Vom Bundesrak erwartet die Mehrheit weitgehendste Nach- giebigkeit; es wird erzählt, daß Bundcsratsmitglieder gesagt haben, der Bundesrat schlucke alles, und wenn es Igel seien. Die Auffassung, daß der Bundesrat keine Schwierigkeiten gegen neue Steuern machen werde, sie mögen beschaffen sein wie sie wollen, wird vielfach geteilt; der„Berliner Lokal-Anzeiger"- be- stätigt das ausdrücklich. Er schreibt: „Dah der Bundesrat sich mit der Kotierungssteuer trotz schwerer Bedenken abfinden dürfte, wird allgemein an- genommen, weil ihm schließlich nichts anderes übrig bleiben wird, wenn er die Auflösung des Reichstages nicht betreiben will, wovon indes, bisher wenigstens, nichtdieRede war.* Die Reichstagsauflösung, das einzige Mittel, sich der agrarischen Diktatur zu erwehren, ist jetzt wieder das Stichwort in der Diskussion über die Finanzreform geworden, und selbst in parlamentarischen Kreisen wird der Gedanke recht ernsthaft er- örtert. Beide konservativen Parteien wollen natürlich von einem Appell an das Volk nichts wissen. Anders die Liberalen; sie sind aus dem Block hinausgeworfen, aus der„maßgebenden* Mehrheit verjagt, und sie hoffen, bei Neuwahlen den verlorenen Einfluß zurückzuerobern. Deshalb propagieren sie die Neichstagsauflösung. Tie Tabakarbeitcr gegen den Wertzoll. In Dresden fand ein« stark besuchte Tabak- arbeitcr Versammlung statt, in der der Vorsitzende des TabakarbeitcMieroandes— Genosse Deichmann- Bremen— über die neuen Pläne auf Besteuerung des Tabaks referierte. Er bezeichnete die Beschlüsse der Kommission(40 Proz. Wertzoll auf Rohtabak) als geeignet, die kleinen Fabrikanten zu ver- Nichten, und die Tabakarbeiter durch Verminde- rung des Konsums schwer zu schädigen. Besonders scharf ging er mit dem Tabakverein— der Organisation der Groß- fabrikanten— ins Gericht, der durch sein Eingehen auf die Steuer- 'plane viele bürgerliche Abgeordnete, die schon bereit waren, gegen die Tabaksteuer zu stimmen, einen Vorwand gegeben hätte, nun dafür zu stimmen._ Graf Stolbcrg für die Erbschaftssteuer. Wie nationalliberale Blätter mitteilen, hat der Präsident des Reichstages Graf Stolberg seinen Wählern— er vertritt den o st preußischen Wahlkreis Oletzko-Lyck- Johannisburg— erklärt, daß er in der Erbschaftssteuer- frag« für die biegiernngsvorlage stimmen werde. Seine Wähler hatten ihn vorher dazu aufgefordert. Graf Stol- berg ist als Präsident des Reichstages formell nicht Mitglied der konservativen Reichstagsfraktion.. Doch ein Schuldiger an der Radbod-Katastrophe? Wie der„Dortmunder Zeitung" aus Hamm gemeldet wird, ist gegen den Betriebsführer Berg von der Zeche Nadbod ein Strafverfahren eingeleitet worden. Ihm wird die Hauptschuld an dem Gruben- unglück zugemessen. Am 21. Juni finden die ersten Zeugenvernehmungen in der Voruntersuchung statt. Die Eröffnung des Verfahrens ist eine Bestätigung der Anklagen, die unser Dortmunder Parteiorgan, die„Arbeiter- Zeitung ", gegen die Verwaltung von Nadbod erhoben. Danach ist Berg allerdings nicht der alleinige Schuldige.— Selbstverwaltung und Bureaukratie. Die Stadt Nordhausen besitzt seit vielen Jahren ein Institut für N a h r n n g S m i t t e l u>i t e r s u ch u n g e n. Im vergangenen Jahre erließ eines schönen TagZ der Erfurter Regierungspräsident eine Verfügung, nach der künftig die Nahrungsmiltelunter- suchungen für Nordhausen nur im Untersuchungsaint in Erfurt vorgenommen werden sollen.