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Am zweiten Tage führte Keir Hardts den Vorsitz. Nach der Erwählunx; des Btirews verlas er die Eröffnungsrede, die vom Parteivorsiand entworfen war und etwa folgendermatzen lautete: Die Partei ist jetzt 10 Jahre alt. Bei ihrer Geburt zählte sie 376 000 Mitglieder, jetzt l'/z Millionen: damals stellte sie IS Parlameulskandidaten ans. die 70 000 Stimmen erhielten, bei diesen Wahlen kandidierten 77 Vertreter, die 505 363 Stimmen er- hielten. Damals wurden trur 2 gewählt, jetzt 40. Allein Zahlen drücken nicht den ganzen Forlschritt gegen damals aus. Das Streben nach Sozialreform erfüllt jetzt das ganze Proletariat und treibt das Parlament zu Taten. Die letzten �Wahlen enthüllten Schwächen unserer Organisation und ebenso Schwächen des Wahlrechts, die beseitigt werde» müssen. Die Partei ist unzufrieden mit den Jrländern, die vielfach zur Niederlage unserer Kandidaten beitrugen, obwohl die Arbeiterklasso die einzige Macht ist, die ehrlich für Homerule (Selbstverwaltung Irlands ) ist. Die ganze Presse spekuliert jetzt, was die Politik der Arlreitervartei sein wird. Die Partei bleibt strikt selbständig. eS wird kenn Kompromiß mit irgend einer anderen Partei geschloffen. Sie ist der heftigste Feind der Lords, über- Haupt jeder Zweiten Kamnuer, denn diese muß ihrer Natur nach reaktionär sein. Wir bilden eine Sektion der Jnteritationale, mit der die Diplomatie rechnen muß. Die Arbeiterpartei ist wesentlich sozialistisch, sie gewinnt immer mehr die Ueberzeugung, daß keine Hoffnung aus gründ« liche Besserung der Arbeiterlage ist, so lange die Privatproduktion besteht. Jeder Arbeiter- kandidat muß berechtigt sein, für den Sozia- lismus zu agitiere». Am Nachmittag findet die Diskussion über den Jahresbericht und über die Wahltaltik statt. ffillitiii'Malische lloterichlelke vor dem SirlMgericht. Siebenter Bcrhandlungstag. UeHtztz acht Tage währt bc reits der große Bestechuilgsprozeß vor dem Kriegsgericht der 1. Garde- Division. Der gestrige Verhandlungs- tag(Mittwoch) war für die P.'aidoyers bestimmt. Der Vertreter der Anklage, Dr. K a h s e r. stellte nach langein Plnidoyer solaende Anträge: Gegen den Wachtmeister Karstädt wegen militärischen Diebstahls, Vcstechu» schuldhafter Verabsäumung der ihm obliegende» Beaufsichtigung Unr'crgebener und wegen der Unter« lassung von Meldungen strafbarer Handlungen Untergebener ein Jahr sechs Monate Zuchthaus und Entfcrirnng aus dem Heere; gegen de» Aizewachtmeifter Müller ei» Jahr drei Monate Zuchthaus und Ent- fernung aus dem Heere; gegen die Sergeanten Mever und Wahl wegen der gleichen Straftaten je ei» Jahr und drei Monate Zucht- banS und Entfernung aus dem Heere. Gegen Pruschke, bei dem die Sache milder liege, beantragt der Ankl ge ein Jahr drei Monate Gefängnis und Degradation, gegen den Vizewachtmeister Rautenberg sechs Monate Gefängnis und Degradation und gegen Hansel vier Monate Gefängnis. In einem ausgedehnten Plaidohcr ergeht sich der Verteidiger des Hauptangeklagten Karstädt, Justizrat Sello, über den Prozeß und suchte die Unschuld seines Klienten nachzuweisen. Es folgte das Plaidoyer deS Rechtsanwalts Ulrich, des Verteidigers der Angeklagten Meyer. Wahl und Hansel. Er charakterisierte die Zeugenaussagen und beantragte gleichfalls die Freisprechung seiner Klienten. Für die beiden Bizcwachtmeister Rautenberg und Müller trat Rechtsauwalt Zeitschel ein. Er ist der Ansicht, daß gegen die beiden Angeklagten so gut wie nichts spreche und ihre Schuld in keiner Weise nachgewiesen sei. Als letzter Verteidiger ergreift Justizrat Winterfeld das Wort für den Sergeanten Pruschke: Falls