Revolution gehört. Die das behaupten wollen, werden durch die berühmten Verse im„Tell" Lügen gestraft, die dahin- gehen, daß der Gedrückte, wenn er nirgends Recht finden kann und die Last unerträglich wird, zu feinen ewigen unveräußerlichen Mcuschesrechtcn seine Zuflucht nehmen und das Schwert ziehen darf als letztes Mittel, wenn kein anderes mehr verfangen will l Diese Stelle stammt aus deni Jahre 1804, ist also fünf Jahre später als die Verse in der„Glocke" geschrieben.... Und in der „Glocke" will der Dichter kein allgemeines Urteil fällen, sondern er hat einen einzelnen Fall im Auge: die französische Revolution, der er allerdings vorurteilsvoll gegenüberstand und der er nicht gerecht zu werden vermocht hat. Zum Teil wird an dem ganz schiefen, durch die historischen Tatsachen als un- haltbar erwiesenen Urteil Schillers über die große französische Umwälzung die adlig-höfische Umgebung schuld gewesen sein, in die er feit seiner Verheiratung geriet, zum Teil aber auch ganz gewiß der Nnistand, daß er sich die französischen Ver- Hältnisse ebenso vorstellte wie die unentwickelteren deutschen. Von diesen hat auch ein Mann wie Georg Forster , der nnt seiner ganzen Person für die französische Revolution eingetreten ist, geurteilt, daß Deutsch- land nicht für eine Revolution reif sei:„Unser rohes, armes, ungebildetes Volk kann nur wüten, aber nicht sich konsti- tuieren."— So hat offenbar auch Schiller gedacht, aber nicht bloß über Deutschland , sondern auch für das fortgeschrittenere Nachbarland. Er hat auch von Frankreich die— irrige-- Meinung gehabt, daß die Revolutionierung der Köpfe nicht weit genug gediehen sei, um eine wirkliche Umwälzung zu- zulassen. Er sah in der Revolution einen bloßen Aufstand, der nur zerstöre, aber nichts Neues von Dauer schaffe, geschweige das Schillersche Ideal eines Reichs der Vernunft verwirklicht.„Wahr ist es," so schreibt Schiller 1793 in den Schriften über die ätthetifche Erziehung des Menschen,„das Ansehen der Meinung ist gefallen, die Willkür ist entlarvt und, obgleich noch mit Macht bewaffnet, erschleicht sie doch keine Würde mehr, der Mensch ist aus seiner langen Indolenz und Selbsttäuschung aufgewacht, und mit nachdrücklicher Stimmenmehrheit fordert er die Wiederherstellung in feine unverlierbaren Rechte. Aber er fordert sie nicht bloß: jenseits und diesseits steht er auf, sich gewaltsam zu nehmen, was ihm nach seiner Meinung mit Unreckst ver- weigert wird. Das Gebäude des NaturstaatS wankt, seine mürben Fundamente weichen, und eine physische Möglichkeit scheint gegeben, das Gesetz auf den Thron zu stellen, den Menschen endlich als Selbstziveck zu ehren und wahre Freiheit zur Grundlage der politischen Verbindung zu machen. Ver- gebliche Hoffnung! Die nioralische Möglichkeit fehlt, und der freigebige Augenblick findet ein unempfängliches Ge- schlecht."— Ehe nicht die Masse der Menschen dazu heran- gebildet ist, kann nach Schillers Meinung keine Volkserhebung ein ersprießliches Ergebnis haben; das Recht auf Revolution aber wird ausdrücklich vorbehalten. Erst müsse der Mensch nur vernünftig gemacht werden, und zwar nnt Hilfe des ästhetisch Schönen: der Kunst; durch die Schön- heit führe der Weg zur F r e i h e i t: zur Freiheit soll auch sein Gesang die Menschheit erziehen helfen, und er hofft, daß die Zeit kommen werde, wo die menschliche Natur ent- wickelt genug fem wird, um die politische Schöpfung der Vernunft zu verwirklichen. Er hofft, daß ein späteres Ge- schlecht in seligem Müßiggang seiner moralischen