Ar. 156. 26. Aahrgällg.1 KnlM des Lmiirls" Knlim KIKsdiM.Donnerstüg, 8. M 1909.Reichstag277. Sitzung vom Mittwoch, de» 7. Juli,mittags 12 Uhr.Am BundeZratstische: v. Bethmann-Hollweg, v. Rhein-baben, Shdow, Delbrück.Ein Abkommen zwischen dem Deutschen Reichund Dänemark betreffend den gegenseitigen Schutz derMuster und Modelle wird in erster und zweiter Beratungdebattelos angenommen.Es folgt die Beratung des Gesetzentwurfs über die Ausgabekleiner Aktien in den Konsulargerichtsbe�irkenund im Schutzgebiet K i a u t s ch o u; danach dürfen Aknen undJnterimsscheine von Aktiengesellschaften auf weniger als 1000, dochnicht weniger als 200 M. oder auf einen entsprechenden Bewag ineiner anderen Währung ausgestellt werden.Abg. Kirsch(Z.) äußert Bedenken gegen das Gesetz.Abg. Dr. Seniler snatl.) begrüßt den Entwurf, da er dieGründung von Aktiengesellschaften erleichtern werde, was gegenüberder englischen Konkurrenz wünschenswert sei.Abg. Arendt<Rp.) beantragt die Ueberweisung des Entwurfs andie Budgetkommission.Damit schließt die Diskussion. Der Entwurf geht an dieB u d g e t k o m m i s s i o n.Nächster Gegenstand der Tagesordnung ist dieBeratung des Freundschafts-, Handels- und SchiffahrtsverwageSzwischen dem Deutsche» Reiche und Venezuela.Abg. Stadthagen sSoz.):ES muß ausdrücklich betont werden, daß ein solcher Verwagnicht nur für die Unternehmer, sondern auch für die Arbeitergeschlossen wird. Der Reichstag hat sich am 31. März für die Ans-Hebung des Zwanges derLegitimationskarten für ausländische Arbeiterausgesprochen. Unternehmern und Faulenzern mutet niemand einesolche Aufenthaltsbeschränkung zu, Arbeiter aber sollen gezwungensein. 2 M. für die Legitimationskarte zu zahlen! Wenn im Artikel 1dieses Haudelsverwages das Recht der Meistbegünstigung auchbezüglich des Handelsbetriebes und der Ausübung von �Industrienzugesichert wird, so beweist das, daß auch Arbeiter gemeint seinmüssen, denn ein Handelsbewieb und die Ausübung von Industrieist ohne Arbeiter gar nicht denkbar. Es muß nun geradezu alsungeheuerlich bezeichnet werden, wenn ein Vertreter der preußischenRegierung im preußischen Abgeordnetenhause behauptete, Arbeiterseien in den Handelsverträgen nicht gemeint, von ihnen seiin den Handelsverträgen nicht die Rede l(Hört! hört l bei denSozialdemokraten.) Wenn Staatsverträge geschlossen werden, solldas also die Arbeiter nichts angehen!? Gegen eine derartige Aus-Übung von Verwägen sollten Sie einmütig ohne Unterschied derPartei Protest erheben.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)Das ist auch deswegen nöttg, weil infolge des von Preußen aus-geübten Vertragsbruchs Oesterreich, die Schweiz und Italien mitaller Entschiedenheft dagegen auftreten. Nach der preußischenAuslegung würde folgen, daß auch die deutschen Arbeiterkein Recht haben, sich in anderen Ländern med erzulaffen, daß denSchutz des Deutschen Reiches vielmehr nur Faulenzer oder Unter-nehmer genießen.