«Was in aller Welt könnte das deutsche Proletariat verlieren, wenn es unter die R e gierungfranzösisch-englischerGouverneure käme? Und was könnte das britische Proletariat verlieren, wenn es unter deutsche Herrschaft käme? Die deutschen Polt zisten und Bureaukraten würden sich schon in englischer Luft humanisieren. Und die deutsche Konstitution wäre gewiß besser, wenn sie von englischen Parlamentariern gemacht worden wäre. Ein englischer Jingo ist noch ein Freihcitsheld, verglichen mit einem deutschen oder österreichischen Liberalen. Die schlimmste Folge der deutsch -britischen Flottenribalität besteht meines Er- achtens ni ch t im Ausbruche eines Krieges, sondern in der Per- giftung der sozialistischen und Arbeiterpartei beider Länder mit nationali st ischen Bazille n." Der Ordnungspresse verrät diese Stelle eine an„Hoch- verrat grenzende Gesinnung" und dergleichen mehr. Wir halten dafür, daß der Londoner Korrespondent einen Wih machen wollte, daß er in ironischer Form die Unmöglichkeit eiiter Eroberungspolitik zeigen wollte. Daß dieser Witz ein schlechter, ein sehr schlechter ist, darüber ist freilich kein Zweifel. Sollte aber die Stelle wider alle Wahrscheinlichkeit ernst gemeint sein, so müßten wir sie entschieden zurückroeisen. Auf keinen Fall aber hat die Ordnungspresse ein Recht, diese Aeußerung eines einzigen Genossen der Sozialdemokratie aufzubürden. Die deutsche Sozialdemokratie hat stets das Recht der Völker auf nationale Unabhängigkeit entschieden verfochten, hat allezeit den Hervsismus unzweideutig bekämpft. Und wenn ein einzelner Genosse in einem Parteiblatt, dessen Vorliebe für geistreiche Extratouren bekannt ist, abweickzende Ansichten kundgibt, so werden dadurch die zahlreichen Kund- gedungen der Partei zum selbigen Thema nicht ausgelöscht. Prenstifche Sparsamkeit. Wir haben in den letzten Wochen n, ehrfach geschildert, in welcher höchst eigenartigen Weise der preußische Fiskus spart; wie er enorme Summen für überflüssige Repräsentationen, Inspektionsreisen, bureaukratische Umständlichkeiten verbraucht, während andererseits die Löhne der Staatsarbeiter und die Ausgaben für durchaus notwendige Zwecke aufs äußerste beschnitten werden. Ein neues Beispiel für diesen seltsamen Spartrieb finden wir in der»Franks. Ztg." berichtet. Das Blatt erzählt: »In einer westfälischen Stadt befindet sich eine Strafanstalt. die durchschnittlich 30 Gefangene beherbergt. Deren Beköstigung besorgt die Frau des Anstaltskastellans, die' dafür pro Mann und pro Tag 1 Mark Vergütung erhält. Das ist wahrlich nicht viel, wenn man bedenkt, daß die betreffende Stadt in einem Industrie- bezirk liegt. Dem jetzt an der Sparsamkeitsmanie leidenden preußischen Fiskus erschien die Ausgabe jedoch zu hoch und er ließ durch den zuständigen Aintsrichter die Frau anweisen, die Beköstigung für etwa die Hälfte des Preises zu besorgen. Unter Zustimmung des Amtsrichters erklärte die Frau, daß sie das nicht könne, und ersterer berichtete demgemäß. Darauf erfolgte von der Oberbehörde der Bescheid an den Amtsrichter, die Frau nochmals aufzufordern, sich mit dem niedrigeren Preise zufrieden zu geben, und, falls sie das nicht tue, ihrem Mann die Strafversetzung anzudrohen. Unter Zustimmung des Amtsrichters erklärte die Frau zum zweitenmal. daß sie das Verlangen nicht erfüllen könne, da sie dann noch zu setzen müsse, zumal ihre Tochter, die sie bei der Beköstigungsarbeit unterstütze, demnächst heirate, und sie sich dann ein Dienstniädchen halten müsse. Der Amtsrichter, ein verständiger