DMMg!e!»ls Nidere SvfyeM ivill. Sä�Md dl- eine die andere nur steigert und schädlicher macht, in einer Zeit, wo wir so bar sind aller Staatsmänner, dah, Sie verzeihen, daß ich in dem Zusammenhange den Baron Bienerth erwähne, daß es Leute gibt, die auch ihn für einen Staatsmann halten(Heiterkeit), in einer solchen Zeit müßte man verzweiftln an der Zukunft der Völker in diesem Land, wenn man nicht wüßte, daß die sozialdemo- kratische Arbeiterschaft der feste Punkt ist und der feste Boden und die erste und letzte Zuflucht überall im Lande, im Staat und im Reiche.(Lebhafter Be:fall.) Die EntWickelung unserer politischen Organisation ist nicht immer in gleichem Maße aufsteigend gewesen, sondern selbstver- ständlich beeinflußt durch wirtschaftliche und politische Krisen, von vielen Rückschlägen unterbrochen. Aber wir können zurück- geworfen werden, wir können schwere reaktionäre Krisen erleben — und ich bin der letzte, der unsere Gegner und unsere Regierenden etwa so taxiert, als ob es einen Wahnsinn gäbe, der bei ihnen nicht möglich wäre(Heiterkeit)— aber ein Eindämmen unserer Be- wegung ist ganz unmöglich. Wir haben nichts mehr zu fürchten, wir sind stark genug, um jedem der reaktwnären Versuche zu wider- streben. Wir sind stark genug für uns und hoffentlich werden wir stark genug sein für die Völker Oesterreichs überhaupt.(Lebhafter Die� Schwierigkeiten, die uns augenblicklich wieder umgeben. werden ja gewiß Gegenstand der Diskussion auch auf dem Partei- tag sein. Es ist nicht meine Sache, heute eine aktuelle politische Rede zu halten. Aber das eine muß ich doch vorwegnehmen: die Sozialdemokratie hat in den zwei Jahren, seitdem wir das allge- meine Wahlrecht erobert haben, gezeigt, daß sie den schwierigsten politischen Aufgaben im Parlamente gewachsen ist wie keine andere Partei. Ich sage das um zu begründen, daß wir in der positiven Arbeit, auf die unsere Gegner uns immer verwiesen haben, gegen- über dem Umsturzprogramm, das wir an die Spitze stellten, daß wir in dieser politischen Arbeit von keiner Partei auch nur an- nähernd erreicht werden. Gewiß auch in dieser Beziehung ist die Aufgabe der Partei eine schwierige. Die schönen alten Zeiten, wo man nur für die großen Grund- Prinzipien der Partei agitieren konnte, wo es sich nur um große einfache grundlegende Ge- danken gehandelt hat, sind vorbei, wir müssen jetzt sehr viele Detailarbeit machen, wir müssen sehr viel kleine Probleme lösen, und gewiß hat manchem von uns ein Gefühl der Sehnsucht nach jenen alten Zeiten erfaßt. Zlber cS ist unvermeidlich, man muß die Dinge lernen, und auch die Pro- letariec in den Werkstätten müssen es lernen, diese einzelnen Fragen der proletarischen Politik mit Verständnis zu verfolgen. Da« ist allerdings hier in Nordböhmen in hervorragendem Grade der Fall. Und ich glaube, ich werde auf volles Verständnis stoßen, wenn ich sage, daß die Fragen unserer Parteipolitik hier in Nord- böhmen— Ihr seid ja hier alle mehr oder weniger Philosophen, und soweit Ihr«S nicht seid, seid Ihr Dichter(Heiter- kcit)— verstanden werden als solche, die das Wesen des Kampfes ausmachen. Der größte Kampf löst sich in Eiigelgefechte auf und das ist das Resultat unserer Arbeit, daß wir endlich in das tiefe Wasser hinein- gekommen sind..... Da fällt mir ein Wort des alten Philo- sophen DemokriteS ein, von dem ich unlängst gelesen habe, daß er sagt, das tiefe Wasser ist zu vielen Dingen nütze, das tiefe Wasser ist auch in manchen Dingen