Nr. 83a. 27. Jahrgang.
Der Aufmarsch im Friedrichshain vollzog sich wohlgeordnet und ohne jeden Zwischenfall. Die strahlende Frühlingssonne hatte schon frühzeitig Tausende von Spaziergängern nach dem weiten Park ge Iodt. Als aber der Beiger der Uhr immer näher auf Eins rückte, beränderte fich das Straßenbild in der Gegend des Friedrichshains mit einem Male. Durch alle Zugangsstraßen schlängelten sich Gruppen von Männern und Frauen zu hundert und mehr an der Zahl, die alle unter heiterem Geplauder dem Versammlungsorte zustrebten. Die Straßenbahnwagen, die nach dieser Richtung fuhren, waren dicht gefüllt mit Fahrgästen. Die Genossen vom fünften Wahlkreis tamen die Greifswalder Straße herauf und bogen durch die Hufelandstraße in die Virchowstraße und den Park ein, während die Genossen aus dem Schönhauser Viertel durch die Danziger und Christburger, ebenso durch die nächstliegenden Straßen heranzogen.
Im Friedrichshain waren auf dem großen Spielplak, der nahe der Elbinger Straße liegt, drei Tribünen
aufgestellt worden. Ihre rote Umhüllung leuchtete weithin durch den Park und hob sich wirkungsvoll ab von dem Grün des Rasens. Schon von 12 Uhr ab fanden sich hier zahlreiche Personen ein, die, ohne den sozialdemokratischen Wahlvereinen anzugehören, teilnehmen wollten an unserer Kundgebung gegen die Entrechtung des werktätigen Volkes. Um 21 Uhr belief die Zahl dieser Besucher sich bereits auf mehrere Tausende, die wartend umherstanden. Um diese Zeit begann dann auch der Anmarsch unserer Genossen aus den Wahlvereinen. Bald trafen die ersten Trupps aus den ein zelnen Bezirken in dem Park ein, in immer rascherer Aufeinanderfolge marschierten sie auf den Plaz, immer dichter wurde die Schar, die auf dem Rasen Aufstellung nahm, immer gewaltiger schwoll das Heer der Wahlrechtsdemonstranten an. Um 1 Uhr war der Spielplatz samt dem ihn umgebenden Promenadenweg von einer Menge gefüllt, die man in Anbetracht der Größe dieses Terrains auf 30 000 Personen schäßen durfte. Ein Trompetensignal hallte über den weiten Plaß, das Gewirr der Stimmen verstummte, und von drei Tribünen aus wurde die Versammlung eröffnet. Vor der Tribüne nahe der Werneuchener Straße waren die Genossen aus der Schönhauser Vorstadt versammelt. Hier sprachen die Genossen Het schold und Wels. Die Genossen aus Weißensee hatten sich vor der Tribüne in der Mitte des Plates aufgestellt, wo die Genossen Ed. Bernstein und Poetsch referierten. Die Genossen des fünften Kreises waren versammelt vor der Tribüne nahe der Langenbeckstraße, und zu ihnen hatten sich zahlreiche Mitglieder der demokratischen Vereinigung gesellt. Es sprachen hier Herr Dr. Breitscheid als Vertreter der demokratischen Vereinigung und unser Genosse Rob. Schmidt. Alle Redner geißelten die Wahlrechtsschmach und riefen auf zur Fortsetzung des Kampfes gegen die Volksentrechtung, die der schwarzblaue Block mit seiner Wahlreform" dem preußischen Volke aufzwingen will. Kundgebungen der Zustimmung unterbrachen immer wieder die Redner, und Beifallsstürme folgten ihren Ausführungen. Ueber die Resolution wurde zunächst vor den drei Tribünen gesondert abgestimmt. Die Genossen des fünften Kreises willigten im Hinblick auf die Teilnahme der Demokratischen Vereinigung in eine Aenderung, die dahin ging, daß die Teilnehmer sich verpflichteten, den in Betracht kommenden politischen Organisationen" t beizutreten. Schließlich wurde noch eine Gesamtabstimmung vorgenommen, die die Bedeutung eines Gelöbnisses hatte, in dem Wahlrechtskampf auszuharren bis zum Sieg. Wieder flog ein Trompetensignal über den Platz und 30 000 Schwurhände reckten fich empor. Ein packender Anblick von hinreißender Gewalt! Ein Wahlrechtshoch brauste hinüber und herüber, und der Gesang der Arbeitermarseillaise beendete die Kundgebung.
