant, daß sich von den Ausgetretenen vielleicht mit einigen Ausnahmen, die zu den Setten hinübergehen niemand findet, der auf positivem Boden steht, sondern, bei genauerem Zu- sehen, stehen sie Ihren Anschauungen ungleich näher I(Wider- spruch links.) Nun, ich würde das hier nicht ausgesprochen haben, wenn Sie vorhin nicht die Austrittsbewegung uns in die Schuhe geschoben hätten, indem Sie sagten: sie sei die Quittung auf unsere Arbeit! Auf eine solche Provokation mußte ich antworten. Hier ist ein Schriftchen von Oskar Zimmer, das für die Austtits- bewegung agitiert, indem es geradezu in virtuoser Weise die liberale Theologie benutzt!(Hört 1 hört 1) DaS läßt doch tief blicken. Also ich denke, wir gehen lieber nicht aus daS Gebiet gegenseitiger Vorwürfe. Daß wir uns um die Austretenden mil aller Liebe bekümmern müssen, ist für uns selbstverständlich. Wollen wir doch in dieser nachgehenden Fürsorge in einen Weit- bewerb treten I" Wir wollen mit dem Herrn Hofprediger nicht weiter rechten über die sogenannte Feststellung der Stadtmissionsbrüder von dem Terror der Sozialdemokratie in Sachen der Austrittsbewegung. Diese Feststellung ist einfach eine Flunkerei der frommen Brüder; denn wer austritt, läßt sich in der Regel mit diesen auf- dringlichen Leutchen gar nicht erst ein. Uns amüsiert nur die Tatsache, daß Liberale und Positive sich gegenseitig die Schuld für die vielen Kirchenaustritte in die Schuhe schieben. Aber recht hat niemand, diese Erscheinung hat andere Ursachen als die frommen Herrschaften vermuten. Immer deutlicher erkennen die Massen, daß die Kirche heute nur noch ein Werkzeug der herrschenden Klassen ist, sich in ihren Dienst gestellt hat. Sie dient nur noch zur Niederhaltung der Emanzipations- und Kultur- bestrebungen der Arbeiterklasse und deshalb kehren immer größere Kreise der Arbeiter dieser Kirche den Rücken. Zur Warnung für Maienhändler. Seitens der Gemeindevor- steher in der Umgebung Berlins wird durch Bekenntmachung darauf hingewiesen, daß in früheren Jahren vielfach Birkensträucher durch Maienverkäufer unbefugterweise gestohlen, wobei rücksichtslos vor- gegangen und ganze Anlagen verwüstet worden seien. Das un- befugte Abbrechen von Maien wird streng bestraft und die Exekutiv - beamten haben die Anweisung erhalten, rn den nächsten Tagen ihr Augenmerk auf derartige Forstfrevler zu richten. Wenn man vor Gericht Zeuge spielen muß. Die Neigung, in einer Gerichtsverhandlung sich als Zeuge vernehmen zu lasten, ist bei den meisten Leuten nicht groß. In weiten Kreisen der Be- völkerung besteht eine Scheu vor den Gerichten, die die Rechtspflege erschwert und gewiß schon manchem unschuldig Angeklagten ver- derblich geworden ist. Es ist ein arges Unrecht, sich t�er Zeugen- Pflicht entziehen zu wollen. Man kann aber solche Stimmung einigermaßen verstehen, wenn man weiß, wie wenig zumeist den Zeugen die Erfüllung ihrer Pflicht erleichtert wird. Der Ton, in dem manche Richter verhandeln, die Zeitverluste, die den Zeugen zugemutet werden, die Genauigkeit, mit der an ihren Gebührenforderungen herumgeknausert wird alles das wirkt wahrlich nicht ermutigend. Lehrreich ist eine Erfahrung, die letzthin ein Barbier, selbständiger Geschäftsinhaber, hat machen müssen. Bei einer durch einen Schutzmann vor- genommenen Verhaftung war er ohne seinen Willen von dem Beamten als Zeuge notiert worden, und er wurde nun geladen. Da er sein Geschäft ohne Gehilfen betrieb, so mußte er am Tage der Gerichtsverhandlung eine Aushilfskraft an- nehmen, wenn