STKunft; bor allem die Vergstnmms der Sphakioten, immer wieder versucht, das türkische Joch abzuschütteln. Als die Griechen des Festlandes deshalb 1821 zum Kanipf um ihre nationale Unabhängigkeit griffen, fanden sie deshalb bei den Kretern oder Kandioten sofort eifrige Unterstützung; doch während Griechen- land 1830 von den Mächten als selbständiger Staat anerkannt wurde, blieb Kreta unter türkischer Herrschaft. Durch das Londoner Pro- tokoll vom 3. Februar 1830 wurde die Insel, deren Aufstand in- zwischen von dem Vizekönig von Aegypten . Mehemcd Ali. mit Hilfe albanesischer Truppen blutig niedergeschlagen war, wieder dem Sultan zuerkannt. Seitdem haben die Kreter, sobald sie die Türkei in Streitigkeiten mit anderen Mächten verwickelt sahen und ihre Aktionskraft geschwächt glaubten, immer wieder versucht, sich zu befreien und mit dem griechischen Staat zu vereinigen. Jetzt halten sie i» Anbetracht der schweren inneren Kämpfe, die die Türkei in letzter Zeit durchgemacht hat, und der Schwäche, die diese gegenüber Oesterreich- Ungarn bewies, als diese Macht Bosnien und die Herzegowina annektierte, wieder die Zeit für ge- kommen, die Losreitzuug Kretas von der Türkei zu versuchen. Aber dieser Versuch stößt heute nicht nur bei der türkischen Regierung, sondern auch bei der türkischen Bourgeoisie und dem türkischen Offizierkorps, dem eigentlichen Träger der letzten Revolution, auf ganz anderen Widerstand, wie noch vor einem Jahrzehnt. Die Revolution hat nicht nur das Selbstbewußtsein und Machtgefühl dieser Kreise gestärkt, sondern auch ihre nationale Empfindlichkeit, ihren Chauvinismus. Auf ihre Anregung haben in den letzten Tagen in verschiedenen Städten, besonders in Saloniki , große Maffenversammlungen stattgefunden, in denen die Versammelten (darunter als Agitatoren viele Offiziere) ein energisches Vorgehen gegen Griechenland forderten. Das erscheint frivol; denn wenn auch Griechenland den Bestrebungen der Kreter sympathisch gegen- übersteht und ihre Hoffnungen ermuntert, so hat es doch bisher nichts unternommen, was als eine Einmischung in die Händel zwischen der Türkei und Kreta gelten könnte. Griechenland könnte aber doch nur dann verantwortlich für den Abfall Kretas gemacht werden, wenn ihm nachgewiesen werden könnte, daß eS diesen Abfall veranlaßt hat. Wohl steht der Türkei das Recht zu. eine militärische Expedition nach Kreta zu unternehmen, um die widerspenstige Insel unter die Botmäßigkeit des Halbmondes zu zwingen. Aber dazu hat die türkische Regierung anscheinend wenig Neigung, da sie den Kampf mit den hartnäckigen Sphakioten und den Einspruch der vier Schutz- mächte, vornehmlich Italiens und Englands, fürchtet. Trotz des Widersinns ihrer Handlungsweise hat deshalb die Pforte aus Rücksicht auf die türkische Bourgeoisie und daS Offizier- korps sich dazu verstanden, an die griechische Regierung eine Note zu richten, in der an diese die Forderung gestellt wird, daß sie offiziell erkläre, keine Eroberungsabsichten auf Kreta zu haben, die Agitation der Kreter zn mißbilligen und keinerlei Handlungen unter- nehmen zu wollen, die als AnnexionSaktionen aufgefaßt werden könnten. Falls die griechische Regierung diese Erklärung nicht ab- gibt, will die türkische ihre Gesandtschaft aus Athen abberufen. DaS wäre die offene KricgSerklärinig! Doch ist eS vorläufig noch nicht so weit; denn die vier Schutzmächte Kreta ? haben sofort an die Pforte das Ersuchen gerichtet, ihre herausfordernde Haltung gegenüber Griechenland aufzugeben, und zugleich wurden die Kreter benachrichtigt, daß die Schutzmächte unter keinen Umständen die Hissung der griechischen Flagge auf öffentlichen Gebäuden dulden würden. Ferner wurde an die griechische Regierung das Ersuchen gerichtet, die griechischen Offiziere, die in kretischen