schädlich, denn man kann darin er- trinken. Da hat man denn ein Mittel erfunden, um dieser Gefahr zu begegnen, nämlich schwimmen zu lernen. Dieses Mittel, daS diese neu aufwachsende Klasse, die sich die Grundlinien ihrer Politik längst geschaffen hat, Nim auch lernen muß: in dem tiefen Wasser, in das sie eben erst hineingekommen ist, zu schwimmen, nicht zu ertrinken in diesen Problemen, nicht, wie so viele bürgerliche Parteien, versinken, nicht ihr eigenes Programm im Stiche zu lassen, nicht zu träumen und nicht zu verspießern, sondern praktische Arbeit zu tun, das heißt wirksame Arbeit zu tun. Diese Aufgabe, jeden Tag und jede Minute nicht nur den Fortschritt, sondern auch die Me- thode des Fortschritts zu lernen, diesem schwierigen Problem, das können wir sagen, hat die Sozialdemokratie in Oesterreich und die dlftltsche nicht zuletzt, ihre besten Kräfte und nicht ohne Erfolg ge- widmet. Wir haben die Genugtuung, daß uns, den Vertrauens- männern des Proletariats, die Tausende und Zehntausende, in deren Namen und für deren Interessen wir arbeiten, mit Ver- trauen und mit Verständnis folgen. Wir haben den großen Er- folg, daß wir in einer sehr kurzen Zeit eine völlige Aenderung unserer ganzen taktischen Anwendung des Programms durchmachen müssen und sie mit einigem Glück durchgemacht haben und das gibt uns die Sicherheit, daß wir auch von der Zukunft nichts zu fürchten, sondern alles zu hoffen haben.(Lebhafter Beifall.) Wir sind in einem Momente, wo die Regierung wieder ein. mal nicht weiß, wie sie mit dem Parlament fertig werden soll. Eine solche Regierung hat nach allen Grundsätzen des Konstitutio- nalismuS zu gehen. Wer nicht regieren kann, der muß den Bankrott erklären und muß abtreten. Aber Bienerth darf nicht abtreten, man will ihn nicht abtreten lassen. Dann gibt es nur eins, dann muß man an die Wählerschaft appel- lieren(Stürmischer Beifall.), ob sie geneigt ist, die Wirtschaft im Parlament und in der Regierung weiterhin zu dulden und zu sanktionieren. Die bütgerlichen Parteien tun, als würden sie in Oesterreich sehr viel bedeuten und mehr wie sonst bedeuten. Sie machen viel Lärm, daS ist aller alles. Sie verstehen zu zerstören, sie verstehen zu hindern, aber sie verstehen nichts zu schaffen. Ihr ganzer Triumph ist, daß sie den böhmischen Landtag lahmlegen können oder den ReichSrat lahmlegen können und sie wetteifern, wer das besser kann, wer mehr Waffen hat des politischen Selbst- mordes, wer besser lahmlegen kann alles, was Fortschritt und Fortschrittsmöglichkeit in diesem Lande ist. Wir sind aber über» zeugt, daß die breiten Kreise des Volkes weit über die Sozial- demokratie hinaus mit diesem Treiben nicht einverstanden sind (Lebhafter Beifall.), wir haben die feste Ueberzeugung, daß die breiten Massen, die einer schweren wirtschaftlichen Krise unter. liegen, die von der ausbeuterischen, wucherischen Politik unserer Agrarier bedroht werden und die bedroht werden von den neuen Forderungen des Militarismus — was sage ich von den Forde. rungen?— von den schon gemachten Leistungen des Militarismus(Stürmische Zustimmung.) gegen und ohne das Parlament, daß sie weder einverstanden sind mit dieser Politik der nationalen Hysterie noch mit der Politik der politischen Im- Potenz, die uns von unserem Ministerium als das alleinselig- machende Mittel der Beruhigung präsentiert wird. Wir stehen auf dem Standpunkte: entweder die Regierung muß erneuert werden oder das Parlament! Wenn die Regierung nicht zurück- treten will, dann Appell an die Wähler. Wir sind bereit, heraus!