Der Preis für Schiirfen und Speck hat in letzter Zeit eine un- gewöhnliche Steigerung erfahren. Insbesondere steht die starke Auf- wärtsbewegung der Preise für Schinken zu der Erhöhung der übrigen Fleischpreise in einem argen Mißverhältnis. Während seit der ersten Hälfte des September der Gesamtdurchschnittspreis gleich blieb, hat sich der Preis für Schinken um 8 Pf. gehoben und insgesamt steht seit der ersten Hälfte des August einer Erhöhung des Gesamtdurch- schnittspreiseS um SPf. eine Steigerung des Durchschnittspreises für Schinken um 11 Pf. gegenüber. Gegen den Stahlwcrksverband. In der letzten Generalversamm- lnng der Westfälischen Stahlwerke äußerte sich die Direktion recht ungünstig über die Wirkungen, die die Zugehörigkeit des Unter- nehmens zum Stahltverksverbande für die Gesellschaft hat. Die Verwaltung sei auf die Verteilung der Aufträge durch den Verband angewiesen, und sie wisse daher noch nicht, wie sie es ermöglichen solle, die Betriebe für die.�.-Produkte für die Wintermonate in ge- niigender Weise zu beschäftigen. Dagegen sei das Werk in den B-Produkten ausreichend und auch zufriedenstellend beschäftigt. Der Vorstand bemerkte noch, die Verwaltung habe sich andauernd be- müht, Mittel zu finden, die Lage der Gesellschaft zu verbessern, so lange aber ihr gegenwärtiges Verhältnis zum Stahlwerksverbande bestehe, habe sie keine Hoffnung, in ein besseres Fahrwasier zu kommen. Bicrpreiscrhöhung in Nugsburg. Die Brauereien in Augsburg haben den Beschluß gefaßt, den Hektoliter Bier um 4 M. zu er- höhen, obwohl die neue Steuer nur wenig mehr als 1 M. beträgt. Mit der Erhöhung des Bierpreises— ab 1. Januar— find die Wirte einverstanden unter der Voraussetzung, daß sie einen Teil des angestrebten Mehrerlöses erhalten, andernfalls soll eine Genossen- schaftsbrauerei errichtet werden. Die Konsumenten rüsten, um die durch nichts gerechtfertigte Verteuerung zurückzuweisen. Dies wird um so leichter möglich sein, als die vom Deutschen Brauereiarbeiter- verband in Augsburg betriebene.Gesellschastsbrauerei" die Preis- treiberei nicht mitmacht. Beruhigungspulver. In der Frage des Kaliausfuhrzolles und der Zwangskontigentierung schreibt die„Köln . Ztg." anscheinend offiziös angeregt: Zutreffend ist, daß bei den beteiligten Regierungs- stellen zurzeit Erwägungen darüber schweben, wie man der Ver- schleudernng nach dem Auslande zu niedrigeren als den Inlands« preisen entgegentreten könne, und richtig ist fernerhin, daß mehrfach die Neigung besteht, gesetzgeberisch einzugreisen, um den Nachteilen, die der syndikatlose Zustand bietet, entgegenzuarbeiten. Die Tatsache, daß das Kali das einzige NalurerzcugniS ist, für das wir in Deutschland ein Monopol besitzen, macht den Wunsch erklärlich, einer übertriebenen Ausbeulung und noch dazu einer in niedrigen Auslandpreisen liegenden Bevorzugung des Auslandes entgegenzutreten. Es handelt sich hier aber um eine so schwierige Materie, bei der die ver- schiedensten Gesichtspunkte und auch widerstreitende Interessen in Betracht kommen, daß die sorgfältigsten Nntersiichungen nötig werden, ehe man sich zu einer gesetzgeberischen Vorlage entscheidet. Bisher ist man jedenfalls zu wirklichen Beslblüsien noch nicht gelängt.— Die Auslassung soll wohl dem Zwecke dienen, die Aufmerksamkeit abzulenken, damit die Interessenten in ihren Plänen nicht gestört werden.