(Sehr richttg I bei den Sozialdemokraten. Unruherechts.) Niemals haben wir früher im Deutschen Reich eine solcheFülle von Ungerechtigkeit zum Durchbruch kommen sehen, wiedurch diesen Berdmgsbruch gegen die Arbeiter und in der Auslegungdurch Preußen, vonach der Arbeiter kein Reichsbürger ist. sonderngewissermaßen ei» Stück Vieh, denn nichts anderes heißt es, wennm Preußen erklärt wird: auf Arbeiter beziehen sich die Handels-Verträge nicht, für Arbeiter werden Staatsverwäge nicht gemacht.Präsident Graf Stolberg: Ich bitte den Redner, nicht zu weitVom Thema abzuschweifen.Abg. Stadthagen(fortfahrend): Im Artikel 1 des vorliegendenVerwages heißt es am Schluß, daß das Recht der Meistbegünstigungin bezug auf den Schutz der Person und des Eigentums bei denverwagschließenden Teilen zugesichert wird. Ich meine, ich bin beider Sache, wenn ich nachweise, daß es bester sei, überhaupt keinenVertrag zu schließen, wenn diese Bestimmung so ausgelegt wird,wie es in Preußen geschieht.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozial-demokraten.)In der italienischen Kammerhat auch der Miuister Tittoni erklärt, entgegen dem, was im Reichs-tag erklärt ist, daß er wegen der Vertragsverletzungen Vorstellungengemacht habe und machen werde. Was hat denn auch die Meist«Rleines f euületon.Ein Jubiläum der Telegraphie. Am 3. Juli dieses JahreS istein Jahrhundert verflossen, seitdem dem gelehrten Arzte SamuelThomas Sömmering die Erfindung des ersten elektrischen Tele-graphen unter Zeitumständen gelang, die den Wert der schnellenNachrichtenübermittelung nicht nur für die Zwecke des Friedens,sondern auch für Wiegerische Aufgaben in ein Helles Lichtstellen. Die schon 1753 begonnenen Versuche, mit Hilfevon Reibungselektrizität zu telegraphieren, waren sämtlichvergeblich gewesen. Dafür hatten in Frankreich die optischenSemaphcrtelegraphen nach dem System Chappe eine be-deutende Verbesserung erhalten, die, in anderen Ländern un-beachtet, von Napoleon bei seinen kriegerischen Operationen häufigmit großem Vorteil benutzt wurden. Als die Oesterreicher im April1809 aufs neue den Krieg eröffneten und unvermutet in Bayerneinfielen, erhielt Napoleon davon weit schneller Kenntnis, als jenees erwarteten. König Maximilian, der Hals über Kopf vonMünchen nach Dillingen, im äußersten Nordwesten Bayerns, flüchtete,war, als er dort anlangte, höchlichst davon überrascht, denFranzosenkaiser dort schon bei seinem Heere zu finden. DieseTatsachen verfehlten nicht, einen außerordentlichen Eindruckzu machen, und der Minister Montgelas, der die Mitgliederder Mllnchener Akadeniie der Wissenschaften, darunter auch Sömmering,häufig nach seiner Villa in Bogenhausen zum Speisen einlud, nahmbei einer solchen Gelegenheit den Anlaß, sie zu Vorschlägen überEinführung von Telegraphen aufzufordern.Sömmering. der auS Thorn stammte, hatte sich schon in der Zeitseiner ärztlichen Praxis in Frankfurt a. M. viel mit den EntdeckungenVoltas und der von diesem erfundenen galvanischen Säule beschäftigt.Schon drei Tage nach der Unterhaltung mit dem Minister stand seinPlan kest, die chemischen Wirkungen der Voltasäuie, insbesondere ihreEigenschaft, an den freien Enden der Poldrähte Wasser in seineElemente, Wasserstoff und Sauerstoff, zu zerlegen, zum Telegraphierenzu benutzen. Am 22. Juli war sein Apparat vollendet, mit dem eram 6. August über 724 Fuß Drahllänge telegraphierte, worauf eram 28. August vor der Akademie mit Benutzung von 2000 FußDrahtlänge die Erfindung demonstrierte.In der von Sömmering' gegebenen Form konnte sich die allzukomplizierte Erfindung, die Napoleon.eine deutsche Idee" nannte,nicht durchsetzen. Auf seinen Gedanken aber haben— wissentlichund unwissentlich, offen vorgehend oder geistigen Diebstahl ver-übend— alle späteren Erfinder bis auf Morse weitergearbeitet, derdurch Konstruktion des