(Stürmischer anhaltender Beifall.) Wenn es den Herren so gut geht und wenn sie gar so üppig sind, so mögen sie es versuchen, mögen sich nicht verstecken hinter die Jung- Mannschaften.(Heiterkeit und Beifall.) Daß die Jungmann- schaften die Wacht am Rhein singen können, wissen wir. Wir haben vielleicht weniger geheult, aber wir haben mehr gearbeitet, und wir wünschen nichts sehnlicher, als die Früchte dieser Arbeit aufzeigen zu können und zu messen mit den Leistungen der anderen. Die Herren machen sich ja ungeheuer mausig, da sollten sie doch nicht vergessen, diese deutschen Parteien, daß nach den vereinigten christlichsozialen und konservativen Parteien, also aller Parteien schwarzer Couleur, gleich die Sozialdemokraten kommen, also die weitaus größte deutsche Partei, hinter der lange, lange nichts kommt und schon beinahe überhaupt gar nichts(Heiterkeit.), bis endlich die Radikalen, die das Maul am vollsten nehmen. Solange es sich um daS Maulaufmachen handelt, solange können die Herren tun, als ob sie allein auf der Welt wären. Beim Weit- gesang tun wir nicht mit, wenn es auf die Arbeit im Parlament ankommt, wenn es auf die Arbeit und die Probe in der Wähler- .schaft ankommt, dann wird man uns wieder hören, und zwar so ündkich hören, wie man uns schon gehört hat, daß den Herren £ Atzm gMegavsen ist. Lebhafter Beifall.). Wir kvollen den Parteitag in d'er Uebekzeugung bögistnen, daß wir Rechenschaft ablegen vor dem gesamten Proletariat und daß wir diese Rechenschaft nicht zu scheuen haben. Wir wollen vor unsere Auftraggeber treten und ihnen sagen: Wir deutschen Sozialdemokraten haben im Bunde mit unseren Genossen der an- deren Nationen, die dieselben Kämpfe haben und mindestens so schwer wie wir. das Schwerste geleistet, eine Leistung, an der alle Nationen teilhaben: Auf dem Boden dieses vom Nationalitäten- Hader zerrissenen und erschütterten Parlaments haben wir einen Verband der sozialdemokratischen Abgeordneten hingestellt, der sich als der FelS des Parlaments, als die gemeinsame Fahne des Proletariats im Parlament erwiesen hat. Das ist eine Leistung, die unmöglich wäre, wenn unS nicht alle das große Ideal der politischen Solidarität erfüllen würde, das große'Ideal einer Ein- heit, die unverbrüchlich ist und unzerreißbar.(Stürmischer Bei- fall.) Gewiß, die nationalen Gegensätze sind da und wir sind die Letzten, vor dieser Tatsache den Blick zu verhüllen und uns blind zu stellen. Man kann nicht Dinge aus der Welt deklamieren, die die ganze Geschichte Oesterreichs bestimmen, aber diese Gegensätze sind ebensoviele Aufgaben für die Völker und sie sind zu lösen durch die Völker selbst. Wir sind der Ueberzeugung, daß man nur die Möglichkeit bieten müsse einer ernsten Verhandlung von Nation zu Nation und daß dann das große gemeinsame Interesse vor allem des Proletariats aller Nationen durchschlagen wird. Wir in Wien find Zeugen einer Episode, die Sie in Nordböhmen schon lange kennen und Sie haben gehört, daß es in den Straßen Wiens sehr aufgeregt war. Lassen Sie sich nicht allzu sehr täuschen, die Sache hat politisch nicht sehr viel zu bedeuten. Es ist ein Maßstab dafür, daß die Aufregung gewisse mittlere Kreise ergriffen hat, es ist ein Beweis, wie dumm und wie bar jeder Verantwortung unsere Deutschnationalen Politik machen, ein Beweis, daß. wenn es in Prag möglich ist, wehrlose Studenten zu prügeln, auch in Wien