poUtifcbc deberHcbtBerlin. den 9. August 1909.Kündigung des deutsch-amerikanischcn Handelsvertrags.Das Handelsabkommen zwischen dem Deutschen Reichund den Vereinigten Staaten von Amerika vom 22. April(2. Mai) 1907 ist amerikanischerseits am 7. d. M. zum7. Februar 1910 gekündigt worden.Der Anfang vom Ende?Staatssekretär v. Schön hat einen längeren Urlaub ange-treten. Das wäre an sich nichts Besonderes, wenn nicht gerademomentan durch die Kretafrage die politische Situation wiedereine recht bedenkliche Zuspitzung erlitten hätte. Herr v. BethmannHollweg versteht zugestandenermaßen von der auswärtigen Politikblutwenig; und der Leiter der auswärtigen Politik, Herr v. Schön,geht just in diesem Moment auf Urlaub. Das berechtigt zu derAnnahme, daß dieser Urlaub der Vorläufer der Entlassung ist,und daß Herr v. Schön den deutschen Chauvinisten in Schleswig-Holstein als Opfer dargebracht wird. Trifft diese Kombinationzu, dann verspricht die Aera Bethmann Hollweg recht interessantzu werden._Dr. Schädler und die„Köln. Volksztg."Der Streit im Zentrumslager um die schärfere Herborkehrungder„katholischen Weltanschauung" zieht immer weitere Kreise inseinen Vereich. Auch der zweite �Vorsitzende der Zentrnmsfraktion,der Domdechant Dr. Schädler, ergreift öffentlich Partei. In einerRede in Minden stellte er sich auf die Seite der die christlichen Ge-werkschaften begönnernden.Köln. Volksztg." und leistete sich einigeVerspottungen der Herren Roeren, Bitter und des hyperorthodoxenSchnapsfabrikanten Unterberg. Er sagte:.Die Deutschen sind Spintisierer. Da haben sich hochachtbareMänner zusanrmengetan, um eine Definition des Zentrums zusuchen. Das ist ja eine ganz nette Beschäftigung, aber diese Herren— hochachtbare Männer— sollten doch andere damit verschonen,andere, die da meinen, daß eine bald vierzigjährige Geschichte derPartei deutlicher spricht als alle Definitionen. Und dabei kann mantrotz aller persönlicher Freundschaft die Frage aufwerfen, wohergerade diese Herren— immer den guten Willen vorausgesetzt—die Legitimation haben, und ob sie sich auch derKonsequenzen ihres Versuchs bewußt sind. Etwas ganz NehnlicheSwiederholt sich auf dem Gebiete der gewerkschaftlichen Organi«sationen. Mancherseits besteht der Wunsch, auch die Gewerkschafts-organisationen auf konfessionellen Boden zu stellen. Ich meineallerdings, wir hätten angesichts der gefährlichen Lage auch andereArbeit auf diesem Gebiete genug. Daß wir mit unseren christlichenGewerkschaften nicht auf falscher Fährte sind, das beweist der Haßunserer Gegner."_Die Zentrnmsbaucr» und die neuen Stenern.Im.Bayrischen Vaterland" veröffentlicht der katho-lische Pfarrer Münster er von Pondorf in Niederbayern einensehr bemerkenswerten Artikel, in dem er das Zentrum u. a. wegenseiner Steuerpolitik heftig angreift. Er schreibt:„DaS in wirtschaftlicher Beziehung ohnehin schwache, katho-lische Volk sagt sich eben immer und immer wieder:„400 Millionender neuen Steuern mutz das werktätige Volk zahlen und nur100 Millionen trägt der Besitzer". Und dabei hat das Zentrumin entscheidender Weise mitgeholfen. Darüber kommt der einfache,katholische Mann im Volke nicht hinweg, offen gestanden, ichauch nicht.Auch die Bauern machen arg harte Köpfe. Auch sie sage»sehr richtig:.Den Hinteren beiht halt allemal der Hund." DerBorsteher unseres RaiffeisenvcreinS, ein gleichfalls intelligenter,kernchristlicher Bauer gebraucht dabei als begeisterter Imkerfolgendes drollige Bild:.Hört's