— Man denke: In Nord hausen steht irgend ein Nahrungsmittel im Verdachte, gefälscht oder verdorben zu sein. Statt nun auf dem kürzesten Wege am Orte selbst feststellen zn lassen, ob sich der Ver- dacht bestätigt, muß die betreffende Ware nach Erfurt gesandt und dort untersucht werden. Daß die Ware auf dem Transport verderben und dann ein einwandfreies Gutachten nicht mehr abgegeben werden kann, scheint gar nicht in Frage zu kommen. Die Verfügung schreibt ferner vor. daß jedes Jahr 149 Proben nach Erfurt eingesandt werden und zu diesem Zwecke 1903 Mark in den Etat einzustellen sind. Nordhauscn lehnte ab und die Polizeivcrwaltung wandte sich beschiverdeführend an den Oberpcäsidenten. Dieser wie? die Beschwerde einfach a b mit der Begründung, die Polizei habe kein Recht zur materiellen Besch lv erde. Die Polizei suchte nun ein anderes Mittel, um die Verfügung anfechten zn können. Sie erklärte der Regierung, sie könne keine Ilntersnchungsproben einschicken, da kein Geld dafür vorhanden sei. Jetzt erhielt der M a g i st r a t die Aufforderung, der Verfügung zu entsprechen. Er sowohl als die Stadtverordnetenversammlung lehnten das ebenfalls ab. Damit war die Angelegenheit noch längst nicht erledigt. Die Regierung innerhalb eines Staates, in dem die Selbstverwaltung nur ein schöner Traum ist, hat noch andere Büttel. Sie ordnete einfach z Wangs - weise an, die 1003 Marlin denEtat zu stellen und da- mit basta. Nordhausen strengte beim Oberverwaltungsaericht Klage an. Sie wurde kostenpflichtig abgewiesen. Nun soll beim Minister Beschwerde geführt werden. Das Resultat ist kaum zweifelhaft. Damit ist aber die famose Affäre noch nicht zu Ende. Es blieb der Negierung zu Erfurt vorbehalten, sie durch eine ganz besondere Glanzleistung zu krönen. Dieser Tage lief in Nordhausen eine Verfügung ein. die verlangt, daß diel 49 Proben aus dem Jahre 1908, die, wie aus vorstehendem leicht ersichtlich, nicht eingeschickt wurden, nunmehr nach Erfurt gesandt werdensollen. Also um festzustellen, ob die Nahrungsmittel im Jahre 1903 einwandfrei waren, verlangt die preußische Bureaukratie in der Mitte des JahreS 1V0S, daß die Untersuchungen jetzt nachgeholt werden. Damit die Sache ihre Nichtigkeit und Ordnung hat. Hut ab vor dieser Leistung I_ Arm und Reich in Württemberg . Gerade zur rechten Zeit noch erscheint die Statistik der württembergischen Einkommensteuer für 1997.�) Diese Statistik zeigt, wie die große Masse des Volkes auch im ge- segneten Schwabenlande in den kümmerlichsten Verhältnissen hin- vegetiert, während in der Hand weniger sich ungeheure Reichtümer zusammenballen. Die Statistik— und das macht sie zurzeit be- sonders wertvoll— beleuchtet aber auch das vollsfeindliche Treiben sämtlicher bürgerlichen Parteien, die gewillt sind, mit der neuen .Finanzreform* dem Bolle neue schwere Lasten aufzubürden. das Portemonnaie der Besitzenden aber nach Möglichkeit zu schonen. Mindestens 499 Millionen Mark neuer Steuern sollen den breiten Massen unter allen Umständen aufgehalst werden, dem Besitz höchstens 199 Millionen Mark. Dabei verfügten von den 924 718 be- steuerten Einzelpersonen 9Z.Z6 Proz. nur über ein Ein- kommen bis L9S9 M. jährlich, 6.69 Proz. über ein Einkommen *) Einkommensteuerstatistik für 1907, bearbeitet vom I. Steuerkollegium. Württ. Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, heraus- gegeben vom K. Slat. Landesamt. Jahrgang 1903. 2. Heft. Verlag von W. Kohlhammer , Stuttgart . von 3050 M. bis 10 000 M.. 0.15 Proz. über 10000 Bis 30000 M.. 0,20 Proz. über 30000 M. und mehr. Im einzelnen gliedern sich die Steuerpflichtigen nach folgenden Stcuerstufen: ein Einkommen von 500 bis 950 M.