Ng. Kopsch<freis. Vp.): Im vorigen Jahre hat gerade HerrErzberger in der Budgetkommission weitgehende Anträge auf Ein-schräiikung der Militärkapellen gestellt, er wollte vier oder fünfMillionen sofort absetzen, um dies zu erreichen. Heute urteilt eranders.(Heiterkeit.)Abg. Erzdergrr<Z.): Bei den Freisinnigen scheint mit dem Blockauch die Militärsreundlichkeit in Trümmer gegangen zu sein; manvergleiche nur ihre heutigen Angriffe gegen den Kriegsminister mitihren vorjährigen Reden.(Heiterkeit im Zentrum.)Der Titel wird bewilligt.Beim Kapitel„Naturolverpflogung* führtAbg. Wehl(natl.) Beschwerde darüber, dah die MilitärverwaltungProviant zum Teil vom Auslände beziehe.Oberst v. Zastrow erklärt, daß die Militärverwaltung im vorigenJahre leider nicht in der Lage war, den Bedarf an Heu zu att wiesonst im Jnlande zu decken; soweit möglich solle aller Proviant imJnlande gekauft werden.DaS Kapitel wird b e w i I i g t.Hierauf vertagt das HauS die Fortsetzung der Beratung aufFreitag 1 Uhr.Schlutz'/,? Uhr._Das Preßecho der ßechmanntchen Rede.„Berliner Tageblatt":Mit stürmischen Pfuirufen von der Handvoll sozialdemo-kratischer Abgeordneter im Drciklassenparlament wurde der preu-hische Ministerpräsident v. Bethmann Hollweg empfangen, als ersich zu seiner Begründung der Wahlrechtsvorlage anschickte. Undman mutz cS diesen Abgeordneten lassen, datz sie �um mindesteneine feine Witterung bewiesen, als sie gleich mit einem lebhastenProtest einsetzten. Denn je weiter Herr v. Bethmann.Hollwegsprach, um so deutlicher stellte sich heraus, datz es zwischen, ihmund der ganzen Linken, zwischen ihm und allen modern und frei.heitlich empfindenden Elementen deS Volkes wirklich keinenSchatten einer Verständigung geben kann. Der Herr Minister-Präsident tat auch diesmal wieder, als wollte er sich über die Par-tcicn stellen, und er versuchte mit einem historischen und geschichtS.philosophischen Mäntelchen die reaktionäre Tendenz seiner Redezu verhüllen. Aber diese langatmige und ausdruckslose Rede be-deutete doch nichts anderes als eine tiefe Verbeugung vor demagrarischen Junkertum und ein Loblied auf den prcutzischen Staat,wie er heute ist.Was an der Bethmannfchen Red« am unsympathischsten bc-rührte und zugleich seine reaktionäre Anschauungsweise und seineUnzulänglichreit am deutlichsten erkennen lictz, das waren seineSticheleien aus das freie und gleiche Wahlrecht. Dieser Minister,der doch einstweilen noch recht wenig geleistet hat, behauptet, datzpolitische Kultur und Erziehung um so mehr leiden, je demokra-tischer das Wahlrecht wird! Cr wirst den Parlamenten vor, datzsie dazu beigetragen hätten, die politischen Sitten zu verflachenund zu verrohen. Und er wehrt mit einer Entrüstung, die einerbesseren Sache wert gewesen wäre,«ine Kontrolle Preutzcns durchdie übrigen Bundesstaaten ab. In Wirklichkeit will P r e u tz e ndie übrigen Bundesstaaten kontrollieren. DaS verrietHerr v. Bethmann Hollwcg etwas zu offenherzig, als er sich gegeneine Demokratisierung des Bundesrats wandte. Daö DeutscheReich soll auch weiterhin unter der preußischen Knute stehen..... Auch die Frage, ob öffentliches oder geheimes Wahlrecht.ist„Ueberzeugungssache. Mit solchen Phrasen läßt sich schließ-lich auch jede Schurkerei beschönigen. Das tollste war aber dieBegründung der öffentlichen Wahl durch den Satz:„Unserganzes Leben setzt sich aus Abhängigkeiten zusammen."Wir wollen aus der