ma auf mit all' dö Zuschuß undwas sonst da Staat für'n Bauern tut. Der macht's alurat wiei' mit meine Jmb'm: Born hängt er ihnen nei, damit er's hintenwieder'rausnehmen kann. Dös sieht ma wieder bei dö neuenSteuern."Und an anderer Stelle sagt Pfarrer Münsterer:„Die Erbitterung unter den organisierten, katholischen Arbeiterngegen das Zentrum ist zurzeit ganz verteufelt intensiv. Nichtbloß in der Pfalz, sondern auch bei uns in Alt-Bayern. So hatten wir hier bald nach Annahme derFinanzreform eine ArbeitervereinS-Bersammlung. Mir gegenübernehmen sich meine Leute kein Blatt vor den Mund, dasberuht nämlich auf fteundschaftlicher Gegenseitigkeit. Donner-Wetter, was ich da über.dös Zentrums--- im Reichstage"schimpfen hörte, war nicht schlecht. Ich konnte, offen gestanden,weiter nichts daraus sagen, als:„Leut'l, wenn es sich nur netumandere G'schicht'n handeln tät, als bloß um dö Konsumsteuern,nachher saget i' ja selber:.Hau'n wir's Alle nntananda zumTeufel I"" Ja.'s soll' scho'", brummten sie dann erbittert undgaben mir auch wieder recht."Der Zentrumspresse sind diese Auslassungen begreiflicherweisesehr peinlich. Sie wird vielleicht, wie sie das in solchen Fällen gerntut, erklären, daS„Bayerische Vaterland" sei eben kein wirklichesZcntrumsorgan. Demgegenüber ist aber festzustellen, daß derdie Explosion getötet. Mehrere Monate vergingen, ohne daß dieBehörde seine wahre Persönlichkeit hätte entdecken können; siewurde erst durch eine Erklärung Asews am 4. Juli„enthüllt".Durch diesen neuen Mißerfolg entmutigt, beschloß die Kampf-organisation, die durch die Abwesenheit ihres großen Chefsübrigens in Verwirrung gebracht war. ihre Kräfte bei einer leich-teren Unternehmung zu versuchen. ES handelte sich darum, denGouverneur von Kiew, General Kleighels, zu töten, dessen Nameals eine Verkörperung erbarmungsloser Unterdrückung galt.Ssawinkow und die übrigen Kameraden gingen nach Kiew.Hier traf Ssawinkow unerwartet auf Asew. dem er eiligst dieneuen Projekte, die sie geschmiedet hatten, mitteilte. Der großeChef verhehlte seine Unzufriedenheit nicht, weil man seine In-struktionen nicht befolgt hatte:„Wir haben die Affäre Plehwebegonnen", sagte er,„wir müssen sie bis zum Ziele durchführen.Als euer Chef widersetze ich mich formell der Unternehmung gegenKleighels, und ich wünsche, daß ihr nach Petersburg zurüakehrc"Es wurde so beschlossen, und die Terroristen kehrten in dieHauptstadt zurück. Zwei Monate hindurch bereitete man daSgroße Werk vor. Neue Mitglieder wurden durch Aseiv in dasDetachement eingeführt, und man setzte das Attentat auf denv. Juli fest. Vorher hatte sich Asew entfernt, wiederum unterdem Vorwande von Geschäften, die ihn zum Zentralkomitee riefen.Aber ein fataler Zufall schien sich gegen die Terroristen ver-schworen zu haben, und daS Leben PlehweS zu schützen. Einer derHaupttcilnehmer dcS Komplotts verfehlte den Zug, der ihn nachPetersburg bringen sollte; die Mitglieder der Kampforganisationkamen nicht dazu, sich zu treffen, und wiederum mutzte man dieAusführung des Attentat» verschieben, die man endlich auf denIb. Juli festsetzte. Vorher fand in Wilna eine letzt« Besprechungzwischen Ssawinkow und Asew statt. Dieser letztere erteilte seineInstruktionen und bestimmte Warschau als Rendezvous mit Ssa-winkow nach dem Attentate. Ssawinkow, der aus dieser Stadtstammte, machte einige Einwendungen gegen den Ort der Zu-sammenkunft, wo er leicht erkannt werden könnte.