tragt der Tarif der Regierung einen unsozialen Charakter, weil er in den unteren und noch in den mittleren Einlommcn zu hoch und in den großen Einkommen zu nieder sei. Die Sozialdemo- kraten begrüßen die Steuervergünstigungen. Diese können aber die Ungerechtigkeiten des Tarifs nicht ans der Welt schaffen. Der Tarif müsse bis 1200 M. ganz bedeutend und zlvischen 1200 und 4000 noch wesentlich ermäßigt werden. Oben müsse er anstatt aus ö Proz. bis auf 6 Proz. gehen. Dadurch und durch eine baherischeErbschaftssteuer würde der unten entstehende Ausfall gedeckt werden können. Um die Abwanderung des Kapitals und der Industrie aus einem Bundesstaat mit höherer in einen solchen nrit niedrigerer Besteuerung zu verhindern, wäre eine Reichsgesell schafts st euer einzuführen, deren Erträgnis zu einem bestimmten Teil« an die Bundesstaaten abzuliefern wäre. Nachdem der Minister noch für seinen Tarif wesentlich mit den- selben Gründen, die Dr. Heim schon entwickelte, eingetreten, wird nach Ablehnung aller anderen Vorschläge der Tarif der Regierung gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und vereinzelter Mit- glieder des.geeinten" Liberalismus angenommen. Vom Lehrermangel im Osten. Der chronische Lehrermangel, der seit Jahren in den von der Regierung überreichlich subventionierten Ostprovinzen herrscht, wird durch die im Monat Oktober veröffentlichten Ausschreibungen besonders grell illustriert. Danach sind im Regierungsbezirk Posen allein 33 Lehrerstellen zu besetzen, und zwar 21 katholische und 12 evangelische. Die Freisinnige Vereinigung Sachsens zu den Stichwahlen. Die Freisinnige Vereinigung in Sachsen ist mit der Stichwahl- parole des Reichstagsabgeordneten Günther nicht einverstanden. Sie wünscht zwar, wie aus Dresden gemeldet wird, das Eintreten , für jeden liberalen Kandidaten, d. h. für die Nationalliberalen, will jedoch dort, wo Konservative und Sozial- demokraten sich gegenüberstehen, die Entscheidung den lokalen Organisationen überlassen. Zu einer energischen Bekämpfung der Konservativen kann sich also auch die Freisinnige Vereinigung nicht aufschwingen. Bequeme Stcucrcintreibung. ' Eine ganz neue und etwas eigentümliche Methodfe scheint man ilt einigen Teilen Preußens bei der Erhebung von Steuern ein- führen zu wollen. Der Oberbürgermeister von Köln hat bei dem Verein der Industriellen angefragt, ob seine Mitglieder geneigt wären, die Erhebung der Einkommensteuer für ihre Angestellten und Arbeiler zu besorgen. Der Herr Oberbürgermeister empfiehlt den Industriellen als bequemstes Verfahren, die fälligen Beträge einfach dom Gehalt oder Lohn einzubehalten. Eine recht eigenartige Zumulung. die zudem durchaus ungesetzlich ist. Dieses ungesetzliche Verfahren soll aber keineswegs neu sein. Wie behauptet wird, soll eine solche Art, die Einkomniensteuer ein- zutreiben, bereit« in der Praxis geübt werden, und zwar in Essen, Bochum , M.- Gladbach, Necklinghausen und Linden. In anderen Orten, z. B. Frankfurt a. M. und Halle, soll ein gleicher Versuch fehlgeschlagen sein. Auch die Kölner Industriellen haben das Er- suchen des Oberbürgermeisters abgelehnt. Aus den Gründen, die bei' den Kölner Industriellen zur Ab- lehnung geführt haben, geht jedoch hervor, daß man dem Ansinnen nicht deshalb nicht nachkommen will, weil es unstatthaft ist oder weil man nicht als Büttel de? SteuerfiSkuS fungieren will. Die Herren lehnten ab, teils weil sie ohnehin schon durch»sozial- politische" Aufgaben stark belastet seien, teils weil sie die Verant- Wartung scheuen. Bei dem starken Wechsel der Arbeiterschaft scheine, meinten sie, diese