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Ein vom Rechtsanwalt Gottschalk gestellter Antrag ans Vcr- lesung des zur Verhandlung erster Instanz vom Professor Aren- «ano gegen den Privatkläger abgegebenen Gutachtens wird vom Kerichtshose abgelehnt. Nachdem die Sachverständigen ihre umfangreichen Gutachten erstattet haben und die Beweisausnahme ihre Ende gefunden hat, kommt auf Vorschlag des Landgerichtsdirektors Neuenfeld folgender Vergleich zustande: 1. Prof. Dr. Biermcr erklärt: Ich habe mich durch den Gang der zweitinstanzlichen Hauptverhandlung davon überzeugt, daß der Hauptvorwurf, den ich Herrn Prof. Dr. Ruhland gc- macht habe, nämlich, daß er persönlich, wissenschaftlich und politisch charakter- und gesinnungslos gehandelt habe, von mir nicht aufrecht erhalte» werden kann, insbesondere nicht nach der Richtung, daß er um persönlicher Vorteile willen seine lieber- Zeugung verkauft habe. Auch nehme ich meine Behauptung, daß Herr Prof. Dr. Ruhland an der Einreichung des Antrages Köhler direkt oder indirekt beteiligt gewesen sei, als unzutreffend zurück. Für ebenso unzutreffend erkläre ick meine in der Bro- schüre aufgestellte Behauptung, daß der Privatkläger an den Schmidtmannschen Unternehmungen in Pinzgau   nach der Rich- tung des Bauerlegens aktiv beteiligt gewesen und aus seiner dortigen Stellung Knall und Fall entlassen sei. Auch nehme ich die Behauptung/datz Prof. Dr. Ruhland niemals wissenschaftlich ernst zu nehmen sei, nach Anhörung eines so hervorragenden und von mir hochgeschätzten Fachmannes, wie der Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. Adolf Wagner es ist, zurück. Endlich nehme ich die, wie ich anerkenne, in meiner Broschüre vielfach enthaltenen formalen Beleidigungen des Privatklägcrs mit dem Ausdruck dcS Bedauerns zurück. 2. Der Privatkläger erklärt: Ich erkläre hiermit, daß eS mir fern gelegen hat, durch den Aufsatz vom 4. Februar 1903 die persönliche oder wissen- schaftliche Qualität des Herrn Prof. Dr. Biermer in Zweifel ziehen zu wollen. Soweit dies aus dem Inhalt des Artikels ge- folgert werden kann, bedaure ich es. 3. Die Kosten des Verfahrens übernimmt Prof. Dr. Biermer. Hiermit hat die Verhandlung ihr Ende erreicht und das Ver- fahren wird eingestellt. lMpfozeß fünemann. Jene nächtliche«Bluttat, der die Verkäuferin Alice RakowSki zum Opfer gefallen war, gelangte gestern vor den Geschworenen zur gerichtlichen Verhandlung. Aus der Untersuchungshaft wird der 21jährige Friseur Hans Jünemann dem Schwurgericht des Landgerichts 1 vorgeführt, um sich wegen Mordes und schweren Raubes, begangen an seiner Ge- liebten, der unverehelichten Rakowski, zu verantworten. Den Borsitz im Gerichtshofe führt Landgerichtsdirektor Goebel, die An- klage wird von Staatsanwalt Dr. Müller vertreten. Die Verteidi­gung führt Rechtsanwalt Dr. Alsberg. In dem Hause Weberstr. 40b befindet sich seit längerer Zeit eine Filiale der GroßbäckereiNordstern", welche von der 22jähri° gen Verkäuferin Alice RakowSki geleitet wurde. Das junge Mädchen, welches als sehr lebenslustig, aber auch als sehr ver- gnügungssüchtig geschildert wird, hielt sich des Tags über in der Filiale auf, während eS ebenso wie die anderen Filialleiterinnen in einer gemeinschaftlichen Wohnung in dem Hause Landsberger Straße 75 schlief. Am frühen Morgen des 19. Oktober v. I. ent- deckten die Kolleginnen der N., daß diese während der Nacht gar nicht nach Hause gekommen war. Es fiel ihnen dies zwar nicht besonders auf. da die