Mann, berichtete demgemäß und erhielt darauf von seiner Oberbehörde den definö tiven Bescheid, er habe dem Kastellan zu eröffnen, daß er bei nächster Gelegenheit versetzt werden würde." Ter Fall ist um so ungeheuerlicher, als seit dem 1. Oktober vergangenen Jahres der preußische FiskuZ für die Behausung und Beköstigung iin Gefängnis I M. pro Kopf und Tag von dem Ge- fangencn fordert. Trotzdem vermögen wir bei unseren preußischen Zuständen die Hoffnung des Frankfurter Blattes nicht zu teilen. Das„Herdfeuer des kleinen Mannes". Aus den Kreisen der rheinisch-westfälischen Grubenmagnaten ist der»Post" ein langer Artikel zugegangen, der Betrachtungen anstellt über die Wirkung des KohlenauSsuhrzolles. Es wird darauf hin- gewiesen, daß die deutsche Grubenindustrie geographisch so gelegen »st, daß sie auf den Export in das nahe Ausland angewiesen ist. Die Erschwerung der KohlenauSfuhr würde zu Arbeiterentlassungen und Betriebseinschränkungen führen müssen. In allen Ländern, nach denen deutsche Kohle aufgeführt wird, müsse mit dem englischen Wettbewerb gerechnet werden, und eS sei deshalb völlig aus geschlossen, daß ein deutscher KohlenauSsiihrzoll auf daS Ausland abgewälzt werden könne. Der geplante Zoll sei pro Tonne genau fo hoch, als wie der Verdienst, der bisher erzielt worden ist.<??) Unter diesen Umständen bleibe nichts anderes übrig, als die Erhöhung der inländischen Preise. Das träfe aber nicht allein die verarbeitende Industrie, sondern auch die kleinen Kohlcnverbraucher. Die Kohlenmagnaten hätten die Hoffnung, daß der Reichstag nicht dafür zu haben sei. das»Herd feuerdeslleincn Mannes" zu versteuern. Schließlich wird noch betont, daß auch eine Verminderung der Frachteinnahmen der Staatsbahnen eintreten müßte, so daß das, waS das Reich gewänne, dem Staate Preußen zum erheblichen Teile entgehen würde. Die Besorgnis der Kohlenmagnaten um das Herdfeuer des kleinen Mannes ist wirklich rührend. Beamtenneutralttät bei den Wahle«. Der badische Minister Freiherr v. Bothmann hat angeordnet, daß die ihm unterstellten Amtsvorstände bei den im Herbste statt» findenden Landtagswahlen sich neutral verhalten und an den Wahl- kämpfen nicht beteiligen. Diese Maßregel richtet sich gegen die National» liberalen, die bisher gewöhnt waren, daß sich der ganze Apparat der politischen Verwaltungsbeamten in ihren Dienst stellte. Noch bei den Wahlen 1005 waren liberale Amtsmänner lebhaft tätig für die Nationalliberalen und vertraten auch daS Block- abkommen mit der Sozialdemokratie, da» die ZentrumSherrschaft im Landtage verhinderte. Der Minister v. Bothmann soll der konser - vativen Partei zuneigen.—_ Totenfeier für Theodor Barth . Die Demokratische Vereinigung veranstaltet am Mittwoch, den S. d. M., abends S1/« Uhr. in den »Arminhallen". Kommandantenstr. 58/SS, eine öffentliche Vcr- fammlung, die dem Andenken Theodor Barths gewidmet fein soll. Ansprachen werden halten: Dr. Breitscheid als Vorsitzender des ZcntrakvorstandeS, Ingenieur Lüdemann als Vorfitzender des AuS- sthusses und Frau Miiina Cauer. Berichtigung. Der ZcitungSdrucktenfel, der es als schwarzer Reaktionär seit jeher liebt, dem„Vorwärts" böse Streiche zu spielen, hat sich gestern in seiner Verstimmtheit einen ganz besonderen Schabernack geleistet, indem er aus der in der. P o l i t i s ch e n U e b e r s i ch t" ent- haltenen Notiz»Matte Seelen" daS Zitat und die Schlußsätze in die»Klerikale Götzendämmerung" hinübergeschmuggelt hat und vice versa— vielleicht war der nervöse schwarze Herr der Ansicht, daß e5 auch bei den