mit allen dazu gehörigen Rechtsfragen erörtert und Häven heute hierüber nichts Neues gehört. Die Herren rechts und vom Zentrum beharren auf ihrem Standpunkt, dag das Reich in diese Fragen nicht hinein zu reden habe, während wir andererseits an dem Standpunkt festhalten, dag das Reich geradezu die Ver- pflichtung hat, hier einzugreifen; denn die Frage ist keine spezifisch mecklenburgische, sondern— genau wie die preußische Wahlrechtsfrage— eine d e n t s ch e. welche die Interessen des ganzen deutschen Volkes angeht. Solange die NechtSgelehrten allein das entscheidende Wort in der Frage haben, solange ist die Lösung im frei- heitlichen Sinne undenkbar. Aber mögen die Rechtsgelehrten sich auch noch so sehr auf einen rückständigen Standpunkt stellen, das Rechts- empfinden des Volkes wird es nicht fassen, daß man so monströse Mißstände zum Schaden des Volkes bestehen läßt, die eine Schmach und Schande für das ganze Reich darstellen. tLcbhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Oho! rechts.) Gegenüber der Anschauung, daß sich ent Eingreifen deS Reiches mit dem föderalistischen System nicht vertrage, stehe ich aus dem Standpunkt, daß das ein viel zu weit getriebener Föderalismus ist. Ich hoffe auch mit Herrn Gröber, daß das mecklenburgische Volk mit der Zeit zu anderen Zuständen kommt. Aber das geht nicht auf dem Wege, wie er glaubt. Ganz von selbst kommt der Fort- schritt nicht, insbesondere nicht auf einem Boden wie Mecklenburg . Die mecklenburgische Ritterschaft wird nach wie vor auf ihre Pri- vilegien pochen und bemüht sein, sie aufrecht zu erhalten; sie wird jedes auch nur einigermaßen demokratische Wahlrecht ablehnen. Wenn jemals ein Zwang des Reiches berechtigt gewesen ist, so in diesem Falle. Herr Gröber meinte, eS könnten, wenn einmal das Beispiel gegeben wäre, dann vom Reich auch reaktionäre Verfassungen in den Bundesstaaten eingeführt werden. Ist eö aber nicht heute schon so, daß Preußen ständig seinen reaktionären Einfluß im Reiche geltend macht?(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Wir wollen der mecklenburgischen Bevölkerung den unbedingt nötigen Fortschritt auf politischeni und damit auf wirtschaftlichem Gebiete durch den Eingriff des Reiches verschaffen. Sollen wir uns denn der Hoffnung hingeben, wenn dieser unerhörte Zustand noch Jahrzehnte hindurch dauert, daß dann vielleicht die Zeit kommen könnte, wo aus der mecklenburgischen Bevölkerung selbst das Element heraus entsteht, um die nötige Reform zu erzielen? Wenn die Verfassung keine Handhabe zum Eingreifen bietet, so nehmen Sie unseren Antrag an und ergänzen Sie die Verfassung durch folgenden Zusatz: »In jedem Bundesstaat und in Elsaß-Lothringen muß eine auf Grund des allgemeinen, gleichen, geheimen, direkten Wahlrechts gewählte Vertretung bestehen. Die Zustimmung der Vertretung ist zu jedem Landesgesetz und zur Feststellung des HauZhaltSetats nötig." Von dem Augenblick, wo unsere Reichsverfassung eine solche Be- stimmung hätte, wäre auch für die mecklenburgische Bevölkerung die rechtliche Basis vorhanden, von der aus sie ihre Verfassung in frei- hcitlichcr Richtung ausgestalten könnte. Was gelten denn heute die kleinen Leute, die Arbeiter, gegenüber der Ritterschaft in Mecklenburg ? Die Arbeiter, die kleinen Leute haben ja gar kein Recht! �(Lebhafte (Zustimmung b. d. Soziald.). Die Reichsverfassung hat Staats- b ü r g e r im Auge. Die fehlen in Mecklenburg vollständig, dort hat man nur Untertanen.