Rakowski schon wiederholt ihre Vergnügungen bis in die frühen Morgenstunden ausgedehnt hatte, jedoch war sie immer noch vor Geschäftseröffnung nach Hause gekommen. Als die R. gegen 5 Uhr morgens immer noch nicht erschienen war, wurde eine Freundin damrt beauftragt, in das Geschäft der R. in der Weberstrahe zu gehen, um zu sehen, was vorgefallen sei. Als das Mädchen kurz nach 5 Uhr in der Weberstraße anlangte, fiel es ihr zunächst schon auf. daß die Ladentür nicht verschloffen war. Kaum hatte sie einige Schritte in den Laden getan, als sie entsetzt zurückprallte. Nur wenige Schritte von der Tür entfernt lag in- mitten einer grosten Blutlache die Leiche der Alice RakowSki. Die alarmierte Polizei machte folgende Feststellungen. Die Leiche der Rakowski lag über und über mit Blut bedeckt in unmittelbarer Nähe der Tür und wies nur eine einzige tiefe und breite Wunde in der Herzgegend auf. Dicht neben der Leiche lag auch das zur Tat benutzte Meffer; war ein sogenanntes fast neues Schlächter- messer mit festem Holzgriff, an welchem noch Blut klebte. Es wurde anfänglich mit der Möglichkeit eines Selbstmordes gerechnet. Als man dann aber eine Schürze mit Vlutspuren vorfand, an der sich der Täter offensichtlich die Hände abgetrocknet hatte, gelangte man zu der Ueberzeugung, daß hier ein Mord verübt sei. In einem Waschgeschirr wurde außerdem noch blutiges Waffer gefunden, in dem sich der Täter nach der Tat offenbar die Hände abgewaschen hatte. Die Tatsache, daß die gesamte Ladenkaffe fehlte, sprach sogar für einen Raubmord. Zwei auf dem Tisch stehende leere Kaffeetassen betviesen, daß der Mörder anscheinend am Abend vor- her mit der R. zusammengewesen war. Die Kriminalpolizei ver- mutete sofort eine Eifersuchtstat eines der Liebhaber der Rakowski und nahm nach dieser Richtung hin Recherchen vor. Hierbei stellte sich folgendes heraus: Vor einiger Zeit hatte die R. die Bekannt- schast eines jungen Mannes gemacht, der sich ihr als Jockei Ewert Korb vorgestellt hatte. Anfangs Oktober gerieten die Beziehungen stark inS Wanken, da die R. erfuhr, daß sie von ihrem Geliebten be- logen worden war. Sie hatte nämlich den bekannten Jockei Korb aufgesucht und dabei das ganze Lügenmärchen ihres Geliebten aufgedeckt. Der angebliche Jockei entpuppte sich als der jcbige An- geklagte Jünemann. Die R. gab aber trotzdem ihr Verhältnis zu diesem nicht auf, obgleich Jünemann sehr eifersüchtig war. Die Mordkommission verfolgte diese Spur und nahm in der Wohnung des I. in Wilmersdorf  , Güntzelstr. 36, eine Haussuchung vor, die ein überraschendes Resultat hatte. Es wurden hier die völlig blut- durchtränkten Kleider des Jünemann vorgefunden. Die Wirtin des I. erzählte, daß dieser erst gegen drei Uhr morgens nach Hause gekommen sei und seine blutbesudelte Kleidung damit erklärt habe, daß er bei einem Automobilunfall einer verunglückten Dame be- hilflich gewesen sei. Jin der Nacht hatte er seiner Wirtin noch 55 M. ausgehändigt, die er ihr schuldete. Ferner wurde festgestellt. daß I. außerdem nocb eine Zechschuld beglichen hatte. Am frühen Morgen hatte er sich dann entfernt und blieb trotz aller Erwitte  - lungen der Kriminalpolizei spurlos verschwunden. Erst als das Bild des Mörders in der Presse veröffentlicht und das Publikum dadurch in die Lage versetzt war, die Kriminalpolizei auf der Suche nach dem Täter zu unterstützen, gelang es, Fünemann in dem Grunewald festzunehmen. Ein Radfahrer sah in der Mittagsstunde des 22. Oktober vorigen Jahres