Die Candtagsfenion. - Ein lebhaftes Interesse hat nicht nur das klassenbewußte Proletariat, sondern weit darüber hinaus alle Kreise der Bevölke, rung, soweit sie nicht den politischen Fragen überhaupt teilnahms- los gegenüberstehen, den Verhandlungen des Dreiklassenparlaments in der verflossenen Session entgegengebracht. War doch durch die Wahl der sieben Sozialdemokraten zum ersten Male ein Element in das durch den Wall des Dreiklassenwahlsystems geschützte Junkerparlament eingedrungen, von dem man sich ver- sprach, daß es Leben in die stickige Atmosphäre bringen würde. Diese Erwartungen haben sich im vollen Maße erfüllt, unsere Ge- nassen, wenn auch gering an Zahl, haben es verstanden, die De- batten in der Prinz-AIbrecht-Straße auf ein höheres Niveau zu heben, sie haben die Junker und Junkersknechte gezwungen, Rede und Antwort zu stehen, ihnen ist es in erster Linie zu danken, wenn dem Volke die Augen über die Gemeingefährlichkeit und Kulturwidrigkeit der preußischen Politik geöffnet sind. Zwar hat man sich des größten Teils der unbequemen Kritiker durch einen Gewalt st reich, wie er in der parlamentarischen Geschichte einzig dasteht, wieder entledigt, aber gerade dies schäm- lose Gebaren der Fischbeck, Strosser und ihrer Clique wird mehr als alles andere dazu beitragen, die Volkswut zu entflammen, den Zorn des Volkes zur Empörung zu steigern und immer weitere Kreise mit fortzureißen und zu begeistern für den neuen Wahl- kämpf, der ja in letzter Linie ein Wahlrechtskampf ist. Ungewöhnlich frühzeitig ist der Landtag diesmal einberufen worden, nicht etwa um endlich das preußische Wahlunrecht zu bc- seitigen und dem Volke den ihm gebührenden Anteil an der Gesetz- gebung zu verschaffen, sondern um die Gehälter der Be- amten, Lehrer und Geistlichen zu erhöhen und dem Volke neue Lasten aufzubürden. Daß die Ge- Haltsaufbesserung der Beamten und Lehrer notwendig war, darüber herrscht kein Zweifel; die Beamten, insbesondere die Untcrbcamten, und die Lehrer leiden schwer unter den Folgen der Politik der Lebensmittelwucherer und unter der Politik des Wohnungswuchers. und so haben denn auch unsere Genossen— nicht wie die Anhänger bürgerlicher Parteien aus wahltaktischen, sondern einzig und allein aus sachlichen Erwägungen— den Besoldungsvorlagen, soweit die Beamten und Lehrer in Betracht kamen, unter Zurückstellung mancher berechtigten Wünsche, schließlich zugestimmt. Die G e- Haltsaufbesserung der Geistlichen haben sie natür- lich verworfen, und an der Beratung der Aufbringung der Mittel haben sie sich nur insofern beteiligt, als sie versuchten, die minder- bemittelten Schichten zu entlasten. Die Steuervorlagen im ganzen haben sie abgelehnt, einmal, um der preußischen Regierung, der Sachwalterin der Interessen der herrschenden Klassen, im Namen des größten Teils des preußischen Volkes ein Mißtrauensvotum zu erteilen, sodann aber, weil es ein Verbrechen am Volke gewesen wäre, hätten sie die von der Mehrheit beschlossene Steuererhöhung gutheißen wollen. Hat eS doch der Landtag kühlen Herzens fertig bekommen, die Einkommen von mehr als 12 Ed M. auf drei Jahre hinaus mit neuen Steuer- zuschlagen zu belasten, obwohl sogar Herr Rheinbaben die Einkommen bis zu 7000 M. davon verschont wissen wollte! Konservative, Zentrum, Nationalliberale und Freisinnige haben in holder Eintracht dies Attentat vollbracht, einzig und allein die Sozialdemokraten und die Polen haben sich von der Schröpfung der Minderbemittelten