__ Soziales» AuS der letzten Sitzung des JnnungsschiedSgerichtS. Eine nichtige Bcreiubarung. Zwei Maler klagten am Dienstag gegen den Malermeister Eugen de Price auf Zahlung des Zuschlages für Ueberstunden. Der Beklagte macht geltend, daß die Ueberstunden nur auf Wunsch der Kläger gemacht sind und daß diese ausdrücklich auf die Zuschläge verzichtet haben. Da der Tarif im Malergewerbe solche Sonder- Vereinbarungen nicht zuläßt, wurde der Betlagt« zur Zahlung der geforderten Bettäge verurteilt. Ein sonderbares Vergnüge». Gegen den Malenneister Karl Bruckmann klagte der Anstreicher K., weil ihm der Beklagte für drei Tage Lohn im Betrage von 10,80 M. fchuldig geblieben war. In der Verhandlung behauptet der Beklagte, daß er den Kläger in der in Frage kommenden Zeit nicht befchästigt hatte. Kläger habe drei Tage lang nur„zu seinem Vergnügen"„ihm geholfen" und sei dann erst gegen Entgelt ein- gestellt. DaS Schiedsgericht erklärte, die Arbeit höre auf, ein Ver- gnügen zu sein, wenn eine Bezahlung dafür nicht erfolgt, und ver« urteilte den Beklagten auf Grund des K 612 B. G.-B. dem Klage- antrage entsprechend._ Keine Beleidigung und beharrliche Arbeitsverweigerung. Zwei Maler forderten vom Malermeister P. Nöller je v,88 M. Entschädigung für entgangenen Arbeitsverdienst am Entlafsungstage. Die Kläger haben in einem Kaushause gearbeitet und den Wunsch des Beklagten, bei ihrer Arbeit die möglichste Vorsicht zu üben, nicht genügend berücksichtigt. Die Anordnung, das bei der Arbeit von der Decke und den Wänden herablaufende und sich am Fußboden sammelnde Wasser zu beseitigen, haben die Kläger unter der Be- gründung nicht befolgt, daß sie Malergehilfen und keine Scheuer- frauen sind, er solle für diese Arbeit Scheuerfrauen annehmen. Am Morgen des nächsten Arbeitstages erfolgte die Entlassung der Kläger . DaS Schiedsgericht verurteilte den Be- klagten zur Zahlung, weil in dem Verhalten der Kläger weder eine gröbliche Beleidigung noch eine beharrliche Arbeitsverweigerung liegt. Denn Malergehilfcn sind zu solchen Arbeiten, wie sie der Be- klagte verlangte, nicht verpflichtet. Polizeistunde für Kinder. Der Stadtmagistrat Würzburg hat Bestimmungen erlassen, wo- nach Kinder nach Eintritt der Dunkelheit nicht mehr auf der Straße betroffen werden dürfen. Die Schulhausmeister und Schutzleute werden als Ausführungsorgane bestellt und haben Auftrag, alle Kinder nach Dunkelwerden von der Straße wegzuweisen und im Weigerungsfalle Anzeige zu erstatten. Arbeitslosenversicherung und Unternehmer. In Augsburg tagte kürzlich eine aus Mitgliedern des Magistrats und des Gemeindekollegiums bestehende Konunission, die sich mit der Frage der städtischen Arbeitslosenversicherung be- fchäftigte. Den Beratungen lag der von der StaatSregierung aus- gearbeitete SatzungSentwnrf zugrunde, wonach die Städte erstens den Organisierten einen Zuschuß zu den ArbeitSlosenverstcherungs- leistungen ihrer Organisationen gewähren, und zweitens siir die Nichtorganisierten eine eigene Versicherungskasse errichten sollen, zu der gleichfalls Zuscliüffe auS öffentlichen Mitteln zu geben wären. Während der Vertreter der Sozialdemokratie und der des Zentrums für Einführung des Genter Sy st ems und tunlichste Beschleunigung der Schafsimg der städtischen Arbeits. losenversicherung eintraten, präzisierte ein Liberaler den Standpunkt der Unternehmer zur Arbeitslosenversicherung wie folgt: 1. Die Ge- »neinde hat eigentlich kein Recht, städtische Mittel aufzuwenden, um die Arbeiter gegen die Gefahr der Arbeitslosigkeit zu schützen. 