Nationalliberalen TämmcrungSzustände gibt und bei den Klerikalen matte Seelen. Wir bitten deshalb zu beachten, daß das in der Notiz»Klerikale Götzendämmerung" ent- Haltens Zitat nebst den folgenden Schlußzeilen zur Notiz»Matte Seelen" gehört, und diese letztere dafür rcchtinäßig die beiden letzten Absätze an die erstgenannte Notiz abzuliefern hat. I franlkreicb. Der Streik der Seeleute. Paris , 4. Juni. Wie aus Marseille gemeldet wird, be- schloffen die Kapitäne der Handelsschiffe in einer Ver- fammlung, sich dem Ausstände der eingeschriebenen Seeleute nicht anzuschließen, sondern die Streikenden aufzufordern, die Arbeit wieder aufzunehmen. Sie erklärten sich bereit, zwischen den Streikenden und den Reedern zu vermitteln und letztere zur Annahme einzelner Forderungen der eingeschriebenen Seeleute zu bewegen._ Zerstörte Leitungen. Paris , 4. Juni. Die Zerstörung von Telephon- und Telegraphen- linien in der Provinz dauert fort. So wurden gestern bei Havre 14 Telegraphendrähte, bei Amiens mehrere Tclephondrähte von bis- her unbekannt gebliebenen Missetätern durchschnitten. Italien . Unter Bandesgenosse». Rom , 4. Juni. Der„Popolo Romano" beschäftigt sich in seiner heutigen Nummer mit der soeben unter dem Titel„1912?" er- erschienenen Broschüre, die ungeheure Mittel für Flottenausrüstungen gegen Oesterreich-Ungarn fordert. Gegenüber den Gerüchten, der Autor der Broschüre sei ein ehemaliger Minister des Acußern, bemerkt das Blatt, daß schon ihre Lektüre genüge, um diese Legende zu zerstören. Die Schrift werde das Gegenteil von dem bewirken, was sie beabsichtige. R.ulZlanä. Die GlanbeuSfreiheit. Petersburg, 4. Juni. R e i ch s d u m a. In der heutigen Sitzung kam der Gesetzentwurf über den Uebertritt aus einer Konfession in die andere zur Beratung. Gleich nach dem Referenten erklärte Ministerpräsident Stolypin , bei dem allgemeinen Interesse, wolldcm die Toleranzgesctze begegneten, sei es notwendig, den Standpunkt der Regierung tn Fragen der Glaubensfreiheit klarzustellen. Seit zwei Jahrhunderten seien die Beziehungen der herrschenden Kirche zu den anderen Konfessionen auf gewöhnlichem, gesetzgeberischem Wege erledigt worden. Die Kirche müsse ganz selbständig sein in dogmatischen. kanonischen Fragen, sie müsse auch ganz autonom in Fragen der rein kirchlichen Gesetzgebung handeln, doch müsse der Staat die Freiheit behalten, die Beziehungen der Kirche zum Staate zu regeln. Nachdem der Ministerpräsident die Bedeutung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche für den inneren Frieden hervorgehoben, verteidigte er insbesondere die Regierungsvorlage betreffend den Uebertritt aus einer christlichen Konfession zu einer nichtchristlichen. Hierzu führte er aus, daß, wenn man auch in der Theorie für absolute Gewissensfreiheit sein könne, die Notwendigkeit, die Frei- heit des Uebertritts aus einer christlichen in eine nichtchristliche ge- setzlich zu proklamieren, größtem Zweifel begegne. Alle westeuropäischen Gesetzgebungen hätten gegenüber dem Prinzip der Gewissensfreiheit dem Volksglauben und den Volkstraditionen Konzesjionen eingeräumt. Unter anderen Beispielen er- wähnte er, daß in Preußen der Gewissensfreiheit Schranken gezogen feien, indem bei � einem Konfessions- Wechsel Anmeldung erforderlich sei und noch zwei Jahre lang Bei- träge an die frühere Gemeinde gezahlt werden müßten, die Kin- der konfessionsloser Eltern seien dort sogar zum Religionsunterricht verpflichtet. Fortfahrend fragte Stolypin , weshalb der Geist deS russi- scheu Volkes einer