in der Nähe der Rennbahn Grüne- Wald einen Mann, auf den das in den Zeitungen veröffentlichte Signalement Fünemanns paßte. Er sprach den Ahnungslosen mit den Worten an:Guten Tag, Herr Jünemann", worauf dieser erschreckt davonlief. Der Radfahrer fuhr hinter dem Flüchtling her, der. als ör sich gefangen sah, einen Schuß auf sich abgab. Jüne- mann hatte sich jedoch nur unerheblich verletzt und wurde als Polizeigefaugener der Charite zugeführt. Schon in seiner ersten Vernehmung bestritt I., einen Mord begangen zu haben. Er behauptete vielmehr, die Rakowski aus deren ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen getötet zu haben. Er habe sich dann selbst töten wollen, jedoch habe ihn der Mut hierzu verlassen. In seiner Vernehmung gibt der Angeklagte zu seinen Personalien an, daß er am 5. Juli 1888 in Hamburg   geboren sei. Der hierauf zur Verlesung gebrachte Eröjfnuiigsbeschluß lautet auf Diebstahl in 2 Fälle», Betrug, ferner auf Mord und schweren Raub. In seiner weiteren Ver- vchmung gibt Jünemann folgendes an: Er est als uneheliches Kind geboren, ist aber im Hause der Mütter verblieben, als diese einen Friseur AhrenS heiratete. Nachdem er mit 14 Jahren aus der Schule entlassen war, trat er bei seinem Stiefvater als Lehr- ling ein. Er hat dann als Friseurachilfe mehrere Stellungen in Süddcutschland innegehabt. Im Jahre 1906 kam er von München  nach Berlin  . Während seiner Stellungen in Berlin   und München  habe er sich, wie der Angeklagte angibt, viel mit Philosophie be- schäftigt und Nietzsche  , Darwin  , 5lant uutz Schopenhauer   gelesen: Er habe auch Sprachstudien getrieben, da er die Absicht hatte, nach England zu gehen, wo ihm ein Freund eine Stellung als Buch- Händler verschaffen wollte. Aus diesem Grunde habe er den Friseurberuf aufgegeben, für den er sich zu schade hielt. Die Sache mit der Stellung in England habe sich jedoch zerschlagen. Er habe sich dann für einen jetzt in Paris   lebenden Herrn Schröter mit der Ucbersctzung englischer und französischer Börsenartikel he- schäftigt, für die er pro Artikel 20 M. erhalten habe. Als er eine Friseurstellung in der Stallschreiberstraße innehatte, habe er durch einen Kollegen namens Hoffmann die Alice Rakowski kennen ge- lernt, die damals mit H. ein Liebesverhältnis unterhielt. Nachdem er den ganzen Winter 1903 alle möglichen Vergnügungsstätten mit der Rakowski aufgesucht hatte, sei es erst im darauffolgenden Sommer zu intimerem Verkehr gekommen. Die Rakowski sei zu ihm sehr zurückhaltend gewesen, sie sei sogar melancholisch gewesen. Landgerichtsdircktor Goebel: Won anderer Seite wird dies aber entschieden bestritten und das direkte Gegenteil behauptet. Was sagen Sie denn dazu, Angeklagter? Angckl.: Die Rakowski war eines der Mädchvn, die mal himmelhochjauchzrnd und dann wieder zu Tode betrübt sind. Die Rakowski wollte sich in solchen Stim- mungen einmal erschießen, dann aufhängen, dann wieder ver- giften oder ertränken. Vors.: Das mag ja vielleicht richtig sein. Die Rakowski soll sich aber nur dann mit solchen Gedanken ge- tragen haben, wenn sie sich von Ihnen zurückgesetzt fühlte. Es kommt hierauf zur Sprache, daß Jünemann neben dem LicbcSver- hältnis mit der Rakowski auch noch Beziehungen zu der Tochter seiner Wirtin, Wanda Stragies, hatte. Von dieser wurde Jüne- mann wiederholt unterstützt, als seine eigenen Ersparnisse auf- gezehrt waren. Er habe sich, so erzählt der Angeklagte weiter, dann allmählich von der Rakowski zurückgezogen und