(Sehr wahr! b. d. Soziald.). Mit allen Rcchtsverklausulierungen wird man die Entwickelung nicht aufhalten können. DerZug der EntWickelung der deutschenNation von innen heraus geht zur Freiheit und zur Einheit. Man wird nicht sagen können, daß wir schon die nationale Einheit haben. Auf dem Gebiete der Rechtseinheit haben wir auch erst Ansätze. Weshalb ist aber ganz Halt gemacht worden mit der Einheit vor dem politischen Recht, beim Wahlrecht und den großen verfassungsrechtlichen Fragen? (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Das ist völlig unberechtigt. Diesen Znstand wird sich die mecklenburgische Bevölkerung auf die Dauer nicht mehr gefallen lassen. Dem permanenten Unrecht gegen- über wird sie schließlich zur Notwehr greifen müssen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wenn das Volk nichts ist als der Spielball der herrschenden Klassen, so kann von einem Rechts- ft a a t keine Rede sein. Im ganzen deutschen Volk empfindet man eS als notwendig und berechtigt, daß die NeichSgewalt in der mecklenburgischen Verfassungsfrage einen entscheidenden Schritt tut. Geschieht baS nicht, so wird darunter allerdings das gtechts- bewußtsein deS Volkes nicht leiden, wohl aber die Autorität der Reichsgewalt neuen schweren Schaden haben.(Lebhaftes Bravo I bei den Sozialdemokraten.) Abg. o. Treueufcls(k.) polemisiert gegen den Abgeordneten Pachnicke und betont dann, an dem guten Willen der mecklen- burgischen Regierung habe er nie gezweifelt, aber Fehler habe sie gemacht. Abg. Dr. Pachnicke(frs. Vg.): Herr v. Treuenfels hätte es sich ersparen können, zum zweiten Male das Wort zu ergreifen; etwas Neues und Anderes als das erste Mal hat er nicht gesagt.(Sehr richtig! bei den Freisinnigen.) Vor allem vermisse ich bei ihm einen positiven Vorschlag, wie in Mecklenburg weiter vorgegangen werden soll. Er bleibt immer nur guter Hoffnung.(Schallende Heiterkeit.) Hierauf vertagt sich das HauS auf Mittwoch 1 Uhr. (Interpellation wegen der Maßregelungen in Kattowitz , Gerichts- verfassungsgesetz, Stra'prozeßordnung, Aenderung deS Strafgesetzbuchs. Gesetz über die Haftung des Reichs für seine Beamten) Schluß ü Uhr. Hbgeordmtcnbaiiö* 1. Sitzung am Dienstag, den kl. Januar 1V10, nachmittags 2 Uh r. Am Ministertisch: v. Bethmann Hollweg , Freiherr v. Rheinbaben, Sydow, v. Breitenbach, v. Arnim- Z ü s e d o m. Präsident v. Kröcher eröffnet die Sitzung mit dem üblichen Hoch auf den Kaiser. Alsdann ergreift das Wort Ministerpräsident v. Bethmann Hollweg : Nachdem ich durch die Gnade Sr. Majestät zum Amte des Ministerpräsidenten berufen worden bin. benutze ich, wie mein Vorgänger, die erste Gelegenheit, um meine persönlichen Bezieh- ungen mit Ihnen aufzunehmen. Ich beabsichtige nicht, heute poli- tische Erörterungen anzustellen, eS wird mir binnen kurzer Frist Gelegenheit gegeben werden, mich zu wichtigen Fragen, mit denen Sie sich zu beschäftigen haben werden, eingehend zu äußern. Sie wollen mir heute nur einige wenige Worte gestatten. Ich glaube, i» diesem hohen Hause kein ganz Fremder zu sein; mehrjährige gemeinsame Arbeit bat uns zusammengeführt, und ich habe in mein gegenwärtiges Amt das Gefühl mitnehmen zu dürfen ge- glaubt, daß die Lösung der Aufgaben, an denen ich bisher im Berel» mit Ihnen gewirkt, ein von mir mit Dank empfundenes gegenseitiges Vertrauen zugute gekommen ist. � Dieses Vertrauen als eine unentbehrliche Grundlage einer ersprießlichen Geschäfts- führung zu Pflegen, werde ich auch künftig bemüht fein.