trockenen, ihm unverständlichen Theorie zum Opfer gebracht werden solle, etwa, um einigen zehn Personen, die schon ungestraft vom Christentum abgefallen seien, ge- schlich die Möglichkeit zu geben, sich offen von der Kirche loszureißen. Er wünsche nicht, daß in die Gesetzgebung des streng orthodoxen russischen Staates Prinzipien Eingang finden, die in den Augen des Volkes die rechte Orthodoxie und das Christentum mit Nichtchristentum gleichmachten. Es sei dies eine ernste Ge Wissensfrage. Die Regierung, weder rechts noch links abweichend(Allgemeine Bewegung), gehe nur den einen geraden, vom Kaiser durch das Manifest vom 30. Oktober ge- wiesenen Weg. Die Duma möge alle parteipolitischen Interessen beiseite stellen. Ein Gesetz, das dem Glauben eines jeden Freiheitz gewähre, werde das Volk selbstverständlich begreifen, doch nicht ein Gesetz rein reklamehaften Charakters, das ausspricht, Ortho doxie und Christentum seien dem Heidentum, Mohammedanertum und Judentum gleichgestellt. Zum Schlüsse bat der Ministerpräff dent um Annahme der Regierungsvorlage und sagte: Seid ein- gedenk, dieses Gesetz wird vom russischen Kaiser bestätigt werden, der für mehr als hundert Millionen seines Volkes der orthodoxe Kaiser war, ist und sein wird..(Anhaltender Beifall rechts und teilweise beim Zentrum.)! Marokko . Mulay Hasidö Antisemitismus . Paris , 4. Juni. Aus FeS wird dem„Mattn" gemeldet: Sultan Mulay Hafrd habe den dortigen Juden verboten, sich auf den Terrassen ihrer Häuser aufzuhalten, da er nicht wünsche, daß sie auch nur von ferne auf den von ihm auf der Terrasse des Machsen palasteS erbauten Pavillon sehen. Auf Zuwiderhandelnde würde geschossen werden. Hfrifea. DaS vereinigte Südafrika . London , 4. Juni. Einer Blättermeldung auS Kapstadt zufolge hat eine auS den Mitgliedern der Parlamente der Kapkolonie. derOranjefluß- und der Trans- vaal-Kolonie bestehende Versammlung mit allen gegen wei Stimmen die Verfassung für das Bereinigte Südafrika angenommen. Htnrnha. Der galante Senat. Washington, 4. Juni. Der Senat ermäßigte den Zoll auf D a m e n h a n d s ch u h e von 175 auf 125 Cent das Dutzend. Die deutsche» Arbeitslöhne. Washington, 4. Juni. Der Senat hat eine Resolution des Senators Lafollelte angenommen, in der Präsident Taft ersucht wird, er solle dem Senat die Korrespondenz deS Staats- departenients mit der deutschen Regierung oder ihren Vertretern bezüglich des deutschenLohnberichtS unterbreiten. Soziales. Aus den Geheimakten der BerufSgenossenschasteu. Unter der viel besagenden Spitzmarke„Streng ver- traulich" versendet soeben die Sektton III der R h e i n i s ch- Westfälischen Baugetverks-Berufsgenossen- s ch a f t in E l b e r f e l d an ihre Mitglieder eine Restanten- liste derjenigen Mitglieder der Sektion Iii, welche der Berufsgenossenschast bis Ende 1907(!) noch Beiträge ver- schulden. Diese„streng vertrauliche" Liste ist sowohl wegen der ungeheuerlich hohen Summe, welche die Unternehmer ihrer Berufsgenossenschaft pflichtwidrig restieren, als auch wegen des kolossalen Umfanges der säumigen Zahler beachtenswert und lehrreich. Das Gebiet der Sektion Ii! der genannten Berufs- genossenschaft erstreckt sich auf 13 Kreise und umfaßt das niederrheinisch-westfälische Industriegebiet. Nicht weniger wie 571 Unternehmer bezw. Firmen mit einer Gesamtsumme von marschiert auffallenderweise der Kreis Elberfeld, der Sitz des Vorstandes, sowohl in bezug auf die Total- summe als auch in bezug auf die Zahl der Nestierenden. Elberfeld weist nämlich 90 Restanten aus dem Jahre 1907 mit einer Gesamtsumme von rund 12 000 M. auf. Der Höchstsatz eines Schuldners beträgt 766,61 M. Dann folgt der Stadtkreis Essen mit einer Gesamtsumme von rund 11000 M. und 64 Restanten, von denen der höchstresticrende mit 1101,59 M. verzeichnet ist. Duisburg mit 57 Restanten hat 8550 M. zu zahlen, der „faulste" unter ihnen schuldet 1009,21 M. D.