Einziehung der Steuer als unzweck- mäßig: auch wünschten die Angestellten und Arbeiter ein« solche Mitwirkung der Arbeitgeber nicht. Regelung der Beamten-Dienstreisen. Die vor längerer Zeit angekündigte Aenderung in der Zahlung von Reisekosten und Tagegelder an Beamte scheint jetzt greifbare Formen anzunehmen. Von der Regierung sind Grundsätze auf- gestellt worden, die als Unterlage für die einheitliche Regelung so» wohl im Reiche als auch in Preußen dienen sollen. Hierbei gilt als leitender Grundgedanke der, daß die Reisekosten nicht als Einnahmequelle anzusehen sind, sondern nur die Erstattung tatsächlich entstandener Auslagen zu erfolgen hat. Es sollen nur solche Dienstreisen gemacht werden, die unbedingt erforderlich sind. Da aber der Hauptzweck einer Dienstreise ist. die Beamten mit Land und Leuten bekannt zu machen, ihren Blick für die Wirklichkeit der Dinge zu schärfen und das Arbeiten vom grünen Tisch zu ver- hindern, so soll darauf gesehen werden, daß dieser Zweck nicht ver» kürzt wird. An Stelle der Kostenerstattung soll bei den Beamten, die häufiger oder in bestimmtem Turnus Dienstreisen auszuführen haben, wie Richter, Gerichtsschreiber. Gefängnisbcamte. Landmesser usw., die Pauschalierung treten.— Die'Tagegelder sollen in der alten Höhe bestehen bleiben. Bei Kilometergeldern werden die geltenden Sätze herabgesetzt und die Beträge nur für die Wagenklasse gezahlt, die der Beamte— laut Ausweis— benutzt hat. Man hofft, durch die Neuregelung in Zukunft Geld sparen zu können, namentlich bei der Justizverwaltung, wo heute ein Amts- richter für einen Termin in einer Nachbarstadt seines Dienstortes, der mit Hin- und Rückreise drei Stunden in Anspruch nimmt, 20 M. liquidieren darf, während seine Unkosten 3—4 M. betragen. Das Ende einer Terrorismusgcschichte. Im Dezember vorigen Jahres erzählte die bürgerliche Presse einen Fall von sozialdemokratischem Terrorismus aus O st e r- Wieck a. H.. Dort hatte sich der ööjährige Handschuhmacher Stöter erschossen, und nun wurde behauptet, seine Arbeitskollegen hätten ihn i n d e n T o d g e h e tz t. Stöter, ein solider, strebsamer Mann, der sich von allen„parteipolitischen Hetzereien" ferngehalten habe, sei von seinen Mitarbeitern wegen seiner Zugehörigkeit zum Kriegerverein und wegen seiner Eigenschaft als kirchlicher Ge- meindeverordneter fortioährend in systematischer Weise gehänselt worden. Das habe er sich schließlich so zu Herzen genommen, daß er seinem Leben ein Ende gemacht habe. Von der Parteipressc wurde damals sofort diese Geschichte als Schlvindel bezeichnet. Die Mitarbeiter des Lebensüberdrüssigen wollten den unberechtigten Vorwurf jedoch nicht auf sich sitzen und sechs von ihnen strengten Privatklage gegen den Redakteur Zickfeldt von der„Jlse-Zeitung" in Osterwieck und den Redakteur Äamecke vom„Ouedlinburger Kreisblatt" an. Am Donnerstag hatte sich das SchöffengerichtinOsterwieckmitder Klage zu beschäftigen. Von den Beklagten war eine große Anzahl von Zeugen geladen worden, darunter ein Pastor und ein Polizei- kommissar, die die Wahrheit der Terrorismusgeschichte bekunden sollten. Aber nicht einer vermochte belastendes vorzubringen. Der Redakteur Zickfeldt, im Nebenamt Stadtverordneter, Mitglied des Vorstandes des Kreiskriegerbundes und Mitglied eines reichs» treuen Vereins, hatte auf Grund polizeilicher Informationen den Terrorismusartikel in die Welt gesetzt, den die Witwe des Stöter und der Pastor Möller begutachteten und für sehr gut befanden. Nichts aber konnte vor Gericht für die Wahrheit des Artikels vor» gebracht werden. Festgestellt wurde nur, daß