Gebundenheit zur Freiheit, Herr v. Bcth.mann Holllveg! Wir wollen vor allen Dingen, datz der politischeWille deS einzelnen Wählers nicht entstellt wird, datz man denBeamten wegen seiner Abstimmung nicht schuhriegelt, datz manden Arbeiter und den kleinen Handwerker nicht terrorisiert. Wergegen diese von allen Seiten erhobenen Forderungen nichts weitervorzubringen weiß als einen seichten Lehrsatz, der macht sich seineAusgabe entweder sehr leicht, oder sie ist— und das ist in diesemFalle das Wahrscheinliche— für seine Schultern zu schwer.„Bosstsche Zeitung":MS Herr v. Bethmann Hollweg heute im Abgeordnetenhaus«vor überfüllten Tribünen das Wort zu feiner Wahlrechtsvorlagenahm, wurde er von einigen Sozialdemokraten mit überflüssigenPfui-Rufen empfangen, worauf aus den Reihen der Rechten dienoch überflüssigere Antwort ertönte„Raus mit den Hunden!"Es war eine ziemlich stürmische Szene. Aber die Aufregungbegann sich bald zu legen. Denn der Ministerpräsident sprach soeintönig, seine Ausführungen waren so profefforal, sie ergingensich so wunderlich in Allgemeinheiten, daß man oft ein gelindesStaunen nicht zurückhalten, aber kaum je auch nur in herzhaftenUnwillen ausbrechen konnte. In der Tat, anders als sonst inMenschenköpfen malt sich in diesem Kopf die Welt. Vielleicht hateinst der romantische General v. Radowitz ähnliche Staatsträumegehabt. Vielleicht mutz man auf Ancillon zurückgehen, um einMuster zu finden, oder auch man wird in Herrn v. BethmannAollweg den allerneuesten Hegelianer erblicken, der an den preu.tzischen Einrichtungen den Satz erläutert: Alles, was ist, ist ver-nünftig.Herr v. Bethmann.Hollweg sprach philosophisch über die Frage,ob wir mit der höheren Bildung der Jugend noch auf dem richtigenWege sind, und theologisch von der tiefen religiösen Bewegungunserer Zeit und dem Drang nach innerlicher Vertiefung, kultur-historisch über das umgekehrte Verhältnis der Kultur zur Demo.kratisierung und feuilletonistisch über parlamentarische StimmungS.bilder, die er nicht leiden mag. Er sagte dem Parlament justkeine Schmeichelei, wenn er bezweifelte, datz cS zur politischenErziehung und nicht vielmehr zur politischen Verflachung beitrage.Aber— du lieber Gott, was hat das alles mit der Wahlrechts.Vorlage zu tun? Es war eine sehr mäßige Plauderei eines Konfe-rencicrs über alle und noch einige Fragen der Politik. Indessenendlich, nachdem er ungefähr eine Stunde lang geredet hatte, ver-sicherte Herr v. Bethmann Hollweg, jetzt komme er zur Wahlrechts.Vorlage. Alles atmete erleichtert auf. Aber eß loar ein Irrtum.Roch kam ein Exkurs über die Furcht als schlechte Ratgeberinund über Bismarck als Wahlrechtspolitikcr und über dOn Reichtumdeutscher Kultur und über den individualistischen Zug im deutschenVolt und über die schwäbischen und sächsischen Stämme und überdie Eigenart des preutzischen Volkes— fast hätten wir die wunder-samcn Auslassungen gegen die geheime Wahl vergessen....«Freisinnige Zeitnng":.... Vielfach hatte man geglaubt, datz der Beginn der Wahl-rechtsdebatte anch der Umgebung des Abgeordnetenhauses seinenStempel aufdrücken und Strahendemonstrationen der Sozialdemo-traten hervorrufen werde. Damit war es nun freilich gar nichts..... In dein Saal freilich versuchten die Herren, die sich dortals die Vertreter der arbeitenden Bevölkerung aufspielen, zu de-m o n st r i e r e n, indem sie den Ministerpräsidenten sofort beiseinem Erscheinen mit Pfuirufen und mit den sonst aus der sozial-demokratischen Presse schon hinlänglich bekannten Schimpfnamenüberschütteten........ Die Erwartungen, die man auf das persönliche Ein»greifen des Herrn v. Bethmann Hollweg zu setzen berechtigt war,wurden zum größten Teile enttäuscht. Allerdings bemühte sich derReichskanzler, nachzuholen, was die schriftliche Begründung deSGesetzentwurfs versäumt hat, und gewissermaßen eine allgemeineBegründung der Vorlage zu liefern. Aber nach seiner Gewohnheitverlor er sich allzu oft so sehr in den weitesten Allgemetnbeiten,datz das zur Diskussion stehende Thema davon nichts profitierte.Gewiß» man hört Herrn v. Bethmann Hollweg, wenn er sich inphilosophischen und wiffenschastlichen Exkursen ergeht, nicht un-gern zu; seine Ausführungen sind, falls man die Boraussetzungengelten Iaht, in sich konsequent, und ex versteht es. die Dinge voneinem besonderen Gesichistvinkel zu betrachten und ihnen eineoriginelle Seite abzugewinnen; aber zu überzeugen vermag ernicht. Er kann nicht einmal blenden; dazu ist er zu sachlich-trocken.So waren seine theoretischen Betrachtungen über das Wahlrechtwirkungslos, und sein« Rechtfertigung des Dreiklassenwahlrechtsinsbesondere bewegte sich in derartigen staatsrechtlichen und histo-rischen Spekulationen, datz sie schon dadurch völlig kühl ließ.„National-Zeitung":... Mit der Frische und Energie, die auch einem preutzischenÄstajor gut anstehen würden, zerpflückt der Reichskanzler, gleichin medias res hineinspringend, all die zahlreichen, zum Teil rechthinterhältigen Verdächtigungen, mit denen man seit Erscheinen derVorlage die Haltung und die Absichten der Regierung, namentlichvon liberaler Seite, begleitet hat.... Die Behauptung, datz dasDreiklassenwahlrecht auf agrarische und feudale Verhältnisse zu-geschnitten sei. weist der Reichskanzler in ihrer ganzen Haltlosigkeitzurück. All die vom„Berliner Tageblatt" und dem„Vorwärts"in Kurs gesetzten Verhetzungsphrasen erledigt Herr v. Bethmannin schlagender und für den ruhigen, sachlichen Zuhörer über-zeugender Weise. Es ist nicht nur die beste Rede, die Herr v. Beth-mann Hollweg je gehalten hat, sondern auch eine der vortreff-lichstcn rednerischen Darlegungen, die an dieser Stelle überhauptvom Miniftertische geboten worden sind. Die Rede steigert sich all-mählich zu einer allgemeinen Slbrechnung mit all der unzufrieden-heit, d»e in dieser Frage aufgespeichert worden ist. Von redsis Bei-fall, von links Zwischenrufe, die der Redner schlagfertiger als jeglänzend zurückzuweisen versteht. Historische Rückblicke, Parallelenmit der Parlamentsgeschichte anderer Länder, alles unter grotz-zügigen Perspektiven, bringt der Reichskanzler und weiß so immeraufs neue da« Interesse deS Hauses zu fesseln und alle auf derLinken vorhandene Unrube wirksam zurückzudämmen.„Preußenläßt sich nicht in das Fahrwasser des Parlamentarismus ver-schleppen, solange die Macht seines Königtums ungebrochen ist",ruft der Kanzler mit erhobener Stimme aus und eine mächtigeBewegung geht durch das Haus. Mit Recht! Diese Worte sollenHerrn v. Bethmann Hollweg nie vegessen werden. Geben sie dochdie Stimmung aller ernst zu nehmenden, so recht an der alt-preutzischen guten monarchischen Ueberlieferung festhaltenden Poli-tiker wieder....