habe die Absicht ge- habt, den Verkehr mit der R. völlig aufzugeben. Anfangs Sep- tember habe ihm die R. mitgeteilt, daß ihr Verhältnis nicht ohne Folgen geblieben sei. Lediglich aus diesem Grunde habe er die alten Beziehungen wieder aufgenommen. Als hiervon die Stragies erfuhr, habe sie ihn vor die Alternative gestellt, entweder die Rakowski oder sie selbst. In dieser Bedrängnis habe er gehofft, von einem Buchmacher, der ihm noch eine größere Summe schuldete, Geld zu erhalten, damit er seine Schulden bei der Stragies be- zahlen konnte. Es folgen hierauf längere Erörterungen über die Vermögens- läge des Angeklagten in der Zeit kurz vor der Tat. Jünemann behauptet, daß er durch die kritische Lage in dieser Zeit auch selbst melancholisch geworden sei. In dieser Zeit habe die Ra- kowski wieder Selbstmordgedanken geäußert und ihm nahegelegt, gemeinschaftlich zu sterben. Nachdem sie sich noch einmal ordentlich in denWinzerstuben" amüsiert hatten, wären sie auf den Ge- danken gekommen, sich zusammen aufzuhängen. Bei diesem Gc- spräch, daß in denWinzerstuben" stattfand, sei es zu Differenzen gekommen, die ihn veranlaßt hätten, sich unauffällig zu entfernen und die RakowSki allein sitzen zu lassen. Vors.: Sic haben aber auch vergessen, zu bezahlen! Jünemann behauptet, daß er dies im Aerger tatsächlich vergessen habe, eine Zechprellerei habe ihm fern- gelegen. Es kommt hierbei zur Sprache, daß die Rakowski dem Angeklagten vorher erst 20 Mk. zur Bezahlung der Zeche gegeben hatte. Am nächsten Tage erzählte Jünemann seiner zweiten Ge- liebten Stragies, daß er aus denWinzerstuben" geflüchtet sei, weil sich die Rakowski dort habe das Leben nehmen wollen. Die Stragies soll dabei, wie der Vorsitzende dem Angeklagten vorhält, von Jünemann verlangt haben, baß er bis zum Dienstag früh auf jeden Fall mit der RakowskiSchluß" machen müsse, anderenfalls sie das ihm geliehene Geld zurückverlange. Am Tage der Tat habe er sich, erklärt der Angeklagte in seiner Vernehmung, gegen Abend in den Bäckerladen zu der Rakowski begeben. Diese habe ihn aufgefordert, sie zu töten und sich dann selbst den Tod zu geben. Das zur Tat benutzte Messer habe er schon vierzehn Tage vorher gekauft, um sich damit die Pulsadern zu öffnen. Die Rakowski habe ihm genau die Stelle bezeichnet, nach welcher er stechen solle. Er habe dann in furchtbarer Auf- regung den Wunsch der R. erfüllt und ihr da? Messer in das Herz gestoßen. Er habe den Körper dann langsam zur Erde gleiten lassen. Als er sah, daß die R. sofort tot war, sei ihm der Mut. sich selbst zu erstechen, entfallen. Er habe lieber durch eine Kugel sterben wollen. In diesem Augenblick sei ihm die Tageskasse ein- gefallen, mit deren Inhalt er sich einen Revolver kaufen wollte. Er habe sich dann ein Auto genommen und sei nicht nach seiner Wohnung, sondern nur bis zum Prager Platz gefahren und von dort aus nach Hause gegangen. Auf Vorhalt des Vorsitzenden bestreitet der Angeklagte, daß er hierdurch seine Spuren habe verwischen wollen. In der Wohnung angekommen, erzählte Jünemann der Stragies, daß die Sache mit der Rakowski nunmehr endgültig erledigt sei. Er gab der St. hierauf sogar seinEhrenwort". Als die St. den blutbefleckten Anzug des I. sah und sie ihn deshalb zur Rede stellte, erklärte der Angeklagte mit großer Kaltblütigkeit, daß er einer Dame, die von einem Automobil überfahren sei und Verletzungen erlitten habe, behilflich gewesen sei. In der Nacht zahlte Jünemann von dem in dem Geschäft geraubten