(Bravol) Finanzminister v, Rheinbaben bringt nunmehr den Etat ein. Das charakteristische und betrübende Zeichen des Jahres 1903 bestand darin, daß der Eisenbahnverkehr, namentlich der Güter- verkehr, infolge der wirtschaftlichen Drcpression sehr erheblich ge- funken war. Ich habe damals die voraussichtlichen Mindercin- nahmen auf 134,5 Millionen Mark geschätzt, und diese Schätzung ist fast genau eingetroffen. Die damals angenommene lleberschreitung der Ausgaben ist dagegen nicht eingetroffen, und die Eisenbahnen schliefen mit einem Minderüberschlisi von 135 Millionen ab. Das Defizit von 1398 betrug L92,l Millionen und loar außer durch den Minderüberschuß bei den Eisenbahnen auf die Erhöhungen des hohen Hauses bei den Aeamtenbesoldungen zurückzuführeil. Auch das Jahr 1999 stand zuerst noch unter dem Zeichen der schlechten Konjunktur, das Defizit war auf 159 Millionen veran- schlagt. Erfreulicherweise hatten sich namentlich in der zweiten Hälfte des Jahres die wirtschaftlichen Aussichten gebessert, und wir haben mit einer langsamen Aufwärtsbewegung unserer ganzen wirtschaftlichen Verhältnisse zu rechnen. Dazu kam, daß in un- serem Vaterlande eine gottlob gute Ernte zu verzeichnen war. Beides hat natürlich auch seine Rückwirkung auf die Einnahmen der S t a a t s e i s e n b a h n e n gehabt. Bis Ende November ist — verglichen gegen die gleichen Zeiten von 1993— eine Steige rung des Personenverkehrs um 5 Proz. und des Güterverkehrs um 4,5 Proz. zu verzeichnen. Die Eisenbahnverwaltung rechnet danach auf eine Verbesserung im Ordinarium von 32 Millionen. Die Forsten werden voraussichtlich 7 Millionen Mehreinnahmen haben, die Zölle und indirekten Steuern ö Millionen. Was die Reichsfinanzreform anlangt, so werde ich hier auf sie nicht des weiteren eingehen. Jedenfalls ist es mit Dank zu be grüßen, daß mit der unhaltbaren Wirtschaft ein Ende gemacht worden ist und die gestundeten Matrikularbeiträge auf das Reich übernommen worden sind.(Bravo ! rechts.) Das Jahr 1999 be- deutet den Abschluß des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts und damit einen Abschnitt, der den Staat vor ganz besonders große Aufgaben gestellt hat. Der wirtschaftlichen Entwickelung in diesem Jahrzehnt mußte das wirtschaftliche Rüstzeug des Staates angepatzt werden. Das W a s s e r st r a ß e n n e tz ist ausgebaut worden, und es ist nur billig, daß diejenigen, die die Vorteile davon gehabt haben, auch zu den Kosten beitragen.(Sehr richtig! rechts.) Wir sind willens, den vom hohen Haus uns kundgegebenen, durch Gesetz niedergelegten Willen mit aller Energie zum Ausdruck zu bringen trotz aller Hindernisse, die uns entgegentreten.(Lebhaftes Bravo! rechts. Unruhe links.) Ebenso sind wir bemüht gewesen, das Eisenbahnnetz auszubauen, um den rapide gestiegenen Ver- kehrsbedürfnissen zu genügen. Bei alledem haben die kulturellen Aufgaben des Staales nicht gelitten.