Diensten stehen, endgültig an? den Listen der griechischen Armee zu streichen. Auch Deutschland hat, wie gemeldet wird, sowohl in Athen wie in Konstaniinopel im Interesse des Friedens Ratschläge zur Mäßigung erteilt und beiden Regierungen nahe gelegt, die Angelegenheit nicht aus die Spitze zu treiben. Ob aber die türkische Regierung geneigt sein wird, diesen Ratschlägen zu folgen, das scheint recht ungewiß. Wahr- scheinlich möchte sie selbst gerne einen Krieg mit Griechenland der- meiden, aber sie wird von kriegslüsternen chauvinistischen Elementen, besonders von dem Offizierskorps, geschoben und befindet sich diesen gegenüber gewissermaßen in einer Zwangslage. Jedenfalls erscheint trotz des Eingreifens der Großmächte die Lage recht bedenklich. » � M Athen, 8. August. (Meldung der Agence HavaS.) Die Autwort Griechenlands auf die Note der Türkei soll am Dienstag ubergeben werden. Die Vertreter der Mächte hatten mehrfache Be- sprechungen mit dem Ministerpräsidenten und dem Minister des Aeußern. Die öffentliche Meinung hofft, daß die Vermittelung der Großmächte, an die sich Griechenland gewandt hat, die Türkei hindern wird, darauf zu bestehen, Griechenland in eine Frage hinein» zuziehe», deren Lösung von den Mächten abhängt. D»! Attentat auf Plehwe. Unter dem Titel„Asew, Harting und Co." wird in den nächsten Tagen im Verlag der„Vita"(Berlin-Charlottenburg) die Uebersetzung eines von Jean Longuet und Georges Silber verfaßten Buches erscheinen, das auf Grund der Ent- hüllungen Burzews und der vom Zentralkomitee der russischen revo- lutionär-sozialistischen Partei veranstalteten Untersuchungen das Treiben der russischen Lockspitzel Ewno Asew und Harting. Landesen schildert. Das 236 Seiten starke Buch, zu dem Jean Jaures ein Vorwort und W. Burzew eine längere Einführung geschrieben haben, liest sich, obgleich sich die Verfaffer strenge an die festgestellten Tatsachen halten und Sensationsmacherci vermeiden, fast wie ein gutgeschriebener Detektiv- und Kriminalroman. Aus den uns vom Verlagshaus„Vita" zur Verfügung ge- stellten Aushängebogen geben wir folgende Ausführungen über die Vorbereitungen des Attentats auf den Minister Plehwe wieder: Nach der Verhaftung Gerschunis im Mai 1903 war Asew fofort nach Genf gegangen. Cr arbeitete dort an der technischen Erneuerung der revolutionären Taktik und bestand hartnäckig auf der Anwendung mächtigerer und wirksamerer Mittel als bisher.... Asew widmete sich einem gründlichen Studium der Explosiv- stoffe, deren regelmäßige Anwendung das Charakteristische der neuen Phase der terroristischen Bewegung ist. Er formulierte eine Reihe von Grundsätzen, die von der Partei ohne Diskussion angenomnien wurden, nämlich die absolute Trennung zwiichen der terroristischen Unternehmung und dem revolutionärcnMilieu im allgemeinen. Die von ihm gepredigten Vorsichtsmaßregeln gingen so weit, daß er alle Beziehungen zwischen den in ein terra- ristisches Komplott verwickelten Genossen und der allgemeinen Organisation der Partei untersagte. Es war den Kameraden, die an solchen Unternehmungen teilnahmen, nicht erlaubt, sich durch die allgemeine Organisation etwa Wohnungen oder Pässe besorgen zu lassen. Sie mußten die Sorge hierfür sowie für alles andere der Organisation des Kampfes überlassen. Mit seiner gewohnten Kühnheit versicherte Asew, daß, wegen der zahl- reichen in den Parteigruppen vorhandenen Lockspitzel es unheil- voll sein würde, die terroristischen Genossen mit diesen Gruppen ;n Verbindung zu dringen. Wie», 8. August. Aus Athen meldet die„Freie Presse", daß die Antwort der griechischen Regierung auf die Note der Pforte morgen überreicht wird. Die griechische Regierung versichert, sie habe keine Autorität, sich in Kreta einzumischen, da sie sich sorgfältigst während der ganzen Vorgänge