Gesundheit wird warten und den freien Wuchs seiner Menschheit ent- wickeln können. Die momentane Hoffnungslosigkeit Schillers, wie sie auch an bekannten Gedichtstellen zutage, tritt, ist nur die ideelle Widerspiegelung der damaligen Rückständigkeit der deutschen Verhältnisse. Deshalb hat er noch lange nicht den Idealen seiner Jugend den Laufpaß gegeben. Er. blieb vielmehr bis zuletzt den freiheitlichen Zielen treu, die er als Aufklärer vertreten hatte, und er wollte auch weiter auf seine Art dem großen Werke der Aufklärnng dienen. Er fand nur— wie der Marquis Posa— das Jahrhundert für sein Ideal nicht reif und getröstete sich der zuversichtlichen Hoffnung, fortzuleben als ein Bürger kommender Jahr- hunderte._ Die Kanonen des Staatsanwalts! Den Mansfeldcr Bergleuten, die es gewagt haben, in einem Rechtsstaat ihre gesetzlich garantierten Bürgerrechte zu fordern, soll kein Wermutstropfen im Leidenskelche erspart bleiben. Nach den aufgefahrenen Maschinengewehren kommt jetzt der Staatsanwalt und fährt das schwere Geschütz des Landfriedensbruch-Paragraphen gegen die rcichstreuen Berg- arbciter auf. die am 21. Oktober in Hettstedt die Streik- brecher verhöhnt haben sollen. Seit mehreren Tagen finden in Hettstedt fortgesetzt Verhaftungen und hochnotpeinliche Verhöre statt, und schon sitzen 8— 10 Mann in Untersuchungshaft. die sich des Landfriedensbruches schuldig gemacht haben sollen. Einer, und zwar derjenige, der am 21. Oktober dem Arbeitswilligen Hamann, der eins Frau ins Gesicht schlug und dann einen Dolch zog, den Dolch abgenommen und dem „nützlichen Element" eine Ohrfeige versetzte, sitzt schon seit dem 28. Oktober in Halle, während der Arbeitswillige, der den Streit provozierte, der Menschen niederzustechen drohte, heut« noch frei umherläuft! Da am 21. Oktober, dem Tage der„Revolte", wie der Herr Landrat v o n Ha s s e l jenen Auflauf charakterisiert, aus dessen Anlaß er vier Garnisonen alarmieren ließ, keine Ver- Haftungen vorgenommen, noch Nainensfeststellungen gemacht wurden, müssen jetzt nachträglich diejenigen herausgesucht Werden, an denen mittelst des Landfriedensbruchparagraphen ein Exempel statuiert werden soll. Ter Staatsanwalt will anscheinend noch nachträglich die Richtigkeit jener amtlichen Angabe, daß ganz Hettstedt sich im Aufruhr befinde, sowie die Notwendigkeit der Militärheranziehung beweisen. Leute. die bei dem Tumult gar nicht zugegen waren, werden zum Verhör geschleppt und sogar verhaftet, bis sie ihr Alibi nach- weisen können. Selbst gegen die Zeugen wird mit unnach- sichtlicher Strenge vorgegangen. Ein alter Linappschafts- invalide, Inhaber des Allgemeinen Ehrenzeichens und Be- sitzer des Ehrengeschenkes— silberne Uhr— für 50 jährige, treu geleistete Dienste bei der Gewerkschaft, mußte am 4. No» vember aus das Polizeiamt konimen, wo er über die Vor- gänge am 21. Auskunft geben sollte. Als er das nicht konnte, weil er nichts davon gesehen chatte, wurde er sofort ver- hastet.— So arbeitet jetzt die„Mühle der Gerechtigkeit" dort, wo die Maschinengewehre zurückgezogen sind. Das Mackst- aufgebot zum Schutze des einen mächtigen Mansfelder Gesetzesverletzers muß vor der Oeffentlichkeit gerechtfertigt werden!