das Gericht zu- unguusten des Pruschke urteile, so beantrage er nachträglich noch die Ladung eines Sachverständigen, der darüber Auskunft geben solle, welche Onantitäten Futter den Pferden entzogen werden können, ohne daß die Leistungsfähigkeit der Tiere leide. Die Angeklagten, zum letzten Wort gelassen, bitten sämtlich um Freisprechung, da sie sich unschuldig fühlen. Sergeant Meyer erklärt, die Hälfte der Zeugen hätte einen Meineid geleistet I Das Urteil wird morgen, Freitag, mittag verkündet. !l. KerMstlig der Maurer Deutschlands . Leipzig , 7. Februar.(Eig. Bericht.) l. Berhandlungstag.(Abendsiyung.) Es werden noch die Schlußworte zum Vorstandsbericht ent- gegengenommen. Bömelburg: Wichtigere Einwendungen find gegen den Vorstandsbericht nicht erhoben werden. Gedruckt konnte er nicht vorgelegt werden, weil er selbstverständlich bis zum 6. Februar nicht fertig sein konnte. Die Gaukonferenzen sollten allerdings vor dem Verbandstag abgehalten werden, aber das war diesmal auch ausgeschlossen. Die Berliner Putzer können nicht verlangen, daß eine Putzerkonferenz einberufen werde. Nur in wenigen Städten gibt es Putzer, sonst putzen auch Maurer. Man würde gar nicht die Delegierten dafür erhalten. Mir hat es in gewisser Hinsicht gefallen, daß der Redaktion Vorwürfe wegen der C a l w e r schen Artikel gemacht wurden. Es ist gut, wenn die Kollegen über die prinzipielle Haltung des Blattes wachen. Hier war aber der Vorwurf unberechtigt. Gerade von unserem Vorstand ist seinerzeit beimKorrespondenzblatt" ange- regt worden, eine geeignete Person mit der Herausgabe einer Wirt- schaftlichen Rundschau zu beauftragen. Als C a l w e r auS der Partei ausgeschieden war, konnte die Redaktion nicht sagen, nun drucken wir die Artikel nicht mehr ab. Die Vorstandskonferenz müßte erst Stellung dazu nehmen. Und wenn ich auch heute noch nicht sagen kann, wie die Sache sich gestalten wird, weil sie noch nicht abgeschloffen ist, so wird doch die Zeit kommen, wo wir die wirtschaftlichen Berichte bringen werden, ohne daß der Name ihres Verfassers Calw er ist. Die leitenden Leute der Gewerkschafts- bewegung brauchen die Aufklärung in den wirtschaftlichen Fragen. Dazu können wir nicht denVorwärts" zur Hand nehmen.(Zu- ruf:Leipziger Volkszeitung !") Auch die nicht! Calw er gibt jetzt eine ZeitschriftKonjunktur" heraus. Wir haben unseren Gauleitern empfohlen, diese Zeitschrift zu abonnieren, weil das die einzige annehmbare Quelle ist, aus der man sich die Jnfor- mation holen könne. Es gibt sonst keine Leute, die darüber schreiben können.(Zurufe: Hilserding!) Ich rede nicht über die Person. Aber sagen möchte ich, dazu gehören Leute mit der Eigenart Calwers. Wir können aber über diese Sache hinweg- gehen und abwarten, wie sie sich weiter gestaltet. Wenn wir noch einige Zeit die C a l w e r fchen Artikel bringen, wird der politische Charakter d.er deutschen Maurer nicht leiden. Dann ist auch wieder über die Maifeier gesprochen worden. Laßt doch das Kind einmal ruhen. Das viele Debattieren nützt nichts. Zur Beurteilung dieser Frage hat die deutsche Arbeiter- Bewegung eine Grundlage geschaffen, auf der wir weiter arbeiten wollen. Selbstverständlich wird die Arbeitslosenstatistik weiter- gepflegt werden. Wahrscheinlich wird sie 19N wieder aufgenommen. auf jeden Fall aber 1912. Die Arbeitslosenunterstützung kann nicht eingeführt werden. Die Berliner Kollegen fallen da auS einem Cxsrem ins andere. Wer dort vor Jahren ihre Einführung verlangt hätte, wäre gesteinigt worden. Augenblicklich sind die Berliner für alles, da ist allgemeine Begeisterung dafür. Wenn wir ihren Wünschen Rechnung tragen würden, und nach S Jahren würden sich Kalamitäten ergeben, dann würden die Berliner rufen: Wir haben Euch gewarnt.