„Was," er-widerte Asew in spottischem Tone,„du hast also Angst?"Der furchtlose Ssawinkow, der die Gefahr nicht kannte, ant-wartete ruhig:„Nun wohl, eS sei, wie du willst— ich werde inWarschau sein."Am Ib. Juli, morgens 9,4S, fuhr der Wagen PlehweS in leb-haftein Tempo nach dem Warschauer Bahnhofe. Der Ministerwollte den Iv-Uhr-Expreßzug zur Fahrt nach Peterhof erreichen«Zentrumsabgeorduete Dr. Heim Miteigentümer des Blattesist. Auch Pfarrer Mllnsterer bekennt sich offen als Zentrums-mann. Unter solchen Umständen werden also alle Abschüttelungs-versuche vergeblich sein.__„Liberale" Auslegung des Vereiusgesetzes.Das Kölner Polizeipräsidium fährt fort, die loyalenVerheißungen der Regierung bei der Beratung des Reichsvereins-gesetzes in ihrer Weise„wahr" zu machen. In der Nr. 168 des„Vorwärts" wurde bereits eine Probe davon gegeben, mit welchernahezu vorsintflutlichen Begründung das Polizeipräsidium demsozialdemokratischen Verein in Kalk bei Köln die Genehmigung zueinem kleinen Festzuge ans Kölner Gebiet versagte, die vom KallerBürgermeister anstandslos für dieses Gebiet gewährt worden war.Die ganze Forin des ablehnenden Bescheides erinnerte an dieschlimmsten Zeiten des Schandgesetzes. Jetzt, einigeWochen nachher, hat das Kölner Polizeipräsidium eine fast nochschlimmere Leistung vollbracht. Der Verband der Gemeinde- undStaatsarbeiter in Köln, also eine gewerkschaftliche Organisation,hatte die Genehmigung zu einem kleinen Feftznge nachgesucht, dersich von der Schiffbrücke in dem ans der anderen Rheinseitegelegenen Vororte Deutz zu einem an der Peripherie des Ortesgelegenen Gartenlokal bewegen sollte. Ein gleichartiger Zugwar dem Gemeindearbeiterverbande in den früherenJahren stets genehmigt worden. Obwohl niemals dasmindeste vorgekommen ist, hat das Kölnische Polizeipräsidium jetztdie Genehmigung zu dem Umzüge versagt. In der Begründungheißt es:.bei der politische» Gesinnung(I) der weitaus meisten Mit-glieder des Verbandes" und ihrer großen Anzahl(?) sei.zu erwarten,daß der gelegentlich des Sommerfestes von dem Verbände beabsichtigteFestzug zu einer größeren Demonstrationen gegen dieheutige staatliche und wirtschaftliche Ordnungausartet." Eine derartige Demonstration aber wirke auf alleder Sozialdemokratie abgeneigten Kreise der Bevölkerung. b e-unruhigend und aufreizend".In der bestimmtesten Form heißt eZ dann weiter:„Gegenkund-gebungen und daraufhin weitere Ausschreitungen auf beidenSeiten(wie gütig!) werden nicht ausbleiben, und es ist zu be-fürchten, daß aus Anlaß des Festzuges die öffentliche Sicherheitin hohem Maße gefährdet wird."Was das Polizeipräsidium sich da zurecht„begründet", wirdauch nicht durch den Schatten irgendwelcher Vorkommnisse unter-stützt. Nie ist in Köln das geringste vorgekommen. Die absolu-tistische Polizeibureaukratie aber darf trotz des neuen Reichs-Vereinsgesetzes nach wie vor einen großen Volksteil von den ge-schlichen Rechten ausschließen, während den Karnevals-, Krieger-und ähnlichen Vereinen, insbesondere auch zurzeit dem in Kölntagenden Eucharistischen Kongreß, die verlehrreichsten Straßen derStadt zu stundenlanger Benutzung freigegeben werden,Arbeitcrenttassungen im Tabakgewerbe.Die Folgen der Tabakbesteuerung beginnen sich zu zeigen.Die Firma Bruns in Eisenach entläßt zum 15. August ihre sämt-lichen in der Filialfabrik Langenselbold beschäftigten 31 Arbeiter.Die Firma Strauß(Sitz Mannheim) hat ihren sämtlichen 50 Ar-beitern der Falialfabrik in Michelbach(Bayern) zum 15. Augustgekündigt. Der