Leute, die sich deutsche Männer nennen, genau dasselbe und genau so bübisch verüben können. Aber glauben Sie nicht, daß diese Episoden bestimmend sein können für die Zukunft unserer nächsten Zeit. Wir wissen, daß es nicht leicht ist, in allen Einzelheiten der nationalen Fragen zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Aber es lebt doch in uns allen die feste Ueberzeugung, daß die Nationen in Oesterreich in Frieden zusammenleben müssen, wenn eS nicht zugrunde gehen soll. Besiegen läßt sich keine Nation, und weil keine die andere besiegen kann, müssen wir uns mit- einander vertragen.(Bravo !) Und ich glaube, daß die deutsch - österreichische Sozialdemokratie ihr gutes Teil dazu geleistet hat. Die Rechenschaft, die Ihre Vertrauensmänner Ihnen zu geben haben, löst sich auf in eine ganze Reihe von einzelnen Posten. Aber es gibt einen Gesamtposten, eine Endsumme und die ist be- zeichnet durch unser Parteiprogramm. Unser Programm schreibt uns vor, das Proletariat zu organisieren, es physisch und geistig zu heben, es geeignet zu machen, den Klassenkampf zu führen. An diesem höchsten Maßstab gemessen, können wir ruhig vor Sie hintreten, denn ich glaube, wir haben ein gut Teil dieser Aufgaben bereits erfüllt. Und in diesem Sinne sage ich: Vor- wärts, vorwärts zu neuen Kämpfen und Siegen. ES lebe die deutsch -österreichische Sozialdemokratie, die gesamte österreichische Sozialdemokratie und die internationale Sozialdemokratie über- Haupt!(Stürmischer Beifall!) Nachdem die Arbeiterchöre noch ein Lied gesungen hatten, erfolgte die Konstituierung deS Parteitages. Abg. Skaret be- grüßte namens der Parteivertretung die von den Bruderparteien entsendeten Vertreter(vom deutschen Parteivorstand sind Genosse Ebert und Genossin Zietz anwesend) und erklärt den Partei- tag für eröffnet. Zu Vorsitzenden werden einstimmig gewählt die Abgeordneten Genossen Perner st orfer, Schäfer und T o m s ch i k. Dann wird die Tagesordnung wie folgt festgesetzt: Berichte der Parteivertretung. Berichterstatter F. Skaret und Dr. W. Ellenbogen. Berichte der Kontrolle. Berichte über die Parlamentstätigkeit. Berichterstatter K. Seitz. Berichte über die Tätigkeit der Sozialdemo- kraten in den Landtagen. Berichterstatter H. R e s e l. Berichte über die Tätigkeit der Sozialdemokraten in der Gemeindevertretung. Berichterstatter L. W i- n a r S k i. Parteiorganisation Berichterstatter F. Skaret. Korreferent I. Seliger. Parteipresse. Be- richterstatter F. A u st e r l i tz und G. Emmerling. Wahl der Parteivertretung. Aeußere Politik und Rüstungen. Berichterstatter Dr. Viktor Adler . Indirekte Steuern und Lebensmittelteuerung. Bericht- erstatter Dr. K. Renner. Sozialversicherung. Be- richterstatter M. E l d er s ch und Adelheid Popp . � An die Eröffnung des Parteitages schloß sich ein Konzert. Die Verhandlungen beginnen Montag 9 Uhr. Hus der parte!* Die Parteitagsstadt der beutsch-österreichischeu Sozialdemokratie. Gleich dem Leipziger Parteitage tritt auch der heurige Partei- tag der deutsch -österreichischcn Sozialdemokratie auf parteihistori- schem Boden zusammen. Gilt Leipzig als die Wiege der deutschen Sozialdemokratie, so kann man Reichenbera als die Wiege der sozialdemokratischen Bewegung in Oesterreich ansehen. Hier gab es schon vor Beginn der modernen industriellen Entwicke- lung eine dank dem Blühen des Gewerbes etwas besser gestellte intelligente Arbeiterschicht, die T u ch m a ch e r g e h i l f e n, die sich schon