— Dabei ist kein Mensch an Leib und Eigentum geschädigt worden, die Ruhe ist durch nichts ernstlich gestört worden, und das Militär war nicht notwendig. Nach der Empörung, die diese sonst so reichstreue Bevölkerung beim Anblick der scharf geladenen Flinten, der aufgepflanzten Bajonette und der Maschinengewehre ergriffen hat. wirken Landfriedensbruchurteile wie Höllenstein auf einer offenen Wunde! Nie ist in Deutschland einer Arbeiterschaft durch die Staatsgewalt die„vaterländische Gesinnung" so gründlich ausgetrieben worden, wie den rcichstreuen Knappen in Mansfeld ! Die Abwanderung aus Mansfeld hat denn auch be- gönnen und sind am Montag(8. November) 150 Mann in einem Trupp abgefahren, während außerdem nach großen Städten kleinere Trupps, nach Berlin 22 Mann, Magdeburg 6 Mann, einige nach Westfalen, abfuhren, so daß im ganzen am Montag an 200 Mansielder Knappen ihrer Heimat Lebe- wohl gesagt haben. Weitere Züge werden im Laufe der Woche noch folgen, da die Streikleitung hofft, für 1700 bis 2000 Mann Arbeit und Unterkunft zu finden. Die Ge- meldeten drängen auf Abwanderung. Im ganzen haben sich zur Abwanderung bis jetzt 1354 gemeldet, aber immer noch laufen neue Meldungen ein. Ob sie jemals nach Mansfeld zurückgehen? Vielleicht ist die Gewerkschaft bei neu an- steigender Konjunktur genötigt, an Stelle der abgeivanderten fremde Bergleute ins Revier zu ziehen, und mit ihnen den Geist, den sie durch Verweigerung des Koalitionsrechtes ver- nichten wollte!_ Internationale fozialiftüche Konferenz. Lriiffel, 8. November,©ig. Ver.) Furncinont(Belgien ) führt den Vorsitz. Vor Eingehen in die Tagesordnung wird dem in London lebenden Genossen L a b r o d a das Wort erteilt, der über den Fall eines Genossen seines Landes, des Rechtsanwalts Guttie- ras, berichtet, der auf Verlangen der Regierung wegen eines Revueartikels über die Situation in Mexiko auf dem Gebiete der Vereinigten Staaten ins Gefängnis geworfen worden und in Ge- fahr ist, gleich Ferrcr getötet zu werden, wenn er ausgeliefert wird. Auf Antrag Bergers wird beschlossen, den Genossen Chase, den Präsidenten des amerikanischen Schutzkomitees für die mexika- nischen Flüchtlinge, vom Fall in Kenntnis zu setzen und das Exe- kutivkomitee mit der Ausarbeitung einer Resolution über die mexikanischen Zustände zu beauftragen. HuySmans bittet die Sekretäre der Fraktionen, künftig aus- führlichere Berichte mit Beilage von Tokumentm einzuienden. Namentlich die Dumafraktion kann daraus Nutzen ziehen. Auf der Tagesordnung steht bloß die Frage der Alters- Versicherung(Antrag Schtoede'n). Der Antrag Italiens auf Behandlung der Abrüstungsfrage kann nicht verhandelt werden, da ein Berichterstatter nicht anwesend ist. Genosse Cabrini hat ein Entschuldigungsschreiben für die italienische Fraktion geschickt. Ban»ol beantragt, daß die Fraktionen vor dem Kopenhagener Kongreß Berichte über ihre TätigkeittnderKolonial- frage erstatten. Italien hat schriftlich mehrere Wünsche geltend ge- macht bezüglich eines Austausches von Mitteilungen über die Altersversicherung, des preußischen Legi- timationskartenzwangs, der Ausdehnung der österreichischen Unfallversicherung auf Bos- nien und Herzegowina und Verwirklichung der Unfallversicherung in Ungarn . Molkcnbuhr erklärt, daß die deutsche Partei auch weiter mit aller Energie den Legitimationskartenzwang bekämpfen wird. Dr. Adler verweist darauf, daß die österreichische Partei gleich nach der Annexion neben dem Protest gegen diese ihre Forderungen zum Schutz der Arbeiter in den annektierten Ländern erhoben habe. Wir haben es durchgesetzt, daß, wenn auch nicht der gesetz- liche, so doch der tatsächliche Zustand dort weit besser ist als noch vor kurzer Zeit. Die Frage der Unfallversicherung allerdings geht die Gesetzgebung an, und da können wir nichts tun, da die staats- rechtliche Stellung der