- R u h r o r t hat 41 Restanten, die insgesamt 6650 M. zahlen müssen, der Höchstbetrag der Schulden beträgt hier 743,66 M. Den Rekord im Wettbewerb der einzelnen um die höchsten Veitragsschulden schlägt Barmen, wo ein einzelner Unter- nehmer 1540,24 M.(I) aus dem Jahre 1907 restiert. 54 Restanten haben hier 6500 M. zu decken. Der Landkreis Essen hängt nüt rund 5000 M.. worin sich 34 Unternehmer zu teilen haben. Der höchste Rest beträgt hier 794,38 M. In Ober hausen sind noch 470Q M. von 26 Restanten aufzubringen, der höchste Restbetrag beträgt hier 1002,06 M. Dann folgen Kreis Mettmann mit 3200 M. und 29 Restanten, Mülheim (Ruhr) mit 2050 M. und 32 Restanten, Remscheid mit 1500. M. und 13 Restanten, Rees mit 660 M. und 10 Restanten und Lennep mit 244 M. und 6 Restanten. Weitere 43 Firmen mit einer Ge- samtsumme von 4350 M. sind dann noch zerstreut über die Rheinprovinz und Westfalen als Restanten aufgeführt. Wenn eine einzige Sektion noch ans dem Jahre 1907 rund 73000 M. rückständige Beiträge schuldet, wie mag sich da erst das Gesamtbild der Rheinisch-Westfälischen BaugewerkS- Berufsgenossenschaft gestalten! Namentlich auch, wenn man noch einen Einblick in die Kassenverhältnisse von 1908 trm könnte. Im Jahre 1907 tobte der große Kampf im Bauberufe, voran die Oberscharfmacher im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Hier die Quittung. Wenn.der letzte Groschen für die Bekämpfung der Arbeiterorganisationen ausgegeben wird, da kann man natürlich seinen gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommen. Es ist interessant, die Liste durchzusehen, man findet darin außerordentlich viel bekannte Namen aus der Kampfesperiode. Unter solchen Umstände n kann man sich auch den Sturmlauf derBerufs- genossenschaften gegen die Uns all reuten er- klären. Den Opfern des Kapitals muß das wieder ab- gezwackt werden, was die Unternehmer im Kampfe gegen die Arbeiterorganisationen verpulvert haben und nun ihren Be- rufsgenossenschaften.nicht zahlen können. Die„sehr ver- trauliche" Restantenliste der Rheinisch-Westfälischen Bau- gewerks-Berufsgenossenschaft ist aber auch noch interessant be- züalich der Verwaltungspraxis in Kässenangelegenheiten. 1540 M. rückständige Beiträge bei einer Firma! Das hatte eine Arbeiterorganisation sein sollen, wie würden die Herren von den Berufsgenossenschaften den„Moralischen " herausgesteckt und die Nase gerümpft haben! Arbeiterschutzvorschriften und der Regierungspräsident. Am 1. April dieses Jahres traten die bundcsrätlichen Be- stimmungen über den Betrieb der Anlagen in der Groß-Eisen- industrie in Kraft, die durch die Bekanntmachung des Reichs- kanzlers vom 19. Dezember 1908 erlassen und von uns nebst den Ausführungsbestimmungen wörtlich veröffentlicht worden sind. Nach dieser an sich unzureichenden Verordnung müssen die Ar- beiter bei zwölfstündiger Arbeitszeit mindestens zwei Stunden Pause haben. Als die Bestimmungen in Kraft getreten waren, ist auf der Baildon-Hütte in Kattowitz eine einstündige Mittagspause ein- geführt worden. Am 22. Mai wurde jedoch vom Hüttenmeister ein Plakat folgenden Inhalts im Walzwerk ausgehängt: „Nachdem im vorigen Monat infolge der langen