frühzeitig für das politische und soziale Leben interessierten. Gefördert wurde dieses Interesse durch die Nähe des politisch leb- hafteren Deutschlands und durch das fleißige Wandern der Reichen- berger Tuchmachergesellen in den deutschen Landen und der Schweiz . Schon in den sechziger Jahren— die Reichenberger Tuchmacherei war damals noch teils Klemgewerbe, teils Manufaktur— kam es im Industriellen Bildungsverein zu heftigen Debatten und Streitig- ketten, die mft der Ausschließung der sozialistischen Mitglieder endeten. Diese gründeten den Fachverein der Hand- und Manu- fakturarbeiter, der viele Mitglieder gewann und eine lebhafte Tätigkeit entwickelte, bis er in der Reaktion der achtziger Jahre aufgelöst wurde. Eine der ältesten Organisationen Reichenbergs ist die heute noch bestehende Allgemoine Arbettrrkrankenkasse, die 1870 gegründet wurde und in der Reaktionsperiode die einzige Möglichkeit bot, in harmlosem Gewände für den Sozialismus zu agitieren. In den siebziger Jahren gab es hier die erste, macht- volle Demonstration, und zwar wegen der Verhaftung Andrea? ScheuS. der damals in Nordböhmen Versammlungen abhielt, auf dem iftcichenberger Marktplatze nahm Militär Aufstellung, und durch einen Schutz wurde ein ganz Unbeteiligter getötet. Blut floß auch 1890 in Dorsel bei Reichenberg, w die Gendarmen anläßlich eines Streiks in eine Menge von Männern, Frauen und Kindern schössen und drei Tote als Opfer fielen. Schon in den sieb- ziger Jahren wurde hier das erste Arbeiterblatt, der„Arbeiter- freund", gegründet, der acht Jahre lang erschien und in der Re. aktionsperiode dadurch unterdrückt wurde, daß jeder Genosse, der ihn verantwortlich zeichnete, sofort nach der ersten Nummer v e r- haftet und dem Prager LondeSgerichte eingeliefert wurde. In dieser Zeit wurden aus Reichenbery und dem übrigen Nordböhmen eine ganze Menge Genossen nach Prag geschafft, wo die meisten unter dem� Verdachte der Geheimbündelei monatelang in Unter- suchungshaft sitzen mutzten, um dann entweder freigesprochen oder zu geringen Strafen verurteilt zu werden. Die achtziger Jahre waren auch bekanntlich die Jahre der Spaltung der österreichischen Genossen, und auch in Reichcnberg gab es damals„Radikale" und „Gemähigte". Zu der Zeit wurde hier das zweite Arbeiterblatt, „Der Radikale", herausgegeben, dessen Redakteur der unvergeßliche Agitator und Arbeiterdichter Josef Schiller(Schiller-Sepp) war. In Reichenberg weilte in den siebziger Jahren auch August Bebel ; auf einer Wiese, in aller Heinilichkeit, hielt er eine Be- sprechung mit mehreren Genossen ab, die zur Akzeptierung des Programms der„Eisenacher". führte. Bemerkenswert ist auch, dsb der.heurige Parteitag schon der dritte ist,, der in Aeichenberg stattfinde?. Freilich sahen seine beiden Vorkäufek ganz anders aus. In den siebziger Jahren versammelten sich zweimal Genossen aus Böhmen , Mähren , Wien und Steiermark in der Nähe von Reichenberg zu„Parteitagen". Der erste fand am Jaberlicheu Berge in einem Walde statt, der mit einer Postenkette von Spähern, mit Fernrohren bewaffnet, umstellt war; denn dir Entdeckung hätte den Teilnehmern wohl schwere Strafen gebracht. Der zweite „Parteitag" tagte im Jahre 1879 vor Hainfeld in der Wohnung eines Parteigenossen in Harzdorf bei Reichenberg . Auch jene bekannten ersten primitiven Anfänge der Arbeiter- betvegung, die in Verzweiflungsakten bestanden, sah Reichende rg schon: Im Jahre 1844 durchzog eine Schar hungernder