„Germania":Die Ausführungen des Ministerpräsidenten über die Frageder geheimen oder öffentlichen Wahl waren nichtüberzeugend, aber sie waren auch nicht so entschiedenablehnend gegenüber der Forderung der geheimen Wahl,datz man daraus nicht die Hoffnung schöpfen dürste, die Regierungwerde die geheime Wahl annehmen, wenn die Mehrheit des Hausesdiese alS die bessere anerkennen und annehmen würde. ZumSchlüsse pries der Minister in vollen Tönen die„preußischeEigenart", die es nicht erforderlich erscheinen lasse, daß dieverschiedenen Bundesstaaten in ihren konstitutionellen Entwicke-lungen homogene Bahnen einschlagen; er betonte dabei auch denföderativen Charakter des Reiches....«Reichsbote":.... Unentwegt schrien die 6 Männer im Takte ihr„Pfui"in den Saal, Waren die Stratzendemonstrationen fortgefallen, somutzte die sozialdemokratische Theaterregie doch eine andere Sen-sation ersinnen, war sie auch noch so albern und ordnungswidrig.Allmählich legt sich der Sturm und der Ministerpräsident kannbeginnen. In fünfviertelstündiger Rede läßt er seinen Gedankenfteien Lauf, und eS mutz gesagt werden, datz es zwar ein Genutzwar, seinem Gedankenflug, zu folgen, datz an die Aufmerksamkeitaber harte Anforderungen gestellt wurden. Vielleicht wäre dieRede noch eindrucksvoller gewesen, wenn sich der Ministerpräsidentetwas mehr Beschränkung auferlegt hätte und seine staatsrechtlichenAbschweifungen nicht zu sehr ausgedehnt hätte. Seine Rede machtemehr den Eindruck einer akademischen Erörterung über die Gründedes Schreies nach einer Wahlreform, als den der Begründung derinneren Motive für die Einbringung von Abänderungsvorschlägenseitens der Negierung....FranzSfiicher Parteitag.3. Tag.NimeS, 8. Februar.(Eig. Bcr.)Die Diskussion über die Altersversicherung wird fort-gesetzt.Aubriot-Seine(pro) betont die Mtonomie der Partei gegen-über der C. G. T. Wohl wären aber gemeinsame Er-örterungen wichtiger Arbeiterfragen angezeigt. Der Ein-wand, datz die Beitragsleistung der Arbeiter den GewerkschaftenAbbruch tun werde, wird durch den Aufschwung der Bergarbeiter-organisation seit dem Pensionsgesetz widerlegt.Lafargue(kontra): Die Vorlage ist eine Wahlmache. Immerwird die Altersversicherung vor den Wahlen präsentiert. Diejetzige Vorlage bietet weniger als das bestehende AlterSunter-stützungSgesetz. Der Redner bespricht ihre Einzelheiten. ES isteine Illusion, datz die Kapitalisation öffentlichen Arbeiten zugutekommen würde. Aber wichtiger als die Kapitalisation ist dieAltersgrenze und die Beitragsleistung. Von fürLohn Arbeitenden sind nur 807 000 über 65 Jahre alt. Gneysseund Bertillon haben für 1896 berechnet, datz nur 7 Proz. dasAlter von 65 Jahren erreichen, Bertillon kommt zu einer Ziffervon 4 Proz. für Paris, ja in manchen Vierteln, wie im 13. Arron«dissement, verschwinden überhaupt alle Arbeiter vor 65 Jahren.(G ro u ss i e r bestreitet den Wert dieser Ziffern: Nach der Be-Völkerungsstatistik bleiben 35 Proz. bis zum 65. Jahre am Leben,zieht man nur die Personen über 18 Jahre in Betracht; wie diesrichtig ist, sogar 40 Proz. Berücksichtigt man die geringe Sterb-lichieit der Besitzenden, so kommt man noch immer zu dem Er-gebnis, datz von den Arbeitern über 18 Jahre 25 die Alter»-grenze erreichen.)Lafargue schildert die Notlage der Textilarbeiter im Norden,den Steuerdruck, der auf der Landwirtschaft lastet und äußertdie Furcht, datz die Partei für die neuen Lasten verantwortlichgemacht werden werde. Der Redner hält den Befürwortern desGesetzes den Wechsel ihrer Stellung zur Konföderation vor. Ichhabe nie an die Autonomie von Gewerkschaft, Genossenschaft undPartei geglaubt, sondern immer ihr Zusammenarbeiten bcfür.wartet. Nehmen Sie das Gesetz an, so ist das der Krieg mit derKonföderation. Stimmen wir gegen das Gesetz und beginnen wirsofort eine Agitation für eine neue, von ans ausgearbeitete allge-meine Versicherungsvorlage, gemeinsam mit der Konföderation.