ferngehalten. Von den weiteren Gesetzen, die der Landtag in der verflossenen Session verabschiedet hat, seien erwähnt die Novelle zum Berggesetz, eine jener famosen, unter der Etikette Sozial- Politik segelnden Machwerke, die in Wirklichkeit dazu bestimmt sind, den Bestrebungen der modernen Arbeiterbewegung Abbruch zu tun und den Unternehmern ihre scharfmacherischen Gelüste zu er- leichtern, ferner die Novelle zum Stempel st euergesetz, die u. a. infolge der Erhöhung der Mietsstempel wieder eine Schröpfung der Arbeiter bedeutet, das Gesetz betr. Heranziehung der Beamten zur Gemeindeeinkommen st euer, das, an- statt dem durch nichts begründeten Steuerprivileg der Beamten ein Ende zu machen, auf halbem Wege stehen bleibt und den Ge- meinden noch auf ein Jahrzehnt Lasten zugunsten der Staatskasse aufbürdet, sowie eine Reihe kleinerer Gesetze, darunter das Neben- bahngesetz und das Gesetz betr. die Gebühren der Medizinal- beamten. Die ganze Rückständigkeit der preußischen Gesetzgebung und Verwaltung trat in der Etatsberatung zutage, die sich bis gegen Pfingsten hinzog, obwohl der Etat verfassungsmäßig bis zum 1. April verabschiedet sein muß. Ganz besonders kraß tritt die Reaktion zutage in der inneren Verwaltung. Vorsintflutliche Verordnungen und Gesetze sind es, auf denen die Regierung ihre Macht aufbaut, und alle Versuche, diese Gesetze zeitgemäß zu gestalten, scheiterten an dem erneuten Widerstand der Regierung und der Landtagsmehrheit. So lehnte die Mehrheit u. a. einen sozialdemo- kratischen Antrag auf Aenderung der Städteordnung rundweg ohne Kommissionsberatung ab; sie billigte den gegen ans- ländische Arbeiter ausgeübten Legitimationszwang, der den Unternehmern, besonders in der Landwirtschaft, dillige Arbeits- kräfte liefern soll und die ausländischen Arbeiter, die sich in Preußen ihren Lebensunterhalt zu verdienen suchen, ihrer Menschenwürde beraubt; sie identifizierte sich mit jenen elenden Polizei- spitzeln, jenen erbärmlichen Subjekten, die des schnöden Mammons willen ihre Nebenmenschen verkaufen und verraten. Daß die Landtagsmehrheit jedem wirklichen Fortschritt auf sozialpolitischem Gebiete feindlich gegenübersteht, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Nur der Vollständigkeit halber sei er- wähnt, daß sie die sozialdemokratischen Anträge, die einen Aus- bau des Systems der Gewerbeinspektion bezw. die Anstellung von Baukontrolleuren aus der Arbeiter- klaffe verlangten, rundweg ablehnte, ganz zu schweigen von ihrer Untätigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Problem der Arbeitslosigkeit. Wie kann man auch verlangen, daß Regierung und Landtag sich mit solchen„Kleinigkeiten" befassen I Haben sie doch alle Hände voll zu tun, um die Sozialdemokraten und die Polen zu bekämpfen! Kaum eine Sitzung verging, ohne daß ein Minister oder irgendein„Volksvertreter" nach Neichsverbandsmanier gegen die Sozialdemokratie zu Felde zog, der man am liebsten durch ein neues Sozialistengesetz den Garaus machen möchte. Und wie gegen die Sozialdemokraten, so zog man gegen die Beamten zu Felde, die es gewagt hatten, ihre Wünsche und Forderungen dem Landtage zu unterbreiten. Die Regierung bekannte sich ganz offen zu dem niederträchtigsten Terrorismus, den eS gibt, zur Proklamierung des Grundsatzes, daß Beamte, Arbeiter und Lehrer dem Staate mit ihrer Arbeitskraft auch ihre Gesinnung zu ver- kaufen haben, wenn sie es nicht vorziehen, Hungers zu sterben. Diesen kulturwidrigen