Arbeiter das Katharinenberger Tal, bis sie vor den Toren der Stadt durch die bewaffnete Macht aufgehalten wurde; aus ihrem Wege demolierten die verzweifelten Arbeiter überall die neuen Maschinen.... In den Jahren bis 1905 versetzte die nordböhmische Bewegung die Genossen anderer Gegenden oft durch ihre Stagnation und durch ihren kleinbürgerlichen Charakter in Staunen, hat doch die moderne Gewerkschaftsorganisation erst seit fünf Jahren die so sclbstverständ- liche dominierende Stellung in Nordböhmen inne. Dieses Rätsel löst uns die Betrachtung der österreichischen Verhältnisse. Die ersten Sozialdemokraten Reichenbergs waren Gesellen eines Ge- werbes, das damals noch beinahe zunftmätzig organisiert war. Tie moderne Industrie aber entwickelte sich in ganz Nordböhmen nur langsam und allmählich auf den Trümmern der zugrunde gehenden und zum größten Teile schon zugrunde gegangenen Hausindustrie. Ausgehungerte Handwerker und ihre Nachkommen waren das erste und hauptsächlichste Arbeitermaterial dieser Industrie. In diesem Milieu entwickelte sich«in kleinbürgerlicher Gefühls- und Arme- Leute-Sozialismus, der erst in den letzten Jahren dank der rapiden industriellen EntWickelung während der Hochkonjunktur überwunden und durch daS ökonomisch-historische Denken ersetzt wurde. Organi- satorisch kam dies im Verschwinden der alten Äildungsvereine und im Aufschwung der modernen Gewerkschaftsbewegung zum Ausdruck. Der württembergische Hofgang. Die im Parteitagsberichte vom Sonnabend erwähnte Erklärung des Genossen Dr. Linde mann lautet wörtlich: Stuttgart-Degerloch, 10. Sept. 1909. Herrn Paul Singer. Vorsitzenden des Parteitags der sozialdemo- kratischen Partei Deutschlands , Leipzig . Werter Genossel AuS der Presse sehe ich. daß von Beteiligten, deren Namen aus dem Bericht nicht ersichtlich sind, eine Erklärung über ihr- Teilnahme an dem Ausflug des württembergischen Landtages nach Friedrichshafen auf dem Parteitage abgegeben worden ist. Ich bin dieser Erflärung sowie den von Ihnen daran ge- knüpften Ausführungen gegenüber verpflichtet, festzustellen. daß mir diese Erklärung nicht vorgelegen hat, daher auch nicht für mich abgegeben worden ist und in dieser Form von mir auch nicht abgegeben worden wäre. Ich bitte Sie. diesen Brief dem Parteitag mitzuteilen und ihn zu Protokoll des Parteitags geben zu wollen. Mit Parteigruß Lindemann. Genosse Lindemann hätte unseres Erachtens die Pflicht gehabt, sehr viel deutlicher zu werden. Aus dieser Erklärung ist nicht zn entnehmen, ob er in Zukunft vermeiden will, die Gefühle der Partei- genossen durch Hofgänge zu verletzen. Wird er darüber noch etwas verlauten lassen? poHzeUlebest Oenchtlichcs ufw. Drei Prozesse. Die„Breslauer Volkswach t" hatte in zwei Tagen drei Prozesse zu bestehen. Der Waldenburger Bergwerksdirekwr Müller war in einem Artikel als der Hauptschuldige an der Typhus - epidemie in Altwasser bezeichnet worden. Er fühlte sich beleidigt und strengte«ine Privatllage an. Der verklagte Redakteur, Genosse Schiller , wollte den Wahrheitsbeweis erbringen und beantragte die Ladung von 15 Zeugen. Das Schöffengericht in Waldenburg lehnte die Ladung sämtlicher Zeugen ab und er- kannte ohne Beweisaufnahme auf eine Geldstrafe von 300 M. Bei dem Frühjahrsersatzgeschäft in Gräbschen bei BreS- l a u hatte ein Gendarm einen Gestellungspflichtigen mit einem scharfen Säbel arg am Kopfe zugerichtet. Die ..VolkSwacht" bezeichnete das Borgehen als gesetzwidrig; die BreS- lauer