Mittags- pausen unter vielen Ablöserschichten die Löhnung schlecht aus- gefallen ist, hat sich unsere Verwaltung in einem Gesuch um Abkürzung der Mittagspause an den Regierungspräsidenten gewandt. Bis zur Erledigung dieser Angelegenheit ist es unS gestattet worden, nur eine halbstündige Mittagspause zu machen. Wir werden deshalb von Montag ab nur eine Mittagspause von einer halben Stunde machen." Diese Verfügung entspricht nicht der BundeSratsverordnung. Die Arbeitszeit währt jetzt von früh 6 bis abends 6 Uhr. ES kommen Tage vor, an denen sämtliche Pausen im ganzen nur eine Stunde betragen. Regelmäßige Frühstücks- und Vesperpausen gibt eS nicht. Die Arbeiter können nur bei Ablösung frühstücken oder vespern. Die Bekanntmachung hat deshalb bei den Arbeitern mit Recht große Entrüstung hervorgerufen. Welche Maßregeln gedenkt der Reichskanzler zu ergreifen, um die Erfüllung der Verordnung durchzusetzen, die ja nur eine Vorbereitung zu weitergehenden Schutzmaßnahmen nach den Er- klärungen der Rcichsregierung sein soll? Wxr ist Arbeitgeber? Die Frage, wer Arbeitgeber ist, spielt insbesondere im Bau- gewerbe eine recht erhebliche Rolle. Zwei solcher Klagen bcschäf- tigten gestern die Kammer 4 des hiesigen Gewerbcgerichts unter Vorsitz des Magistratsrats Dr. Gerth. 1. Zwei Bauarbeiter klagten gegen den Bauunternehmer Blaefing und dessen Polier Goulnick. Dem Polier waren bei einer kleiycn Bierreise durch einige Schankwirtschaften die Papiere der Arbeiter- verloren gegangen. Als die Kläger entlassen wurden, hatten sich diese noch nicht wieder angefunden und so vergingen trotz der Be- mühungen der Kläger noch einige Tage, bevor sie in Besitz von Ersatzinvalidenkarren gelangten. Sie fordern für die Zeit, für die sie infolge des Fehlens der Jnvalidenkarten anderweitige Be- schäftigung nicht erlangen konnten, Ersatz deS durch den Verdienst- ausfall entstandenen Schadens von 27 M. bezw. 22,59 M. Im gestrigen Termin erschien der Polier, mit Vollmacht für den Be- klagten Blaesing versehen, in dessen Auftrage er geltend machte, daß nur er und nicht Blaesing der Arbeitgeber der Kläger war. Durch Befragen wurde festgestellt, daß G. zwar Gewerbesteuern zahlt und bei der Berufögenossenschast als Arbeitgeber gemeldet ist, aber von Blaesing bis zur Beendigung des Baues 90 M. Wochen» lohn erhält. Das Olewerbegericht betrachtete den Bauunternehmer Blaesing als den Arbeitgeber des Klägers und den Mitbeklagten nur als dessen Polier, und verurteilte Blaesing den Klageanträgen entsprechend. 2. Gegen den Inhaber eines ZimmcrcigcschäftS Friedrich Kroll klagen der Zimmerpolier P. und der Arbeiter M. ans Zahlung von je 36 M. rückständigen Lohnes. Der Beklagte macht geltend, daß nicht er. sondern der Bauunternehmer Goldmann der Arbeit- geber der Kläger gewesen sei. Dies wurde von den Klägern nicht in Abrede gestellt. Sie glauben sich aber trotzdem an den Be» klagten halten zu dürfen, da er ihnen gegenüber, weil die Unver» mögenheit Goldmanns allgemein bekannt war, für die Leistung der Lohnzahlungen die Bürgschaft übernommen hat. Das Ge- werbcgericht hielt zwar den Siechtsanspruch der Kläger an den Be- klagten nicht für unbegründet. Da aber nicht dieser, sondern Goldmann der Arbeitgeber war. wurde die Klage wegen sachlicher Nnzusiändigleit des Gewerbegerichts abgewiesen. Die Kläger müssen also, um zu ihrem vom Beklagten verbürgten Lohn zu ge, rund 73000 M.(!) weist die Liste auf. An der Spitzel langen, beim Amtsgericht ihre Klagen anhängig machen.
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