annektierten Länder noch ganz unent- schieden ist. Brantiug erstattet den Bericht über die Altersversiche- rung. Eine Einstimmigkeit auf diesem komplizierten Gebiet sei wohl unmöglich, aber es sei wichtig, zu wissen, ob die Jnternatio- nale eine Grundlage geben könne, die für die Länder, die noch vor der Einführung der Altersversicherung stehen, allgemein gelten könne. Der Redner setzt dann die verschiedenen Systeme auscin- ander: das d e u t s ch e, das in Oesterreich auf Bauern und Klein- gewerbetreibende ausgedehnt werden soll; das englische, das allen alten Leuten Pensionen zu geben anstrebt, und das d ä- nische, das eine Unterstützung aller über 60 Jahre alten Leute im Falle ihrer Mittellosigkeit vorsieht. In Schweden ist die Ein- führung des deutschen Systems unmöglich, da die Bauern- schaft zu stark ist. Eine Versicherung mit Ausdehnung würde 86 Proz. der Bevölkerung umfassen und unmöglich auf Kosten der Unternehmer durchgeführt werden können. Der Redner behandelt den Stand der Frage in Dänemark , Frankreich und England, die Bedeutung der Invalidenversicherung und die Schwierigkeiten, die jeder befriedigenden Altersversicherung durch den alle finanzielle Kraft aufsaugenden Militarismus bereitet werden. Die Vertreter der verschiedenen Fraktionen berichten über den gesetzlichen Zustand in ihren Ländern. Molkcnbuhr(Deutsch- land) stellt fest, daß die Unfallversicherung in Deutschland auch die landwirtschaftlichen Unternehmer einbezieht, die Alters- und Jnbaliditätsversicherung immerhin eine fakultative Versicherung vorsieht. Auch die Kranken- und die Witwen- und Waisenverstche- rung soll auf die landwirtschaftlichen Arbeiter ausgedehnt werden. Der Redner fetzt verschiedene Detailpunkte der deutschen Alters- Versicherung auseinander, z. B. die Versicherung der ausländischen Arbeiter, hebt die Bedeutung der Selbstverwaltung hervor, die ohne Beitragsleistung der Arbeiter schwer durchzusetzen sei— und bei Kostenbeckreibung durch Staat und Kommune seien ja auch die Arbeiter als Steuerzahler in Anspruch genommen— und verweist auf die Wichtigkeit der Jnvaliditätsversicherung, ohne die die Versicherung den landwirtschaftlichen Arbeitern aus Kosten der industriellen zugute komme, da deren Sterblichkeit eine un- gleich größere sei.(27 über 60 Jahre unter 1000 Arbeitern, gegen 48 in der Landwirtschaft, in einzelnen Geiverben sogar nur ö unter 1000.) Wir streben in Deutschland die Erhöhung der Alters- und Invalidenrente an, weiter die Arbeitslosenversicherung, die weit weniger kostspielig wäre, als man gewöhnlich annimmt, und die Kosten der Unfallversicherung nicht übersteigt, die Mutter» schaftSversicherung und die nun in Aussicht gestellte Witwen- und Waisenversicherung, die am kostspieligsten sein wird. Der Redner macht die Genossen der anderen Länder auf den früher auch in Deutschland begangenen Fehler aufmerksam, der Alters versiche- rung mehr Bedeutung beizulegen als der Invalidität s- Versicherung. Baillant seht den Stand der Gesetzgebung in Frankreich auseinander. Das Alter ist als ein Spezialfall der Invalidität zu betrachten und die Versicherung gegen diese als ein Teil der Arbeiterversicherung überhaupt. Für die Gefahren des Arbeiters. die aus dem Verlust seiner Arbeitskraft entstehen, sollten lediglich die Gesellschaft und die Unternehmer aufkommen. Der Redner legt die Grundzüge des sozialistischen Entwurfs und des von der Kammer angenommenen Entwurfs mit seiner UebcrgangSzeit von 80 Jahren auseinander. Die Sozialisten werden freilich ge- nötigt sein, das Gesetz in seiner im Senat verschlechterten Gestalt anzunehmen. Adler berichtet kurz über den österreichischen Entwurf über die Sozialversicherung und über die Stellung der sozialistischen Partei dazu, Anseele über Belgien , Keir Hurdie über England. Knudsen über Dänemark , va» Kol über Holland.