Zigarrengroßindustrielle Schiok in Frankenberg inSachsen hat seinen sämtlichen 150 Heimarbeitern ebenfalls zum15. August gekündigt. Die nächsten Tagen dürften aus allenTeilen des Deutschen Reiches ähnliche Nachrichten bringen. Wievon den Sozialdemokraten ganz richtig vorausgesagt wurde, sindes in erster Linie die Heimarbeiten und die in den ländlichenFilialfabriken beschäftigten Arbeiter, die mit dem Inkrafttretender Steuer sofort brotlos werden.Verteuerung der 4. Wagenklasse.Die Zweite Württembergisch e Kammer hat aufAntrag ihrer Finanzkommission der von der Regierung für den1. Dezember in Aussicht genommenen Erhöhung des Tarises fürdie vierte Wagcnklasse von 2 auf 2,3 Pf. pro 5Alometer mit 56Stimmen gegen 13 Stimm ender Sozialdemokratenzugestimmt._Steigende Ausgaben für den Militarismus.Im KriegSministernim beschäftigt man sich zurzeit mit der Frageder Aufbesserung der Offiziere des VeurlaubtenstandeS, die nach dengeltenden Bestimmungen noch die alten Sätze beziehen. Es bestehtdie Absicht, die Reserveoffiziere, wenn sie zum Dienst eingezogenfind, im Gehalt mit den aktiven Offizieren gleichzustellen. DieSchwierigkeit liegt nur darin, daß man nicht weiß, woher die Mittelgenommen werden sollen, um Deckung für diese Ausgaben zu finden.Viel vernünftiger wäre es unseres Erachtens, wenn das Kriegs-Ministerium sich mit der Frage beschäftigen würde, wie die Mittelbeschafft werden können, um endlich den Soldaten die so dringendnotwendige Aufbesserung zuteil werden zu lassen.wo er dem Zaren den üblichen Bericht zu erstatten hatte. Ineinem besonderen Wagen, der dem Ministerwaaen vorausfuhr, be-fand sich der Polizeipräfekt von Petersburg, und neben der KutschePlehwes radelten einige Agenten, und außerdem waren alle 40Schritte auf dem Trottoir Spitzel verteilt, die über die Person desfurchtbaren Diktators besonders zu wachen hatten.Drei Terroristen, jeder mit einer Bombe versehen, hieltensich in dieser Straße verborgen. Es waren Ssasonow, der alsEisenbahnbeamter verkleidet war, Kalajew als Portier undSsikowski, der den weiten Mantel eines Marineoffiziers trug.Zufällig fuhr in diesem Augenblick der Wagen des Ministersan einer in gleicher Richtung fahrenden Droschke vorüber, in dersich ein Garoeoffizier befand. Um ihn zu überholen, wendetePlehwes Karosse sich schräg nach dem Trottoir zu. In diesemAugenblick näherte sich Ssasonow schnell und warf seine Bombedurch daS Fenster des Plehwschen Wagens. Eine furchtbare Deto.nation wurde hörbar. Die Gewalt der Explosivstoffe war so groß.daß der Minister und sein Kutscher im Augenblick in d,e Luftflogen. Alle Fenster der benachbarten Häuser zersprangen, undals der Ranch sich verzogen hatte, konnte man nahe bei derObwoduh-Brncke den völlig zerstückelten Leichnam PlehweS sehen,ein wenig weiter seinen Kutscher, der gleichfalls tot war. Ssawin.kow, der das terroristische Detachement kommandierte und dieAusführung des Komplotts überwachte, kam als erster an demPlatze an.„Die Straße war noch leer," so erzählt er uns.