Zuständen in Preußen wird nicht eher ein Ende gemacht werden, als bis das Volk sich aufrafft, um die Mehrheit und mit ihr das elende Dreiklassenwahlsystem, dem die Reaktion ihre Macht verdankt, zu beseitigen. Wie zähe die Konservativen an dem Dreiklassenwahlshstem hängen, haben sie erst jetzt wieder bei der Finanzreform bewiesen. Schon die bloße Ankündigung einer Wahlreform in Preußen, einer Reform. die an Stelle des einen plutokratifchen Wahlsystems ein anderes i plutokratisches Wahlsystem fetzen will, genügte, um die Reaktion in Wut und Harnisch zu bringen und die arme Reichsregierung die Macht des preußischen Junkertums fühlen zu lassen. Würde die sogenannte liberale Bourgeoisie auch nur den zehnten Teil der Energie im Kampfe für das tlllgemeine, gleiche, direkte und ge- Heime Wahlrecht an den Tag legen wie die Junker im Kampfe für die Erhaltung des Dreiklassenwahlsystems, fürwahr, die Tage dieses elendesten aller Wahlsysteme Ivetten gezählt. Um so mehr ist es Pflicht der Arbeiterklasse, alles aufzubieten, auch den letzten Mann auf die Schanzen zu rufen, um endlich dem preußischen Volke das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für alle Staatsbürger über 20 Jahre ohne Unterschied des Geschlechts zu erringen. Waffen für diesen Kampf hat uns die verflossene Landtagssession reichlich geliefert; wir werden sie gebrauchen: den Freunden des allgemeinen Wahl- rechts zur Ehr', feinen Feinden zur Wehr. Lin neuer sleilchikandal. New Dork, 12. Juni. (Eig. Ber.y Der aus den schauderhasten Zuständen in den Chicagoer Schlachthäusern resultierende Fleischskandal, welcher die Bundes- regierung vor drei Jahren zu einer verschärften Fleischinspektion veranlaßt hat, scheint eine Wiederholung zu erleben. Nur sind es diesmal nicht die Schlachthäuser in Chicago , sondern die „National Stock Dards"(National-Viehhöfe) in East St. Louis im Staate Illinois . Und zwar ist es ein Bundesfleischinspektor namens I. F. H a r m S, der die Schweinereien an die Oeffent- lichkeit gebracht und gleichzeitig seinen Posten quittiert hat, weil ihm die Verhältnisse in den Schlachthäusern unerträglich ge- worden sind. Harms schildert in einem Schreiben an den Ackerbausekretär Wilson in Washington , dem er darin gleichzeitig seinen Rücktritt vom Amte ankündigt, die Verhältnisse wie folgt:„Die Fleisch- inspektion in den„National Stock Aards" im Staate Illinois kostet annähernd 100 000 Dollar per Jahr, ist aber in Wirklichkeit nicht einen Dollar wert. Denn wenn der die Aufsicht führende In- spektor den Inspektoren, die die wirkliche Arbeit tun, erklärt, daß sie zu viele Tiere bei der Inspektion verwerfen und daß sie deshalb einen anderen Maßstab bei der Inspektion anlegen müßten, was bedeutet dies? ES bedeutet, daß die ganze Geschichte faul und ein Humbug ist. Die Schlachthausbesitzer bekommen gegenwärtig Vieh, das zu 70 bis 80 Proz. zurückgewiesen und vernichtet werden sollte. Um ein Beispiel anzuführen:„Am 1. April 1009 wiesen die Doktoren Graham und Stingley elf geschlachtete Rinder zurück, weil da? Fleisch der Tiere schlecht war. Am 2. April gaben die Doktoren Clanceh und Neadors sechs der Rinder frei. Die anderen fünf wurden vernichtet. Am Morgen des 2. April war ich in einem Kühlraum, als der Superintendent(Leiter) einer Schlachterei hereinkam. Als seine Aufmerksamkeit auf die elf tags vorher geschlachteten Rinder gelenkt wurde, sagte er:„Ja, sie waren nichts wert, und wäre ich hier gewesen, so hätte ich sie nicht