2. Es liegt nicht im Interesse der Gemeinde, durch Annahme des reinen Gcntcr Systems die sozialdemokratischen Organisationen zu stärken. 8. Das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit ist ein gut organisierter Arbeitsnachweis. Jedenfalls sollte man den Grundsatz aufstellen, daß die Sache nur auf Grund des Versicherungszwanges gemacht werden könne. Diese kategorische Erkläning des liberalen Fabrikanten vereitelte denn auch, daß in der Frage der städtischen Arbeitslosenversicherung positive Schritte unternommen wurden; der Ziveck, die Sache ans die lange Bank zu schieben, war erreicht, denn das einzige Resultat der Sitzung war der Beschluß, bei den Arbeiterorganisationen und bei den Industriellen»Erhebungen* zu pflegen, wie sie sich zur Arbeitslosenversicherung Verhalten. Nach der in der genannten Sitzung abgegebenen Erklärung des Vertreters der Industriellen braucht man über die Antwort der letzteren nicht im Zweifel zu sein._ Die gesetzliche Neuregelung des Dienstvertrages in der Schweiz . In dem vom schweizerischen Nationalrat bis auf wenige an die Kommission zurückgewiesene Artikel erledigten Obligationenrecht sind auch mehrfache erwähneiiswerte Neuerungen ausgenommen. So wird bestimmt, daß Tarifverträge, die keine Bestimmungen über ihre Geltungsdauer enthalten, nach Ablauf von sechs Monaten gelüudigt werden können. Der die Artikel 1373 bis 1383 umfassende Abschnitt über die Wirkung des Dienstvertrages enthält folgende Unterabteilungen: Vertragsinhalt, Pflichten des Dienst- Pflichtigen, Haftung für Sorgfalt, Haftung für Stücklobnvertrag. Pflichten des Dienstherrn, Löhnung, Recht auf Arbeit, d. h. Be- schäftigung der eingestellten Akkordarbeiter, Zahltag, Vorschüsse, Zu- schüsse für Mehrarbeit, Arbeitsräume und Schutzvorrichtungen, Gewährung von Freizeit. ZeugniSpflicht, Erfindungen des Dienst- Pflichtigen usw. Wir heben folgende Neuerungen hervor: Bundes- rat und Kantonsregierungen erhalten das Recht, für einzelne Arten von Dieustverträgen Normalverträge aufzustellen. deren Inhalt allgemeine Gültigkeit erhält, sobald eine angemessene Veröffentlichung erfolgt: dem Akkordarbeiter wird der An- spruch auf genügende Arbeit oder entsprechende Entschädigung gesichert. Die städtischen Dienstboten sollen ihren Lohn monatlich, die ländlichen aber nur halbjährlich erhalten, so daß diese gegen jene erheblich benachteiligt werden; die Unternehmer haben den Dienstpflichtigen während der Krankheit, des Militärdienste« usw. fortzubezahlen, wenn es sich dabei um„verhältnismäßig kurze Zeit" handelt und der Dienstvertrag von längerer Dauer oder nur auf längere Zeit kündbar ist; der Dienstherr hat für angemessene und gesunde Arbeitsräume und, wo Hausgemeinschaft besteht, auch für gesunde Schlafräunie und ferner für Schutzvorrichtungen zu sorgen; der Lehrling darf„in der Regel' nicht zu Nacht- und Sonntagsarbeiten verwendet werden; die Kündigungsfrist für Angestellte und Dienstboten wurde aus vierzehn Tage, für die Kaufleute auf einen Monat festgesetzt; das Konkurrenzverbot darf nur im Umfange einer nach Zeit, Ort und Gegenstand angemessenen Begrenzung verbindlich sein, durch welche