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Nr. 107.

Erscheint täglich außer Montags. Brets pränumerando: Biertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Bfg fret in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Numm mit illuftr. Sonntags- Beilage, Neue Welt" 10 Pfg. Boft- Abonnement: 8,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz­cand: Deutschland u. Defterreich­ngarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. In der Post- Zeitungs- Breislifte für 1893 unter Nr. 6708.

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10. Jahrg.

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum Bfg., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 Pig Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Ervedition ist an Wochens tagen bis 7 Unr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Bors mittags geöffnet.

fernfpred- Anschlu 3mt 1, Nr. 4186.

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Parteigenossen! Wähler!

Die Würfel sind gefallen.

Sonntag, den 7. Mai 1893.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Parteigenossen! Wähler! Auf zum Kampf! Und da ab wie die Kurse der Spekulationspapiere an der Börse, jeder von Euch seine Pflicht thun wird, so können wir oder der Wetten auf die verschiedenen Pferde bei einem Wettrennen. stolzen Muthes rufen: Auf zum Siege!

Hoch die Sozialdemokratie!

Berlin , 6. Mai 1893.

Auer. Bebel. Birk. Blos. Bock. Bruhus. Diet.

Wochen und monatelang haben die herrschenden Par­teien hinter den Koulissen ihr Interessenspiel getrieben. Die Furcht vor den Wählern hat schließlich die Mehrheit der Dreesbach. Förster. Frohmne. Geyer. Grillenberger. Harm. Bourgeoisvertreter verhindert, der Militärvorlage zuzu- Meister. Metzger. Molkenbuhr. Schippel. A. Schmidt. Heine. Hickel. Hofmann. Jöst. Kunert. Liebknecht. stimmen, welche die auf den Schultern des arbeitenden Volkes W. Schmidt. Schulze. Schumacher. Schwarz. Seifert. laftenden Gut und Blutsteuern ins Unerträgliche zu Singer. Stadthagen . Stolle. Tuzauer. Ullrich. steigern drohte. Mit 210 gegen 162 Stimmen wurde in Vollmar. Wurm. namentlicher Abstimmung der Kompromißantrag Huene ab­gelehnt; und damit war auch die ganze Regierungsvorlage zu Falle gebracht.

Die Antwort der Regierung war die sofortige Auflösung des Reichstages. Und diese Antwort richtet sich unmittelbar gegen das Volk, dessen Willen der Reichstag nur gezwungen Ausdruck gab.

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Endlich!

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Unwillkürlich wird man an die Worte des Numidier­tönigs Jugurtha erinnert, der, nachdem er in Rom Gerechtig feit gesucht und Korruption und Wortbruch gefunden hatte, heimkehrend angesichts der im Abenddunkel verschwindenden brach: O urbs venalis! O du Stadt des Schachers und des Feilschens!

Weltherrscherin Roma in den verachtungsvollen Ruf aus­

Und geschachert und gefeilscht ward bis zum letzten Moment.

Gestern Abend hielten die ehrlichen Makler das Ge­schäft für perfekt. Zweijährige Dienstzeit und Huene'scher Vorschlag". Die Freifinnigen waren bereit, in den Pott des Rompromisses zu steigen. Allein ganz unerwarteter Weise empfanden die zartfühlenden Konservativen Gewissensskrupel -die zweijährige Dienstzeit geht ihnen wider den Strich. Aber werden sie sich nicht fügen?

Um ein Uhr trat der Bundesrath zu einer kurzen Sigung zusammen und beschloß formell die längst be­schlossene Auflösung des Reichstages für den Fall der Ab­lehnung.