elektromagnetischen Schreibapparats mitbeweglichem Anker der elektrischen Telegraphie die Gestall gab, inder ste sich die Welt eroberte.begünstigungsklausel für einen Zweck und Sinn, wenn sie von einzelnenStaaten durchbrochen werden kann? Auchim österreichischen Abgeordnctenhauseist, wenn auch nicht vom Minister, auf die Verfassungsverletzungseitens Preußens hingewiesen worden.Präsident Graf Stolberg: Ich bitte Sie nochmals, sich an dieSache zu halten.Abg. Stadthagen(fortfahrend): Wenn ich von der Meist-begünstigung spreche, so würde ich im Rahmen dieses Gesetzes samt-liche Verträge dnrchgehen können.(Große Heiterkeit und Sehr gut!bei den Sozialdemokraten.) Ich spreche jedoch nur von denen, beiwelchen Vertragsverletzungen vorgekommen sind, und ich wünsche,daß die Reichsregierung die Erklärung abgibt, daß dieser Vertragso gemeint ist, daß er für alle Reichsangehörigen geschlossen ist.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) In Preußen hat manallerdings erklärt, man werde über juristtsche Zwirnsfäden nichtstolpern.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Dann ist esüberhaupt überflüssig, Gesetze zu machen, dann kommen wir zumFaustrcchtzurück, dann hat aber auch insbesondere der Arbeiter das Recht,jedem den Schädel einzuschlagen, der ihm zu nahe tritt.(LebhasteZustimmung bei den Sozialdemokraten; Unruhe rechts.) Die Sacheist sehr ernst durch die Verwickelungen, in die wir durch den Ver-tragsbruch Preußens mit anderen Staaten hineingeraten. Das Reichs-recht sagt, daß Ausländer nur unter ganz bestimmten Umständenausgewiesen werden dürfen. Ich frage den Reichskanzler— wennein Reichskanzler in Funktion auch nicht existiert und daher auchkein Vertreter von ihm(Heiterkeit), so ist doch nach der üblichenstaatsrechtlichen Fiktion er oder sein Vertreter jederzeit in Funktion—ich möchte ihn also bitten, eine Erklärung darüber abzugeben, wieder Vertrag gemeint ist. Es handelt sich dabei nicht nur um Ar-beiterinteressen, sondern um die aller Deutschen; wir alle habendas Recht, den Schutz des Deutschen Reiches zu verlangen, ob wirArbeiter sind oder nicht.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)Die Auslegung, die in Preußen den Verträgen gegeben wird, daßsie die Arbeiter nichts angehen, isteine flagrante Verletzung des Rechts.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Energisch muß Protestdagegen erhoben werden, daß der größte Partikularstaat, Preußen,erklärt: für Arbeiter gelten Handelsverträge nicht. Besonders not-wendig ist es in diesem Augenblick, das Recht der Arbeiter zu be-tonen, weil Sie drauf und dran sind, den Arbeitern klar zu zeigen,daß eS nur zwei Nattonen in Deutschland gibt: die Ausbeuter unddie Ausgebeuteten, und daß Ihre ganze Gesetzgebung sich gegen dieArbeiter und den Mittelstand richtet.(Lebhaftes Bravo! bei denSozialdemokraten.)Staatssekretär v. Bethmann-Hollweg:Ueber die Frage der Legitimationskarten und das AuSweisungsrecht gegenüber den Handelsverträgen habe ich mich wiederholt ausgesprochen. Genau dasselbe gilt auch gegenüber dem venezolanischenHandelsvertrag. Es versteht sich ganz von selbst, daß, wenn imVerttag das Recht der Meistbegünstigung den Angehörigen einesStaates zugesprochen wird, es sich auf jedes Mitglied des Staatesbezieht.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Die Angriffe desVorredners auf Preußen, daß es die Handelsverttäge bricht, mußich mit aller Entschiedenheit zurückweisen.