eine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Dienst- Pflichtigen ausgeschloffen ist. Die sozialdemokratischen Verbefferungsanträge wurden meisten? abgelehnt, andererseits aber auch die Verschlcchterungsanträge der Unternehmer. Immerhin bringt daS neue Obligationenrecht einige Fortschritte und Verbesserungen. Gerichts-Leitung. Mißhandlung eines ArztrS. Die Verhandlung des Prozesses gegen die Verleger Hart» mann und Hau ßmann wegen schwerer Mißhandlung des ArzteS Dr. L i p i j a w s k y zog sich gestern bis zum späten Abend hin. Nach Swluß der ausgedehnten Beweisaufnahme, die neue Momente nicht erbrachte, beantragte der StaatSanwßlt Dr. Rosenfeld die Freisprechung des Angeklagten Haußmann, über dessen Mittäterschaft nichts erwiesen sei. Die alleinige Behauptung des Verletzten reiche nicht aus. Wenn er auch die Freisprechung beantrage, so müffe er doch sagen, daß Herr Haußmann keinen Anlaß habe, erhobenen Hauptes die Anklagebank zu verlassen. Es sei doch eine Reihe von Punkten erwiesen worden, die zeigen, daß er moralisch nicht ganz unschuldig an dem Vorkommnis sei, denn er habe mit den Augen gezwinkert und seinen Sozius indirekt zu der Tat angefeuert. Was den Angeklagten Hartmann betrifft, so hält der Staatsanwalt den Tatbestand, wie ihn die Anklage darstelle, in objektiver wie subjektiver Beziehung für erwiesen. ES sei erwiesen, daß Hartmann mindestens mit der flachen Hand kräftig zugeschlagen habe— unglaubhaft sei es, daß er etwas in der Hand gehabt—, eS sei auch nach dem Gutachten der Sachverständigen kein Zweifel, daß Siechtum im Smne des Z 224 vorliege. Für den Angeklagten, der sich hier in der Verhandlung durchaus loyal benommen habe, spreche nur, daß er von vornherein nicht die Absicht zu schlagen gehabt habe, insbesondere aber auch nicht so zu schlagen, daß sein Gegner dauernde Nachteile von der Körperverletzung davon trug. Er habe ein blühendes Menschenleben vernichtet, einen 34jährigen Mann zum Krüppel geschlagen, seine Hoffnungen vernichtet, sein Familienglück zerstört. Dr. Lipliawsky habe ein Jahreseinkommen von 50000 M. gehabt und sei nun fast erwerbsunfähig. Der Angeklagte sei für den traurigen Erfolg, den er natürlich nicht gewollt, haftbar. Der Staatsanwalt beantragt, den Angeklagten Hartmann unter Zu- billigung mildernder Umstände zu zwei Jahren Gefängnis zu verurteilen und ihn in Haft zu nehmen. Als Vertreter des Nebenklägers beantragt Rechtsanwalt Doktor Werthauer, beide Angeklagte für schuldig zu befinden. Nach längeren Ausführungen der Verteidiger, die auf Freisprechung und eventuell ein milderes Strafmaß plädieren, fällte das Gericht das Urteil dahin: Der Angeklagte Haußmann wird freigesprochen. Dagegen wird der Angeklagte H a r t m a n n wegen schwerer Körperverletzung zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Der Gerichtshof nahm an, daß Dr. Lipliawsky von Hartmann allein geschlagen worden. auch ist auf Grund der Sachverständigen- Gutachten angenommen worden, daß die Krankheit deS L. aus diesen Schlag zurückzu- führen ist. DaS Gericht hat auch Siechtum als vorliegend an- genommen, dem Angeklagten aber mildernde Umstände zugebilligt. weil es angenommen hat, daß Hartmann sich gereizt gefühlt hat, nur mit der flachen Hand geschlagen hat und die traurigen Folgen des Schlages nicht übersehen konnte. Der Haftantrag des Staatsanwalts wurde abgelehnt. *liis der Frauenbewegung. Tie Angst