(Sembat: Die wird ja gegen das Gesetz sein.) Nun, dann werdenwir allein die Propaganda ins Land tragen.(Stürmischer, lang-anhaltender Beifall.)Sembat(pro): Was hier in Frage ist, ist nicht die Alters-Versicherung allein, sondern unsere Taktik, unsere Methode über-Haupt. Darum gibt eS hier auch kein Ausweichen, keine Abstinenz,sondern wir müssen mit dem vollen Gefühl der Vcrantwortlichke,tJa oder Nein sagen. Von den Einwendungen, die gegen dasGesetz erhoben werden, kann diejenige keine Geltung haben, diedarauf verweist, datz Angehörige der bürgerlichen Parteien wieRibot dafür sind. Da ist HerUc mit seinem AntiParlamentarismus wenigstens logisch. Denn wenn wir die Unterstützung derBürgerlichen nicht wollen, müssen wir gegen jedes Gesetz stimmen,solange wir nicht die Mehrheit im Parlament haben. Die Vorlagebedeutet bei all ihren Mängeln eine wichtige Errungenschaft. Zumerstenmal ist in ihr das Prinzip anerkannt, datz der alte Arbeiterein Recht darauf hat, von der Gesellschaft unterstützt zu werden.Wenn Sie jetzt uns vorrechnen, wie wenig Arbeiter die Alters-grenze erreichen, setzen Sie sich da nicht der Gefahr aus, datz dieGegner der Versicherung Ihnen entgegenhalten: Die ganze Zeither habt ihr gefordert, datz etwas für die alten Arbeiter geschehenmüsse und nun stellt ihr selbst fest, datz es überhaupt keine gibt?(Heiterkeit und Beifall.) Ich will Ihnen selbst zugeben, datz wirk-lich nur 7 Proz. das BezugZalier«reichen.?5ber was wird darausfolgen? Daß man, förmlich automatisch, dieses herabsetzt. Istdas Gesetz der Verbesserung fähig? Das ist die ganze Frage. S i ewollen seine Ablehnung und eine Agitation für eine neues Gesetz,unsere Methode ist das Errungene festzuhalten und für weitereVerbesserungen zu kämpfen. Sie scheint mir besser, scheint mirjedenfalls ein Zeitgewinn. 24 Jahre sind seit dem ersten AntragJaures verflossen. Denken Sie an die Umständlichkeit des parla»mcntarischen ApparteS! Wa» die finanzielle Deckung anlangt,ziehe ich das Umlageverfahrcn vor, aber je mehr ich die Kapitali-sation schmähen höre, desto günstiger denke ich über sie.— Mandarf die Rente nicht nur unter dem Gesichtspunkt des augenblick.liehen Vorteils betrachten, den sie dem alten Arbeiter bietet. Siefibt dem Arbeiter überhaupt einige Sicherheit. Neben der Herab-etzuna der Altersgrenze haben wir als Verbesserungen vor allemzu erkämpfen die Erhöhung des Staatsbeitrags und die Selbst-Verwaltung der Kassen durch die Arbeiter. Diese Verbesserungensind für uns erreichbar. Redner erörtert dann das Verhältniszur C. G. T. Wir sind verpflichtet, sie zu hören. InBerufSfragen ist sie kompetent, aber nicht in derPolitik. Sie selbst hat sich in AmienS jenseits der„Sekten"gestellt. Sie wirst uns vor, nur„Meinungen" zu vertreten, oberin ihrer Aktion beruft sie sich selbst auf Meinungen, die Meinungenvon Marx u. a. In freien Ländern aber ist die öffentliche Meinungeine große Macht, ohne sie kann kein großer Streik gewonnenwerden. Und sie drückt sich, Hervö mag sagen, was er will, imResultat der Wahlen