Gemeinheit tvidec die Sozialdemokratie. Um die Arbeiterschafttrotz ihrer steuerwucherischen Prellung durch das Zentrum diesemdienstbar zu erhalten, belügt und betrügt man sie in einer Weise,die dem Oberkircher katholischen Pfarrhoforgan den Rekordin der Betätigung politischer Unehrlichkeit sichert. Unter derironischen Ueberschrift„Sozialdemokraten, die einzig warm-fühlenden Vertreter des arbeitenden Volkes" verzapft diese„Rench-talzeitung"(Nr. 77 vom 1. Juli) einen Leitartikel zur höherenEhre der Schnapsblockpolitik, in dem die sozialdemokratische Steuer-Politik als eine„Beschützung des Großkapitals" demedlen volksfreundlichcn Steuerhandwerk des Zentrums abschreckendgegenübergestellt ist.Mit dem Kampfe gegen die Parfüm st euer habe dieSozialdemokratie zur Betätigung der sozialdemokratischen„freienLiebe" die Arbeiterfrau herausschminken und wohlriechend salbenwollen. Indessen verschwand die Parfümsteuer mit Hilfe desZentrums, dem nun das Oberkircher Pfarrhofblatt dasselbevorwerfen darf bezüglich der P f a r r e r s k ö ch i n n en: diePriesterinnen der freien Liebe„müssen doch Kölnisch Wasser,Moschus, Patschuli, Schminke, die verschiedensten Haaröle undZabnwasser haben".— Mit etwa derselben Moral verunglimpft daskatholische Blatt die Stellung unserer Fraktion zur Kotierungs-und Wertpapiersteuer. Die Sozialdemokraten hätten sich fernerbei der Steuer auf Champagner der Abstimmung ent-halten; als Grund wird ironisch angegeben:„Champagner ist natürlich das flüssige Brotder Proletarier! In Nürnberg soll erwenig st enS gelegentlich des sozialdemokra-tischen Parteitages in Strömen geflossen sein,wie die sozialdemokratischen Blätter nachrühmten."Mit der Erwähnung dieser ultramontanen Preisleistung einerdemagogischen Verlogenheit und hetzerischen Liederlichkeit wäreschon genügend gekennzeichnet, mit welchen den ReichswahrheitS-verband in den schwarzen Zentrumsschatten stellenden Schwinde-leien das Zentrum bei einer Reichstagsauflösung die Augen seinerArbeiterschäflein geblendet haben würde. Der Leitartikel der„Renchtalzeituna" schließt aber mit einer Verdächtigung der sozial-demokratischen Partei» wogegen letztere doch ernstlich zu Feldeziehen muß:„Das sind Taten der roten patentierten Arbeiterfreundc. AlsSchützer und Verteidiger des Großkapitals haben sie sich hierwieder, wie schon oft, gezeigt. Es ist wenige Tage her, da hatmir ein armer Arbeiter, der auch im Leben Sozialdemokratwar, erklärt, die Arbeitergroschen, die man sofleißig sammelt, dienen nur dazu, um Leutewie Singer und Bebel damit zu schütze n."In der„Renchtalzeitung" haben wir es mit einemBlatte zu tun, das geistlichen Herren liiert ist, von deneneiner erst wegen gemeinster Schmähung Oberkircher Sozial-demokraten in einem anonymen Briefe vom dortigen Gerichte inerster Instanz gekennzeichnet wurde. Der Prozeß liegt noch in derRevision. Der eben geschilderte„Leitartikel" gleicht denSchmähungen im anonymen Briefe.Zentrum und Alkoholbekämpfnng.Eine der beliebtesten, dem Reichslügenverbande nachgeahmtenBeschuldigung klerikaler Blätter und Agitatoren ist es, daß dieSozialdemokratie die Trunksucht nicht bekämpfe und an derenFörderung ein Interesse habe. Tatsache ist, daß heute die Sozial-dcmokratie geradezu führend in der Alkoholbekämpfung geworden ist,und daß keine Presse so eifrig bestrebt ist, Aufklärung über denAlkoholismus zu schaffen wie die sozialdemokratische. In das rechteLicht gerückt aber wird jene klerikale Verdächtigung erst durchfolgendes Eingeständnis in Nr. 27 der„Westdeutschen Arbeiterzeitung",des Organs der M.