Geld noch einen Teil seiner Schulden an die Stragies zurück- Am Tage nach der Tat habe sich der An- geklagte gleich am frühen Morgen einen Revolver gekauft, mit dem er sich angeblich am Abend erschießen wollte. Am Nachmittag habe er dann in der Lesehalle in der Kurstraße in den Zeitungen ge- lesen, daß er der Tat verdächtig sei. Staatsanwalt Dr. Müller hält dem Angeklagten vor. daß er am Morgen unmittelbar vor seiner Verhaftung kreuzfidel auf dem Spandauer Bock noch ein Kotelett gegessen habe, welches er allerdings ebenfalls zu be- zahlen vergessen habe. Die Vernehmung des Angeklagten ist damit beendet und es wird in die Beweisaufnahme eingetreten. Als erster Zeuge wird Kriminalkommissar Man- »owski vernommen. Der Zeuge schildert die von der Mord- kommission getroffenen Feststellungen an Ort und Stelle und die von ihm eingeschlagenen Wege zur Ermittelung des Täters. Nach- dem Jünemann in das Krankenhaus Westend   eingeliefert worden war, haoe er(Zeuge) sich in Begleitung des Kriminalwachtmeisters Faber nach dort begeben, um Jünemann zu vernehmen. Auf der Fahrt von Westend   nach der Königl. Charite habe Jünemann sehr entrüstet getan und alles bestritten. Erst auf seine wiederholten Ermahnungen, doch lieber die reine Wahrheit zu sagen, erklärte Jünemann plötzlich, daß sich die Rakowski in seiner Gegenwart selbst erstochen habe. Später habe Jünemann dann wieder plötzlich erklärt, daß er die Rakowski zwar erstochen habe, jedoch sei dies auf das ausdrückliche Verlangen der R. geschehen. Auf eine Frage de? Staatsanwalts Dr. Müller erklärt Kommissar Wannowski, daß er selbst es gewesen sei, der zuerst von einer Tötung mit Ein- willignng gesprochen habe und daß sich Jünemann dieses Moments gleich mit großem Interesse bemächtigt habe. Zeuge schildert weiter ein Moment, welches die Möglichkeit einer freiwilligen Tötung seiner Meinung nach völlig ausschließt: Der Angeklagte behauptete seinerzeit, daß die Rakowski keinen Schrei ausgestoßen habe. Nach- träglich haben sich jedoch zwei Schlächtergesellen und eine Haus- bewohnerin gemeldet, die zu der fraglichen Zeit einen lauten Schrei gehört haben. Cr(Zeuge) habe darauf den anwesenden Gerichtsarzt Dr. Strauch gefragt, ob eS möglich sei, daß die R., nachdem sie den tödlichen Stich empfangen hatte, noch einen Schrei ausstoßen konnte. Dr. Strauch habe dies als ganz unmöglich be- zeichnet, so daß damit bewiesen wird, daß die R. vor der Tat einen lautgellcnden Schrei ausgestoßen hat, der keineswegs damit in Einklang zu bringen sei, daß es sich um eine mit dem Einverständ- nis der R. erfolgte Tötung handele. Hierauf wurde der Kriminalwachimeister Faber als Zeuge vernommen, der gemeinschaftlich mit dem Kriminalkommissar Wannowski den Angeklagten Jünemann von dem Krankenhaus Westend   nach der Charite transportiert hatte. Der Zeuge bestätigt die Angaben des Kommissars, daß Jünemann erst überhaupt alles bestritten hat. Dann behauptete Jünemann, daß die Rakowski sich selbst erstochen habe. Auf eine weitere Ermahnung des Kom- missars, doch die volle Wahrheit zu sagen, da er doch kein gewöhn- licher Mörder zu fein brauche, sondern die Tötung möglicherweife im Einverständnis mit der R. verübt haben könne, habe Jünemann sofort sehr interessiert behauptet, daß die R. ihn zu der Tötung aufgefordert habe. Weiter wird der Büffetier Knoblich vernommen, der auf einer Radtour von Ptchelsberge kommend den Angeklagten Jüneman» am 22. Oktober im Grunewald getroffen hatte. Zeuge bekundet, daß