aus. Wir treiben keine PopularitätSbaschcrei,sonst hätten wir uns nicht der verfolgten Anarchisten, Ehndika-listen, ja ÖerveS selbst angenommen. Ebenso wenig wie am Schlepp-tau der Konföderation wollen wir an dem der Radikalen sein.Geben Sie uns eine klare Ordre, für oder gegen das Gesetz zustimmen? Ich bin der Meinung, datz wir uns nicht damit be-gnügen sollen, eS zu beschimpfen, sondern datz wir Verbesserungenvorschlagen sollen. Dann aber wollen wir. mit einer öffentlichenErklärung auf der Tribüne, für das Gesetz stimmen.(AuhaltciidcrBeifall.)Nachmittagssitzung.Tie Debatte wird fortgesetzt.Luonct(Seine, kontra) spricht vom Standpunkte der E. G. T.»deren Sekretär er war. Er verwahrt sich gegen Sembats Dar-stellung, als ob die Konföderation gegen die sozialen Reformensei. Aber die Vorlage sei gar keine wirkliche Reform. Er er-klärt die Arbeiterbeiträge für unannehmbar und bezweifelt, datz dieHerabsetzung der Altersgrenze so leicht herbeizuführen wäre. Erbekämpft auch die Kapitalisation. Die E. G. T. würde an derVerwaltung der Kassen vermutlich nur dann teilnehmen, wennder Staat rein Aufsichtsrecht in Anspruch nähme, und dies ist nichtu erwarten. Die vorliegende Frage ist vor allem eine Arbeiter-rage und darum hat die Partei, ohne ihrer Autonomie etwaszu vergeben, ihrer Mission folgend, den Willen der Arbeiterklassezu vollstrecken und der Entscheidung der C. G. T. zu folgen. DieKapitalisation liefert dem Staat dre Möglichkeit zu Betrügereien,zur Konfiskation im Kriegsfall. Die Vorlage ist eine neue An-Wendung der Methode Waldeck-Rousseau. Die radikalePartei macht die Reform nicht um der Arbeiter willen, denn dannwürde sie sie anders machen. Sie macht sie vor allem für dieBourgeoisie, für ihre Profitbedürfnisse. Wenn Sie schon kapitali-sieren wollen, dann verlängern Sie die Kapitalisationsperiodegleich auf 80 Jahre und Sie machen die Arbeiterbeiträae über-flüssig. Kapitalisieren Sie überhaupt alle öffentlichen Ausgabenfür den Militarismus usw.— Ich bitte Sie, oen Graben zwischender Partei und der Konföderation nicht zu vertiefen. ES ist nichtrichtig, daß die Konföderation der Parte: unfreundlich gesinnt ist.Nehmen Sie Akt von ihrer Entscheidung und zeigen Sie, datz dietartci die politische Vertretung der Arbeiterklasse ist. Erschwerenie nicht die Situation der Konföderierten, die für ein gutesVerhältnis mit der Partei arbeiten. Wenn Sie gegen tms Gesetzstimmen, so bleibt die sozialistische Partei wohl eine politische Partei,aber nicht die der Ärbeitcrllassc.(Stürmischer Beifall.)Jaurö» begrützt die Intervention Luquets als ein Anzeichend« Besserung der Beziehungen zwisckeu Partei und Konföderation.— Luquet selbst hat bis auf die Kapitalisation die MögKchkettvon Verbesserungen zugegeben. Die Bedeutung dieses Kongressesist, datz zum erstenmal die Partei, nach der Feststellung ihrerallgemeinen Regeln vor eine große Reform gestellt ist. Rednervertveist auf die einstimmige Zustimmung der Fraktion im Jahre1906. Und diese Zustimmung geschah nicht um des Gesetzes willen,sondern vor allem in Hinblick auf seine VerbesserungSsähigkeit,trotzdem die Beiträge dreimal so hoch waren. Damals hat sichkeine Stimme dagegen in der Partei erhoben.(Lafargue protestiertund verweist darauf, daß er im 2. Wahlkreis gegen das Gesetzgesprochen habe.) Um so befremdeter war ich über die vor einpaar Wochen begonnene Campagne, in der man von Betrug midDiebstahl sprach. Aber auch die Konföderation hat nicht protestiert.