der„Terrorisierte" vor Jahren auS dem Kriegerverein— hinausgeworfen worden war. weil er sozialdemokratisch gewählt hatte! Weder der Werkführer, der zwölf Jahre mit Stöter zu- sammen in einer Werkstatt arbeitete, noch der Unternehmer, noch sonst irgend jemand wußte«ine Tatsache dafür anzuführen, daß Stöter verhöhnt oder gehänselt worden sei. Welcher Art aber seine Geistes- Verfassung kurz vor seinem Tode war, mag die Tatsache illustrieren, daß er sich in einer Nacht dreimal kalt abgewaschen hatte, um den Teufel aus sich herauszutreiben! Er hatte in der letzten Zeit seines Lebens mit seinen sehr frommen Angehörigen häufig abends die Zusammenkünfte des Evangelischen Jünglings- Vereins besucht. Unwidersprochen blieb in der Verhandlung, daß man auf dem Polizeiamt einem der klagenden Handschuh- macher höhnisch gesagt hatte:„Jetzt haben wir mal was, womit wir den Sozialdemokraten tüchtig eins auswischen können!" Und der Ausgang? Die beiden Redakteure wurden wegen Beleidigung zu je 40 Mark Geldstrafe verurteilt. Der Beweis, die Kläger hätten den Verstorbenen systematisch in den Tod gehetzt, hätte nicht erbracht werden können. Der Handschuh- macher Seeger, einer der Kläger , der seiner Entrüstung über den Fall in allzu deutlicher Weise Ausdruck gegeben hatte, wurde aus Grund einer Widerklage zu 10 M. Geldstrafe verurteilt. Ein unersetzlicher Verlust. Die Deutsche Refonnpartei hat ihre geistige Größe verloren. Der Reichstagsabgeordnete Bruhn hat nämlich sein Hospitanten- Verhältnis zu dieser Partei gelöst. Da Bindewald und Gabel wegen der Zugehörigkeit Bruhns zur Fraktion bereits früher ausgeschieden waren, so zählt die Fraktion zurzeit nur drei Mitglieder ün Reichs- tage: Gräfe(Sachsen ), Werner und Zimmermann. Ein„bestürzter" Unteroffizier. Vor dem Obcrkriegsgericht des s. Armeekorps(Altona ) hatte sich am Freitag der Unteroffizier Karl Scharnberg von der 1. Schwadron des mecklenburgischen Dragoncr-RegimentS Nr. 13 loegen Feigheit im Dienste zu veramworten. Die Vorinstanz Halle den Angeklagten sowohl von der Anklage der Feigheit als auch von der Anklage der fahrlässigen Tötung frei- gesprochen. Soweit Freisprechung bezüglich der Fe i g h c i t in Frage kommt, hat der Gerichtsherr Berufuug eingelcpt. Der An- geklagte war von seinem EskadronSchef zum Schlvimmlehrer ernannt worden, und am 24. Juni d. I. unterwies er Leute des ersten Jahrganges in der äußerst primitiven Schwimmanstalt zu Parchim ini Schwimmen. Den Rekruten I ü r s ließ er an der Leine kopfüber ins Wasser springen, wobei die Leine riß und der des SchwimmenS noch unkundige Mann unter Wasser sank: er tauchte zwar noch einmal empor, ging dann aber gleich wieder unter. Der Schwimmlehrer sprang nun nicht etwa selbst sofort nach, um den Untergegangenen zu erfassen, sondern er zog es vor. einen Gefreiten, der selbst einen Soldalen an der Leine halte, und Rekruten>Freischw>mmer) zur Rettung herbeizurufen, wodurch selbst- verständlich Zeit verloren ging. Die Rekruten sprangen auch sofort ins Wasser und tauchten unter, aber JürS entglitt ihren Händen. Endlich, nach etwa 1ö Miiiute», wurde JürS aufs Trockene befördert. Er war bereits eine Leiche. Während der ganzen Rettungsaktion hatte sich der Unteroffier passiv verhalten und, wie die Zeugen bekunden, nicht das geringste unternommen, auch nicht einmal eine Stange ergriffen, um wenigstens am Rettungswerk mitzuwirken. Die fahrlässige Tötung wurde darin erblickt, daß der Unier- offizier es unterlassen hat, sich von dem Zustand der Leine zu über- zeugen. Der Angeklagte will nach dem Reißen der Leine total bestürzt gewesen sein, so