er nicht den Laden schließen wollte. Die Aushilfskraft bekam er nur für den ganzen Tag, mithin hatte er 4,50 M. Lohn zu zahlen und die übliche Beköstigung zu geben. Nachdem er seine Zeugenpflicht erfüllt hakte, forderte er an der Gebührenberechnungsstelle vollen Ersatz seiner baren Auslagen. Da kam er aber böse an. Man speiste ihn ab mit 2,50 M. für Zeit- Verlust und 40 Pf. für die Fahrt. Er nahm zunächst, was man ihm gab, reichte aber Beschwerde ein und legte dar, daß ihm selber viel höhere Ausgaben entstanden seien. Was wurde ihm geantwortet?Die höchste einem Zeugen zustehende Entschädigung für Zeitversäumnis beträgt bestimmungsgemäß pro Stunde 1 M., auch im Falle angenommener Vertretung." Für den Termin wurden% Stunde, für Hin- und Rückfahrt je 1 Stunde angerechnet, die Entschädigung für zusammen 2% Stunden wurde auf 3 M. abgerundet, dazu kamen die 40 Pf. Fahrkosten, macht 3,40 M., so daß dem Zeugen nock) ein Rest von 50 Pf. zu- steht, den er sich abholen oder sich zuschicken lassen kann. Der Mann hat nach dieser Erfahrung kein Verlangen mehr, vor Ge- richt Zeuge zu spielen. Darf man's ihm verdenken? Ein aufregender Verkehrsunfall hat sich Dienstagabend in der Prinzen-Allee zugetragen. Der 43 Jahre alte Kutscher Hans Malchow, Prinzen-Allee 45 wohnhaft, hatte nach vier Monat langer Arbeits- losigkeit endlich wieder Stellung bekommen. Vorgestern abend hielt er vor einem Grundstück in der Prinzen-Allee mit seinem Gefährt, als plötzlich einige Hunde gegen die Pferde gelaufen kamen, wo- durch die letzteren scheu wurden. Sie gingen durch und M., der gerade neben den Tieren gestanden hatte, wurde umgerissen und mitgeschleift. Dem Bedauernswerten wurde der rechte Oberschenkel zerschmettert und der linke mehreremale gebrochen. Auch im Gesicht und am Kopf wurde der Verunglückte schrecklich zugerichtet. In hoffnungslosem Zustand wurde M. nach dem Birchow-Krankenhause gebracht. Von der Ordnung in den Bureaus unseres Rathauses liegt schon wieder eine eigenartige Probe vor, die weiteren Kreisen bekannt zu werden verdient. Die Stadt Berlin verwaltet eine Stiftung, die sogenannte., Fricdrich-Wilhelm-Anstalt für Arbeitsame", die hiesigen Einwohnern bei Erwerbs- schmälcrung durch Krankheiten, Unglücksfälle usw. zinslose Dar- lehen gewährt, um vor Verarmung zu schützen. Ein Barbier W.. der durch Krankheit manche Schädigung in seinem Geschäft er- litten hatte, wandte sich an diese Stiftung und bekam von ihr 100 M. geliehen. Bezüglich der Rückzahlung wurden Verein- barungen über Höhe der Raten und Beginn der Zahlungen ge- troffen, doch konnte W. die Bedingungen nicht so erfüllen, wie sie festgesetzt worden waren. Schließlich wurde von der Stiftung gegen ihn. den sie durch ihre Hilfe hatte schützen sollen, das Gericht mobil gemacht, aber auch so kam sie zunächst noch nicht zu ihrem Geld. Ein Versuch, ihn wegen der Rest schuld von 06,75 M. auspfänden zu lassen, blieb erfolglos. Indes, das Kuratorium ließ nicht locker und griff sogar zu dem Mittel, von W. und seiner mitverpflichteten Gattin die Lei- stung des Offenbarungseides zu fordern. Nun borgte W. sich dcn fehlenden Betrag an anderer Stelle, lief nach dem Bureau der Stiftung und b e z a h l t e, was er schuldig war. Das geschah an demselben Tage, an dem er den Offen- barungseid leisten sollte, am 10. Februar, eine Stunde vor dem Termin. W. glaubte, hierdurch sei alles erledigt, und mit der ihm eingehändigten Quittung ging er beruhigt nach Hause. Der Sffenbarungseid war, so nahm er an, jetzt