(Heiterkeit!) Dort wo daS Genter System eingeführt wird, müssen andere Maßregeln ergriffen werden. Der deutsche Maurer muß auch heute und noch weiter hiu in zehn Monaten das verdienen, was er für die Erhaltung feiner Familie im ganzen Jahre braucht. Führen wir nicht die Arbeitslosenunterstützung ein. sondern kämpfen wir für bessere» Loh"!(Lebhafter Beifall!)-"' 11* Daehne-Verlin geht in seinem Schlußwort über 5en ÄuS- schußbericht nochmals auf einige unwichtige Streitfälle ein. Redakteur W innig: Ich bin bereit, alles das zu verteidigen, was hier angegriffen worden ist. Im Fall C a l w e r brauche ich nur wenig zu sagen. Es hätte scheinen können, als ob alle Dele- gierte die Haltung der Redaktion verurteilten. Ich war deshalb über den Beifall erfreut, der erscholl, als H ü b e n e r aussprach, man solle das Gute nehmen, woher es kommt. Ich habe darnach die Ueberzeugung, daß die Majorität unsere Haltung billigt. ES wäre kein Ruhmesblatt in unserer Geschichte, wenn wir sofort auf Calwers Austritt hin auf seine Mitarbeit verzichtet hätten. Wir wollen die Aechtung abweichender Gesinnung in unseren Reihen nicht haben. Vor dem Menschen, dem Wiffenschaftler und Sozialisten C a l w e r habe ich die größte Hochachtung. C a l w e r S Argumente sind nicht die.unseren; aber sie sind den Unternehmern ebenso unbequem. Von den Beweggründen zu meiner Stellungnahme in der Maifeierfrage sollte ich eigentlich nicht sprechen muffen. Unsere Kollegen hatten einen schweren Winter hinter sich, fast zwei Drittel waren arbeitslos gewesen. Und die Drohungen der Unter­nehmer mutzten ernst genommen werden. Wir konnten nicht durch die Arbeitsruhe eine große Aussperrung riskieren. Ich bin der Meinung, daß durch die Arbeitsruhe eine wirkungsvolle Demonstra- tion für die Maiideale noch nicht gekommen ist. Muth hat uns Schlappheit in der Finanzkampagne vorgeworfen. Wir haben da unsere Schuldigkeit getan. Ich scheute davor zurück, die Bewegung der deutschen Bauarbeiter durch viele Angriffe auf die Christlichen zu stören. Es kommt ja noch dazu, den Frevel der Steuerwucherer heimzuzahlen, und da wird auch derGrundstein" mithelfen. Leipzig , S. Februar. 3. Berhandlungstag. Die Mandatsprüfungskommission empfiehlt die Bestätigung aller Mandate. Der Verbandstag stimmt dem zu. Der nächste Punkt ist Lohnbewegung. Das Referat hält Bömelburg. Da hier wichtige taktische Er- örterungen zu besprechen sind, wird über diesen Punkt in ge- schlossener Sitzung verhandelt. Im Anschluß daran wird die Bei- tragsfrage eingehend beraten. Ein Redner nach dem anderen be- tonte die Notwendigkeit höherer Beiträge, und auch die Vertreter der Zweigvereine, die früher einen anderen Standpunkt einnahmen, chwenkten um unter der Wucht der Argumente und Tatsachen, die ür den Antrag sprachen. Unter großer Begeisterung wurde der Beschluß gefaßt, zur Er- höhung der Kampffähigkeit deS Verbandes den Wochenbeitrag um 10 Pf. zu erhöhen, die der Hauptkasse zufließen sollen. Für diesen Beschluß stimmten, wie schon telegraphisch gemeldet, in namentlicher Abstimmung 256, dagegen 9 Delegierte. Morgen wird die Verschmelzungsfrage behandelt. Elfter Nerbandstag der Kanhilfsarbeiter Deutschlauds. Leipzig , 8. Februar.