daß er seinen Kops verloren hatte. Sei» Rittmeister stelltihm das Zeugnis eine? un- erschro'ckenen und schneidigen Reiters aus. Eine kaum glaubliche Schilderung wird von der Beschaffenheit der an einem Tümpel schmutzigen Wassers errichteten Badeanstalt gegeben. ES existieren dort weder Dienstvorschriften für Schwimmlehrer noch Verfügungen, wie bei Rettungsarbeiten in Unglücksfällen verfahren werden muß. Ein Schwimmlehrer erzählt dem anderen, wie man sich zu verhalten habe. Alles wird nach eigenem Gutdünken gemacht. Der Vertreter der Anklage ließ denn auch die Anllage wegen eigheit fallen und meint, eS liege nur eine Verletzung der ufsichtSpflicht gegen Untergebene vor, für die er eine Gefängnis« strafe von zwei Monaten für eine ausreichende Strafe hält. Das Gericht folgt hinsichtlich der Beurteilung der Straftat dem Ankläger, indem eS annimmt, daß der Angekloglc in Bestürzung und heftiger Gemütserregung gehandelt habe. Weiter kämen als strafmildernd die mangelhaften Einrichtungen der Badeanstalt zu Parchim in Betracht. Das Urteil lautet auf sechs Wochen Mittelarrest. Oesterreich. Tschechische Skandale. Wien , 29. Oktober. Abgeordnetenhaus. Bei Beginn der heutigen'Sitzung veranstalteten die T s ch e ch i s ch- R a d i- k a l e n eine lärmende Kundgebung gegen den Präsidenten Pattai wegen dessen Teilnahme an der gestern im Rathause stattgehabten Konferenz der deutschen Parteiführer. Nachdem während der Rede des Abgeordneten Renner über die Dringlich- kcit der Anträge betreffend die LebcnSmittelteuerung einige Ruhe eingetreten war, erneuerten die Tschcchisch-Radikalen ihre Kund» gebung beim Erscheinen des Ministers des Innern und deS Ministerpräsidenten. Abg. Dr. Renner wandte sich in feiner Rede gegen die jeder konstitutionellen Gepflogenheit wider- sprechende Teilnahme des Präsidenten des HauseS an der gestrigen Beratung der Parteien. Die dringendste Aufgabe deS Parlaments, erklärte der Redner sodann, sei es, der Lebens- mittelteucrung abzuhelfen. Präsident Dr. Pattai erwiderte, er beobachte als Präsident peinlichste Un Partei- l i ch k c i t, man könne aber nicht von ihm verlangen, daß er ein parteiloses Individuum werde. Das Abgeordnetenhaus verwicS die Anträge betreffend die Lebensmittelteuerung an eine Sonderkommission. Die nächste Ple» narsitzung wird, wie der Präsident mitteilte, guf.schriftlichem Wege einberufen werden. frankreick. Für die Proportionalwahl. Pari», 29. Oktober. Deputiertenkammer. Die Sozialisten Sem bat und JaureS sprachen heute für das Proportional» Wahlsystem. Jaurös erklärte, die Sozialisten würden sich, um eine Reform durchzusetzen, zu keiner Koalition mit den Parteien der Rechten hergeben. Cnglancl. Die Wahl von Bcrmoudsey. London , 23. Oktober. Bei der heutigen Unterhaus- Ersatzwahl ilt London - Bermondsey für den verstorbenen Liberalen Cooper wurde der U n i o n i st D u m p h r e y s mit 4278 Stimmen gewählt. Der Liberale Hughes erhielt 3291, der Sozialist Salter 1435 Stimmen. Bei der Wahl 1906 hatte der Liberale 4775 Stimmen. der Konservative 3016 Stimmen erhalten. Die starke Stimmenzunahme des Konservativen erregt den Jubel der konservativen Presse, die seine Wahl als Votum gegen das Budget feiern, oblvohl die liberalen und sozialistischen Anhänger zusammen genommen mit 4726 Stimmen die Majorität gegenüber dem gewählten Konservativen besitzen. In Wirklichkeit weist diese Wahl vor allem auf die Not- wendigkeit der Einführung von Stichwahlen hin. Die Etatberatung. Loudon, 29. Oktober. Tie Spezialberatung der Finanz- b il l ist heute abend beendet worden. Es ist an dem Gesetz- entwurf im