abseits ge- halten habe. Alles, was die interne Lage Kretas an- gehe, sei Sache der Schutzmächte, wie das in der Deklaration vom 13. Juni klar ausgesprochen würde. Was die Deklaration betreffend das zukünftige Schicksal Kretas angeht, so betrachtet die griechische Negierung eine solche Erklärung als ein Ding der Unmöglichkeit, weil sie einer Verletzung der Rechte der Schutzmächte gleichkommen würde, in deren Händen die Zukunft Kretas liegt. Gestern trafen in Volo ein österreichisches Eskader und zwei französische Kriegsschiffe ein. Koustantinopel, 8. August. Die Botschafter der Schutz- mächte� werden heute der Pforte die Mitteilung machen, daß sie entschlossen sind, jede kriegerische Verwickelung mit allen Mitteln zu verhindern. Um diesem Schritt der Schutzmächte mehr Nachdruck zu verleihen, wird, wie verlautet, in den nächsten Tagen eine englische Flotte in der Sodabai erscheinen. Wie es heißt, wird auch Oesterreich- Ungarn, welches sich vollständig mit dem Vorgehen der Schutz- mächte einverstanden erklärt haben soll, ein Eskader in den Piräus entsenden. Wien , g. August. Das„Frembenblatt" schreibt: Auf Ansuchen der griechischen Regierung hat der kaiserliche und königliche Bot- schafter in Koustantinopel im Auftrage der österreichisch-ungarischen Regierung bei der Pforte im Sinne der Erhaltung des Friedens interveniert und bei diesem Anlaß auf die Gefahren hingewiesen, welche kriegerische Komplikationen zwischen dein oSmanischen Kaiser- reich und dem Königreich Griechenland herbeiführen würden. Konstantinopel , 9. August. Die Botschafter der Schutz- mächte hielten gestern eine Beratung ab und hatten sodann sämtlich Unterredungen mit dem griechischen Gesandten. Heute werden die Botschafter der Schutzmächte auf der Pforte gleichlautende Erklärungen abgeben. Alle diplomati- schen Bemühungen zielen darauf hin, sowohl Griechen- land wie dieTürkei vor Ergreifung extremer Maßregeln zu warnen und einen Konflikt zu v e r hüte n. Unterrichtete türkische Kreise rechnen mit der Möglichkeit, daß, falls die Antwort der griechischen Regierung auf die letzten Vorstellungen der Pforte nicht befriedigend sein werde, die Pforte von den Schutzmächten volle Handlungs- lreihcit verlangen� und Kreta besetzen lassen werde. Die Besetzungsexpedition soll von Smyrna aus erfolgen, wohin seit zwei Tagen zahlreiche Truppentransporte unterwegs sind. Auch die Flotte ist entgegen anderen Meldungen vor Smyrna vereinigt. Nach Meldungen, die der Pforte zugegangen sind, ist seit gestern keine griechische Flagge mehr auf Kreta sichtbar. Die Zunft der hiesigen Varkenführer gibt bekannt, daß in acht Tagen der Boykott sämtlicher griechischen Schiffe beginnen werde, auch Meldungen aus der Provinz besagen, daß der Boykott gegen die griechischen Waren zur Anwendung ge- langen werde. Koustantinopel, 9. August. Heute nachmittag sind die Botschaf. ter der Schutzmächte bei der Pforte erschienen und haben die bereits angekündigten gleichlautenden Erklärungen bezüglich der Kreta. frage abgegeben. Der Kernpunkt der Erklärungen besteht in dem erneuten Hinweis darauf, daß die endgültige Regelung der Kreta - frage Sache der Schutzmächte sei, die diese Aufgabe auf Wunsch der Pforte selbst übernommen haben. Die Auffassung der Pforte in dieser Frage erhellt aus folgenden Darlegungen de» Großwesir gegenüber einem Journalisten. Die Schutzmächte hätten bei der Räumung der Insel den Geist der dortigen Bevölkerung außer acht gelassen, eS sei vorauszusehen gewesen, daß türkische Rechte ver- letzt würden. Dies sei durch die Hissung der griechischen Flagge geschehen. Die Pforte sei nunmehr entschlossen, die türki. schen Rechte selb st zu verteidigen. Für die Türkei sei die Lösung der Kretafrage nur annehmbar durch Verleihung der Autonomie unter einem Gouverneur, der