(Lachen bei den Sozialdemo- kraten.) So sind 69 Seminare und 42 Präparandenanstalten in den 19 Jahren gegründet worden. Trotz der Fülle der Auf- gaben, die in diesen 19 Jahren herantraten, wären wir in der Lage gewesen, allen dadurch entstandenen Ausgaben gewachsen zu sein, wenn nicht gleichzeitig die Betriebskosten unserer großen Staatsverwaltungen ebenfalls sehr gestiegen wären. So sind die Selbstkosten der Eisenbahn um 299 Millionen gestiegen. Wir wollen hoffen, daß wir in dem neuen Jahrzehnt nicht vor gleich große Aufgaben gestellt werden, sondern Muße haben, die großen Lasten, die dem Staate auferlegt worden sind, zu überwinden in einer Periode der Sammlung. Das kann erreicht werden durch pflegliche Behandlung der Einnahmen und vor allem durch tunlichste Beschränkung der Ausgaben. Der wirtschaftliche Aufschwung wird hoffentlich auch im Jahre 1919 anhalten. Wir dürfen aber nicht wieder in den Fehler verfallen, bei steigender Konjunktur zu rapide vorwärts zu gehen. Unsere Hauptaufgabe wird sein, den inländischen Markt— den Hauptabnehmer der Industrie— zu stärken. Auf die Wichtigkeit dieser Aufgabe hat in der Generalversammlung der deutschen Eisenindustriellen auch der sehr verdiente Generalsekretär des Bundes der Industriellen hin- gewiesen.(Hört! hört! rechts.) Er hat dort gesagt:„Wir haben ein Interesse daran, daß ebenso wie der Industrie auch der Land- Wirtschaft der Schutz erhalten bleibt."(Sehr richtig I rechts.) Wenn diese Bundesgenossenschäst zwischen Industrie und Landwirt- schaft aufrecht erhalten bleibt, ist es um unser Vaterland gut bestellt.(Lebhaftes Bravol rechts.) Eine unserer Hauptaufgaben wird auch sein, dafür zu sorgen, daß wir unter keinen Umständen in ein dauerndes Defizit hineingeraten.(Sehr richtig!) Gelingt das nicht durch pflegliche Behandlung der Einnahmen und Be- schränkung der Ausgaben, so werden wir zur Deckung des Defizits zur Erschließung neuer Einnahmequellen übergehen müssen. Der neue Etat ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Sparsamkeit aufgestellt worden. Redner geht nunmehr auf die Ziffern deS Etats für 1910 im einzelnen ein. Er teilt mit, daß das Defizit sich auf 92 Millionen Mark beläuft. Es ist uns also gelungen, das Defizit vom Jahre 1908 von über 299 Millionen auf jetzt 92 Millionen herunterzuwirt- schaften. In diesem Sinne werden wir weiter wirtschaften im Interesse der Konsolidierung unserer preußischen Finanzen. (Bravol) ' Hierauf vertagt sich das Haus. Nächste Sitzung: Sonn- abend 11 Uhr.(Präsidentenwahl, erste Lesung des Etats.) Schluß 4 Uhr._ rkmnbaua. 1. Sitzung vom 11. Januar 1910, nachm. 3 Uhr. Am Ministertische: v. Moltke, Beseler. Der bisherige Präsident Frhr. v. Manteuffel eröffnet die Sitzung mit einem Hoch auf den König. Die Beichlußfähigkeit wird nicht angezweifelt, das HauS ist da- mit konstituiert. Auf Borschlag deS Fürsten v. Hatzfeldt wird das Präsidium der vergangenen Session(Frhr. v. Manteuffel als Präsident. Geh. Rat Becker und Frhr. v. Landsberg als Vizepräsidenten) per Akklamation wiedergewählt. Alle drei Herren nehmen die Wahl mit Dank an. Auch die Schriftführer der vergangenen Session werden durch Zuruf wiedergewählt. Damit ist die„Tagesordnung" erschöpft. Nächste Sitzung: Mittwoch, den 12. Januar, l'/a Uhr.