(genau 949,99 M.) versteuerten 129 974 Personen, 950 bis 800 M. 89 347 Personen, 300 bis 950 M. 75 571 Personen, 950 bis 1100 M. 93 591 Personen. 353133 Personen, also weit mehr als die Hälfte der Steuerpflichtigen, erreicht noch nicht einmal ein Einkommen von 1100 M. jährlich. 21599 Personen mußten von der Einkommen- steuer überhaupt befreit werden, weil sich ihr Einkommen auf durchschnittlich 395 M. im Jahre bezifferte. Nun die Kehrseite der Medaille: 1227 Personen versteuerten ein Einkommen von 39 000 M. und mehr, von ihnen 61 ein 200 000 M. übersteigendes Einkommen jährlich. Das Einkommen dieser 61 wurde auf 22 602 770 M. geschätzt, macht pro Kopf 370 537 M. Das Gesamteinkommen der steuerpflichtigen Bevölkerung(Einzel- Personen) Württembergs im Jahre 1907 wurde auf 1 152 300 993 M. geschätzt. Von dieser Summe mußten versteuert werden 1 965 261 568 Mark. Von den 624 713 Besteuerten hatten 1227 ein Einkommen von 99 351 729 M. zu versteuern. Diese Zahlen kennzeichnen zur Genüge das Treiben der bürger lichen Parteien im Kampfe um die Reichsfinanzresorm. Ein bezeichnender Freispruch. Vor dem Schwurgericht zu Kassel hatte sich am Dienstag ein ländlicher Schmiedemeister wegen vorsätzlicher Körper Verletzung mit tödlichem Ausgange zu verantworten. Der Angeklagte ist Bürgermeister seines OrteS; er ist wegen Be- leidigung und Körperverletzung schon vorbestraft. Wie die Zeugenaussagen ergaben, hatte der Mann einen seiner Lehrlinge beschimpft, durch Faustschläge ins Gesicht und auf den Kopf mißhandelt und ihm schließlich einen Holzpantoffel so heftig gegen den Unterleib geworfen, daß der Lehrling eine tödliche innere Verletzung davontrug. Die Mißhandlung erfolgte, weil der Lehrling den Tatsachen entsprechend behauptet hatte, eine Tochter des Meisters hätte einen Kochtopf der Familie zum Urinieren benutzt. Der Staatsanwalt beantragte Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit tödlichem Ausgange. Die Geschworenen schlössen sich jedoch der Ansicht der Verteidigung an, daß es sich um einen unglücklichen Zufall handele, und erkannten auf Frei« s p r e ch u n g. DaS Urteil erregt berechtigtes Aufsehen. Vertuschung oder Sparsamkeit? In der deutschen Reichsstatistik ist eine Acnderung eingetreten. Die monatlichen Nachweise über den auswärtigen Handel Deutsch - lands sonderten bisher die eingeführten Pferde in solche, für die der gewöhnliche Zoll von 19— 129 M. und solche, für die der Luxus- zoll von 369 M. gezahlt wird, der bei einem Preise von mehr als 2599 M. eintritt. Noch im A p r i l h e f t 1999 findet sich diese Trennung. Dagegen enthält sie das M a i h e f t nicht mehr. Warum? Ist das Ergebnis des Luxuszolls der Regierung zu winzig? Das könnte schon sein, denn seit dem Inkrafttreten des neuen Zolltarifs, seit dem 1. März 1996 bis zum 39. April 1999, waren unter rund 359999 eingeführten Pferden just 155, für die der Luxuszoll gezahlt wurde I Das ist eine ätzende Kritik der Schaumschlägcrei, die mit diesem und ähnlichen Luxuszöllen getrieben wird. Hat die Regierung dem Statistischen Amt solche Kritik untersagt? Oder will sie die Aenderung mit dem Gebot der Sparsamkeit rechtfertigen, weil nämlich der ganze Ertrag dieses Luxuszolles bei gesonderter Nachweisung durch den Drnckerlohn aufgefressen wird?