Strafkammer hielt aber die Säbelhauerei als„in recht- mäßiger Ausübung des Amtes" erfolgt und verurteilte den Ge- Nossen Schiller zu 100 M. Geldstrafe. In Domb(Oberschlesien ) erschien ein Polizist am Abend vor dem Bußtage in einem Lokal, in dem eine Hochzeit gefeiert wurde. Er zog den Säbel und forderte die Teilnehmer zum Verlassen des Lokals auf. Der Amtsvorsteher erwiderte auf die sofortige Be- schwcrde, daß der Beamte gar keinen Auftrag gehabt habe, sich um die Hochzeit zu kümmern, und er erlaubte die Fortsetzung der ?:eier. — Weil die„Volkswacht" der Meinung war, der Polizist ätte kein Recht gehabt, sich so zu benehmen, wurde Genosse Wolfs zu 50 M. Geld st rase verurteilt. Der Staatsanwalt hatte eine Woche Gefängnis beantragt. Gericktg-�eitimg. Versuchter Mord? Vor dem Schwurgericht des Landgerichts I hatte sich die Stepperin Agnes Kienast gestern wegen angeblichen versuchten Mordes zu verantworten. Die Angeklagte, die gestern 20 Jahre alt wurde, ist angeschuldigt, am 6. Juni auf ihren Geliebten, den 19 Jahre alten Mitfahrer Otto Siebert, mit dem sie zusammen- lebte und der der Vater ihres Kindes ist, drei Revolverschüsse ab- gegeben zu haben, von denen der eine den Siebert in die linke Halsseite traf und ihn schwer verwundete. Die Angeklagte lernte den Bierfahrcr Otto Siebert kennen, sie trat zu ihm in intime Be» ziehungen und wurde durch ihn Mutter eines kleinen Mädchen?. Die beiden jungen Leute nahmen eine gemeinsame Wohnung, die in der Palisadenstraße 09 auf den Namen der Angeklagten ge- mietet worden war. Es kam dann bei den jungen Leuten zu Zwistigkeiten, die aus nichtigen Ursachen, Eifersüchteleien und inanziellen Dingen entsprangen. Siebert ging seine eigenen Wege und erhielt von der Angeklagten mehrfach Vorwürfe darüber. daß er so oft erst spät abends nach Hause kam und mit anderen Mädchen Verkehr hatte. Im Anschluß an solche Vorwürfe kam es auch mehrfach zu Tätlichkeiten des Siebert, der ihr bei solchen Ge- legenhetten vorzuhalten pflegte, daß sie schon vor ihm Umgang mit Männern gehabt und aus einem solchen Verhältnis ja ein Kind habe. Am 31. Mai, dem Pfingstmontage, kam es zu einem neuen Zerwürfnis zwischen beiden, wobei eine eifersüchtige Regung der Angeklagten eine Rolle spielte. An den nächstfolgenden Tagen ähen sich beide kaum. Siebert ging in aller Früh« aus dem Haus» und kehrte erst spät abends, wenn die Angeklagte schon 'chlief, wieder heim. Am 3. Juni hatte Siebert Geburtstag und gerade an diesem Tage kehrte er überhaupt nicht in die gemein- 'chaftliche Wohnung zurück, sondern feierte abends den Tag in einem Schanklokal in Gesellschaft mit anderen Leuten. Stöbert wollte dann die Angeklagte ganz verlassen und mietete sich eine Schlafstelle. Am 4. Juni erschien er in der Wohnung der An- geklagten, um seine Sachen abzuholen. Sie wurden ihm zunächst verweigert, denn die Angeklagte verlangte noch Pslegegeld für das Kind und die Rückgabe einer kleinen Geldsumme, die sie ihm ge- liehen hatte. Am 0. Juni, einem Sonntag, erschien Siebert wieder bei ihr, brachte ihr seinen Beitrag zum Pslegegeld und verlangte einen Anzug, der noch in der Wohnung sein mußte. Bei den Aus- einandersctzungen hierüber ergriff die Angeklagte plötzlich einen von ihr wenige Tage vorher angekauften Revolver, dessen fünf Läufe geladen waren, und richtete ihn auf Siebert. Zwei Schüsse gingen feil, eine Kugel aber ging in de» Hals des Siebert, der
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