Berichtsstadium keine wesentliche Aende- rung vorgenommen worden. Die dritte Lesung wird am S. November beginnen. Dänemark . Ohne Titel und Unisoruk» Ohne den Exzellenztitel und ohne Ministeruniform wollen die neuen radikalen Minister ihres Amtes walten. Das haben sie dem König schon gleich gesagt, und er soll sich auch damit einverstanden erklärt haben. In dieser Formsache, die ja allerdings nicht ohne prinzipielle demokratische Bedeutung ist, haben sie also bereits etwas erreicht. In einer großen Sache von praktischer Bc- dcutung sind ihnen jedoch von dem abgegangenen Ministerium gc- wissermaßen die Hände gebunden. Unsere Parteigenossen hatten bei den Verhandlungen im Folkething vorige Woche den Vorschlag gemacht, die Durchführung der neuen Militärgefetze mit Rücksicht auf die so außerordentlich klägliche Finanzlage des Landes vorläufig auszusetzen. Für diesen Vorschlag, der infolge der plötzlich eingetretenen Ministerkrise nicht erledigt wurde, hätten sicherlich auch die Radi- kalen gestimmt. Nun aber wäre es Aufgabe der neuen, dieser anti- militaristischen Partei angehörenden Regierungsmänner, jenem Vorschlage Geltung zu verschaffen. Aber der frühere Verteidi- gungsministcr Christensen hat kurz vor seinem Abgang durch Bestellung von Kriegsmaterial, Armee munition und Festungsarbeiten viele Millionen dermaßen festgelegt, daß der Staat nun dafür haftet, und der Graf Holstein, der ja nach Christcnsens Abgang dessen Amt provisorisch verwaltete, hat die beiden letzten Tage seiner Macht ausgenutzt, die Umordnung der Heeresverwaltung, die Verteilung t«r Truppen usw. der unmittelbaren Durchführung der neuen Militärgesetze anzupassen. Ueber die Ver- legung der Garnison wird bereits mit den in Frage kommenden Kommunen verhandelt. Die vom Ministerium eingesetzte Militär- kommission steht bereits mit dem Stadtrat von Nästved , einer sec- ländischen Kleinstadt, die mit Massen neuen Militärs beglückt wird, über den Bau einer Jnfanteriekascrne für 700 000 Kronen in Ver- Handlung, wie über die Anlegung eines großen Uebungsplatzes usw. Es ist eben zuguterletzt von den abgegangenen Ministern jener alten Linkenpartei, die auch die Herabsetzung der Militärausgaben auf ihrem Programm hat, alles, was möglich war, getan, damit dem Militarismus jener Millionenraub aus den Taschen des Volkes nicht entgeht, den«in undemokratisch zusammengesetzter Reichstag bewilligt hat. finnlanä. Im Kampfe qegen die russische Reaktion. Helsingfor», 26. Oktober. (Gig. Ber.) DerVorstandder finnischen sozialdemokratischen Arbeiter- Partei veröffentlicht einen Aufruf, in welchem das Prole- tariat Finnlands aufgefordert wird, für die bedrohte demokratische Verfassung des Landes und für seine politischen Freiheiten mutig und entschlossen einzutreten. Schon längst hat die russische Bureau- kratie— heißt es in dem Aufrufe— danach getrachtet, die Auto- nomie Finnlands und seine konstitutionellen Garantien zu ver- Nichten. Die feige Nachgiebigkeit der einheimischen Bourgeoisie hat dem Drängen der russischen Reaktion nur Vorschub geleistet. Jetzt, nachdem der Zarismus mit den blutigsten Repressalien die russische Freiheitsbewegung zeitweilig unterdrückt hat, rückt er gegen Finn- land vor. Die Grundrechte Finnlands werden in brutalster Weise verletzt: die gesetzgeberische Tätigkeit der finnischen Volksvertretung wird paralysiert, die Mittel für die finnische Volksaufklärung ver- weigert und die finnischen Staatsgelder für den Bedarf der rufst» scheu Armee und Flotte eigenmächtig geplündert. Gegen den Wort- laut der finnischen Grundgesetze und gegen den Willen des