(Bravo I rechts.)Abg. Stadthagen(Soz.):Dadurch, daß man einen Angriff zurückweist, beseittgt man nichtseine Berechtigung.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Dieklare völkerrechtliche Deduktion, daß von Preußen die Verträge ge-brachen werden, hat der Staatssekretär nicht zurückweisen können.Daß er es nicht versucht hat, wundert mich umsomehr, als erdoch wissen muß, daß der Staatssekretär des Aeußern in Italienerklärt hat, er sehe in dem Vorgehen Preußens einen grobenVertrauensbruch, Die Angriffe würden beseitigt werden,wenn der Grund zu den Angriffen beseitigt würde. So langedas nicht geschieht, sind sie berechtigt, und diese Berechtigungkonnte der Staatssekretär nicht beseitigen. Ich danke ihm in dereinen Richtung, daß er klipp und klar im Gegensatz zu Preußenerklärt hat, daß die Arbeiter auch Menschen sind und daß die Ver-träge sich auch auf sie wie auf alle anderen Angehörigen desStaates beziehen. Er sollte aber auch den Verftagsbrüchen, dietagtäglich in Preußen stattfinden, entgegesttreten.(Lebhafte Zu-stimmung bei den Sozialdemokraten.)Damit schließt die Diskussion. Der Vertrag wird in ersterLesung und dann debattelos in zweiter Lesung angenommen.Es folgt dieEin König, der nicht i«S Rathaus gehört. Einige wohlhabendeLeute in Kopenhagen wollten der Stadt zur Erinnerung an denmißglückten Sturmangriff der Schweden vom 11. Februar 16S9 eineGedenktafel sowie eine Bronzebüste Frederik HI. und des Stadt»Hauptmanns Thuresen verehren, der die Verteidigung der Stadtleitete. All dieses sollte über dem Bogengang der großen Rathaus-Halle angebracht werden. Die aus Sozialdemokraten und Radikalenbestehende Mehrheit des Stadtverordnetenausschusses lehnte jedochdie Königsbüste ab und erklärte, daß ihre Aufstellung an so hervor-ragendem Platze eine Verherrlichung der Einführung des Absolntis-mus in Dänemark bedeute. Im Rathause Kopenhagens, das dochein bürgerliches Pantheon sein solle, sei das am allerwenigsten an-gebracht. Auch daß über der Gedenktafel die Worte:„Ich willsterben in meinen, Horst"— der Wahlspruch jenes Königs—stehen sollen, hielt die Ausschußmehrheit für unpassend, was um so mehrberechtigt ist, als Frederik sich während der Belagerung keineswegsso todesmutig gezeigt,"" sondern sich vielmehr aus Furcht vor denSchweden ins Bett verkrochen hat. Jener Dänenkönig verdient umso weniger Verehrung, als er den dreijährigen Krieg mit Schweden(1027—1660) vom Zaun gebrochen hatte, um seine absolutistischeHerrschaft zu stärken. Als die Schweden auf die Hauptstadt an-rückten, versprach Frederik den Kopenhagenern schöne Privilegien;als aber die Gefahr vorüber war, brach er sein Versprechen.Neben diesen geschichtlichen Gründen gegen die Aufstellung derBüste machte die Ausschußmehrheit auch ästhetische Bedenken geltend.Die Stadtverordnetenversammlung hat sich nun am Montagmit der Angelegenheit befaßt und die Aufstellung des Geschenks mit23 gegen 15 Stimmen abgelehnt.Humor und Satire.Der unbequeme Angeklagte.Nicht möglich I Er ist wieder hier?Als wir die Schweinerei vertagten,Da wünschten gute Reise wirDem hochgebornen Angeklagten.Man tut ja, was man irgend kann.Und alles ging auch wie am SchnürchenUnd jeder dacht': Ein solcher Mann,Der findet schon ein Hintertürchen.Und wirklich fuhr er nach Gastein,Nachdem er noch sein Herz entledigtUnd seinem lisben