der Geschlechter. Ein klatschender Schlag ins Antlitz der heutigen bürgerlichen Gesellschaft war der Vortrag E l s e I e r u s a l e m s, den sie in der Singakademie am Sonntagabend hielt. Ihr durch den Roman: „Der heilige Scarabäus" schnell zu hoher Achtung in der Literatur- Welt gelangter Pame hatte ein sehr illustres und, was dasselbe heißt, ein sehr sensationslüsternes Publikum angelockt, das anders, als es vermutet, auf seine Kosten kam. Man war erschienen, die Schrift- stellerin zu sehen, die so tief in des Lebens Tiefen geschaut, und hatte sich nicht im entferntesten träumen laffen, die Schlußfolge» rungen zu hören zu bekommen, die Else Jerusalem aus ihren Studien gezogen. Ihren Vortrag über die«Angst der Geschlechter" eröffnete die Künstlerin mit einem Hinweis auf den Kampf der Literaten, der darüber entbrannt sei, ob sie das im„heiligen Scarabäus" enthüllte Milieu selbst durchwandelt habe; das Milieu der Bordcllwelt. M't der Steigerung der Auflagen ihres Buches sei die Abnahme ihres guten Rufes parallel gegangen. Als ob man nicht von einem be- stimmten Kreis in der Gesellschaft aus einen anderen Kreis künstle- risch behandeln könnte, der noch lange nicht die schlimmste Brut- statte des Lasters wäre. Die schlimm st e Brutstätte des Lasters sei die bürgerliche Familie selbst. Dann fielen einige beißende Sarkasmen über die Führerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung. Mit der Wendung, daß jede Frauenfrage nur eine Menschheitsfrage sei, lenkte sie zu ihrem eigentlichen Thema über. Der erste Affekt des neugeborenen Menschen sei die Angst, sie begleite ihn durchs Leben. Angst jage uns alle durch die Erden- wikdnis. Keine Religion vermöge darüber hinwegzutäuschen. Auch die soziale Frage erscheine ihr nur als eine Form von Seelen. angst. Zwischen Wissenschaft und Religion gehe daS eigentliche Leben verloren. Weder die Wissenschaft noch die Religion könnten die dem Menschen notwendige harmonische Entwickeluug des Körpers wie der Seele bringe». Der Mensch müsse sicher werden in seinem eigenen Ich, das sei die erste Grundbedingung des Glücks. Seelen« angst sei auch verbunden mit der EntWickelung der sexuellen Triebe, und der Tiefstand der heutigen Ehe sei darauf zurückzuführen. Allerdings sei der Körper als Erstes vorhanden und seine Hygiene unerläßlich, doch dürfe die Hygiene der Seele auch nicht zu kurz kommen. Die körperlich« Pflege der Kinder sei in unserer Zeit, wenigstens in vielen der Rednerin bekannten Frauenkreisen, eine übertriebene. Die in solchem„Sgrutfieber" erzogenen Menschen kämen in die schwersten sexuellen Konflikte. Der Mann geriere nur zu oft auf schlechte Wege, rette oft nur die Reste seiner Körper- kraft in einer trübe Ehe; das Mädchen sinke in diestt. Zeit vielfach zur Dirne herab, auch die höhere Tochter wisse ihr Wartegeld auf widerwärtigste Weise einzukassieren. Eine Folge der so entstehen- den sexuellen Verfehlungen sei die Anzst vor der Ehe, die Angst vor dem Kinde, kurz die Angst vor dem anderen Geschlecht. Man solle schon früh damit beginnen, dem Kinde Wahrheit zu geben, sie allein könne den Kampf gegen die mannigfache Angst der Ge- schlechter besiegen und nur so könne man die jungen Menschenkinder widerstandsfähig machen. Man fange schon beim Religionsunter- richt damit an, der geradezu erstarrend wirke, man räume auf mit dem Märchen des