— Dem Kopenhagener Kongreß werden nur Berichte der Fraktionen vorgelegt werden. Dan Kols Antrag bezüglich der Berichterstattung über die Kolonialpolitik wird angenommen, weiter eine Resolution gegen die Verfolgungen der mexikanischen Regierung gegen die Vorkämpfer moderner, namentlich sozialistischer Ideen und gegen das Verfahren der rumänischen Regierung gegen ihre eigenen Bürger. Die sozialistischen Fraktionen werden aufgefordert, in ihren Paria- m e n t en zu intervenieren » In unserem gestrigen Bericht über die Tagung der Jnter- nationalen Sozialistischen Konferenz ist die angenommene Tages- ordnung des Kopenhagener Kongresses noch durch folgende Punkte zu ergänzen: Resultate der A rbei t er sch utzg es etzgebung, Achtstundentag und l. Mai. poUtifcbe Oebcrficbt. Berlin , den 9. November 1909. Die Aufhebung des Oktrois. Nach dem§ 13 des Zolltarisgesetzes vom Jahre 1902 erlischt bekanntlich am 31. März 1910 das Recht der Städte, städtische Abgaben für die Einfuhr von Fleisch, Mehl, Getreide, ülsenfrüchtc, Vieh usw. zu erheben. Obgleich nun jene tädte, die bisher solche Oktrois und Akzisen erhoben haben. acht Jahre Zeit hatten, sich auf den Fortfall dieser Gefälle vorzubereiten und sich nach Ersatzsteuern umzusehen, ist von den Magistraten und Stadtparlamenten nicht das geringste in dieser Richtung geschehen. Jetzt, wo die Zeit des Erlöschens des bisherigen Rechtes heranrückt, brennt den städtischen Behörden das Feuer auf die Fingernägel, und sie richten dringende Gesuche an die Regierung. doch eine Hinaus- schiebung des Verfalltermins um einige Jahre vom Reichstage zu erwirken. Eine hiesige halboffiziöse Korrespondenz weiß darüber zu berichten: »In letzter Zeit haben die Gemeinden, die durch diese Maß- regel eine Einbuße ihrer Einnahmen befürchten, sich an den zu- ständigen Regierungsstellen krampfhaft bemüht, eine Verlängerung der festgesetzten Frist dem Reichstage vorzuschlagen. 13S2 Ge- meinden. davon 1172 in Bayern , sehen mit Bangen dem 1. April entgegen und haben erklärt, daß sie an eine Erhöhung dcS Kommunalsteuerzuschlags herangehen müßten, wenn ihnen kein Susichub gewährt werde. In Preußen kämen noch Mehr- belastungen durch das Polizeikostengesetz und die Erhöhung der Lehrergehälter hinzu, die Gemeinde» seien in einer sehr un- angenehmen Lage. Die Einnahmequellen der Gemeinden würden immer niehr angespaimt, so daß, wenn die Regierungen einen Ausichub nicht befiirworten könnten, die Steuerpflichtigen in ihrer Gesamtheit für den EinahmeauSfall durch Steuererhöhung um 10 bis 20 Proz. herangezogen werden müßten. Gerade jetzt, wo die Mißstimmung über die neuen Reichssteuern noch rege sei, würde ein solcher Ausweg doch immerhin zu bedauern fein. Dieser Notschrei hat bei den Regierungen anscheinend recht unangenehme Wirkungen hervorgerufen und die Drohung neuer Belastungen der Steuerzahler durch die Städte in einer Zeit der allgemeinen Steuerbedrückung ist Miseren deutschen Finanzministeni in die Glieder gefahren. Die Negierungen, namentlich die am meisten engagierte bayerische und die preußische, haben die Klagen der Städte als berechtigt anerkannt und Abhilfe versprochen, aber erkennen lassen. daß wenig Aussicht vorhanden