hierherbringen lassen, sondern nach der Abdeckerei geschickt." Personen, die bei den Packers(Großschlächtern) gute Stellungen haben, sehen und kennen diese Verhältnisse und wissen auch, daß die Verhältnisse schlimm sind. Ich habe gesehen, wie Tiere, die am Verenden waren, in die Schlächterei gezerrt und deren Fleisch nachträglich„U. S. (United States ) Inspected and Passed"(Von den Inspektoren der Vereinigten Staaten geprüft und für gut befunden) markiert wurde. Ich habe gesehen, wie 1200 bis 1500 Pfund Schmalz aus- liefen und sich in einen am Boden befindlichen offenen Abzugs- kanal ergossen, wie die Mündung sich rasch verstopfte und wie dann das Schmalz vom Boden und aus dem Abzugskanal, die beide unrein und gesundheitswidrig waren, wieder aufgeschaufelt wurde. Und Ihre Doktoren Clanceh und Neodors, Herr Sekretär, be- zeichneten dieses Schmalz, trotz des Protestes des Inspektors jener Abteilung für gut und es kam mit der Bezeichnung„U. S. Inspected and Passed" auf den Markt. Als ich eines Morgens sehr zeitig den Fleischabfall-Kühlraum betrat, merkte ich, daß die Ratten dort während der Nacht ihr Unwesen getrieben und schreckliche Spuren hinterlassen hatten. Daraufhin hing ich etwa zwanzig Zettel„U. S. Retained"(von der Inspektion zurückgehalten) an die Fleischprodukte, aber Ihre Doktoren gaben fast alle Produkte den„Packern" frei und der größte Teil davon wurde zu Wurst verarbeitet und fand seinen Weg auf den Markt als„U. S. Inspected and Passed"." An einer weiteren Stelle des Schreibens Harms ' an den Ackerbausekretär Wilson heißt es:„Die schmutzigste Wirtschaft herrscht in der Wurstmacherei, indem dort Blasen für Wurstdärme gebraucht werden, ohne daß sie erst gereinigt worden sind. Un- gereinigte Eingeweide werden für Wurst gebraucht und un- gereinigte Schweinemagen werden als Wursthülle benutzt, ganz zu schweigen, daß man Fleischstücke, die auf den Boden gefallen sind, aufhebt und ohne irgendeine Reinigung für Würste verwendet. Diese Dinge werden sämtlich von den Aufsehern gestattet." Aehn- licheS berichtet Harms über die schlechte Inspektion des Rauch- fleisches. Die Richtigkeit der von HarmS aufgedeckten Schweinereien wurden von dessen direkten Vorgesetzten natürlich für übertrieben und falsch bezeichnet. Und die Regierung in Washington hat sofort eine Untersuchung in Aussicht gestellt. Aber weshalb erst jetzt? Der Regierung konnten die Dinge, wie sie Harms schildert, nicht unbekannt sein. Waren doch durch die Presse schon wieder- holt Nachrichten über ähnliche Zustände in anderen Schlacht. Häusern an die Oeffentlichkeit gelangt. Und erst kürzlich hat die in England erscheinende angesehene medizinische Zeitschrift „Lancet" eine längere Abhandlung eines Spezial-Gesundheits- kommissärS veröffentlicht, der in bezug auf die Verhältnisse in den großen Schlächtereien Chicagos zwar eine Besserung gegenüber den Verhältnissen vor dem großen Fleischskandal konstatiert, aber trotz allen Wohlwollens nicht umhin kann, auf eine Reihe krasser Mißstände hinzuweisen. So schreibt der Sachverständige in der „Lancet", daß trotz aller Gesetze, trotz aller Beschwerden und trotz aller Aufregung in der Oeffentlichkeit auch heute noch nur ein einziges Packing House(Etablissement zur Zubereitung des Fleisches für den Versand) gebaut worden ist, das modernen sanitären Anforderungen entspricht. Anderwärts besteht die alte Schlamperei. Der Sachverständige führt dann weiter aus, daß die Inspektion, die ebenso Teilarbeit ist wie die Herstellung einer Maschine, viel zu hastig erfolgt.