Glaubens, mit der zweiten Rute„Gott ". Man räume auch die ekle Schlammdecke„S ch a m" hinweg und erwecke dafür in dem jungen Menschenkinde den Geschlechtsstolz, der es be- fähige, seinen Körper als etwas Heiliges zu betrachten, der durch sexuelle Laster früh zerstört, seinen hehren Beruf der Fortpflanzung eines höher entwickelten Menschentums verfehle. Durch solche Er- kenntnis der Einzelnen würde ein sozialeres Leben angebahnt, würde die Prostitution beschränkt und lmirden glücklichere Ehen entstehen; denn die Natur habe nirgends die Dirne vorgesehen. So nur würde wahre Liebe erblühen können, und so nur würde das ganze dem Menschen bestimmte Glücksmaß zu erreichen sein. Je mehr der so Erzogenen heranwüchsen, erlöst von Scham und sexueller Angst, desto mehr würde die EntWickelung. Die unserer aller Kleinarbeit, beschleunigt, desto eher würden große Revolutionen die Umwälzung bringen, desto eher würde die Zeit reif sein, daß die neue Ordnung ins Leben springen könne. Sehr hübsch wußte Frau Jerusalem auch ihre eigenen Erleb- niffe mit ihrem Töchterchen und dessen erwachendem SexuaNeben (ein gesondertes Kapitel poetisch angehauchter Aufklärungsarbeit) in ihren Vortrag hineinzuverflechten, und dieses rein menschlich Erlebte schien auch die orthodoxeren Gemüter(Eine Dame lief empört polternd während des Vortrags weg.) mit der Rednerin auszusöhnen. Allerdings dürft« aber mancher Mutter auch beim besten Willen nicht so viel Geschick bei ihrer Aufklärungsarbeit zu Gebote stehen, wie dieser Dichterin. Alles in allem, freuen wir uns der tapferen Frau und Künstlerin Else Jerusalem , sie wird uns noch viel zu verkünden haben. Forderungen sozialdemokratischer Frauen. Ausgangs des Jahres 1907 und anfangs 1908 wurde in 17 sozialdemokratischen Frauenvcrsammlungen in Nürnberg , Schwa- bach. Erlangen , Wunsiedel , Oberröslau , Aschaffenburg , Bayreuth , Forckiheim, Roth bei Nürnberg, Lauf(Mittelfranken ), RegenSburg , Augsburg , Fürth , Burgfarnbach , Lechhausen, München und Kaisers- lamern beschlossen, Petitionen an den bayerischen Landtag zu richten, mit den Forderungen: Einführung des Frauenwahlrechts für alle Frauen über 20 Jahre sowie Beseitigung deS Artikels 16 deS bayerischen Vereinsgesetzes. Die zlveite Forderung wurde durch daS Reichsvereinsgesetz schon erfüllt; somit befaßte sich der Landtag anfangs Oktober mir noch mit dem Frauenwahlrecht. Genosse Vollmar beantragte im Namen der sozialdemokratischen Fraktion, die Petition der StaatSregierung zur Würdigung zu überweisen, da über die Notwendigkeit des Frauenwahlrcchts kaum noch ein Wort zu verlieren sei. Denn, so führt« unser Genosse unter anderem aus, die Zeit ist nun bald herangerückt, in der gewisse Leute und Parteien, die früher über das Frnuenwahlrecht nur zu lachen gewußt haben, anfangen müssen, die Sache ernsthafter zu nehmen. Bloße Versprechungen, wie es das Zentrum beliebt, nützen nichts mehr, die Frauen werden sich ihre Rechte erobern. Die Verhandlungen zeigten Zentrum und Liberale als Gegner des Frauenwahlrechts. Sie brachten die Petition zu Zoll, und nur die Sozialdemokraten betonten laut und eindringltch die Not- wendigkeit des Frauenwahlrechts. Aus den Verhandlungen im Landtag geht klar und deutlich hervor, daß die Frauen nur mit Hilfe der Sozialdemokraten ihre Rechte erobern können. Darum, Ihr Hausfrauen und Arbeite« rinnen, werdet