-Gladbacher Zentrumszentrale:„Leider muß auf die überaus traurige Tatsache hingewiesenwerden, daß in Deutschland die Katholiken auf diesem Gebiete(derAbstinenzbewegung) noch viel weiter zurück sind alsdie Anders- und Ungläubigen. Dies erhellt auchschon aus der einen Tatsache, daß von KS 000 deutschen Abstinentennur 3000 katholischen Vereinen angehören...Bei dieser Gelegenheit sei übrigen? festgestellt, daß derBachemsche Verlag in Köln(„Kölnische VolkSzeitung" und„Kölner Lokal-Anzeiger") katholischen Abstinenten erklärt hat, erkönne in den Z e i t u n g s s p a l t e n nicht für sie eintreten; wohlaber wolle man die Bewegung durch Geld unterstützen: man habe„Rücksichten zu nehmen"— nämlich auf dte Inserate und dieStadtratSwahlstimnien der Brauereibesitzer, Wirte usw. Tatsächlichwird in den beiden Blättern die Antialkoholbewegung totgeschwiegen.Wo nicht gespart wird kWir lesen im„Seemann", dem Zentralorgan der see-männischen Arbeiter Deutschlands:Kürzlich machte ein höherer Seeoffizier in der Zeit-schrift.Fortschrift' einige Glossen über den M a r i n e e t a t,bei dem, wie behauptet, mancherlei gespart werdenkönnte. Insbesondere spricht er über die große Höhe derTafelgelder.„Bis vor zwei Jahren", so erzählt der genannte See-osfizier,„erhielt der Chef einer Flotte in den Reichskriegshäfen30 M., in den heimischen Gewässern 33 und im Auslände 60 M.täglich an Tafelgeldern. Die Kommandanten der größeren Schiffe 10,12 und 18 M.. je nach der Größe, die der kleineren 7,60, 9 undIg.so M. usw., die Offiziere 8,20. 3,M) und 5 M. Außerdem istbekannt, daß jede Messe noch ein Pauschquantnm für Geschirr,Bedienung usw. bezieht, das 8 M. pro Tag beträgt. Nun stellte essich heraus, daß diese Tafelgelder nicht mehr zureichten. Sie wurdensämtlich mit Zustimmung des Reichstages um 1 M. erböht. DieFrage ist die: war dies unbedingt nötig? Jeder einigermaßenwirtschaftlich veranlagte Seeoffizier wird dies nur sehr b e-schränkt zugeben. Denn jede ökonomisch geleitete Messemußte nicht unerhebliche Ersparnisse machen, diein die Privattaschen der Herren liefen. Greifen wireinen Fall heraus. Die Mcssecinkllnfte eines Kreuzerkommandantcnin Ostasien beliefen sich seinerzeit auf 18 Mk. plus 8 Mk., täglich20 Mk., im Monat rund 730 Mk. Fast allgemein begibtnian sich in Ostasien für 2 Dollars(4 Mk.) st ä glich beimChinesenkoch in Berpflegung. Dies macht im Monat 120 Mk.Auch wenn man sich selbst verpflegt, bezahlt man sicher nicht vielmehr. Wir können dies durch detaillierte Rechnungslegung beweisen. Fürkleinere Ausgaben, wie Stewards, Zulagen usw. sind 25 M. hoch ange-setzt. Die gesanite Ausgabe für die Verpflegung beläust sich also fürden Kommandanten auf 140 M. monatlich. Rechnen wir fürbesondere Einrichtungsgegenstände noch 40 M. monatlich, so bleibenimmer noch 600 M. monatlich übrig.... Dafür läßt sich vielfür Repräsentation leisten. In heimatlichen Gewässern genügtalle paar Monate ein einfaches Essen für die Schifssoffizicre undihre eventuellen Damen. Auch wenn ich den Wein in Rechnungstelle, so brauche ich hoffentlich nicht mehr als 30— 50 M. noch abzuziehen. Man sagt nicht zuviel, wenn man an.nimmt, daß früher die Kommandanten in Ost-asien z. B. bequem 400 M. monatlich auf dieSpar-lasse legen konnten. Und daß es noch jetzige-schieht, wird niemand leugnen. Daß für Admiralediese Bejräge sich erheblich höher stellen, ist selbstverständlich."Die politische Gewerkschaftsversammlung.Im Frühjahr dieses Jahres veranstaltete der Deutsche Holz-arbeiterverband in Hunderten von Orten des Reiches