nicht mehr nötig, unV n den Termin meinte er sich nicht weiter kümmern zu sollen. Plötzlich wurde dem Ahnungslosen am 30. April eine Gerichts- Verfügung zugestellt, die gegen ihn und seine Gattin die Haft anordnete, weil sie sich der Leistung des Offenbarungseides entzogen hätten. Wieder glaubte W., keine Schritte tun zu sollen, da er ja alles auf Heller und Pfennig bezahltckhabe und man den Irrtum schon selber merken werde. Da fand«h am 22. Mai ein Gerichtsvollzieher bei ihm ein und ersuchte das Ehepaar, sich zur Eidesleistung zu stellen oder sich einstecken zu lassen. W. besorgte nun schleunigst für das Geschäft eine Vertretung, auch wurden die drei Kinder in einer befreundeten Familie untergebracht, und dann gings am 24. Mai hinaus nach Moabit . Dort wurde W. und Gattin zunächst voneinander getrennt und in Zellen für Untersuchungsgefangene gesteckt. Dem Richter, vor den sie später geführt wurden, wies W. die Quittung vor. Aber der antwortete, ihn gehe das nichts an, er habe nur den Offen- barungseid abzunehmen. Auf des Ehepaars Weigerung, den über- flüssig gewordenen Eid zu leisten, antwortete der Richter mit der Ankündigung, daß sie dann in Haft bleiben müßten. Da leisteten beide den Eid und wurden dann entlassen. Im Rathaus, wo W. am nächsten Tage sein Erlebnis vortrug, zuckte man die Achseln. Man gestand ein, daß kein Zahlungsvermerk zu den Akten gelangt sei, so daß die Sache hatte weiterlaufen müssen. So kann s einem ergehen, wenn man mal dieFriedrich- Wilhelm-Anstalt für Arbeitsame" um Beistand gebeten hat und das gewährte Darlehen nicht schnell genug zurückzahlt. Ein Güterwagen in Brand geraten. Ein mit 200 Zentner Stroh beladener Güterwagen geriet auf dem Bahngelände an der Gürtel- straße plötzlich in Brand. Durch ausgeworfene Funken aus einer vorüberfahrenden Lokomotive wurde die Ladung entzündet und nach kurzer Zeit hatte sich das Feuer über den ganzen Waggon hinweg verbreitet. Erst nach mehrstündiger Tätigkeit gelang es der herbei- gerufenen Feuerwehr, den Brand zu löschen. Wer ist die Tote? AuS der Spree wurde gestern in Treptow die Leickie einer unbekannten Frau gelandet. Die Ertrunkene ist etwa 26 Jahre alt und 1,06 Meter groß. Sie hat braunes Haar, eine hohe Stirn, eine kleine Nase, einen dicken Mund(aufgeworfene Lippen), ein rundes Gesicht und eine starke Gestalt und trug ein schwarzes Tuchjackett, einen schwarzen Rock, eine grauschwarzgestreifte Bluse, ein schwarzgrüngestreiftes Korsett, schwarze Schnürstiefel, graue Strümpfe und ein weißes Hemd ohne Zeichen. Die Leiche befindet sich in der Halle zu Treptow . Rom und die Campagna betitelt sich ein neuer Vortrag, der, mit farbigen Lichtbildern künstlerisch ausgestattet, gestern zum ersten Male in der Urania in der Taubenstraße gehalten wurde. Die Zahl der Kunststätten und der Kunstschätze, die uns gezeigt werden, wenn auch nur im Bilde, ist so groß, daß es ganz unmöglich ist, sie hier alle einzeln aufzuführen. Unser besonderes Interesse nahmen die Bauten oder Ruinen in Anspruch, die an das alte Rom erinnern, an die altrömische Kaiserzeit. Eine längst versunkene Kulturperiode taucht vor unserem geistigen Auge auf und läßt angesichts der gewaltigen Triumphbogen, der antiken Tempel, Grabdenkmäler in uns eine kleine Ahnung von Glanz und Pracht aus längst vergangenen Zeiten aufkommen. Auch die Kunstschätze des Vatikan werden unS im Bilde gezeigt, darunter Werke eines Raffael und Michelangelo , die jeden in seinen Bann zwingen, der nur das leiseste Interesse für