Berlin , den 6. Mai. Endlich die Entscheidung- wenigstens die vorläufige. Die Militärvorlage ist abgelehnt, der Reichstag ist auf gelöst; und durch eine Fronie des Zufalls auf den Tag An Euch, Parteigenossen, Wähler, ist es nun, dem drei Jahre nach seinem Zusammentritt. Der erste auf Und der Beschluß ward sofort brühwarm dem Reichs­Willen der Regierung Euren Willen, den Volkswillen fünf Jahre gewählte Reichstag hat also genau drei Jahre tag zur Kenntniß gebracht und als Damoklesschwert aufgehängt, entgegenzusetzen. D gedauert gleich den früheren Reichstagen. Und das mit dem freundlichen Bedeuten, daß die Regierung es gern Die Parteivertreter sind in diesem Kampf unserm Pro- Kartell des 1887er Faschings. Reichstags, das auf die sehen würde, wenn der Reichstag sich vollständig aus­weanbatsverlängerung und die fünfjährigen Legislatur fprechen" und erst am Dienstag zur Abstimmung gelangen gramm und ihrem den Wählern gegebenen Versprechen treu perioden so hohen Werth legte, hat in diesem wie in würde. Das wären drei Tage gewonnen für das Kom­geblieben. Alle waren zur Stelle, Mann für Mann haben anderen Punkten pro nihilo umfonft- gearbeitet. promißspiel, und die Verhandlungen des Reichstags würden wir in namentlicher Abstimmung die Militärvorlage ver- Die heutige letzte Sigung des Reichstags trug im An- zur schmählichsten Farce was den Freunden des worfen. Wir treten in die Reihen der kämpfenden Ge- fang noch ganz den Charakter der Komödie, zu der auch die Militarismus und den Feinden der Volksvertretung recht nossen in dem Bewußtsein zurück, unsere Pflicht gegen die zweite Lesung der Militärvorlage im Plenum sich gestaltet nüßlich und angenehm wäre. hat. Während dieser ganzen viertägigen Debatte wurde Die Gegner der Militärvorlage begreifen dies fie Partei, gegen die arbeitende Klasse, gegen unsere Wähler ein Doppelspiel gespieltein Doppelspiel in jedem Sinne wollen kein längeres Hinausschieben der Entscheidung: ein erfüllt zu haben. des Wortesein Doppelspiel zur Täuschung des Volkes Schlußantrag wird am 2 Uhr eingebracht, dem Herr und zwei Spiele zu gleicher Zeit. Eins vor und eins von Stumm und die Nationalliberalen, gefällig nach oben hinter den Koulissen. Vor den Koulissen Komödie, hinter wie immer, einen Bertagungsantrag entgegenstellen. den Koulissen die Handlung das Handeln, der Handel, Der Vertagungsantrag wird abgelehnt der Schluß­der Kuhhandel. antrag mit großer Mehrheit angenommen. Der Faden der Reden wurden heute von niemandem mehr angehört. Kompromißverhandlungen ist abgeschnitten. Durch ein Was konnte man noch von einem Redner erfahren? Was Kunststück soll die Wiederaufnahme der Debatte ermöglicht man erfahren wollte, das tam nicht auf die Tribüne werden, doch es mißlingt. Das Haus athmet erleichtert bes Reichstags- das versteckte sich in den Gruppen, welche auf mit Ausnahme der Kompromißwüthigsten ist einem hie und da, durch gedämpften Ton der Unterhaltung das jeden dieses unwürdige Hinausschieben zum Etel geworden. Seikle des Gesprächs andeutend, in dem Wandelgange des Es ist halb drei. Der Referent Gröber berichtet kurz Reichstags auftauchten und meist in den behaglichen über die eingelaufenen Petitionen betreffs der Militär­Räumen der Restauration verschwanden. Niemals soll dort vorlage, und die entscheidende Abstimmung über§ 1 des so viel Champagner geflossen sein, wie in den legten vier Antrags Huene beginnt. Die Abstimmung ist namentlich. Tagen. Denn ein Handel will begossen sein das ist ein Tiefste Ruhe herrscht in dem eben noch so unaufmerksamen alter Spruch und alte Jahrmarktsjitte. Hause. Jaja nein, nein ja, nein, nein. Es ist bald zu erkennen, daß die Nein! zahlreicher sind, als die Ja!

Ernst wird der Kampf sein, den durchzukämpfen wir Alle am Donnerstag, den 15. Juni berufen sind. Nicht um die Militärvorlage allein wird es in dem neuen Reichstag sich handeln, sondern- darüber müssen wir uns klar sein die Grundrechte des Boltes, vor allem das allgemeine Wahlrecht, find in Gefahr. Das herrschende System, die Interessen der Besitzenden drängen nach ihrer Beseitigung.

Parteigenossen! Wähler! Wir sind fest davon über zeugt, daß Ihr mit ganzer Kraft in den Kampf eintreten werdet; wir fordern Euch daher auf, ungesäumt die letzte Hand an die Organisation des Wahlkampfes zu legen und namentlich auch dafür zu sorgen, daß die für diesen Rampf erforderlichen Mittel in aus reichendem Maße zur Verfügung stehen.

Feuilleton.

Natbrudt verboten.)

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Das Schachern hört in den ersten Stunden der Sigung feinen Augenblick auf und jeden Augenblick schießen andere Gerüchte empor, verschiebt sich das Bild der Situation. Die Kurse der Auflösung oder Annahme schwanken auf und

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Bald ist kein Zweifel: die Militärvorlage wird fallen für jezt. Um drei Uhr ist die Abstimmung beendigt.

er empfinden würde, wenn er feine Aussicht schmerzte ihn, daß Tanja seinem Benehmen eine solche mehr hätte, sie zu sehen. Hatte sie ihn nicht gebeten Deutung geben konnte. Aber warum sollte er sie zurecht­zu kommen? Warum sollte er allzu ängstlich sein? weisen? Warum ihr von seinen inneren Kämpfen erzählen? Er mußte und wollte dieses Antlig sehen, diese Stimme Es muß Deiner Angelegenheit zuzuschreiben sein," noch einmal hören. Sie wußten beide, daß gegen das Un Er nickte schweigend.