«Ich bemerkteSsasonow auf dem Pflaster, durch die Bombe verwundet und mitBlut bedeckt. Ich näherte mich ihm schnell, nur daran denkend,ihm zur Flucht zu verhelfen, und ich neigte mich ängstlich übersein Gesicht. Er war unbeweglich wie ein Leichnam.In diesem Augenblick näherte sich mir ein Polizeioffizier.leichenblaß und an allen Gliedern zitternd. Mit bebenderStimme sagte er zu mir:«Mein Herr, gehen Sie weiter." DaSwar alles.Ssawinkow konnte sich ruhig entfernen und ohne Schwierig.keit den Zug nach Warschau benutzen. Außer Ssasonow undSsikowski, die verhastet wurden, konnten alle Mitglieder derKampforganisation übe? die Grenze gelangen. Schweitzer, dererst am nächsten Tage uüt einem Koffer voll Dynamit abreiste-konnte gleich seinen Kanwraden die Hauptstadt verlassen,Poeplau der Leutnmltschnrge verlustig.Poeplau, der wegen seiner Mitteilungen über Kolomal«skandalosa zu einer geringen Gefängnisstrafe verurteilt wurde,ist nunmehr auch infolge einer ehrengerichtlichen Verhandlung dieLeutnantscharge aberkannt worden, da er sich der Verletzung derStandesehre unter erschwerenden Umständen schuldig gemacht habe.Poeplau gehörte zu den wenigen Beamten, die die Ungeheuer-lichkeiten unserer Kolonialpolitik auf die Dauer nicht tat'los an-zusehen vermochten, sondern die Flucht in die Oeffentlichkeit unter-nahmen, als sie sich überzeugt hatten, daß die Regierung selbstweder willens noch fähig ist, der Korruption entgegenzutreten.Poeplaus Vorgehen machte seinem Charakter alle Ehre, stellteseinem Ehrgefühl das beste Zeugnis aus. Mit Recht glaubte er,daß er ehrlos handeln würde, wenn er von seinem Wissen umdie skandalösesten Ausschreitungen, die ungesühnt gebliebenwaren, keinen Gebrauch machn Die Tatsache, daß Poeplaugerade durch sein Vorgehen als Ehrenmann handelte, wirdnicht im geringsten dadurch beeinträchtigt, daß er wegen angeblichenVerstoßes gegen seine Amtspflicht zu einigen Monaten Gefängnisverurteilt wurde. Und daß jetzt der militärische Disziplinar-gerichtshof auf Ausstoßung Poeplaus aus dem Offiziersstande er-kannt hat, vermag noch weniger einen Schatten auf die EhrePoeplaus zu werfen.An dem Schicksal Poeplaus tragen die bürgerlichenParteien, an die sich Poeplau vertrauensvoll wandte, und dievor der Auflösung des Reichstages und dem Stattfinden derHottentottenwahlen seine Informationen sowohl in der Presse alsauch im Parlament mit Vergnügen benutzten, die Hauptschuld.Sowohl die freisinnigen Herren Müller- Sagau und Konsorten,als auch die Herren Roeren, Erzberger usw. gaben denMann preis, sobald eine klägliche Opportunitätspolitik ihren Par-teien gebot, die Frage der Kolonialskandale in Vergessenheit geratenzu lassen. So kam es denn, daß gerade diejenigen Kolonial-bcamten, Poeplau und Wistuba, als Opfer der Kolonialskandaleauf der Strecke blieben, die sich um die Enthüllungen derbeispiellosen Korruption ein Hauptverdienst erworbenhatten.Bülow-Wallfahrt.Für den gestrigen Sonntag war von Wilhelmshaven aus eineHnldigungsfahrt zum Fürsten Vülow nach Norderney arrangiertworden. Derselbe widerwärtige Kult, der seinerzeit mit Bismarckgetrieben wurde, soll nun offenbar auch mit Bülow getriebenwerden. Daß Fürst Bülow derartigen schützenfestähnlichen Veran-staltungen nicht unfreundlich gegenübersteht, ist allerdings bekannt.Spanien.Die Ruhe nach dem Sturm.In Barcelona ist nach den verschiedensten Berichten dieheilige„Ordnung" wieder hergestellt; doch ist es absurd, wennbehauptet wird, die Bevölkerung wäre in allen Teilen froh,daß die schrecklichen Tage des Aufstandes überstanden wären.Hat auch das Volk den Bajonetten und Kanonen der Soldaten— zurzeit sind neben der Zivilgarde(Gendarmerie) 14 000Mann in Barcelona stationiert— weichen müssen, so glimmtdoch unter der aufgezwungenen Ruhe die Erbitterung fortund erhält durch die stupide Brutalität, mit der das Kriegs-gericht schaltet und täglich massenweise neue Verurteilte er-schießen