fei, den Reichstag dahin zu bringen, den im§ 18 des Zolltarifgesetzes gesetzlich festgelegten Termin um sü»s Jahre hinausschieben zu können, zumal auch die Einführung der Witiven- und Waisenversicherung 1310 in Kraft zu treten habe und der Zolltarif 1302 unter der Voraussetzung Gesetz geworden sei, 1310 die städtischen Verbrauchssteuern in Fortfall zu bringen. Es ist kaum anzunehmen, daß der Bundesrat ernstlich in dieser Frage an den Reichstag herantreten wird, denn der Stand- punkt des Reichstags, der strikt ablehnend ist. ist bekannt und es ist nicht üblich. Gesetze abzuändern, die noch nicht in Kraft ge- treten sind. Auch muß man abwarten, ob die Befürchtungen der Städte eiMreffen; eine Hinausschiebung des Termins bessert ihre Lage auch nicht. Die Behauptung der Städte, daß nach dein 1. April 1310 z. B. in Aachen das Ochsenfleisch— der Ochse kostet bei der Einführunj in die Stadt 32 M.— vom Schlächter auch nicht einen Psewig billiger abgegeben werde, von diesen: Zeitpunkte der Stadtsäckel aber Ausfälle habe, für die die Bürger anderweitig zu hasten hätten, mag wahr sein. Die Städte hätten aber in den acht Jahren versorgen müsse». Den Regieningen ist es. wie man ihnen nachfühlen kann, nicht angenehm, in diesem Zeitpunkte gegen die Vermehrung der Unzufriedenheit durch neue Steuerschrauben in Teilen der Be- völkerung des Reichs nicht einschreiten zu können, ihre Hände sind gebunden." Die Gesuche um Hinausschiebung deö Inkrafttretens der Bestimmungen des§ 13 des Zolltarisgesetzes sind recht charakteristisch für die egoistische Gesinnung der in den Magistraten und Stadtparlamenten herrschenden politischen Parteien— meist Konservative und Nationalliberale. Als in den Jahren 1900/1902 der Kampf im Reiche um die neuen Zölle tobte, haben diese Parteien eifrigst für die Erhöhung der damals geltenden Agrar- und Jndustrtezölle gekämpft und gewissenlos zum Vorteil ihrer wohlhabenden Anhänger- schaft dem arbeitenden Volke neue Lasten aufgebürdet; nun aber, wo sie in Konsequenz der damals gefaßten Beschlüsse die städtischen Abgaben auf Lebensmittel aufheben und sich nach Ersatzsteuern umschauen sollen, schrecken sie davor zurück und möchten, daß neben den neuen Zollerhöhungen die teilweise sehr drückenden städtischen Gefälle bestehen blieben. Zwar ließe sich der Ausfall an städtischen Einnahmen leicht dadurch abwenden, daß zu den höheren Stufen der kommunalen Einkommensteuern entsprechende Zuschläge erhoben oder städtische Besitzsteuern, wie z. B. die WertzuwachSstcuer. eingeführt würden; aber dadurch würde der Geldbeutel der Wohlhabenden angegriffen werden— und das widerstrebt dem Patriotismus der Herreck. Angenehmer erscheint ihnen deshalb die Erhaltung des Oktrois. i Die Riesenunterschleife in Kiel . Die heutige Verhandlung(9. November) drehte sich Haupt- sächlich um den Briefwechsel zwischen I a k o b s o h n und Franke»- thal. Der Vorsitzende des Gerichts verliest zehn Briefe, die von der Verteidigung als Entlastungsmaterial für die Angeklagten angeführt werden. Die Briefe werden aber von der Staats- anwaltschaft als gefälscht angesehen und zwar solle» sie erst im Gefängnis von den Angellagten hergestellt sein. Die Briefe zeigen eine verschiedenartige Durchlochung. einige sind mit der Maschine durchlochr, andere scheinen mit einem Bleistift durchstochen zu sein, bei einigen sind die Löcher mit Tinte vorgezeichnet und mit einem scharfen Messer nachgeschnitten, um sie der Maschinenlochung gleich zu machen. Aus dem Briefe wird festgestellt, daß der Brief-