Während der Abmarsch unserer Wahlvereine sich vollzog, verbreitete unter den anderen Teilnehmern, die dem Stadtinnern zue strebten, sich das Gerücht, daß in der Menge der Polizeipräsident sich befinde. Er sollte kurz vor Schluß der Versammlung noch eingetroffen sein, um sich persönlich zu überzeugen, wie gut alles ohne Polizei ging. Wenn etwa Neugierige ihn belästigt haben, so möge ihn der Gedanke trösten, daß es nicht Mitglieder unserer Wahlvereine waren, die ihm nachliefen. Polizei in Uniform hatte während der Versammlung sich nicht bliden lassen, nur vor Beginn sah man zwei Polizeioffiziere, die den Blaz umschritten und den Eindruck mitnahmen, daß sie überflüssig waren. Unsere Ordner, die in großer Bahl auf dem Plaz verteilt waren, sorgten besser für Aufrechterhaltung der Ordnung, als jemals die Polizei es Die Arbeiter- Samariterkolonne
fönnte.
Samariter.
Versammlungen in den Vororten.
Montag, 11. April 1910.
Rathenow . In einer polizeilich genehmigten Bersammlung unter freiem Himmel demonstrierten mehrere tausend Wahlrechtsfämpfer. Die Teilnehmer waren in geschlossenem 8uge, der sich durch die Hauptstraßen der Stadt bewegte, zum Versammlungsplatz gezogen. Die Polizei verhielt sich reserbiert.
Finsterwalde . Im Anschluß an eine Wahlrechtsversammlung veranstalteten 1000 Personen einen Umzug, der ohne Störung berlief.
Kottbus. Die Versammlung zählte 2000 Teilnehmer. Nach der Versammlung fand ein Straßenumzug statt, der ohne Zwischenfälle verlief.
Forst. Hier wurde eine Versammlung abgehalten, die von 1500 Personen besucht war. Straßendemonstrationen fanden nicht statt.
Schwebt a. D. Die start besuchte Versammlung war auch von Gegnern besucht. Troz mehrmaliger Aufforderung meldeten sich die Gegner nach dem Referat nicht zum Wort.
Strasburg ( U.-M.). Hier haben unsere Genossen nach langem, zähem Kampf mit einem reaktionären Gemeindevorstand sich endlich die Versammlungsfreiheit" erobert. Troß des eisigen Nordwestwindes und Hagelwetters hatten sich über 400 Personen zu einer Versammlung unter freiem Himmel eingefunden, die gegen das Wahlrechtsscheusal und das Gebaren des blau- schwarzen Schnapsblocs protestierten.
Magdeburg . In der Stadt Magdeburg wurden 7 Ver. sammlungen abgehalten. Nach Schluß zogen die Teilnehmer unter Hochrufen auf das freie Wahlrecht und Absingen der Marseillaise in das Stadtinnere. Die Polizei verhielt sich passiv.
Im Regierungsbezirk Magdeburg fanden in3gesamt 46 Versammlungen statt.
Erfurt . Hier war eine Versammlung unter freiem Himmel erlaubt worden. Sie war von 2000 Männern und Frauen besucht. Parteisekretär Apel- Erfurt referierte. Dann unternahmen die Teilnehmer einen Spaziergang in die innere Stadt. Die Polizei verhielt sich mit vereinzelten Ausnahmen zurückhaltend. Das Regierungsgebäude war abgesperrt. Ginige Verhaftungen wurden vorgenommen.