(Eig. Ber.) Am zweiten Berhandlungstage wurde die De- batte über den Geschäftsbericht fortgesetzt, die sich in demselben Rahmen, wie die gestrige, bewegte. In seinem Schluß- Worte betont« Vorfitzender Behrendt, daß sachliche Eintven- düngen gegen den Geschäftsbericht nicht gemacht wurden. Behrendt besprach die gegen Ausschuß- und VorstandSentscheidungen vor­gebrachten Einwände. Den größten Teil seiner übrigen AuSfüh» rungen füllen die Affären Peters und Roche aus. Bei letz- terer Sache seien mit wenig Sachkenntnis und wenig Rücksicht auf den Verband Angriffe auf den Vorstand erhoben worden. Dadurch sei er gezwungen, ausführlich auf sie einzugehen. Redner gab eine Schilderung davon, in welcher Weife Roche vorgegangen ist. Die Entscheidung in der Klage des Vorstandes gegen Roche müsse bald fallen. Der Vorstand habe alles versucht, zu veranlassen, daß die Verhandlung noch vor dem Verbandstag stattfindet. Es sei ihnen nicht gelungen. Die Denunziation Roches gegen VorstandSmit- glieder beim Staatsanwalt sei von diesem niedergeschlagen worden. Wegen der Erklärung des Borstandes in der Sache Roche habe dieser die Kühnheit gehabt, Widerklage zu erheben. Die alten Angriffe gegen Töpfer seien unberechtigt. Der letzte Verbandstag habe Töpfer wegen dieser Sache sein volles Vertrauen ausgesprochen. Von den übrigen Schlußworten ist hervorzuheben, daß Redak- teur RöSk« den Vorwurf, als ob das Verbandsorgan bei der Finanzreform nicht genügend aufklärende Artikel gebracht habe, zurückwies. Auch die Stellung der Zentrumsabgeordneten im Reichstag wurde scharf kritisiert. Es ist also nicht richtig, wenn da» Gegenteil behauptet wird. Er gebe aber zu, daß er keinen Ge- fallen daran finde, sich Woche für Wocke mit den Christlichen herumzuschlagen. Man müsse doch bedenken, daß man mit den Christlichen bei Lohnbewegungen zusammengehe, da muß man un- nötige.Kritiken vermeiden. Der Redakteur desGrundstein" teilt ebenfalls diese Ansicht. Nach Beendigung der Schlußworte erklärte Zeisig-Ham- bürg, er sei gestern anscheinend falsch verstanden worden. Schon im Jahre 1907 habe er gegen Peters den Vorwurf des Streikbruchs erhoben; man hätte diesen also schon damals zur Rechenschaft ziehen können. Mit Roche habe er noch nie sympathisiert, sondern immer vor ihm gewarnt. Wenn er gesagt habe, er unterschreibe manche», was Roche anführte, so meint« er nur den Fall, in dem dem Vor- stand hinterkwacht wurde, was wir Hilfsarbeiter besprochen hatten. Weiter aber gar nichts! Nach einer großen Zahl persönlicher Bemerkungen gelangt ein Antrag Hamburg , die Strafe und Kosten der Klage PeterS gegen Zeisig auf die Hauptkasse zu übernehmen, einstimmig zur An. nähme. Ueber den Punkt Unsere Lohnbewegung referierte dann Töpfer- Hamburg. Die Beratung dieses Punktes wird in geschlossener Sitzung erledigt. In der Debatte herrschte Einstimmigkeit darüber, daß der Verband sich zu den be- vorstebenden Kämpfen finanziell zu stärken habe. Bei asten Rednern herrschte freudige Kampfesstimmung; die Ausführun- gen des Referenten fanden nur lebhaste Zustimmung. Als Resultat der Beratungen wurden folgende Anträge angenommen, und zwar der erste mit 100 gegen 3 Stimmen, der andere einstimmig. Vom 1. März 1910 bis die Lohnbewegung offiziell beendet ist, haben alle Mitglieder, mit Ausnahme der Arbeitslosen. doppelten Beitrag zu zahlen. Der zweite Antrag lautet: Vom 1. März 1910 bis zur Beendigung des bevorstehenden Kampfes sind Ueberschreibungen von Mitgliedern anderer Organi- sationen, mit denen wir in keinem Kartellverhältnis stehen, zu unterlassen. Mit Beginn des Kampfes sind auch Mitglieder der Kartell- organisationen nicht mehr überzuschreiben. Diejenigen Bauhilfsarbeiter, die nach dem Kartellvertrag schon hätten Mitglieder unserer Organisation sein müssen, werden vom Tage deS Beschlusses nicht mehr aufgenommen Die Verhandlungen werden vertagt. Gerichts-Leitung. Nadelstiche gegen Turner. Die staatsretterischen Bestrebungen der