„Diese Hast machte auf mich einen solch niederdrückenden Eindruck," fährt der Artikelschreiber der„Lancet" fort,„daß ich nicht umhin konnte, an das alte Sllavenverhältnis in den Südstaaten zu denken und mich zu fragen, ob dort eine strengere Dienstbarkcit möglich war. Man hätte nur noch hinter etliche der Veterinärinspektoren einen Mann mit einer Peitsche stellen müssen, um ein Bild aus der in „Onkel Toms Hütte" gezeichneten Sklaverei zu haben." Er kommt dann zum Schlüsse, daß die während der letzten Jahre eingeführten schärferen Jnfpektionsgesetze von geringer Wirksamkeit bleiben, solange nicht ber nötige ApPSräk zS deren Durchführung vorhanden ist und, so hätte er beifügen können, die Korruption unser ganzes öffentliches Leben beherrscht und der allmächtige Dollar Gesetzgeber . Richter und Beamte und natürlich auch Fleischinfpektoren zu seinem ZklsvW Mächt. poUtflcbe üebcrlicbt. Berlin . den 26. Juni 1909. Die Minderheit als Mehrheit. Der neue Block der Konservativen, des Zentrums, der Polen und der Antisemiten bildet eine sichere Mehrheit für die nackte, selbst des Feigenblatts der Erbschaftssteuer be- raubte Volksausplünderung. Indes nur eine p a r l a m e n- t a r i s ch e Mehrheit, die lediglich durch die das Wahlresultat verfälschende, veraltete Wahlkreiseinteilung und durch die uu- entwegt die Reaktion unterstützende Haltung des Freisinns möglich geworden ist. Denn die große Mehrzahl der Wähler ist bei jenen Parteien, die für die Erbschaftssteuer gestimmt haben. Selbst dann noch haben diese Par- teien eine große Wählermehrheit, wenn man ganz davon ab- sieht, daß sich einige konservative Abgeordnete auf ihre Seite gestellt haben und wenn man sogar die Frelkonservatwen und die beiden antisemitischen Fraktionen, obgleich ihre Mehrheiten für die Erbschaftssteuer stimmten, ganz zu den Parteien des neuen Blocks zählt, weil sie, trotz ihrer Stellung zur Erbschaftssteuer, doch zu ihm gehören. Es erhielten näm- lich im Januar 1967 an Stimmen: Freis. Bolksp.. tceis. Vereinig. üsch. Volksp.. 138 607 Nationallib... 1 630 581 Sozialdemokr.. 8259 029 736 006 Wähler 359 320, Konservative.. 1060209 Wähler Bund der Landwirte.. 120 000„ Zentrum.... 2179743„ Polen ...... 453 858„ Elsaß- Lothringer. i 103 628„ Bauernbund.» 75 293„ Reichspartei.. 471 863„ Wirtschaftliche Vereinigung. 104 627„ Reformpartei.. 248 519„_ Zusammen 4 817 743 Wähler Zusammen 6 123 543 Wähler Also stehen, sehr gering gerechnet, 6123 543 Wähler den 4817 743 der neuen„Mehrheit" gegenüber! � Uebrigens ist nicht zu vergessen, daß die knappe Mehr- heit gegen die Erbschaftssteuer nie zustande gekommen wäre, wenn nicht der blocktolle Freisinn in den„nationalen" Wahlen des Januar 1967 den Parteien dieser Mehrheit durch die Hal- tung in der Stichwahl oder durch Verzicht auf eigene Kandi- baten schon im ersten Wahlgang 25 Mandate zugeschanzt hätte. Der Freisinn hat selbst die.Geißel aeshoch-ten. die ihn jetzt so bitter trifft._ Vom Brotwucher. Daß das System der Einfuhrscheine zu einem skandalösen Mißstand sich ausgewachsen hat. wagen höchstens noch die ungeniertesten Liebesgabenpolitiker zu leugnen. Schwere Bc- denken gegen die Beibehaltung der Ausfuhrprämie belasten auch die Negierung, trotz ihrer Gleichgültigkeit in allen Fragen des Volkswohles. Aber sie, die eben erst von den Junkern verhöhnt, malträtiert, vor der ganzen Welt blamiert wurde, entbehrt des Mutes zu energischen