Mühlhausen i. Thür. In einer start besuchten Vere sammlung fanden die Ausführungen des Redners Ueber den Massenstreit als äußerstes Kampfmittel" starte Zustimmung. Der Versammlung folgte ein Straßenumzug, an dem sich 2000 Personen beteiligten. Die Polizei verhielt sich zurückhaltend. Langensalza. Hier waren 500 Personen versammelt, in Sömmerda und Tennstedt etta 400 Personen.
etwa
ein nach
Aber gleich Duzend der Stadt
Friedrichshagen . Die Versammlung war von 700 Männern und Frauen besucht. Das Referat des Genossen Jacobsen wurde mit Daran schloß sich ein Spaziergang Breslau . Die hiesige Organisation veranstaltete eine unter der Begeisterung aufgenommen. durch den Ort, für den die Behörde bestimmte Straßen vor- Hand vorbereitete, in der Deffentlichkeit gar nicht bekannt In feierlicher Ruhe bewegte sich der Zug von gegebene Demonstration im städtischen Südpark. Gegen drei geschrieben hatte. Hochrufen auf das Wahlrecht begleitet dem Ziele zu. In wenigen Uhr waren etwa 6000 personen versammelt. Einige hundert Sänger trugen Arbeiterlieder vor. Dann wurde ein dreifaches Hoch auf das Minuten war das ruhige Straßenbild wieder hergestellt. Erfner. In einer gut besuchten Versammlung referierte Genosse freie Wahlrecht ausgebracht und die Protestresolution einstimmig anSonnenburg- Friedrichshagen über das Thema:" Wahlrecht genommen. So weit war alles gut gegangen. und Junkerregierung". Tiefe Entrüstung machte sich über den am Ausgange des Parkes standen Die allgemeine Wahlrechtsbalg der Junker und Pfaffen bemerkbar. und hatten die Zugänge 4656 Resolution wurde mit heller Begeisterung einstimmig angenommen. Schuleufe Zehlendorf ( Wannseebahn ). Die Protestversammlung war von abgesperrt, so daß die Menschen gezwungen waren, zu in die Stadt zu gelangen. zirka 200 Männern und Frauen besucht. Genosse Stör mer zeigte versuchen, auf Seitenwegen einer Weile die Leute heftigen Widerspruch in frasser Weise unter Zustimmungskundgebungen die Entrechtung als nach des Proletariats. Die Resolution wurde einstimmig angenommen. gegen diese Maßregel erhoben, zogen die Schuhleute blank und Dem Wahlverein traten 10 neue Stämpfer bei. hieben blindlings mit flacher Klinge in die Menge hinein. Bernau . 500 Versammlungsteilnehmer hörten das während einer unserer Genossen mit dem Kommissar verhandelte, öfter durch Beifall unterbrochene Referat des Genossen Lang. bammer- Verlin. Nach Beendigung zogen sämtliche Teilnehmer durch brachen etwa 1000 Personen den Kordon und nach dem Marktplaß bors Rathaus, wo sich unter Hochrufen auf fepten in rasendem Laufe der Stadt zu. Am Kaiser- Wilhelm- Plaz war das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht die Menge wiederum abgesperrt, so daß die Leute weitere Umwege machen mußteu. Man hat die Beobachtung gemacht, daß gerade die Kommissare, die trennte. Spandau . Die Demonstrationsversammlung im Böhleschen am unbeliebtesten und schneidigsten sind, auf den schwierigsten Der Genosse Arbeitersekretär Stellen standen. Im Polizeipräsidium scheint man dies aus Nache Lokale war sehr gut besucht. Rössel- Berlin referierte über das Thema: Die Wahlrechtsräuber dafür getan zu haben, daß die Demonstration nicht angezeigt wurde. am Schandpfahl. In recht drastischer Weise erledigte sich derselbe seiner Waldenburg. Für einen Wahlrechts umzug wurde die Aufgabe. Nach der Versammlung zogen die Teilnehmer in geschlossenem Zuge die Schönwalder, Lynar- und Neuendorfer Straße bis zur Ring- Genehmigung versagt, trotzdem demonstrierten über chaussee. Hier hielt Genosse Rößler eine furze Ansprache, worauf 10 000 Berfonen. Die Polizei und Feuerwehr gingen gegen der Zug sich auflöste. Die Polizei war zahlreich auf dem Posten, die Masse, obgleich sie die größte Ruhe bewahrt hatte, tätlich hielt sich aber sehr zurück. bor. Zahlreiche Frauen und Kinder wurden verlegt. In der Bevölkerung herrscht größte Erregung.