(Luquet: 1906 war da» Gesetz nicht ernstzunehmeu!) Trotzdemhätten die sozialistischen Gewerkschaften unS warnen müssen. Siehalten Verbesserungen für unmöglich. Aber damals schon habenwir die wichtige Verbesserung der Aufnahme der Teilpächter unterdie Versickerten durchgesetzt. Während der drei Jahre, als wirauf das Ministerium eindrangen, das Prinzip des Gesetzes zu ver-wirklichen, auf allen Parteitagen haben Sie keinen Protest ver.nehmen lassen. Wenn Sie uns jetzt zwingen, unsere Haltungzu ändern, so leidet nicht der moralisch« Kredit der Fraktion allein,sondern der g a n z e n P a r t e i. In allem Hätz, dem wir inder Kammer begegnen, lebt die Ach tu n g vor uns, als einer Partei»die weiß, was sie will, und ihre Entscheidungen mit klarer Uebcr-legung trifft. Gefährden Sie sie nicht, indem Sie von unS ver-langen, uns zu desavouieren.— Ich bedauere, datz man uns un-genaue Ziffern aitiert. lieber das Verhältnis derjenigen« die dieVorteile dieses Gesetzes genießen werden, zur Gesamtzahl der Bei-tragsleistenden wird«st die Erfahrung Aufschluß geben. Bei einerZahl von 1200 000 Rentenbcziehern würde die Rente 400 Frankbetragen. Lafargue glaubt, daß nur 800 000 die Vorteile des Gc-setze» genießen werden. Ich habe von tüchtigen Aktuaren eineBerechnung über die Höhe der Rente bei 500 000 Berechtigten an.stellen lassen, und wissen Sie. zu welchen: Betrag sie gekommensind? Zu einer Rente von 1080 Frank.(Bewegung.) Der Oppo-sition liegt ein Irrtum in der Methode zugrunde. Sie verkennen,daß es in der Demokratie kein unbewegliche?»erstarrtes Gesetz gibt. Das Gesetz spielt in d« sozialenOekonomie, im Leben der Klassen die Rolle, die die Gewohnheitim Leben der Individuen gibt. Wenden wir die Methode derVerbesserung an. Redner verweist auf den prinzipiellen Unt«-schied zwischen der Altersunterstützung und dem unbedingten Rechtder V c r s i ch e r u n g, die die moralische Würde des Arbeiters hebt,auch dessen, der noch nicht 65 Jahre erreicht hat. An die lieber-wälzung der Unternehmerbciträgc glaube ich nicht. Sie ist durchdas Gesetz verboten. lLuquet ruft: Die Arbeiter werden sie alsKonsumenten bezahlen.) Luquets Einwurf ist das Argument derliberalen Schule gegen jede Sozialreform. Man fürchtet auch dieHerabsetzung der Löhne. Aber die ganze Geschichte der intcr-nationalen Arbeiterbewegung spricht gegen diesen Pessimismus.Denken Sic auch daran, welche materielle und moralische Bedeutungdie Pension d« Alten in den Arbeiterfamilien in Streitzeitcnhaben wird. Der StaatZbeitrag von IM Millionen aber wird durchdie am schwersten überwälzbare progressive Erbschaftssteuer be-stritten werden. ES ist also keine„Pension für die Toten" sonderneine Pension durch die Toten— der Bourgeoisie nämlich. WennSie die Deputierten tadeln, die das Gesetz votiert haben, so ver-urteilen Sie auch die Parteien der Internationale, die wie diedeutsche und die österreichische Sozialdemokratiedaö Prinzip deS Arbeitcrbeitrags und der Kapitalisation akzeptierthaben. Redner beruft sich aus MolkenbuhrS Ausführungen inder„Humanitö". Molkcnbuhr ist nichts weniger als Revisionist.Für die Arbeitslosenversicherung waren die deutschen Genossenbereit, die Beitragspflicht zu übernehmen. Sie forderten vor allemeinen Anteil an der Verlvaltung. Ein solcher ist in der Borlageimmerhin gegeben. JauriS beruft sich auf Adler» Erklärung