ottomanischer Untertan sein müsse. Ebenso müßten alle anderen Bc- amten der Insel Ottomanen sein. Unruhen unter der Be- völkerung der Insel seien vorauszusehen, doch könne dies die Türkei nicht zurückhalten. Zwei Divisionen würden genügen, die Ruhe auf der Insel widerherzustellen. Jedenfalls sei die Türkei ent- schlössen, zur Verteidigung ihrer Rechte vor keinem Mittel zurückzuschrecken. Wie verlautet, sind in Smyrna 25 000 Mann türkischer Truppen zusammengezogen. Die für heute erwartete Antwort der griechischen Regierung auf die türkische Note war bis 5 Uhr abends auf der Pforte nicht eingetroffen. Diese Isolierung beraubte augenscheinlich die Kampfgruppen der Möglichkeit, Auskünfte über das Leben und die Gewohnheiten der aufs Korn genommenen hochgestellten Persönlichkeiten einzu- holen. Asew erklärte, daß solche AuSlünfte oft problematisch und bisweilen selbst gefährlich seien. Er verwarf sie also, inoem er an ihre Stelle ein ganzes System äußerer Ueberwachung der für ein Attentat in Aussicht genommenen Personen setzte, das durch die Kräfte der Knmpsesorganisation selbst ausgeübt werden sollte. Nichts ward in dieser Hinsicht vernachlässigt. Revolutionäre, als Kommissionäre, Kutscher, Briefträger oder Kamelots verkleidet, stellten sich, als ob sie simple Gaffer oder friedliche Bürger aus der Suche nach Wohnungen seien. Sie wurden an strategisch wichtigen Punkten placiert, um alle notwendigen Informationen zu sammeln. Ja noch mehr: diejenigen, die mit der Beobach- tung beauftragt waren, die auf Grund ihrer wichtigen Kenntnisse die Bomben fabrizierten, die endlich die Beschlüsse der Organi- sation auszuführen hatten, bildeten ebenso viele isolierte Gruppen, die miteinander nur durch die Vermittelung von besonders zu diesem Zweck ausgewählten Kameraden verkehrten. Solange das Attentat noch nicht vollständig vorbereitet war, lebten die zukünf. tigen Exekutoren wie friedliche Bürger. Aber wenn ihre Stunde kam, dann verschwanden alle diejenigen, deren Hilfe nicht mehr nötig war; es blieben nur noch die Kämpfer, die nach dem im voraus entworfenen Plane die Bomben zu werfen hatten, und mit ihnen die Techniker, die sie verfertigt hatten und die im Falle des Mißlingens sie wieder an sich nehmen und entladen mußten. Endlich mußte ihnen der„Oberoffizier" als Vermittler dienen; er überwachte persönlich die Ausführung des Planes.... Auf diesen neuen Grundlagen rekonstruierte Asew in Genf im Juli 1903 die Organisation des Kampfes; nach ihnen arbeitete er bis in die geringsten Einzelheiten den Attentatsplan gegen Plehwe aus.... Zu Beginn des Jahres 1903, als Gerfchuni noch mit Asew an der Spitze der Kampfesorganisation stand, war ein erstes Attentat gegen Plehwe mit sehr unzureichenden Mitteln vorbe- reitet worden. Die im gegebenen Moment von Plehwe benach- richtigte Polizei— so versichert die Anklageschrift im Prozeß Lopuchin— konnte ihre Vorsichtsmaßregeln treffen. Man hat Grund zu der Annahme, daß die Namen der in diese Untersuchung verwickelten Terroristen nicht von Asew angegeben worden sind; denn kein einziger wurde verhaftet. Es genügte der Polizei, den Reiseweg deS Diktators zu ändern, um das Attentat zum Scheitern zu bringen. Entmutigt rief Gerfchuni auS:„Das ist eine Unter- nehmung, die über meine Kräfte geljU" Die Scheu vor siirlorgeaögiiugeu. Durch die Presse geht eine Notiz der„Mil.