Die Demonstration der Provinzen.
war auf dem Versammlungsplaze vollzählig vertreten. In der Nähe jeder Tribüne waren Hilfsmannschaften postiert, um gegebenen falls sofort Hilfe leisten zu können. Die Samariter batten auch reichlich zu tun, da in erheblichem Umfange Ohnmachtsanfälle zu verzeichnen waren, von denen glücklicherweise nur einige wenige Ueber die Demonstrationen in den Provinzen gingen uns ernsterer Natur waren; die übrigen waren leichte Fälle. Anscheinend die folgenden Privatdepeschen zu: waren verschiedene Teilnehmer den längeren Wegstrapazen nicht gewachsen. Die Kolonne verabreichte Stärkungsmittel, wodurch sich die Maroden bald wieder erholten.
an
mit
Ein Opfer des Wahlrechtssonntages. Leider hat der gestrige Sonntag auch ein Opfer gefordert. Auf dem Marsche zu der Versammlung im Friedrichshain wurde der vielen Genossen des 6. Streises, namentlich den der Schönhauser Borstadt bekannte Genosse Heinrich Graad, Stargarder Str. 13, in der Elbinger Straße am Arnswalder Blaz von einem Herzschlage getroffen. Von hilfsbereiten Genossen wurde er zunächst dann die dort befindliche Eandkiste gesetzt und einem schleunigst herbeigérufenen Sanitätswagen nach dem Krankenhaus am Friedrichshain gebracht. Dort konnte jedoch nur der inzwischen eingetretene Tod festgestellt werden. Die Leiche wurde dann nach dem Schauhause befördert. Genosse Graad war von Beruf Stellmacher. Er stand in den fünfziger Jahren. Jahrelang war er opferwillig für die Partei tätig. Jmmer war er auf dem Posten, wenn die Partei rief, unerschrocken tat er seine Schuldigkeit für unsere Sache. In den letzten Jahren versah er den Posten des Obmannes der Zeitungskommission der Firma Hinge u. Co. Die Partei verliert in Graad einen treuen Anhänger und betrauert mit r Familie den tragischen Tod des braven Kameraden. Der Polizeipräsident von Jagow nahm gestern an einer Einweihungsfeierlichkeit der neuerbauten Synagoge, Dresdener Str. 127, teil und zwar in der Zeit von 12 bis 12 Uhr, während die Parteigenossen im Treptower Park demonstrierten. Nach einer anderen Meldung soll Herr von Jagow in seinem Dienstautomobil zu allen Versammlungsplägen gefahren sein, um sich aus eigener Anschauung über die Vorgänge zu unterrichten. Hat er das getan, so wird er sich überzeugt haben, wie falsch sein Berhalten bei früheren gleichen Anlässen gewesen ist.
Der Stadtkommandant von Berlin hatte den Befehl erteilt, daß die Berliner Garnison nicht vor abends 7 Uhr die Kasernen verlassen soll. Jezt heißt es, daß das nicht geschehen sei, weil man Unruhen befürchtete, sondern um zu berhindern, daß das Militär nach Schluß der Versammlungen. mit den sozialdemokratischen Arbeitern in Berührung kommt. Als ob diese Berührung auch sonst verhindert werden könnte! Der militärische Gouvernementsbefehl soll infolgedessen bereits gegen 4 Uhr nachmittags aufgehoben worden sein.
Langenbielau. Die Demonstrationsversammlung war von 1500 Personen besucht.
Landeshut . Die hier tagende Wahlrechts- Protestversammlung war gut besucht.
Striegau , Um 10 Uhr fand hier ein Demonstrationszug über den Ring und dann ein Wahlrechtsspazier= gang nach Stanowi statt. Dort wurde eine Versamm Brandenburg . Auf dem Trauerberge fand eine Versammlung lung unter freiem Himmel abgehalten, an der 600 Perunter freiem Himmel statt. Die Behörde hatte den mitten in sonen teilnahmen. Die Polizei war überascht. Es wurde deshalb der Stadt gelegenen Platz hierzu freigegeben. Die Versammlung keine Verhaftung vorgenommen. war von 5000 Personen besucht. Der Freie Männerchor eröffnete und schloß die Versammlung mit Gesang. Störungen famen nicht bor, alles verlauf durchaus würdig.
Reichenbach. 800 Wahlrechtskämpfer hörten nach vorhergegangenem Demonstrationszug ein Referat des Genossen Fritsch- Liegniß an.
In Creptow.