TöchterleinVom Eheglück so schön gepredigt.Von Petti Fischzüg war die Red'Und unverhofften Gottesgaben.Er dacht' beim See GenezarethAn Starnbergs stramme Fischerknabe».Fortsetzung der zweiten Beratung des Gesetzes betr. Acndcrunge«im Finanzwesen bei der Mühlcnumsatzstcucr.Abg. Speck<Z.): Es ist auf den Mißerfolg der Steuer in Bayernhingewiesen worden. Gerade das beweist aber, daß das Reicheine solche Steuer erheben muß. Die Folgen für die Ablehnungder Steuer müßten wir den Verbündeten Regierungen zuschieben.Abg. Dr. Rösicke(B. d. L.) spricht gleichfalls für die Steuer.Handelsminister Dr. Delbrück: Die Verbündeten Regierungenhaben erneut die Mühlenumsatzsteuer geprüft und sind einhellig zuder Meinung gekommen, das, eine solche Steuer in jeder Form fürsie«nnanehmbar ist!(Bravo! links.)Bayerischer Bundesratsbevollmächtigter Ritter v. Bnrckhardtschließt stch den Ausführungen des preußischen Handelsministers an.Abg. Molkenbuhr(Soz.):Wenn man die Reden der Herren Speck und Dr. Roesicke hört,sollte man nicht glauben, daß dieselben Herren vor wenigen Tagendem Branntweinsteuergesetz zugestimmt haben. Hier wird es füreins der größten Unglücke ausgegeben, wenn ein Mehlkartell, einMehltrust sich bildet. Kartelle und Trusts sind nach der Dar-stellung dieser Herren die grauenhafteste Erscheinung, die mansich denken kann, vor wenigen Tagen aber haben siedas Branntweinsteuergesctz so gemacht, wie es der Vor-stand des Spirituskartells wünscht! Das charakterisiert dieeigenartige Gesetzesmacherei der Parteien dieser Herren.(Sehrrichtig!) Herr Speck behauptete, der Rückgang der Lohnmüllerei seidarauf zurückzuführen, daß der Bauer das Mehl aus den Handels-mühlen billiger kauft, als es in den Lohnmühlen herzustellen ist.Dieses billigere Mehl zu verteuern, ist also der Zweck dieser Gesetz-gebung!(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Eine solcheGesetzgebung ließe sich vielleicht verstehen, wenn man es mit einemVolke reicher Leute zu tun hätte.(Sehr wahr! bei den Sozial-demokraten.)Sie wollen nun mit einer Staffelung in die Preise derMühlenprodukte eingreifen, und Herr Speck empfiehlt seinen Antragals sehr milde. Aberdieser Antrag verteuert jede Tonne Mehl um 4,40 M.,das ist also genau dasselbe, als wenn ein Zoll von 4,40 M. aufdie Tonne oder von 44 Pf. auf den Doppelzentner gelegt resp. derZoll um diesen Betrag erhöht wird.(Sehr wahr! bei den Sozial-demokraten.) Sie wollen ja aber auch auf die Preise einwirkenund eben den Mehlpreis so hoch ge st alten, daß auchdie rückständigste Mühle noch existieren kann. Durchdie Einfuhrscheinewird Deutschland vom Getreide entblößt, das hat ja auch die„Kol-nische Volkszeitung" zugegeben. Dadurch kommen natürlich zuerstnicht die großen kapitalkräftigen Mühlen zum Stillstand— die beschaffen sich schon ihr Rohmaterial— sondern die kleinen undmittleren Mühlen. Wollen Sie also denen helfen, so sorgen Siedafür, daß das Einfuhrscheinsystem beseitigt wird.(Sehr richtig!bei den Sozialdemokraten.) Daß Sie behaupten, das Mehl sei zubillig und muß verteuert werden, wäre sehr charakteristisch, wennSie den Mut hättendie Mehlpreife,bis ihnen zu billig sind, hier anzuführen. 1906 betrug der Preisdes Weizenmehls 24 M., 1907 und 1908 28 M.. im Mai d. I.34 M.(Hört! hört I bei den Sozialdemokraten.) Und da sagen Sie,das ist zu billig, das muß verteuert werden!? Es ist notwendig,das vor dem Lande zu brandmarken.