ihn seine Braut in der Nähe der Grunewaldrennbahn auf einen Menschen aufmerksam machte, der ihrer Meinung nach eine große Aehnlichkcit mit dem in den Zeitungen veröffentlichten Bild des I. habe. Er(Zeuge) rief den Mann mit den Worten an: Guten Morgen  » Herr Jünemann!" Als der Mann zusammen- zuckte, erkannte er, daß es tatsächlich Jünemann war. Er habe dann sofort die Verfolgung des I. aufgenommen. Als er ihn beinahe erreicht hatte, krachten zwei Schüsse, die I. auf sich abge- geben hatte. Der Zeuge hat dann die Polizei alarmiert, welche die Üebcrführung des nur leicht verletzten Jünemann in das Kranken- Haus Westend   beranlaßte. Als Zeugin wird sodann die Geliebte des Angeklagten, Fräulein Wanda Stragies, vernommen, die folgendes bekundet: Sie habe den Angeklagten kennen gelernt, als dieser bei ihrer Mutter ein möbliertes Zimmer mietete. Nach längerer oberfläch- licher Bekanntschaft habe sich zwischen ihnen ein Liebesverhältnis entwickelt, welches im Juli v. I. einen intimeren Charakter annahm. Sie habe bald entdeckt, daß Jünemann auch noch mit der Rakowski in intimeren Beziehungen stand und habe ihm dies auf den Kopf zugesagt. Sie habe mehrmals darauf gedrängt, daß Jünemann dieses Verhältnis löse, jedoch ohne Erfolg. Jünemann habe sich ihr gegenüber stets nur als Ncnustallbesitzcr ausgegeben und erst durch einen Zufall habe sie erfahren, daß er Friseur ist. Als die Rakowski dem I. mittels Einschreibebriefes mitgeteilt habe, daß sie von ihm schwanger geworden sei, habe er ihr diesen Brief gezeigt und dabei geäußert, daß er die R. mit Geld abfinden werde, da er einen Scheck zu erwarten habe. Sie habe es ihm wiederholt frei« gestellt, zwischen ihr und der RakowSki zu wählen, auch habe sie wiederholt den Angeklagten ersucht, ihr endlich das Geld, etwa 209 M., zurückzuzahlen, die er ihr schuldete. Die Zeugin schildert sodann die bereits mitgeteilten Vorgänge am Morgen»ach der Tat. als Jünemann mit blutbesudcltcr Kleidung in ihre Wohnung zurückkam. Die Zeugin, Ehefrau des Obertelcgraphenassistentcn SalewSki, ist mit der ermordeten Alice Rakowski, bei der sie häufig Semmeln gekauft hat, näher bekannt geworden. Bei einer Gelegenheit habe sie auch Jünemann kennen gelernt, der sich ihr damals als Jockei ausgegeben habe. Jünemann habe sie einmal aufgefordert, auf die Rennbahn hinauszukommen. Er habe dabei geäußert, sie (Zeugin) solle sich aler nicht auf den 1. Platz stellen, sondern auf den 1 M.-Platz, da seine Aufmerksamkeit sonst abgelenkt werde und er sich dann das Genick brechen würde. Jünemann habe der kleinen Alice Rakowski mehrmals versichert, daß er sie heiraten und mit nach England nehmen werde. Die Rakowski habe ihr gegenüber nie Selbstmordgedanken geäußert, sondern sich im Gegenteil recht vertrauensvoll über verschiedene Dinge in der Zukunft geäußert. Zwei Tage vor dem Morde hat die Zeugin, wie sie vor Gericht weiter bekundete, von der Ltakowski einen Brief erhalten, in welchem ihr diese mitteilte, das; sie am Abend vorher von Jünemann in denWinzcrstuben"versetzt" worden sei! Diesem Brief folgte ein Rohrpostbrief an die Zeugin, in welchem die R. ganz ver- zweifelten Tones ihr mitteilte, daß an ihrer Grschäftskasse 69 M. fehlten und daß es Jünemann gewesen sei, der ihr das Geld ge- stöhlen habe, während sie hinten zu tun hatte. Die Zeugin hat dann sofort die Rakowski aufgesucht und hat diese ganz aufgeregt gefunden. Im Laufe des Gesprächs äußerte die R. zu der Zeugin: Frau Salewski, denken Sie später