Dunlelmanner gingen seit der Zeit der Demagogenrtecherei dahin, daS Turnen der Bürger alsstaatSgefährlich", alsrevolutionär" durch platteste Geioalt- tätigleiten und harte Strafandrohungen zu verhindern. Die Drangsalierungen Jahns und seiner Turngenoffen bleiben ein dauerndes Denkmal der Schande für den bornierten preußi- schen BureaukratismuS, der im Interesse der Junker ar­beitete. Die siegreich« Revolution brachte diese Hahne- büchenen Blödheiten zur Strecke. Da? Turnen wurde gestattet und in den Schulen eingeführt. Seit einigen Jahren, seit dem widerrechtlichen Geheimerlaß des Kultusministers Holle vom 7. August 1907, ist ein neues Treiben gegen die Turneret amtlich eröffnet. Schonung haben dienationalen" Turner ohne Gesinnung und Selbstachtung. Sie sollen gefördert, vielleicht mit einem allgemeinen Ehrenzeichen für GestmnlNflsiosigkeit und mit der Versetzung in eine böhere Wählerklasse belohnt werden. Anders steht es mit den Turnern der Arbeiterklasse. Unseren Lesern ist in Erinnerung, daß die auf Grund des Holleschen Erlasses ergangenen Verbote ver- schiedener Regierungen und des Provinzialschulkollegtums vom Landgericht Berlin bereits als gesetzwidrige anerkaimt sind. Voraus- sichtlich wird daS Reichsgericht dieser Verurteilung des Kultus- Ministers und der Regierungen beitreten. Zwischendurch versuchen untergeordnete Polizeiorgane den tunteitden Arbeitern durch Strafbefehle Nadelstiche beizubringen. Ueber ein solches fruchtlos verlaufenes Stückchen aus dem Kampfe gegen die Turnerei hatte am Montag das Kammergericht zu be- finden. Die freie Turnerschaft vott Geestemünde hatte eines Sonntags im August des vergangenen Jahres auf dem freien öffentlichen Turn- platz an der Mainzer Straße und Gutenbergstraße zu Geestemünde ihre Turnübungen abgehalten. Der Vorsitzende und Turnleiter Martschin wurde deshalb wegen Ueberttetung der Verordnung über die äußere Heilig Haltung der Sonn- und Feiertage vom 22. August 1900 angeklagt. Es handelte sich um die Zeit des Hauptgoltesdienstes. Für diese sind durch die Verordnung unter anderem alle mit Geräusch verbundenen Ver» einigungen oder Vergnügungen an öffentlichen Orten verboten. Die Strafkammer als Berufungsinstanz sprach den Angeklagten mit folgender Begründung frei: Der Turnplatz sei zehn Minuten von der nächsten Kirche entfernt. Die Leher Chaussee führe unmittelbar an dem Turnplatz vorüber. Sie sei aber dort utt- bebaut und es herrsche auf ihr fast gar kein Verkehr. Wenn nun auch die üblichen Kommandos bei dem Turnen ertönt seien, so könne hier doch eine Uebertretung der Verordnung nicht angenommen werden im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft, die darin eine Uebertretung der Verordnung sehe. Nicht jede mit Geräusch verbundene Bereinigung oder Vergnügung falle unter die Straf- bestimmung der Verordnung. Die Polizeiverordnung, die ja dem Schutz der äußeren Heilig- Haltung der Sonn- und Feiertage diene, wolle augenscheinlich nur diejenigen mit Geräusch verbundenen Bereinigungen und Ver- gmigmtgcn treffen, die geeignet seien, daS Publikum zu belästigen und eS in seiner sonntäglichen Andacht und Ruhe zu stören. DaS Publikum, was unbeteiligt sei. habe hier aber nicht in seiner Re- ligiosität verletzt werden könilen, zumal daS Turnen eine gesunde Leibesübung sei. Die Staatsanwaltschaft legte gegen dies verständige Urteil Revision ein und machte gellend, daß hierzweifellos" eine mit Geräusch verbundene Gesellschaft im Sinne der Ver- ordnung vorgelegen habe. Der Auffassung der Staatsanwaltschaft trat Rechtsanwalt Wolfgang Heine als Vertreter deS Lln- gellogten entgegen. Das Kammergericht verwarf auch dteRevision der Staatsanwaltschaft mit der Begründung, daß das Rechtsmittel an der tatsächlichen Feststellung scheitere, wonach eine mit Geräusch verbundene Vereinigung oder Vergnügung im Sinne der Verordnung nicht vorgelegen habe. Schutz gegen Schutzleute! Wie sehr der Ruf nach Schutz gegen Schutzleute berechtigt ist, das zeigte wieder mal eine Verhandlung vor dem Schöffengericht in D.