Schutzmaßnahmen gegen die volksplündernde Junkerpolitik. Man darf daher wohl einigermaßen gespannt darauf sein, wie Herr v. Bethmann- H o l l w e g sich bei Beantwortung der sozialdemokratischen Interpellation, die auf der Tages- ordnung der nächsten Reichstagssitzung steht, Verhalten wird. Daß er den durch das Einfuhrscheinunwesen hervorgerufenen Notstand nicht zu verneinen wagen wird, scheint uns folgende Auslassung der„Berliner Neuesten Nachrichten" anzudeuten: „ES schweben bekanntlich seit längerer Zeit Erwägungen bei den zuständigen Ressorts über eine etwaige Einschränkung(I) in der Verwendung von Einfuhrscheinen zur zollfteien Einfuhr von Getreide und anderen Waren. Man hat dabei vielfach an- genommen, die Einschränkung würde darin bestehen,_ daß die Anrechnung der Scheine auf die Zollbeträge nur bei der Einfuhr von Waren derselben Art zulässig sein soll, für die sie erteilt sind. Man ging dabei von dem Gedanken aus, daß bei der Ver- fchiedenheit der Zollsätze von Hafer und Futtergcrste ein Austausch dieser beiden Getreidearten stattfindet, wobei die Differenz deS Zollsatzes für Hafer gegen den der Gerste der R e i ch s k a s s e verloren geht. Wäre diese Annahme zutreffend, dann müßte bei dem konstanten Rückgang der Zolleinnahmen für Getreide die Einfuhr von Gerste eine wesentliche Zunahme aufweisen. Das Gegenteil aber ist der Fall; die Einfuhr der Gerste ist zurück- gegangen. Die Wirkung der Getreideeinfuhrscheme auf die Zoll- einnahmen liegt also nicht in der Gerstenfrage. Nachdem nun aber die amtliche Statistik über die Ein- und Ausfuhr des Jahres 1908 vorliegt, ergibt sich ein Bild, das den großen Rückgang der Einnahmen aus den Ge- treidezöllen vollauf erklärt. Die folgenden Zahlen stellen die Zunahme der Ausfuhr im letzten Jahre dar: Ausfuhr in Tonnen Weizen Roggen Hafer 1907 97 000 233 000 343000 1908 261000 594 000 495 000 Dieser ganz außerordentlichen Steigerung der Ausfuhr müßte eine entsprechende Zunahme der Einfuhr gegenüberstehen, da Deutschland für seinen Konsum teilweise auf die Versorgung deö Auslandes angewiesen ist. Trotzdem aber ergeben sich folgende Zahlen: Einfuhr in Tonnen Weizen Roggen Hafer 1907 2 454 608 000 323 000 1908 2 090 347 000 300 000 ES steht also einer bedeutend gesteigerten Ausfuhr ein zum Teil sehr erheblicher Rückgang in der Einfuhr gegenüber. Und hieraus ergibt sich, daß der durch die starke Ausfuhr erzeugte große Bestand an Einfuhrscheinen bei einer gleichzeitigen Ver- Minderung der Einfuhr doppelt verhängnisvoll für die Zolleinnahmen werden muß. Die folgenden Zahlen er- geben den Prozentsatz der Zolleinnahmen, der durch Einfuhrscheiue gedeckt und infolgedessen nicht in Geld errichtet wurde: Weizen Roggen Hafer Gerste 1007.. 22,8 21.2 12,5 8,0 1903.. 48.6 57,7 36,3 19,2 Auf diese Weise entgingen der Reichskasse im Jahre 1908 an Zolleinnahmen in Millionen Mark für Weizen 55, für Roggen 10, für Hafer 5. für Gerste 6, für Kaffee und Petroleum 12, insgesamt 88 Millionen Mark." Für das laufende Jahr ist der Ausfall für die Reichskasse noch viel erheblicher. Schon jetzt mag darauf hingewiesen sein. daß das Zentrum, obwohl die„Köln . VolkSztg." kürzlich das Bedenkliche des Einfuhrscheinsystems darlegte, auS Partei- politischen Gründen, mit den Konservativen zusammen, jede Maßnahme zur Abstellung des Notstandes bekämpfen wird. Mag das Volk hungern, wenn nur agrarisch und ultramontan Trumps bleibt.
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