_ Eine„politische" Versammlung. Der Gauleiter Brülling in Dortmund wurde in der Beruf u ngSin stanz von der S t r a f k a m m e r in Dortmund mit 13 Mark Geld st rase belegt, weil er eine Brauerei- a r b e i t e r v e r s a m m l u n g, die zu der B i e r st e u e r Stellung nehmen sollte, nicht angemeldet hatte. In der Versammlung war eine Resolution angenommen worden. In der Urteilsbegrün- dung heißt es, die Bekämpfung der Biersteuer durch Resolutionen sei eine politische Angelegenheit, weil dadurch an dieGesetz- gebung appelliert werde. Deshalb sei die Versammlung eine politische gewesen._ Geborstene Ordnungsstütze. Der 53 Jahre alte Bcnefiziat E y e n b a ch aus I ch e n- Hausen in Schwaben wurde am 17. Juni vom Landgericht Mein- mingen zu drei Jahren Zuchthaus und 19 Jahren Ehr- Verlust verurteilt. Eyenbach hatte in seiner Eigenschaft als ka- tholischer Priester an mehr als 49 unmündigen Kin« dern schwere Sittlichkeitsverbrechen begangen, wo- bei er den Beicht stuhl und die Sakristei zum Tatorte erwählte. Der Staatsanwalt hatte 19 Jahre Zuchthaus beantragt. Der saubere Seelsorger war ein besonders eifriger So» z i a l i st e n b e k ä m p f e r, wobei er die schmutzig st en Mit- t e l anwandte._ Oeftcmicb. Die ungarische Krise. Budapest , 22. Juni. Ministerpräsident Dr. Weierle ist heute vom König Franz Joseph in Wien in Audienz empfangen worden. Dr. Wekerle erbat eine endgültige Lösung der Krise auf der Grundlage, daß gegen Gewährung natio- naler Zugeständnisse vom Reichstage die � neuen mili- tärischcn Forderungen bewilligt werden sollten. Der König lehnte diese Lösung der Krise ab. Der Ministerpräsident bat hierauf um endgültige Entlassung des Kabinetts. Franz Joseph gab dem Wunsche Ausdruck, das Kabinett die Geschäfte noch einige Tage weiterführen. frankmck. Schwere Beschuldigungen. Paris , 22. Juni.„Journal" teilt mit, daß nächsten Donners- tag der Bericht der Martneuntersuchungskommission durch den Generalberichterstatter Henri Michel der Kammer zu- gestellt werden wird. Das genannte Blatt ist bereits in der Lage, die Hauptpunkte des Berichts zu veröffentlichen. Die Unter- suchungSkommission stellt darin fest, daß bezüglich der Artillerie den durch die Katastrophe am Bord deS Schlachtschiffes „Jena " verursachten ausdrücklichen Wünschen der Kammer keinerlei Rech- nung getragen worden ist, daß ferner die Munitionsbestände noch immer nicht erneuert worden sind. Bezüglich einiger Geschütztyps hat die Untersuchung unglaubliche Zustände zutage ge- fördert. So sind z. B. Bestellungen von 359 Millimeter-Geschützen gemacht worden, ohne das Modell einer Probe zu unterziehen, so daß ernste Mängel zu befürchten sind. Die Verdingung der Panzer. schiffe erfolgte vielfach, ohne dah die Pläne fertiggestellt waren. Die Folge davon war, dah schon während des Baues umfangreiche Abänderungen vorgenommen werden mußten, die die Kosten erheb- lich erhöhten. Die Industriellen, welche für die Staats- marine liefern, bilden ein Syndikat, das der Marineverwal- tung erhöhte Preise diktierte. Bei der Verdingung der Panzerplatten für die letzten Panzerschiffe hatte bereits vorher jede der in Frage kommenden fünf Firmen ihr Schiff gewählt und die Preise in diesem Sinne aufgestellt. Der Bericht schließt mit der Ansicht, daß alles reorganisiert werden müsse, und zwar von Grund auf. Die Fortsetzung der bestehenden Zustände hieße das für die Marine bewilligte Geld ver schleudern.'