(Geschäftliche Mitteilungen. Vereidigung neuer Mitglieder. Geschäftliche Behandlung von einigen dem Herrenhause zuerst zugegangenen Gesetzentwürfen.) Schluß 3-/z Uhr. _ IProMor Dr. Richland gegen Professor Dr. Kiermer. In der gestrigen Sitzung wurde zunächst Professor Dr. v. Schmoller vernommen. Er sagte unter anderem folgendes aus: Ich lese die Schriften deS Prof. Ruhland seit längerer Zeit nicht mehr und habe sie auch nicht mehr in meinem»Jahrbuch" besprochen. Dazu führte mich außer verschiedenen anderen Gründen auch die innere Qualität der Schriften und meine sukzessiv sich ändernde Ansicht von dem Wert der Nuhlandschen Schriften. Dessen erste Arbeite» machten den Eindruck eines zukunftsreichen Talents, die späteren ließen mich aber immer mehr zweifeln, ob die Arbeiten eine eigentlich wissenschaftliche Bedeutung beanspruchen können. Speziell mußte auch der starke Wechsel in den Anschauungen Ruh- lands und sein rascher Uebergang in ein bisher von ihm bekämpftes Lager frappieren. Ich stieß mich zuerst am stärksten an einer Be- hauptung RuhlandS, daß zur Zeit der tiefen Getrcidepreise eine zu geringe Produktion von Getreide sich zeige. Diese Behauptung sei von einem wissenschaftlich gcfchnlten Manne undenkbar. Ferner unfaßbar war die Ansicht Ruhlands: daß in wisscnschnstlich-volks- wirtschaftlichen Fragen zuletzt der Papst zu entscheiden habe. Da- mit war er für mich aus der Reihe der ernsten wissenschaftlichen Leute ausgeschieden. Sein Glaubensbekenntnis zur physiokrati- schen Lehre war mir auch ganz unverständlich. Wenn sich heute jemand zu dieser Sekte von volkswirtschaftlichen Sonderlingen bekennt, so ist dies gleichbedeutend, als wenn sich heute ein Chemiker für einen Alchymisten erklärt. Ich hatte nach diesem Ge- sinnungswcchsel und nach dem, waS'.ch noch las, die Empfindung, daß ich meine Zeit besser verwenden könnte als mit dem Studium dieser Schriften. Wäre Ruhland an eine deutsche Universität be- rufen worden, so würde ich Lies für ein Unglück für die Wissen- schaft und für einen Affront für die deutsche Gelchrtenwelt ge- halten haben Ich habe gar nichts dagegen, wenn sich jemand in den Dienst einer wirtschaftlichen Interessengruppe stellt, aber solche Leute gehören nicht auf ein deutsches Katheder. Wer in dem Dienst von Interessengruppen steht, hat das Recht und die Pflicht, für diese Interessengruppen einzutreten, auf der Universität wäre dies ein großer Fehles und eine Versündigung an der Wissen- schaft. Deshalb war ich dem Prof. Dr. Biermer dankbar, daß er gegen die Berufung des Prof. Ruhland protestierte. In der Forin mag er zu weit gegangen sein, sachlich stehe ich aber auf seiner Seite, und die große Mehrzahl der deutschen Nationalökonomen dürfte ebenso denken wie ich. Einen moralischen Vorwurf will ich dem Professor Ruhland nicht machen, aber die große Masse der Fernstehenden, Unabhängigen, Objektiven muß ihm auf das stärkste mißtrauen. Die Universitäten müssen gegen eine solche Person- lichkeit protestieren. Geheimer NcgicrungSrat Dr. v. Savigny gibt in längerer Darstellung ein Bild von den Vorgängen, die seinerzeit zu dein Exodus(Fortgang) von 7 reichsdcutschen Professoren aus der katholischen internationalen Universität Freiburg (Schweiz ) geführt haben. Die Zeugnisse anderer Professoren über dasselbe Thema gelangen zur Verlesung. Der zweite Borsiyende deS Bundes der Landwirte, Abg. Rittergutsbesitzer Rösicke, erklärt: Der Bund habe es für nötig erachtet, seine praktischen Bestrebungen durch theoretische Hilft- kräfte zu ergänzen und wissenschaftlich zu vertiefen. Er habe sich an Geh. Rat Wagner gewandt mit der Bitte, eine