mal daran, wenn mir mal etwas passiert ist, so hat es nur der Jünemann getan!" Bei einer anderen Gelegenheit hat die Rakowski zu der Zeugin geäußert, daß sie dem Jünemann das Schlimmste zutraue. Rechtsanwalt Dr. Alsberg richtete an die Zeugin die Frage, wie sie sich eS erkläre, daß die Rakowski zu mehreren anderen Zeu- ginnen wiederholt Selbstmordgedanken geäußert habe, während die R. zu ihr, als ihre Vertraute, niemals derartige Gedanken ge- äußert habe. Zu recht erregten Auseinandersetzungen kam es, als R-A. Dr. Alsberg die Zeugin fragt, ob sie nicht gegen Entgelt Karten lege und u. a. einmalgeweisfagt" habe, Jünemann sitze in einem großen Hause mit vielen Fenstern. Die Zeugin be- streitet in erregtem Tone überhaupt Karten gelegt zu haben und wird beinahe entrüstet, als sie vom Verteidiger befragt wird, ob sie Geld für das Kartenlegen nehme. Erst nach wiederholtem Vorhalt des Verteidigers gibt die Zeugin Salewski zu, daß sie Karten legt und auch wiederholt Beträge von 59 Pf. und 1 M. von ihrer Schneiderkundschaft erhalten hat. Der Sohn der Zeugin bestätigt zum Teil die von ihr gcuisichten Angaben. Es wurde schließlich noch der s Oberkellner Göhring aus den Winzerstuben" in der Leipzigerstraße vernommen, der seinerzeit von dem Angeklagten um de» Betrag einer Zeche von zirka 20 M. betrogen worden war. Die Verhandlung wurde darauf auf Mittwoch Uhr vertagt._ Soziales* Jmningsmcisterlichc Rcchtsbegriffe. 1. Geaen den Bäckermeister Karl Stege klagte am Montag beim JnuungsschiedSgericht das D i e n st m ä d ch e n L a d w i g. Sie war in der in der Sprengelstr. 34 belegenen Filiale bis zum 12. Dezember beschäftigt. Sie verlangt 7,59 M. rückständigen Lohn und 39 M. Entschädigung, weil sie fristlos entlassen' worden ist. Der Beklagte bestritt. Arbeitgeber der Klägerin gewesen zu sein, dies wäre sein Filialleiter. Derselbe wird als Zeuge vernommen. Er bekundet, daß er als Geschäftsführer be- rechiigt war Leute auf Rechnung des Beklagten, zu engagieren. Infolge der eintretenden Zahlungsschwierigkeiten muxte die Klägerin entlassen werden, ohne daß ihr der rückständige Lohn ge- zahlt werden konnte. Der Beklagte wurde daraufhin dem Klage- antrage gemäß verurteilt. 2. Zwei beim Bäckermeister Alexander Mörschel beschäftigt gewesene Gesellen forderten noch je 4 M. für geleistete Ueberstunden, die ihnen vorenthalten worden sind. Die Be- mühungen des Schiedsgerichts, das dem Meister klar zu machen suchte, daß er angenommene Dienste auch cmschädigen müsse, waren erfolglos. Der Beklagte mußte zur Zahlung verurteilt werden. 3. Der Konditor B. war beim Bäckermeister Kaiser am 5. Januar in Arbeit getreten. In der Nacht erkrankte er, so daß er zur Fortsetzung der Arbeit unfähig wurde. Deshalb wurde ihm der ihm zustehende Lohn von 4.60 M. verweigert. Dem Schiedsgericht gelang nach längeren Bemühungen die Vertreterin des Beklagten  (seine Ehefrau) von der Rechtswidrigkeit der Lohn« einbehaltung zu überzeugen. Die Forderung wurde im Ber- gleichSwege beglichen. 4. Der Bäcker Z. war beim Bäckermeister Karl B l ii m l e r zwei Wochen lang, bis zum 30. Dezember, gegen einen für Berlin   nicht üblichen außerordentlich niedrigen Lohn von 0 M. beschäftigt. Bei seinem Weggange erhielt Z. den Lohn für die letzte Woche nicht ausbezahlt. Er forderte ihn nun im Klagewcge. Im Termin rechtfertigte der Beklagte die Lohnverweigerung mit der Weigerung des Klägers, sich zur Krankenkasse selbst anzumelden. DaS Schiedsgericht machte ihm vergebens klw;