Versammlungen,die der Agitation für den Verband dienen sollten. Auch in Mag de-bürg sollte eine solche Versammlung stattfinden; sie wurde abervon der Polizei ausgelöst, weil ihren Abgesandten, die zur Ueber-wnchung der nach Meinung der Polizei politischen Versammlung er-schienen waren, der Zutritt verweigert wurde. Die Ansicht derPolizei, daß in der Versammlung politische Angelegenheitenerörtert werden� sollten, gründete sich darauf, daß in demVersammlungsinserat gelegentlich der Aufforderung zum An-schluß an den Verband auch von den ungeheuren Sleuerforderungendes Staates gesprochen wurde, die dazu beitrügen, daß der Hunger-r i e m e n noch stärker angezogen werden müsse. Dagegen Frontzu machen sei Pflicht eines jeden Arbeiters.Der Einberufer der Versammlung, Genosse GorgaS, erhielt nunzwei Strafmandate über je 10 M. Er erhob Einspruch, erreichteaber nur, daß das Schöffengericht die Strafe auf insgesamt100 M. erhöhte. Besonders die Worte.Hnngerriemen' und„Front machen" erachtete es als ausschlaggebend.DaS Landgericht Magdeburg als Berufungsinstanz ermäßigteam Donnerstag die Strafe wieder auf 20 M. Die weit-gehende Proklamation hätte doch darauf hingewiesen, daß politischeAngelegenheiten erörtert werden sollten. Wenn vielleicht auch nichtder Referent, so hätte doch bei der herrschenden Redefreiheit jedenAugenblick ein anderer Redner auftreten und über neue Steuern oderandere politische Dinge sprechen können.Interessant war, daß der Vorsitzende des Gerichts, GeheimratRotering, in bezug auf das Wort„den Hungerriemen nochstärker anziehen" bemerkte, er wisse gar nicht, waS das heißen solle.Der Arbeiter hungere doch nicht. Im Gegenteil, die Arbeitersähen doch alle sehr wohlgenährt aus; wohlgenährterals viele wissenschaftlich gebildete Leute I..,frankreick.Gegen den blutigen Zaren.Paris, 9. Juli. Die Partei der geeinigten Sozialistenveröffentlicht unter dem Titel:„Gegen den r o t e n Z a r e n"in der„Humanit�" einen Aufruf, in dem sie in scharfer Weisegegen den bevorstehenden Besuch des KaisersNikolaus in Cherbourg Einspruch erhebt. DasManifest fordert alle Arbeiter Frankreichs von einem Endedes Landes bis zum andern auf, nach ihrem Gutdünken ihrerMißbilligung über die Beleidigung Ausdruck zugeben, welche durch diesen Besuch der glorreichen Vergangen-heit dieses Landes zugefügt wird.General Gallifetist in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag in Paris imAlter von 78 Jahren gestorben.Die bürgerliche Presse feiert den Verstorbenen als denTypus des französischen Generals alten Stils, als Haudegen,der sich im Krimkriege, in Mexiko und bei Sedan durchschneidige Kavallcrieattacken auszeichnete. Berüchtigter jedochist der Kommuneschlächter Gallifet. Als sich imMärz 1871 das Volk von Paris, das Thiers, der Vertreterder aus Schlot- und Krautjunkern bestehenden National-Versammlung, durch einen tückischen Ueberfall hatte ent-waffnen lassen wollen, erhob und die Kommune proklamierte,wurde General Gallifet mit der Niederwerfung derKommune betraut. Gallifet, der durch die Reize seiner Frauam kaiserlichen Hofe Aemter erlangt hatte, war als skrupel-loser militärischer Glücksritter auch der rechte Mann, dessendie Versailler in ihrem Haß gegen das Pariser Volk be-durften. Schon die Proklamation, die Gallifet erließ, kenn-zeichnete den Mann:„Die Banditen von Paris," erklärte er,„haben den Krieg erklärt. Sie haben meine Soldaten er-mordet. Ich erkläre diesen Mördern einen schonungslosenKrieg." Die Taten, die Gallifet folgen ließ, übertrafen dieseverlogen-brutale Ankündigung. Den