geeignete Kraft zu bezeichnen, und dieser habe als solchen Prof. Ruhland, der da- mals Privatdozent in Zürich war, empfohlen. Er, Zeuge, habe sich dann an diesen gewandt und habe als Antwort einen ziemlich kritischen Brief erhalten, in dem gesagt wurde, seine Tendenzen seien zwar-agrarisch, aber die Tendenzen des Bundes der Landwirte könne er nicht in allen Beziehungen teilen. Seine Berufung zum wissenschaftlichen Beirat des Bundes sei dann nach eingehender brieflicher und mündlicher Aussprache erfolgt. Die Anstellung erfolgte auf der Grundlage, daß er seinen wissenschaftlichen Ten- denzen vollkommen sollte nachkommen können. Jede Beeinflussung in dieser Beziehung sei vollkommen ausgeschlossen, eS sei ihm auch nie zugemutet worden, seine wissenschaftlichen Ueberzeugungen zu ändern. In der Währungsfrage habe Ruhland seine dissentierende Ansicht gegenüber der Ansicht des Bundes stets aufrechterhalten und darin niemals kapituliert. Es wird sodann Geh. Obrrregierungsrat Dr. Elster, Dezerneut für das Nniversitätswcsen imm Kultusministerium, als Zeuge vernommen: Es haben seinerzeit zwei Unterredungen stattgefunden, die der Abg. Freitexr. v. Wangenhcim mit ihm und dem verstorbenen Ministerialdirektor Althoff hatte. Dabei handelte es sich darum, ob es sich nicht ermöglichen lasse, den Prof. Ruhland von der Universität Freiburg in der Schweiz , der damals beur- laubt war, an eine preußische Universität zu berufen, da es doch wünschensivert sei, daß auch die von diesem vertretene Richtung auf der Universität zu Worte komme. Er habe dem Freiherrn v. Wangenl>eim erklärt, daß die Richtung des Herrn Ruhland kein Hindernis für seine Berufung sein würde, denn auf den Universi- täten solle immer allen wissenschaftlichen Richtungen Raum gc- währt werden. Sollte seitens einer Fakultät die Berufung Ruh- lands empfohlen werden, dann würde die Universitätsderloaltung einem solchen Wunsche näher treten. Aus der weiteren Beweisaufnahme ist die kommissarische Ver» nehmung des Redakteurs der„Frankfurter Zeitung ", Abg. Dr. Oeser über den Vorschlag zur Bildung einer antiagrarischen Liga, die Prof. Ruhland seinerzeit gemacht haben soll, bemerkenswert. Aus der Aussage ist folgendes hervorzuheben: Professor Ruhland sei ein aelegentlicher Mitarbeiter der„Franks. Ztg." gewesen und habe sich besonders über das Thema det Getreide Versorgung in Deutsch land geäußert. Er sei auch mehrere Male zum Zwecke von Rück- sprachen über agrarische Fragen auf die Redaktion gekommen. Damals setzte gerade die Agitation des Bundes der Landwirte'<än. In der Aussprache bekannte sich Dr. Ruhland als ei» Gegner der Gc- treidezöllr und als ein Anhänger jener Maßregeln, die man heute als„Politik der kleinen Mittel" bezeichne. Wie er weiter mit- teilte, loar es sein damaliges Bestreben, eine Art Gegenbewegung gegen den„Bund der Landwirte" zu entwickeln. Ruhland erzählte, daß eine Zusammenkunft in Ulm an der Donau in Aussicht gc- nommen sei, in der über diese Pläne weiter beraten werden solle. Er, Dr. Oeser, habe ihm auf Anfrage erklärt, daß er gern jede Bewegung, die im Rahmen des Programms der„Franks. Ztg." der Landwirtschaft Hilft zu bringen suche, unterstützen würde, natür- lich nur insoweit, als sie mit der Richtung der„Franks. Ztg." parallel laufe. Er habe nicht den Eindruck gewonnen, daß Dr. Ruhland die hier in Betracht