\i, König möge Englanck. Ein neuer Luftkreuzer. London , 22 Juni. Du Eros , Mitglied des Unterhauses und Sekretär des parlamentarischen Luftverteidigungskomitees, wider- spricht in einem heutigen Morgenblatte den gestrigen Ausführungen der„Morning Post", daß für das Luftverteidigungs- wesen in England bisher nichts getan worden sei. Noch vor Schluß der parlamentarischen Session soll ein Versuch gemacht werden, von Paris nach London in einem Luftschiffe zu fahren, das das größte und stärkste aller bisher gebauten Luftschiffe sein werde. Es werde ein Fassungsvermögen von 227 599 Kubikfuß, ferner zwei Motoren von je 229 Pferdestärken haben, 25 Passagiere aufnehmen können, eine Stundengeschwindig- keit von 25 bis 49 englischen Meilen entwickeln und einen Benzin- Vorrat für eine Fahrt von 799 englischen Meilen mitführen können. Das Komitee habe sich für England das Borkaufsrecht gesichert. Das Luftschiff müsse infolge des Fehlens einer passenden Landungshalle in England sofort nach Paris zurückkehren. Cürfccu Die Krctafrage. * Konstantinopel , 22. Juni. Wie„Jeni Gazetta" meldet, hat die Pforte an die Schutzmächte eine Note gerichtet, in der sie erklärt, daß die Kretenscr oder Griechenland im Juli, wenn die Mochte ihre Truppen und Schiffe zurückgezogen hätten, wahr- scheinlich eine Aktion zum Zwecke der Annektierung unternehmen würden. Qsinen solchen Schritt aber werde die Pforte niemals gestatten, nötigenfalls werde sie selbst vor der Kriegserklärung nicht zurückschrecken. Gleich- zeitig erklärt sich die Pforte bereit, über die Autonomie der Insel in Verhandlungen einzutreten. Hiernach mögen die Mächte ihre Haltung zur Krctafrage richten. London , 22. Juni. Unterhaus. Lynch(lib.) richtete die Frage an die Regierung, ob von der türkischen Regierung ein Er- suchen um Aufschiebung der Zurückziehung der bri- tischen Truppen aus Kreta eingegangen sei und ob mit Rücksicht auf Verwickelungen, die einer Zurückziehung der Truppen mög- licherweise folgen könnten, die Regierung ihre Entscheidung einer nochmaligen Erwägung zu unterziehen geneigt sei. In Vertretung des Staatssekretärs G r e y erwiderte Sekretär im Schatzamt Pease, er könne den ersten Teil der Anftage bejahen. Was den zweiten Teil anlange, so glaube die'Regierung nicht, daß es gerechtfertigt wäre, von dem, dem Volke der Kreter vor mehr als einem Jahre gegebenen Versprechen abzuweichen. Die Regierung sähe k e i n en Grund, ihre damals getroffene Entscheidung z u ändern, da die Bedingungen betreffend Aufrechterhaltung der Ordnung erfüllt worden seien. Es sei beabsichtigt, Statt ans». schiffe in den kretischen Gewässern zu belassen, um die türkische Flagge zu sichern, die Ordnung aufrechtzuerhalten und die auf der Insel lebenden Mohammedaner zu schützen. Australien . Tom Mann zur Frage der Schiedsgerichte. Wir haben vor einiger Zeit eine kurze Mitteilung gebracht über einen Streik von Bergarbeitern in Brocken Hill. Trotz- dem auch in Neu-Südwales die bekannten Schiedsgerichte zur Ver» meidung gewerblicher Konflikte eingeführt sind, trotzdem der Staat die Macht haben soll, die Beteiligten zur Unterwerfung unter den Schiedsspruch zu zwingen, geht der Kampf weiter. Der Streik dauert nun schon über 3 Monate. Aber nicht nur das, der Kampf ist auch mit einer solchen Schärfe geführt worden, wie das sonst in Australien ungewohnt ist. Nichts hat gefehlt: Versammlungs- verböte, bis an die Zähne bewaffnete Polizisten, Verhaftungen. Prozesse. Gegen fünf von den Verhafteten wurde Anklage auf Per- schwörung und Aufruhr erhoben. Unter den Angeklagten befand sich auch Tom Mann, der bekannte englische Genosse, der vor etwa neun Jahren nach Australien ausgewandert ist, und dort unermüdlich für den Sozialismus wirkt. Tom Mann ist nun, wie die soeben eingetroffenen australischen Zeitungen berichten, von der Anklage freigesprochen.