Mitglieder der sozialdemokratischen Wahlvereine, damit wir vorwärts schreiten können zur Erringung des Frauen- Wahlrechts. DaS soll die Antwort dem Zentrum und den Libe- ralen gegenüber sein._ In Australien besteht in allen sechs Staaten deS Bundes das Sfleiche Wahlrecht für Männer und Frauen. Den meisten Wider» tand fanden die Frauen im Staate Viktoria, aber auch er mutzte deren unermüdlichen und stetig wiederholten Anstrengungen endlich nachgeben. Jetzt werden die Frauen sich zum erstenmal an den Wahlen beteiligen. Die Gegner des gleichen Wahlrechts sind überrascht von der in Aussicht stehenden Massenbeteiligung der Bürgerinnen an den Wahlen, denn diese haben sich außer- ordentlich zahlreich für die aufgestellten Wählerlisten angemeldet. Alle Registrierungsbureaus müssen Ueberstunden arbeiten. Um mehr Aufklärung unter den Frauen über das neue Wahlrecht zu verbreiten, ist eine neue Zeitung erschienen,„The Woncan Voter" (Die Wählerin), die zugleich auf notwendige Reformen im Staate aufmerksam»nacftt. DaS Schul- und GefängniSwescn. der Arbeiter- schütz, alle diese Gebiete werden kritisch beleuchtet. Auf den ersten Erfolg bei der Wahl darf man gespannt sein, Versammlungen. Die Fliesenleger, organisiert tm Zentralvcrband der Maurer, erklärten sich in einer Versammlung, die am Freitagabend im Ge- werkschastshause stattfand, ebenfalls für die Verschmelzung mit der Organisation der Bauhilfsarbeiter. Die Frage ist seit längerer Zeit schon so gründlich erörtert worden, daß die Vcrsamm» lung von einer Diskussion darüber Abstand nahm. Ter Vorsitzende machte bekannt, daß aus verschiedenen Orten in Deutschland eben» falls zustimmende Beschlüsse vorlägen und daß die Angelegenheit voraussichtlich auf dem nächsten VerbandStag, der im Januar in Leipzig stattfinden soll, zur Erledigung kommen würde.(Die Bauhilfsarbeiter halten zu gleicher Zeit dort ihren Verbandstag ab.) Unter den verschiedenen Berufsangelegenheiten, die in der Versammlung zur Sprache kamen, lenkte der Vorsitzende die Auf. merksamkeit auf die bevorstehende Bautenkontrolle und erklärte, daß eg Pflicht eines jeden Fliesenlegers sei, sich daran zu beteiligen und gewissenhaft alle gewünschte Auskunft über die BcrufSange» legenheiten wie auch über bestimmte persönliche Verhältnisse zu er- teilen. Viel diskutiert wurde über das Arbeitsnachweisregulativ, daS seit Anfang Oktober nach den Vereinbarungen zwischen dem Jen- tralverband, der Freien Vereinigung und den Christlichen in Gel» tung getreten ist. Manche Unzufriedenheit gab sich kund und die Verbesserung einzelner Bestimmungen wurde lebhaft gewünscht. Von der gemeinsamen Vorständekonferenz, die zum Zweck der Be- ratung eines Lohntarifs zusammentreten soll, wird erwartet, daß Aenderungen des Regulativs für den Arbeitsnachweis vorgeschlagen werden und daß eventuell die Umfrage in den Geschäften wieder freigestellt werde. Der Zentralverbanb der Schuhmacher nahm m seiner Generalversammlung, die am Montagabend in Boekers Saal, Weberstraße, stattfand den Geschäfts- und Kassenbericht für das dritte Quartal d. I. entgegen. Berichterstatter war Hildebrand. Im dritten Quartal fanden vier Versammlungen des Verbandes statt, ferner 14 Sitzungen des Vorstandes, der Vertrauensmänner und der Kom- Missionen. 57 Konferenzen der zuständigen Vertreter galten der
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