-pol. Korrespondenz" über die Schwierigkeit, Fürsorgezöglinge in gc- ordnete Verhältnisse und ausreichende Lebens- st ellungenzu bringen. So sei den Provinzialverwaltungen von Westfalen, Rheinland und Hannover der Versuch, Fürsorge- zöglinge für den Seemannsberuf ausbilden zn lassen, nicht geglückt. Der Zentralderein deutscher Reeder habe erklärt, unter keinen Umständen werde er Fürsorgezöglinge in seine Schiffs« Mannschaft aufnehmen. Aehnlich habe der Berein deutscher Küsten- schiffer sowie der Sccfischerei-Vcrein sich ausgesprochen, und auch die Heringssischerei-Gcsellschaft Neptun habe eine bereits gegebene Zusage wieder zurückgezogen. Die Notiz nennt es bedauerlich, das, „ein so guter Gedanke so kläglich scheitern mußte". Sie bezeichnet aber die von dem Zentralderein deutscher Reeder angeführten Gründe— die Besorgnis, daß die übrige Mannschaft sich weigern würde, mit Fürsorgezöglingen zusammen zu arbeiten, sowie die Notwendigkeit, gerade aus dem Sccdienst die unzuverlässigen Elc- mente fernzuhalten— als stichhaltig. Was hier mitgeteilt wird, das ist leider läng st nicht mehr neu. Die Scheu vor den Fürsorgezöglingcn ist schon in dem Jahresbericht der Berliner Waisenverwaltung über das Etatsjahr 1907 beklagt worden, und auch der „Vorwärts" hat seinerzeit, als der Bericht erschien, in eingehender Besprechung hierauf hingewiesen. Es ist vielleicht gut, heute nach der Aufdeckung des Skandals von Mielczhn noch einmal auf diese Dinge zurückzukommen und die sehr vernünftigen Ausführungen jenes Berichts im Wortlaut herzusetzen. Es hieß da: „Mit der Unterbringung von Zöglingen in Fischereibetricben und auf Seeschiffen sind wir in verstärktem Maße fortgefahren. Die Erfolge waren teilweise über Erwarten gut, teilweise wurden wir enttäuscht; das gilt namentlich von dem Fischcreibetrieb in Finken- wärder, aus den wir große Hoffnungen gesetzt hatten. Leider hat uns dick Fischereiaktiengesellsckvrst Neptun in Emden , ider w;r mehrere Jahre den größten Teil unserer für den Seeöicnst aus- gewählten Zöglinge anvertraut hatten, den mit ihr abgeschlossenen Vertrag gekündigt, anscheinend, weil sie mit dem Provinzialvcrband Westfalen ein ihr günstiger erscheinendes Abkommen geschlossen hat. Wir vermissen die Beziehungen zu dieser Gesellschaft um so mehr, als bei ihr im Vorjahre von 30 Zöglingen 24 regelrecht abgemustert hatten. Bedauerlicherweise haben sich in letzter Zeit mehrfach in Secschiffahrtskreisen Bestrebungen gegen die Unterbringung von Fürsorgezöglingen im Scemannsberuf geltend gemacht, die jjum Teil das zur Wahrung berechtigter Interessen erlaubte Maß über- schritten haben. So bezeichnet z. B. der Deutsche Schulschiss-Ver- ein in einer öffentlichen Kundgebung die Fürsorgezöglinge schlecht- hin als Taugenichtsc. die mit allen zu Gebote stehenden Mitteln von dem Eintritt in den Scemannsberuf fcrrrgehaUcn werden müßten. Auch der Deutsche Nautische Verein hat sich mit Nachdruck in ähnlichem Sinne ausgesprochen. Man scheint an diesen Stellen der Ansicht zu huldigen, daß nur verbrecherisch veranlagte Elemente der Fürsorgeerziehung überwiesen werden, und berücksichtigt nicht, daß viele Minderjährige lediglich infolge trüber häuslicher Ver- Hältnisse auf die schiefe Bahn gedrängt worden sind, die, wenn sie in die richtigen Hände gelangt sind, ordentliche Menschen und damit auch, was sich durch zahlreiche Beispiele belegen läßt, tüchtige Seeleute werden können. Wie sollte überhaupt für die Zöglinge ein Fortkommen geschaffen werden, wenn auch andere achtbare Berufskreise in gleich schroffer Weise gegen die Einstellung der jungen Leute Stellung nehmen wollten!" DaS Vorurteil, daß nur verbrecherisch beranlagtc Elemente zur'Fürsorgeerziehung überwiesen werden, findet sich leider nicht nur in den Kreisen der Unternehmer, die solchen jungen Leuten Beschäftigung geben sollen. Auch eine gewisse Sorte von„Erziehern" steht wohl noch auf diesem Stand- Punkt; anders kann man es sich kaum erklären, daß e» immer noch Anstalten gibt, in denen mit Stock und Peitsche, mit Fesselung und NahrntigSentziehnng gearbeitet wird. Schon die Tatsache, daß eine „Erziehungsmethode" wie sie in Mielczhn sich unserem, ent- setzten Auge enthüllt hat, noch angewendet