Die Laufbahn eines Nihilisten. vermeidliche kein Heilmittel bestand. Sie würden sich gegen­

Von S. Stepniat. Autorisirte Uebersegung.

feitig nicht umsonst quälen. Er war entschlossen, so ruhig wie möglich zu sein.

Dies war wohl auch die Ursache der Zurückhaltung und Steifheit in seinem Gesichte, als er Tanja drei Tage nach dem Zusammentreffen im Hauptquartier besuchte. Es war Vormittag.

Frei ins Deutsche übertragen von Bertha Braun. Als der verhängnißvolle Moment herannahte, entwickelte das Bewußtsein der bevorstehenden Selbstaufopferung In ihrer neuen Wohnung konnte er sie entweder Bor­die Selbstliebe in ihm immer stärker. Der Abscheu vor dem Mittags gegen zwölf Uhr oder Abends um die Dunkelheit Tode wurzelt so stark in jedem Menschen, daß ihn wenige selbst besuchen. Er wählte den Vormittag. in Momenten großer geistiger Erregung ganz überwinden Tanja eilte ihm entgegen, hielt aber abgestoßen und können. Um diesen mächtigen Instinkt siegreich bei faltem erschreckt durch den steinernen Ausdruck seines Gesichtes, Blute zu bekämpfen, um ihn leichter zurückweisen, um ihn den fie nie zuvor bemerkt hatte, inne. Warum sollte sie Woche auf Woche in jeder Stimmung und bei jeder Ver- fich aber darum kümmern? In der nächsten Minute warf suchung unterdrücken und niederhalten zu können, muß der sie sich ihm um den Hals, streichelte ihn, blickte ihm liebend Schwung des Enthusiasmus von einer gestählten Vernunft in die Augen, entschlossen, die Schwermuth, die auf seiner gestützt werden. Stirn lag, zu verscheuchen. Andrej, der von Natur sehr nüchtern und keine Warum tamst Du nicht gestern oder vorgestern?" enthusiastische Seele war, bemühte sich instinktiv, alles fragte sie freundlich. Ich erwartete Dich. Diese über­31 meiden, was seine Energie schwächen und ihm große Vorsicht hättest Du einmal lassen können"... fügte erschweren könnte, die Selbstbeherrschung zu wahren. fie fast vorwurfsvoll hinzu.

Er sah voraus, was ihn der Abschied von Tanja kosten Sie fonnte dies nicht zurückhalten, obgleich sie sich be­würde, und er hatte schon den Gedanken erwogen, ob er eilte den Worten durch ein Lächeln den Stachel zu nehmen. ihr nicht sagen lassen solle, daß er gar nicht kommen würde. Die Worte entschlüpften ihr unwillkürlich. Sie war so Es würde für sie beide besser sein, wenn sie die Abschieds- enttäuscht, daß Andrej ihren letzten Wunsch unberück­Szene vermieden. Er zweifelte nicht, daß sie ihn verstehen sichtigt gelassen hatte.

und ihm vergeben würde. Jm legten Moment aber gab er Andrej schüttelte den Kopf und sagte kurz, daß es nicht nach. Er stellte sich die Reue zu lebhaft vor, die übergroße Borsicht gewesen, die ibn zurückgehalten. Es

errieth Tanja.

Nun wußte sie, daß die Sache beständig fortschritt und daß dies ihre legte Zusammenkunft war. Sie fentte das Haupt. Aber ihre kurze Bemerkung war für Andrej wie ein Stoß, der einen auf den Schienen stehenden Wagen in Bewegung setzt. Er begann von dem Anschlag zu sprechen.

zusammengefügt, daß es nicht mißlingen fann." Er plauderte Alles ist bereits festgefeßt," sagte er, und alles so gut weiter, als ob dies das heiterste Thema für beide wäre. zählte, wie sie es anstellen würden, um den Schwarm von Er ließ sich auf kleine Beschreibungen des Planes ein, er­zählte, wie sie es anstellen würden, um den Schwarm von Schergen, die den Zaren bei seinem Morgenspaziergange um den Palast von allen Seiten umgeben, zu durchbrechen, wie er sich bis zum letzten Moment vom Schauplage ferne halten würde, dann erwähnte er die kleinen Kuiffe, welche er sich ausgesonnen hatte, um der Verhaftung zu ent gehen, bevor er dem Zaren gegenüber stehen würde.

Tanja zog sich ein wenig zurück und blickte ihn erstaunt an. Sie horchte gar nicht auf seine Erzählung und beob achtete ihn nur immer mit weitgeöffneten Augen.

Als Andrej in seiner umständlichen Erzählung fort­fuhr, wuchs ihre Verwunderung noch mehr. Warum er zählte er ihr das Alles? Es schien ihn selbst zu ermüden, denn der Klang seiner Stimme war trocken und eintönig. Sein Gesicht trug den harten Ausdruck, der sie bei seinem Eintreten befremdet hatte, nur tam er ibr jetzt noch ver­