Schönheit und Kunst hat. Im zweiten Teil des Bortrages werden wir in die römische Campagna geführt, wo wir aufs neue durch die wunder- vollsten An- und Ausblicke gefesselt werden. Im Berliner Prater-Theater beginnt am Sonntag, den ersten Feiertag, die Sommersaison. Die Feuerwehr alarmiert wegen einem verschluckten Gebiß. Die Feuerwehr wurde wegen einer Leuchtgasvergiftung nach der Wallstraße 21 gerufen. Gleichzeitig hatte man die Samtätswache am Spittelmarkt benachrichtigt. Da der dortige Arzt wegen eines anderen Unfalls nicht abkommen konnte, wurde' die Sanitätswache 18 (Neu°Kölln), Kommandantenstt. 40 um Hilfe ersucht. Inzwischen hatten sich schon zwei zusällia vorbeigehende dienstfreie Feuennänner mit der Rettung des Vergifteten bemüht. Als die Feuerwehr er- schien, wurde dem Lebensmüden Sauerstoff eingeflößt. Dem Arzt fiel dabei der völlig zahnlose Oberkiefer auf. Es stellte sich heraus, daß der Mann das Gebiß verschluckt hatte. Nachdem mit vieler Mühe die krampfartig zusammengepreßten Kiefer geöffnet, gelang es dem Arzt, das im Halse steckengebliebene Gebiß zu entfernen. Vorort- I>tocbricbten. Lichtenberg . Stadtverorimctensitzung. Die am Dienstag abgehaltene Sitzung eröffnete der stellvertretende Stadtverordnetenvorsteher mit der Mit- teilung, daß er in Verfolg einer Einladung zu den Vorbereitungen für den Empfang der englischen Delegation einige Stadtverordnete zu einer am Abend im Reichstage staltfindenden Zusammenkunft eingeladen habe. Unsere Genossen erklärten, daß sie das als eine persönliche Angelegenheit betrachteten. Der Vorsitzende meinte, richtig gehandelt zu haben, weil die Veranstaltung der Pflege fteuudnachbarlicher Beziehungen mit England diene. Ihm wurde er- widert, daß solche Kundgebungen, wie die in Betracht kommende, bei gleich- zeitig gegenseitigem, provozierendem Wettrüsten wenig Zweck habe. Zu prinzipiellen Auseinandersetzungen gab eine Vorlage, betreffend Einführung des Institutes der Bezirksvorsteher Anlaß. Schon in der vorbereitende» Kommission hatte der Magistrat die Ansicht ver- treten, daß die Stadtverordnetenversammlung rechtlich lediglich die Einführung des Instituts beschließen könne; ein vollständig dem Magistrat separiertes Recht sei es, den Pflichtkreis der dcn Bezirksvorstehorn zu überweisenden Aufgaben formell und materiell zu umgrenzen, weil ihm nach der Städteordnung der Erlaß einer Instruktion zustehe. Wie in der KommissionSberatung traten unsere Genossen dem Anspruch des Magistrats entgegen. Die formelle Funktion des Erlasses einer Jnstruktton bedeute nicht auch daS Recht, diese mit Ausschluß der Stadtverordneten selbst- herrlich zu gestalten. Gleichzeitig mit dem Antrag auf Vertagung forderten unsere Genossen, der Magistrat solle beauftragt werden, den Stadtverordneten zunächst eine Abschrift der zu erlassenden In- struktion zu überweisen. Die Versammlung müsse entscheiden über in der Kommission abgelehnte und eventuell über noch ander- weitig verlangte materielle Acnderungen in dem Entwurf. Trotz Widerspruchs der unter Leitung eines Herrn Schachtel stehenden Blockgruppe fand der Antrag Annahme. Eine lange Diskussion vcranlaßte diese Gruppe sodann beim nächsten Punkt der Tagesordnung: Anstellung eines Leiters des projektierten Kranken- Hauses, indem sie, entgegen einem früheren Beschluß, nunmehr von der Anstellung des leitenden Arztes schon für die Bauzeit ab- zusehen beantragte, obwohl darauf hingewiesen wurde, daß, wenn der Forderung stattgegeben werde, die AuSflihrung sich zweisel-