- Ruhrort. , Angeklagt war der Bergmann Michael Pednarek. Es wurde ihm vorgeworfen, am verflossenen Silvesterabend die Polizeibeamtcn T e r f o t h und Nordmann in Ham» dorn auf offener Straßetätlich angegriffen" und siebeleidigt", sich auch desWiderstandes" schuldig gemacht zu haben. Diesertätliche Angriff" gegen zwei bis an die Zähne bewaffnete Beamte gewinnt noch dadurch an besonderem Interesse, daß einer derSchutz- leute" auch noch eine jener Hundebestien bei sich hatte, die im Dienste der hl. Ordnung jetzt mit besonderer Vorliebe auf Menschen losgelassen werden. Der angeklagte Bergmann hätte demnach ein ganz besonders verwegener Bursche sein müssen, uni die Beamten tätlich anzugreisen. DaL war er nun aber durchaus nicht, sondern ein sehr harmloser Mensch. Die Sache stellte sich denn auch entgegen de» eidliche» AnS- sagen der beiden Polizeibeaioten in der Verhandlung ganz anders heraus. Nicht der Bergmann hatte die Beamten tätlich angegriffen. sondern umgekehrt hatte» die beideu Polizeibeamten den Bergmann überfallen and jämmerlich verhauen. Nach übereinstimmender Darstellung des Vorganges durch den Angeklagten und verschiedene Zeugen hatte sich der Vorfall wie folgt zugetragen: Der erwähnte Bergmann Pednarek ging am Silvesterabend zu seinen Eltern. Bei dieser Gelegenheit hatte er in einem Stalle zu tun. Als er dort fertig ist und wieder die elterliche Wohnung auf- suchen will, wird er vor der Haustür plötzlich von zwei Polizeibeamten angefalle«. Der eine nimmt ihn ohne weiteres beim Kragen und wirst ihn auf die Erde, und nun geht eS mit der Plempe drauf. Auch wird er von der auf ihn gehetzten Hundebestteo gebissen! Auf das Geschrei des also Gemißhandelten kommt seine Mutter mit der brennenden Lampe heraus und beleuchtet die Szene. Auch die Mutter schreit natürlich laut auf. Doch auch sie bekommt Hiebe und die Lampe wird ihr aus der Hand ge- schlagen. Ein anderer Zeuge, der hinzukommt, wird ebenfalls verhauen. Wie ein Zeuge bestimmt aussagte, hat einer von den beidenSchutzleuten", als die Mutter mit der Lampe erschien, zu dem anderen geäußert:Das i st n i ch t d e r Richtige". Daraus geht hervor, daß die beidenHelden" jemand aufgelauert hatten zu dem Zwecke, ihn zu verhauen! Trotzdem also die Polizejbeamtcn in einer so unerhört brutalen Weise einen friedlichen Menschen überfallen und mißhandelt hatten, sagten sie unter Eid aus, der Bergmann P. habe sie tätlich angegriffen! Das Gericht glaubte ihnen indes nicht, andern folgte den Aussagen der Zeugen, die sich mit den Aussagen des Angeklagten vollständig deckten, den es dann freisprach. Werden nunmehr dieWächter der Ordnung" angeklagt werden? Oder wird sich die Staatsanwaltschaft daran genügen lassen, daß sie auf Vorschlag des Ministerpräsidenten in die zweite Wählerklasse aufrücken sollen? Der Polizeihund hat noch nicht die hinreichende Dienstzeit, um in einer Klasse mit Bordellbesitzern wählen zu dürfen welche Atlszeichnung hat der Ministerpräsident für ihn? Eisenvahugefährdung. Mit einer eigenartigen Hochbahngeschichte, die«viedcr eimnal das alte Wort von den llcineu Ursachen und großen Wirkungen illustriert, war gestern die 3. Strafkammer des Landgerichts l unter Borfitz de» LandgerichtSdftektorS Lieber veschafttgt. Wege»