werden durfte, ist geeignet das Vorurteil gegen Zöglinge solcher Anstalten nur noch zu steigern. Kein Verbrecher darf so behandelt wer- den, wie dort Fürsorgezöglinge gepeinigt worden sind, und man versteht es, daß entflohene Zöglinge verzweifelnd erklärt haben, sie würden lieber durch ein Verbrechen sich ins Gefängnis bringen« als nach Miclczyn zurückgehen. Geradezu unbcglrciflich ist, daß sogar der Berliner Magistrat selber dazu beigetragen hat, Vorurteile gegen Fürsorgezöglinge zn wecken und zn stärken. Um den Skandal von Mielczhn zu vertuschen, sind vom Rathaus aus Nack)- richten verbreitet worden, die den Anschein erregen mußten, daß in Mielczhn derAuSwurfderMenschheit versammelt gewesen sei. Diese schmählichen Versuche, die Schuld vom Pastor Breithaupt, abzuwälzen auf die Jungen, die zu schwer(für ihn zu schwer!) zu erziehen gewesen seien, sind gemacht worden mit dem Wissen des Magistrats. Wird die Waisenverwaltung nun noch darüber klagen wollen, daß ihr kein Mensch gern die Fürsorgezög- linge abnehmen mag? Dieses so schwierige Werk wollte Asew zum Staunen und zur Bewunderung seiner Kameraden zu Ende fuhren. Mit peinlicher Sorgfalt wählte er unter Wahrung des tiefsten Geheimnisses, nur mit Unterstützung von Michel Götz, ans den Genossen ein Elite- bataillon: Ssasonow, Schweitzer, Kalajew, Dora Brillant, Ssawm. low, Pokotilow und noch einige andere. Er überführt seinen Gc- neraljtab nach Paris , wo die Vorbereitungen fortgesetzt werden. Asew kehrt dann nach Rußland zurück, wohin die Mitglieder der Kampforganisation nach einigen Monaten nachkamen, nachdem sie Asew mit Pässen versehen hatte.... Während Asew so seine Polizeitätigkeit entfaltete, die Stolypin die Erklärung gestattete, daß Asew der erste war, der die Komplotte gegen Plehwe zur Anzeige brachte, verfolgte er mit der Kampforganisation die Vorbereitungen zu dem großen, gegen den Diktator gerichteten Attentat. Ein erster Versuch fand am 13. März nahe dem Hause des Ministers statt. Nachdem er Hand die letzten Vorbereitungen gelegt, verließ Asew Petersburg unter dem Vorwande, daß ihn eine wichtige Angelegenheit zum Zentralkomitee rufe. Die Ausführung des Planes wurde den schon genannten Terroristen Ssasonow, Kalajew, Ssawin- low, Schweitzer und Pokotilow anvertraut. Ssasonow hatte sich als Kutscher verkleidet, und vier mit Bomben bewaffnete Terroristen besetzten den Weg, den der Minister passieren mußte. Aber trotz der sehr sorgfältig geübten Ueberwachung mußte das terroristische Detachement, nachdem es zwei Stunden vergeblich gewartet hatte, sicb zurückziehen, ohne auf Plehwe gestoßen zu sein. Asew hatte Ssawinkow in DwinSk in Litauen ein Rendez- vouS gegeben. Aber Ssawinkow fand ihn dort nicht, und seine Gefährten von der Kampforganisation blieben drei Wochen ohne Nachricht von ihm. Sie wurden sehr unruhig und fürchteten, er sei verhaftet worden. Inzwischen verfolgten sie die Verwirklichung des Planes, den sie entworfen hatten, und setzten die Ausführung auf oen 10. April fest. Als einige Tage vorher Pokotilow nach Petersburg ging, traf er Asew im Zuge. Er sprach ihm von der Angst und den Qualen, die die Mitglieder der Kampforganisation einetwegen ausgestanden hätten, wie ihr erster Versuch gescheitert ei, und unter welchen Verhältnissen sie ihn wiederholen wollten. lsew billigte die Dispositionen, die sie getroffen hatten, doch nahm Abstand davon, nach Petersburg zurückzukehren. Pokotilow war bereits wieder seit einigen Tagen in Peters- bürg, als eine furchtbare Katastrophe die Pläne der Terroristen von neuem störte. Die Bomben, die Pokotilow mitgebracht hatte, explodierten zufällig am 1. April im Hotel du Nord, wo er unter einem falschen Namen abgestiegen war. Pokotilow wurde durch
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