Bestialitäten eines mitscheußlicher Grausamkeit geführten Straßenkampfes schlössensich die Massenschlächtereien der Füsilladen an. Und Galifettat sich bei diesen Schlächtereien noch durch persönlicheZynismen der bestialischsten Art hervor.Noch einmal war der Name Gallifets in aller Mund,als der Kommuneschlächter in das Ministerium Waldeck-Rousseau als Kriegsminister eintrat, in ein Kabinett, demauch der Sozialist Millerand angehörte. Die ministerielleTätigkeit Gallifets war übrigens nur von kurzer Dauer undverlief ohne bemerkenswerte Zwischenfälle.—Für die Herabsetzung der Zölle.Pari?, 9. Juli. Die Deputiertenkammer setzte heute die ve-ratung des Zolltarifs fort. Jauräs(Soz.) brachte einenAntrag ein, der in feinem ersten Teil die Regierung auffordert,die Initiative zu einer internationalen Konferenzaller interessierten Mächte zu ergreifen, die aufeine stufenweise und gleichzeitige Ermäßigung der Zoll-tarife hinarbeiten sollte. Der zweite Teil des Antrages fordert die Zurückverwcisung des Entwurf? in dieKommission. In seinen Ausführungen trat Jqurös nachdrücklich füreine Politik der Milderung der zollpolitischen Spannung ein.Handelsministcr Cruppi akzeptierte den ersten Teildes Antrags Jaurös, obgleich er vielleicht in derLuft schwebe, und die Kommission erklärte ebenfallsihre Zustimmung. Dieser erste Teil wurde sodann mitS43 gegen 11 Stimmen angenommen, worauf JaurdS denzweiten Teil zurückzog. Ein Antrag, die Reform bis zu den nächstenWahlen zu vertagen, wurde abgelehnt; ebenso mit 488 gegen 75Stimmen ein Antrag, der die Spezialdcbatte ablehnen wollte. EineSpezialdebatte wird also stattfinden und zwar beim Wieder«zusammentritt der Kammer im Oltober. Die Sitzung wurde als-danu aufgehoben.Snglanä.Parlamentarische Nachwahlen.London, 7. Juli.(Eig. Ber.) Im SLahlkreise Clevelandfindet am 9. dieses Monats eine parlamentarische Nachwahl statt.Der bisherige Abgeordnete, der Unterstaatssekretär des InnernHerbert Samuel, ist zum Kabineitsminister erhoben worden,wodurch er gezwungen ist, sich einer Wiederwahl zu unterziehen.Es kandidieren dort: Herbert Samuel(liberal) und Wind,s o r Lewis(konservativ). Bei den letzten Hauptwahlen imJanuar 1906 wurde Samuel ohne Opposition gewählt, so daß dieWähler nicht zur Urne gingen, da ein Gegenkandidat nicht vor-banden war. Im Jahre 1902 betrug dort die liberale Mehrheit2036 Stimmen. Gegenwärtig vollzieht sich dort der Wahlkampfauf Grund der Handelspolitik(Schutzzoll oder Freihandel).foißlaucl.Ter Typhus in den Gefängnissen.Aus Petersburg schreibt man uns vom 4. Juli:Ueber die in den Gefängnissen herrschenden Zustände habenbekanntlich die russischen Zeitungen seit Jahr und Tag die bittersteKlage geführt, namentlich aber seit dem vorigen Sommer die be-trübendsten Nachrichten gebracht. Immer wieder suchte den auf-regenden Hiobsbotschaften gegenüber die russische Verwaltung denSachverhalt abzuleugnen oder zu beschönigen und hielt, so langees ging, an dieser Taktik fest. Unterdes wurden die Gefängnissemit neuen Häftlingen in einer die Vorschrift oft um das Doppelteoder Dreifache übersteigenden Zahl vollgepfropft, die ekelhaste Kost,an der gewissenlose Beamte sich bereicherten, wurde noch ekelhafter,ohne daß die Gefangenen gewöhnlich das Recht zur Selbswerpfle-gung erhalten konnten, und die noch mehr überhandnehmendenantisanitären Zustände in den Kerkern schienen zur Züchtungvon epidemischen Krankheiten bestimmt zu sein;Typhus, Pocken und andere Epidemien wüteten unter den Unglück-lichen Insassen der Gefängnisse, so daß diese an unzähligen AxteyHerde