läßt, neue Nahrung.Während aber für das niederträchtige Wüten dcS Kriegs-gerichts die sogen, anständige Presse kein Wort der Miß-billigung hat, erfindet sie täglich neue Grausamkeiten, die an-geblich die„viehischen" Revolutionäre begangen haben sollen.Meist sind diese Erzählungen frech erlogen. Auch die Ge-schichte von der grausamen Quälerei des Pfarrers' von SanPedro de Taulat, die dieser Tage in verschiedenen Blätternerzählt wurde, stellt sich jetzt als erlogen heraus. Dasbischöfliche Sekretariat berichtigt, daß der Pfarrer keinesMartertodes starb, sondern in dem Rauch erstickte.Die Regierung weiß zurzeit keine vernünftigere Beschäftigung für sich, als Statistiken der verloren gegangenenWerte, der Barrikaden, zerbrochenen Fensterscheiben usw.aufnehmen zu lassen. Nach ihrem Bericht wurden währendder Unruhen 65 Kirchen und 31 Klöster angezündet und 130Barrikaden errichtet. Auf den Trümmern der verbranntenKlöster und Kirchen sind bereits vielfach neue Altäre errichtet,an denen Messen gelesen werden. Das Militär sendet immernoch Streifwachen ans und hält die wichtigen Punkte, sowiedie religiösen und öffentlichen Gebäude besetzt.Cilrkd.Belgrad, 9. August. Aus Kurschumlija wird gemeldet, daß beieinem am 5. d. W. an der serbisch-türkisdjen Grenze stattgefundenenKampfe in der Nähe von Merdare drei serbische Bauern getötetund drei schwer verletzt wurden. Die Albanesen ließen aus ser-bischem Gebiete 4 Tote zurück. Es scheint jedoch, daß die Albanesenweit größere Verluste hatten. Wie verlautet erhob die serbischeRegierung bei der Pforte energischen Protest wegen Grcnzver-letzung durch die türkischen Soldaten-Hflcn.Beilegung des japanisch-chinesischen Konflikts.Der Londoner Berichterstatter des M a t i n hatte eine Unter»redung mit einer hochgestellten gutunterrichteten Persönlichkeitüber den chinesisch.japani scheu Konflikt bezüglich derBahnlinie Antun g-Mukden. Der Widerstand der chinesischenRegierung gegen das japanische Bahnprojekt beruhe auf der Oppo-sition der Bevölkerung der Gegenden, welche der neue Schienen-weg durchschneidet. Als die Japaner die gegenwärtige Linie bau-ten, hätten sie den chinesischen Bauern das erforder-l'che Terrain genommen, ohne den gesetzlichenEigentümern den reellen Wert dafür zuzahlen,häufig sogar ohne überhaupt etwas dafür zu bezahlen. Damalswar eben Krieg, und Japan, das die Macht hatte, zog aus dieserseiner Macht Vorteil. Wenn die Chinesen jetzt sich dem Bahnbauwidersetzten, so geschehe dies, weil sie das bezahlt haben wollten, wasdie Japaner ihnen schon genommen hätten oder noch nehmenwollten. Wenn Japan diesen chinesischen Standpunkt anerkenne.dann würden die gegenwärtigen Schwierigkeiten bald gelöst sein.—Nach Meldung eines Londoner Blattes auL Peking hat Ja-pan, um so wenig wie möglich Anlaß zu Reibungen zu geben,die Frage des Landankaufs rn Zusammenhang mit der Antung-Mukoen-Bahn vertagt und will zunächst die A usbohr ungder erforderlichen Tunnels vornehmen, die an vielenStellen eine beträchtliche Länge haben müssen, besonders in demmittleren gebirgigen Abschnitt. Diese Arbeit allein wird zwei?S a h r e in Anspruch nehmen. Nach den Bestimmungen dcS AS-ommenS mit China kann dieses die Eisenbahn 15 Jahre nachFertigstellung der Verbesserungen, die in zwei Jahren hätten aus-geführt sein müssen, zurückkaufen.London, 9. August. Wie dem Reuterschen Bureau aus Tokiogemeldet wird, hat China alle Einwände gegen den 1km-bau der Antung-Mukdcn-Bahn zurückgezogen«