Volkes sind russische Staatsangehörige zu sinnischen Senatoren ernannt und weitere Gewalttaten stehen vor der Tür. Feinde ringsum I Denn auch die einheimischen Kapitalisten wollen die Rechte des Proletariats kürzen und drohen mit Aussperrungen und Lohn- crniedrigung. Auf den Schanzen für die bedrohte Freiheit, für die demokratisch� Verfassung, denn alles hängt jetzt ab vom Kampfes- mut und von der geschlossenen Solidarität des finnischen Prole- tariats! Der Partcivorstand warnt vor unbedachten Schritten, vor pro- vokatorischen Anzettelungen, und führt auS, daß der Protest des Proletariats im jetzigen Moment in gewaltigen Massendemo n- strationen sich äußern muß. Trotz der nahen Gefahr ist die Stimmung der Arbeiterschaft eine entschlossene. Am Sonntag, den 24. Oktober, wurde in H c l- singsors das erste Massenmeeting einberufen, auf welchem sich Taufende von Arbeitern eingefunden hatten, die im Kampfe für ihre Rechte nicht wanken und nicht weichen wollen. Auch von Vi borg wird über eine grandiose Volksversammlung gc- meldet und bald wird das ganze Land seinen unbeugsamen Willen kundgeben, SriecbenlanÄ. Militärische Revolution. In Griechenland ist es jetzt zum Ausbruch einer Militär- revolte gekommen. Aus Athen meldet der Telegraph: Marincofffzier T Y p a l d o s hat mit einem Torpedoboot und ungefähr dreihundert Mann das Arsenal von Salamis bc- setzt. Die Flotte liegt in dem benachbarten Hafen Kcratsini vor Anker. Die Regierung ergreift Gegen maßregeln; unter der Bevölkerung herrscht große Erregung. Den unmittelbaren Anlas; zu diesem revolutionären Schritt bot ein Konflikt, der zwischen der Regierung und den Offizieren schon seit einigen Tagen schwebte. Die Offiziere forderten, die älteren höheren Offiziere, die nicht aus den Schulen hervorgegangen seien, sollten entlassen werden. Diese Forderung wurde abgelehnt, jedoch versprach die Regierung, einen Gesetzentwurs vorzulegen, der die Altersgrenze herab- setzt. Damit aber waren die Offiziere nicht zufrieden. Aller- dings scheint Thpaldos auf eigene Faust gehandelt zu haben, wie aus folgender Meldung hervorgeht: Athen , 29. Oktober. Die Militärliga veröffentlicht ein Commimiqnö. in dem eS heißt: Das Mitglied der Liga, Kapitän TypaldoS, hat unter Verletzung seines Eides von der Liga verlangt, bei der Regierung durchzusetzen, daß sie der Kammer einen Gesetzentwurf betreffend die Reinigung der Marine- Verwaltung vorlege, ohne die Initiative des MarineministerS abzuwarten. Kapitän TypaldoS hat kategorisch erklärt, daß er selbst zum Marineminister ernannt werden wolle, um die Verbesserung der Marine energischer und wirksamer zu betreiben und gedroht, daß, wenn seiner Forderung nicht binnen 24 Stunden entsprochen würde, er mit den ihm zur Verfügung stehenden Torpedobooten sich mit Gewalt zum Herren der Lage machen und seinen Willen durchsetzen werde. Die Militärliga bezeichnet diese Forderungen als Narrheit und ist der Ansicht, daß er außerdem von Personen beeinflußt sein müsse, die mit den Armee- Verhältnissen nicht vertraut sind, sich seiner als Werkzeug be- dienten und ihn dazu aufstachelii, seine Drohungen auszuführen. TypaldoS hat durch Drohungen und Versprechungen versucht, die Mariiieoffiztcre mit sich fortzureißen. Angesichts dieses Verhaltens hat die Militärliga einmütig beschlossen, TypaldoS aus den Listen zu streichen und ihn wegen Hochverrats vor ein Kriegsgericht zu bringen. ES fragt sich bloß, ob die Militärliga, der meist die Armecoffiziere angehören, wirklich die Macht zur Ausführung ihrer Drohungen besitzt.—
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