der Ansteckung bildeten und' zu einer G e f a h r f ü r diegesamte Bevölkerung wurden. Neulich ist sogar der Fallvorgekommen, daß der Gouverneur von Jekatcripos-law, v. Klingenberg, nach dem Besuch einer dieser Anstaltenselber an Typhus erkrankte und daran starb.Die Mißstände wurden in letzter Zeit so unerträglich, daß diezentrale Gefängnisverwaltung sich schließlich zurVeröffentlichung einer langatmigen Beruhigungserklärung ver-anlaßt sah. Was man jedoch selbst aus diesem offiziellen Schrift-stück erfährt, ist wenig tröstlich. Denn daß momentan nur zwei-tausend Typhuskranke in den Spitälern der Gefängnissedaniederliegen, während es im März zirka dreitausend gc.Wesen seien, wen sollte diese Angabe beruhigen? Jedenfalls wissenwir, daß seit Monaten immer weitere Tausende vonHäftlingen erkranken und bei der ihnen zuteil werdendenBehandlung in einem unvergleichlichen Prozentsatz dahingerafftwerden; daß die TyphuSepidemie eine ungeheure Verbreitung auf-weist, wird auch offiziell zugegeben und durch Anführung der langenListe der betroffenen Gefängnisse bekräftigt, aber dabei wird betont,daß die Seuche bloß in 22 Anstalten mit besonderer Stärke auf-trete. In einer Beziehung trifft allerdings die GefängniSverwal-tung den Nagel auf den Kopf, wenn sie zu ihrer Rechtfertigungals Ursache aller Mißstände die von ihr unabhängige Ueber-füllung der Gefängnisse angibt. Wie soll noch eine nor-male Verwaltung in den Gefängnissen stattfinden, wenn die Zahlder Eingesperrten von 95 452 zu Beginn des Jahres 1903 auf 181 137im Februar 1909 angewachsen sei? Die neueste Zahlenfcststellungweih sogar von 212 909 Gefangenen, von einem weiterenschon von 212 999 Gefangenen, also von einem weiterenWachstum um 39 909 Häftlinge innerhalb einesVierteljahre?, zu melden. Künstlich wird nach wie vor dieMenge der neuen Angeklagten durch Heraussuchung zweifelhafterund veralteter Fälle bis zu einer unerhörten Höhe vermehrt; Ver-schuldungen, die nach sehr anfechtbaren Angaben im Winter19 0 5 begangen sein sollen, bringen tagtäglich ganze Scharen vonLeuten, die seit langem jeglicher Politik fernstehen, auf die Ge-richtSbank und von da in die verpesteten Kerker. Und dies alleszum Zwecke der Beruhigung, die der gegenwärtige JustizministerStscheglowitow zur Stärkung seiner Chancenauf den Premierposten sich besonder? angelegen seinläßt. Die Periode der Beruhigungsmahnahmen ist aber, wieman weih, noch lange nicht abgeschlossen. So mag denn derTyphus weitere Tausende vernichten! Wem sollte in Anbetrachtder hohen Politik daran liegen?Klmerika.Annahme des Zolltarifs.Washington» 8. Juli. Der Senat hat in seiner Heu-tigen Sitzung die Tarifbill mit 43 gegen 36 Stimmenangenommen._Huö der Partei.Da» Votum des italienischen Parteivorstandes zum Zarenbeftich.Rom, 7. Juli.(Cig. Ber.)Nach kurzer Diskussion hat der italienische Parteivorstandin seiner Plenarsitzung vom 7. ds. die folgende Tagesordnung überdie Demonstration bei dem evtl. Zarenbeftich einstimmig an-genommen:„Im Einklang mit dem Vorgehen der Sozialisten der anderenNationen und der Aufforderung des internationalen sozialistischenBureaus erklärt der Vorstand der sozialistischen Partei Italiens,— in der Gewißheit, nicht nur das Gefühl des Proletariats, sondernauch des besten Teils der öffentlichen Meinung des Landes auS-zudrücken, und indem er mit pflichtschuldiger Dankbarkeit desHeldenmuts der Söhne des russischen Volkes auf den Trümmernvon Messina gedenkt und erwägt, wie viel Jdialismus und mora-lische und soziale Kraft in Rußland unter dem Regime Niko-laus