(Sehr richtig! bei den Sozial-demokraten.) Gehen Sie doch in die Wahlkreise hinein, vielleichttreffen Sie hier und da einen Müller, der Sie unterstützt, die Mehr-heit der Wähler aber wird sich bedanken, eine derartige Mehlver-teuerungspolitik gutzuheißen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemo-kraten.) Man sehe sich doch einmaldie ZentrumSpolitilder letzten Tage an; sie ist charakteristisch für die Art, wie daSZentrum Arbeiterpolitik treibt: Durch Ihre Zustimmung zum Tabak-steuergesetz machen Sie eine Reihe von Arbeitern brotlos. Diesewollen Sie entschädigen. Weiter machen Sie 22 Proz. derArbeiter in der Zündholzindustrie brotlos, die wollen Sie nichtentschädigen, die sollen verhungern. Dann belasten Sie die breiteMasse mit 220 Millionen Mark beim Branntwein, Bier und Tabak.Den armen Frauen verteuern Sie den Kaffee und den Tee. Weiterwollen Sie die Steinkohlen verteuern, und hier wieder verteuernSie das Mehl! Für die Agrarier aber haben Sie die Liebesgabeübrig, und die reichen Leute wollen Sie mit direkten Steuern, mitEinkommen-, Vermögens- und Erbschaftssteuer verschonen. Einesolche Politik enthüll: uns die ganze Natur des Zentrums.(Zu-Doch statt nach Afrika zu fliehn,Wo wir— wie gern!— auf ihn verzichten,Kommt ftech er wieder nach BerlinUnd droht:„Wer wagt es, mich zu richten?WaS wollt ihr Herrn? Dies oder dies?Ihr kennt doch die Alternative.Es liegen drüben in ParisSehr gut verwahrt gewisse Briefe."Was tun? Man ist ein Deutscher ja.O Gott, wenn ich ihn schuldig stnde!Wozu denn trägt JustitiaUm beide Augen eine Binde?Da leuchtet plötzlich— Gott sei Dank!In höchster Not ein Hoffnungsschimmer:Der alte Mann ivird wieder krank,Und wir vertagen immer— immer!_ Erl- ErlNotizen.— Musikchronik. Wagners Oper„Tannhäuser" ge-langt in der Gura-Oper(im Neuen kgl. Operntheater) amDonnerstag zu„volkstümlichen Preisen" zur Aufführung.— Berliner Theaternöte. Eine Theaterkrise bestehtin der Reichshauptstadt schon Jahre, zumeist ist sie aber noch latentgeblieben. Die Kundigen wußten es längst, daß manche unsererTheater nur durch bewundernswerte Finanzkünste sich über Wasserhalten und in der Ausbeutung der Schauspieler zu den bedenklich-stcn Mitteln greifen. Und dabei entstanden Jahr um Jahr neueTheater und dabei sank das künstlerische Niveau in der Wettjagd'nach dem allein rettenden Kassenstück. Am Hebbelthcatcrscheint die Krise jetzt ausbrechen zu wollen. Der Hauptgläubigerdes Theaters, der bezeichnenderweise der Dramaturg dieser Bühneist(die geldleihenden Dramaturgen mit und ohne Kunstverstandsind eine Berliner Spezialität), hat Möbel und Dekorationenpfänden lasten. Die bisherige Direktion, die von vornherein unterGeldnöten litt, hofft aber trotz des in der letzten Saison erzieltenDefizits von 200 000 M. sich noch weiter halten zu können. Wiewär's, wenn der Direktor Dramaturg würde und der DramaturgDirektor?— Die„glückliche Türkei". Die neue türkische National-Hymne, die in den vergangenen Monaten derjKämpfe so oft von denVorkämpfern türkischer Freiheit angestimmt wurde, ist von einemjungen türkischen Musiker in Paris unter der Mitwirkung vonVidal, dem Kapellmeister der Pariser Großen Oper, kunstgerechtinstrumentiert worden.Die Türken sind damit zu einem ganz modernen Volke avanciert.Denn eine kunstgerecht instrumentterte und noch dazu freiheitlich«Nationalhymne, das ist doch das höchste nationale Gut!