— Er nimmt nun Gelegenheit in seinem Blatte„The Socialist", die Lehren aus diesen Vorgängen zu ziehen. In Brocken Hill waren 49 Proz. der Arbeiter organisiert. Daneben bestand aber eine sogenannte„unpolitische Union "(wir würden sie als„gelbe" bezeichnen), die immer bereit war, sich auf die Seite der Unter- nehmer zu stellen. Es fehlte, so bemerkte Tom Mann weiter, ganz und gar an der Solidarität der übrigen Arbeiterschaft. A n diesem Mangel an Solidarität und Klassen. bewußtsein seien vor allem die gewerblichen Schiedsgerichte schuld. Die Arbeiter seien in berufliche Organisationen getrennt, ferner zersplittert in lokale oder kleine Bezirksverbände, die alle durch die Einigungsämter und Schiedsgerichte die verschiedensten Vereinbarungen mit den Unternehmern getroffen haben. Oft laufen diese Vereinbarungen jahrelang. Dieser Umstand hindert jede gemein» samL Aktion selbst der einen Berufsklasse. Die australische Arbeiterschaft sei dadurch auch ganz entwöhnt über die engsten Grenzen ihres Berufes oder ihres Bezirks hinauszuschaucn. die Sache der anderen zu der ihrigen zu machen. Tom Mann spricht sich deswegen gegen die Vereinbarungen und das ganze Schiedsgerichtsverfahren in der jetzigen Form aus. Er ruft die Arbeiterschaft zur„direkten Aktion", was in diesem Fall nichts anderes besagen will, als zu gewerkschaftlichem Kampfe. Bisher waren es eben die Lohnämter und Schiedsgerichte, die den Arbeitern auf deren Anrufung vielfach einige Borteile zuwiesen. Und da? hat sicherlich die eigene Kraft der Arbeiterschaft nicht zur Entfaltung kommen lassen. Tom Mann fordert daher die austra- lische Arbeiterschaft aus, die Gewerkschaften auszubauen, zu zentralisieren in großen Jndustrieverbänden, die sich über ganz Australien zu erstrecken haben; ferner und vor allem aber fordert er politische Aufklärung, Erziehung zum Klassenbewußt- sein, zur Solidarität.> Das ist das Arbeitsprogramm unserer australischen Genossen und sie haben unter der Führung von Tom Mann schon große Er- folge erzielt. Die gewerkschaftliche wie die politische Bewegung marschiert, und im übrigen wird die fortschreitende kapitalistische EntWickelung selbst dazu beitragen, die Arbeiter zum Klassen- bewußtsein zu bringen. In der Strafsache gegen den Redakteur Georg Davidsohn in Berlin , Lindenstraße 69, geboren am 2V. August 1872 in Vliesen, mosaisch. wegen Beleidigung durch die Presse hat die 4. Strafkammer des königlichen Landgerichts I in Berlin am 16. Februar 1909 für Recht erkannt: Der Angeklagte wird wegen Beleidigung durch die Presse zu einer Geldstrafe von 500— dreihundert— Mark, an deren Stelle im NichtbeitreibungSfalle flir je zehn Mark ein Tag Gefängnis tritt, sowie zur Tragung der Kosten des Verfahrens verurteilt. Dem Staatssekretär des ReichSpostamts wird die Befugnis zu- gesprochen, die Verurteilung deS Angeklagten binnen vier Wochen nach Zustellung einer Ausfertigung des rcchtSkrästigen Urteils durch je einmalige Einrückung der UrteilSformel in den..Berliner Lokal- Anzeiger" und„Vorwärts* auf Kosten des Angeklagten öffentlich bekannt zu machen. Alle Exemplare des in der 2. Beilage deS„Vorwärts* vom 14. Oktober 1908 enthaltenen Artikels:„Verletzung deS Brief- geheimnisseS durch die Post" sowie die zu der Herstellung des Artikels bestimmten Platten und Formen sind unbrauchbar zu machen.
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