kommende Bewegung im Anschluß an die Süddeutsche Volkspartei ins Leben rufen wollte; aus dem ganzen Plan ging vielmehr hervor, daß Persönlichkeiten aus den verschiedensten Parteilagern dafür gewonnen werden sollten. Er habe den Eindruck gewonnen, daß die von Dr. Ruhland angeregte Bewegung sich gegen den„Bund der Landwirte" richten und den Zweck haben sollte, der extremen und verfehlten Politik des„BuirdcS der Landwirte" die vernünftige Politik des praktisch Durchführ- baren entgegenzusetzen. Die„Franks. Ztg." sei damals, als Herr Dr. Ruhland im Jahre 1895 eine Polemik in betreff der Getreide- zolle mit ihr hatte, nicht mit ihrer Kenntnis der oben geschilderten Vorschläge hervorgetreten, weil es nicht ihrer Gepflogenheit enl- spricht, rhr anvertraute Mitteilungen in die Oeffentlichkeit zu bringen. Allerdings habe die„Franks. Ztg." im Jahre 1991 dieses Gespräch veröffentlicht. Die Verhältnisse hatten sich so zugespitzt, daß der„Franks. Ztg." die Publizierung im öffentlichen Interesse geboten erschien.— Auf Vorhalt des Rechtsanwalts Gvttschalk be. stätigt der Privatkläger, daß wegen der Polemik 1991 gegen die „Franks. Ztg." eine Klage nicht erhoben worden ist, er vielmehr nur eine Berichtigung eingesandt habe. Als 1993 die»Frankfurter Zeitung " auf diese Sache nochmals zurückkam, habe er die Be- leidigungSklage erhoben, diese sei aber zurückgewiesen worden, weil sein damaliger Vertreter ein formales Versehen begangen hatte. Es folgt die Verlesung des kommissarisch vernommenen Geschäftsführers der„Akünchener Post", Louis Cohn. Dieser hat unter anderem ausgesagt: Im Jahre 1893 oder 1894 habe sich Ruh. land gelegentlich eines Gesprächs über allgemeine politische Ding- dahin geäußert: Wenn die„Münchencr Post" sich entschließen konnte, Artikel aufzunehmen, welche die damalige BiSmarcksche Wirtschaftspolitik unterstützten, so würden dazu Geldmittel in größerem Ninsange zur Verfügung stehen. Er habe diese? Auer- bieten nicht so aufgefaßt, als wenn damit eine direkte Bestechung versucht werden sollte, es schien vielmehr so, als wollte Dr. Ruh- land derartige Artikel in die..Münchener Post" lancieren, um den Anschein hervorzurufen, als billige ein Teil der sozialdemokra- tischen Partei die in diesen Artikeln niedergelegten Anschauungen. Das Anerbieten habe an und für sich in der Forni nichts Ver- letzendes gehabt und sei deshalb auch erst zur Kenntnis gebracht. als der politische Frontwechsel des Privatklägers dazu heraus- forderte. Auf Antrag des Augeklagten Dr. Biermer wird ein Artikel der „Münchener Post" vom 28. Juni 1991 verlesen, welcher eine längere Antwort auf einen in der„Deutschen Tageszeitung" veröffent- lichten Brieftdes Privatklägers darstellt. In dieser Antwort wurde eS als unwahr bezeichnet, daß er der„Münchcner Post" Geldunter- stützungen für fchutzzöllnerilche Artikel angeboten habe. Tie „Münchener Post" hat darauf in einem stark polemischen Artikel diese Antwort als„neueste Dichtung des großen Ralioualökonomrn" gegeißelt. Verlesen wird ferner ein Artikel der„München « Post", der aus dem Jahre 1993 stammt und den Titel„Ao-z einmal Herr Ruhiand" trägt. Ter Artikel geht noch aggressiver gegen Prof. Ruhland vor. Rechtsanwalt Gottschalk stellt fest, daß der Pripatkläger wegen dieser Artikel eine Klage nicht angestrengt hat.
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