II. niedergedrückt wird— daß jede Handlung, und seies auch nur die kalter, diplomatischer Höflichkeitdem Mörder gegenüber einen unertr'ägl.ichenSchimpf für die Ueberlieferungen der italienischen BefrehingS-bewegung, für das Märthrertum des russischen Volkes und für dieheiligsten Ideale der Gefellschaft und der Menschheit darstellenwürde.Der Parteivorstand bezichtigt die Verfechter deS ZarenbefuchSder Absicht, dieses Ereignis zugunsten der Reaktion und gegen diefreiheitlichen Bestrebungen des Volkes auszunutzen und spricht denWunsch auS, daß in der pflichtschuldigen Protestmanifestationgegen den Besuch oeS Zaren das Proletariat die ganze Demokratieentschlossen an seiner Seite finden möge und ruft dieser Demo-kratie ins Gedächtnis, daß die Solidarität mit bedrückten Völkernnicht allein einem idealen Bedürfnis entspricht, sondern auch denhauptsächlichen Zweck und das wirksamste Mittel für die Beteili-güng deS Proletariats an der auswärtigen Politik darstellt.Der Parteivorstand fordert daher die Sektionen auf,� schonjetzt imponierende Kundgebungen zu organisieren inden den lokalen Verhältnissen entsprechenden Formen, um die Gründedes Protestes allgemein bekannt zu geben, und behält sich vor, imEinklang mit der Konföderation der Arbeit, eine Massnikund-gebung im ganzen Lande zu organisieren für den Tag. an demItalien durch den Zwang der höchsten Staatsstellen den Schimpfdes Besuches erleiden muß. Was die Formen dieser Kundgebungbetrifft, so erklärt der Parteivorstand unter Berufung auf die Be-schlüsse des Florentiner Parteitages sich gegen die Anwendung desGeneralstreiks, bemerkt aber gleichzeitig, daß diese Ablehnungnicht die Verwerfung der Arbeitsenthaltung einschließt, die amTage der großen Protestdemonstration geboten sein kann, umdieser Feierlichkeit und Allgemeinheit zu verleihen.polirellicke». Gerichtliches ulw.Die„sachverständige" Justiz.Wegen Beleidigung des Reichsverbandssekretärs Reinhardt inBerlin wurde Genosse B. S o m m e r vom..Stettiner Volks-boten" zu 100 M. Geldstrafe verurteilt. Die Beleidigungfand das Gericht in einem Bericht über eine in Pasetvalk ab-gehaltene Versammlung, in der R. gesprochen hatte. Die Ver-urteilung erfolgte, obwohl die betreffende Notiz» unter„LokalcS-Provinzielles" stand und angegeben war, daß für diesen Teil derRedakteur Mehlich verantwortlich ist. DaS Schöffengericht erklärteeinfach, trotzdem der Fehlgriff offen auf der Hand lag, daß esbei Feststellung der Verantwortlichkeit nicht auf die formelleEinteilung einer Zeitung, sondern auf den Inhalt der inkrimi-nierten Notiz ankäme! Diese ganz unhaltbare Entscheidung wirdin der Berufungsinstanz zweifellos umgestoßen werden. Denndie rechtliche Konsequenz des Urteils wäre, daß Genosse Mehlichein Wiederaufnahmeverfahren in allen den Prozessen beantragenmüßte, in denen er wegen Notizen politischen Inhalts, die unter„Lokales" standen, verurteilt worden ist.Beleidigung eines Kaplans.Bei der Beerdigung eines Genossen in Dortmund wollte derExpedient der„Arbeiter-Zeitung". Genosse Otting, einen Kranz miteinigen WidnuingSworten am Grabe des Verstorbenen niederlegen.Ein katholischer Kaplan versuchte Otting an der Ausführung, seinerAbsicht zu bindern. Unser Genosse erwiderte dem geistlichen Herrnhierauf:„Bewahren Sie doch an dieser Stelle den Anstand, denSie von uns verlangen, Herr Kaplan." Otting wurde wegen dieserAeußerung vom Schöffengericht zu einer Geld st rase von 70Mark verurteilt, weil die Aeußerung die Absicht einer Vc-leidigung enthalte,.Gegen das unhaltbare Urteil ist Berufungeingelegt wojchsa.