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DaS Verhältnis zwischen Krankenkasse « und Aerzten ist in der Vorlage im großen und ganxen gut geregelt. Speziell die Eimgungslommissionen finden im Prinzip durchaus unsere Zu« st i m m u n g. Ueber Einzelbeiten wird sich in der Kommission reden lassen. Wir bedauern den Zwist zwischen Kassen und Aerzten auf- richtig. Kollege Dr. Arning ist hier mit großem Eifer für das Koalitionsrecht der Acrzte eingetreten. Dagegen ist nichts ein- zuwenden; möge Herr Arning nur mit demselben Eifer für das Koalitionsrecht der Arbeiter eintreten.(Sehr gut I bei den Sozialdemolraten.) Die Statistik zeigt, daß in den am «leisten in Betracht kommenden Kassenarten die ärztliche Honorierung eine ständige steigende Tendenz aufweist.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich persönlich bin durchaus ein Angehöriger der freien Arztwahl und teile nicht alle gegen fie erhobenen Bedenken. Die Krankenkassen müssen aber gegenüber den Aerzten dieselben Rechte haben wie die Berufs- genossenschaftea. Ich kann den Aerzten auch nicht den Vorwurf er- sparen, daß sie gegenüber den Landesverficherungsanstalten und den Bcrufsgenossenschaften weit zahmer auftreten als gegen- über den Krankenkassen.(Sehr wahr I bei den Sozial- demokratcn.) Bedauerlich ist, daß die unangebrachte Privilegierung derApotheker in der Borlage aufrechterhalten wird. Eine Reihe Medikamente find doch ebenso gut von Drogisten zu beziehen. Wir bedauern auch, daß die Vorlage keine Bestimmungen zugunsten der Kassen enthält, die Apotheken in eigener Regie er- richten wollen. Bei der Unfallversicherung hat man die Gelegenheit versäumt, die konlplizierten Bestimmungen, durch die sich kaum mehr selbst ein Kundiger durchfinden kann, zu vereinfachen. Generell sollte festgesetzt werde», daß jeder während der Arbeit erlittene Unfall als Betriebs« Unfall anzusehen ist. Man hätte auch dem englischen Beispiel folgen und eine Reihe Gewerbekrankheiten ich erinnere an die Wurm- krankheit der Bergleute den Betriebsunfällen gleichstellen sollen. Die Bestimmungen über die Rentenfestsetzung weisen kleine Fortschritte auf, ohne jedoch eine durchgreifende Aenderung zu erfahren. Bei der Alters- und Jnvalidenversiche- rung tritt die Tendenz zutage, die Teilnahme der Bersicherungs- träger an der Verwaltung möglichst zu beschränken. Der autoritäre Zug, der durch die ganze Vorlage weht, zeigt sich auch in der iltichtung, überall die Einflußsphäre der Vorstände bezw. der Vor- sitzenden auszudehnen. Es wird Aufgabe der Kommission sein, die Rechte der Unternehmer und der Arbeiter gegenüber diesem autoritären Zug zu stärken.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Herr Gehe>mrat C a s p a r hat un« für den Herbst eine Vor- läge über die Privatbeamtenverficherung angekündigt. Also steht schon wieder eine neue Zersplitterung der VersicherungS- orgaiiisation bevor I In Bezug auf die Z u s a tz V e r s i ch e- rung bedauere ich, daß eine Bestimmung über die An- rechnung der Znsatzb-ittäge auf die Hinterbttebeneiiversicherung fehlt. Die Sätze der Hinterbliebenenversicherung sind, wie schon von vielen Seiten hervorgehoben wird, derart niedrig, daß sie weit hinter den Arrnenunterstützunge» größerer Städte zurückbleiben. In Zukunft wird es gewiß manchmal vorkommen. daß Gemeinden die Reichshinterbliebenenrente von der Armenunter- stiitzung abziehen und somit, übrigens ganz den Tatsachen ent- sprechend, die Rente als Teil der«rnlenunterftützung behandeln. (Sehr wahr l bei den Sozialdemokraten.) Wir erkennen die gute Absicht der Vorlage an, den Kreis der Versicherten auszudehnen. Aber dieser Fortschritt wird aufgehoben durch die arbeiterfeindlichen Tendenzen, durch die Beschränkung der Selbstverwaltung in Kaste und Versicherungsanstalt. Wenn der Reichstag diese Bestimmungen akzeptiert, so vergrößert er das Schuldkanto, daS er durch steuer- und wirtschaftspolitische Maßnahmen auf fich geladen hat. Die nächsten Wahlen werden darüber die Quittung ausstellen.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Linz (Rp): Hier im Hause haben die Sozialdemokraten zwar scharf, aber immerhin sachlich gesprochm, dagegen hat die sozialdemokratische Presse in wahren Hetztönen über die Vorlage ge- tobt und in ihrer Berhöhiumg Unglaubliches geleistet. Maßvolle Sozialpolitiker dagegen begrüßten die Vorlage außerordentlich. Die Versicherungsämter als Unterbau der Versicherung lehnen wir ab, sie wären eine bureaukratische Einrichtung, welche die Selbst­verwaltung schwer beeinträchtigen würde. Zur Halbierung der Beiträge für die Krankenkassen hätte die Regierung einfach erklären sollen, als Organ des Staates hält sie es für ihre Pflicht, die ge- schworenrn Feinde der Gesellschaft zu treffen auf einem Gebiet, das mehr und mehr zu tiner Domäne der Sozialdcmolratie geworden ist. Tatsächlich ist daS Ueberwiegen des sozialdemokratischen Einflusses in den Ortskrankenkasien eine Herabwürdigung einer Einrichtung de« öffentlichen Wohls.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Man hoffte mit der Schaffung der Krankenversicherung die werktätige Bevölkerung aus dem Banne sozialdemokratischer Ideen zu ziehen, da« ist leider nicht gelungen, vielmehr sind die General- Versammlungen der Ortskrankenkassen geradezu zu Unteroffizierschulen der Sozialdemokratie geworden. Die Ortskrankenkassen sind geradezu zu einer sozialisti- schen Einrichtung geworden, die nur der sozialdemokratischen Propa- ganda dient, und diesem Treibe» muß die bürgerliche Gesellschaft ein Ziel setzen.(Bravo I rechts, Heiterkeit bei den Sozialdemdkraten.) Leider scheint ja festzustehen, daß eine Mehrheit für die Halbierung der Beiträge im Hause nicht zu haben ist; sollte es trotzdem möglich sein, den sozialdemokratischen Einfluß in den Orts- krankenkassen zu brechen, so könnten die dann ersparten Bei- träge der Unternehuier von 60 60 Millionen Mark für den Ausbau anderer BerstcherunaSzweige verwendet werden. Der Redner rühmt dann die Betriebskrankenkassen, die viel mehr leisten als die Ortskrankenkassen, und bedauert ihre Ein- schränkung durch den Entwurf. In der Aerztefrage ist die Stellung der Sozialdemokratie widerspruchsvoll, da sie ärztliche Streikbrecher heranzüchten.(Sehr wahrl rechts.) Wir allerdings meinen, daß das Koalitionsrecht einer einzelnen Organisatton Halt zu machen hat da, wo das nationale Interesse der Gesamtheit in Frage kommt. Dem Mittelstande ist die Regierung entgegen- gekommen, indem sie die Jnnungskranlenkassen nicht geopfert hat; hierfür werden die Handwerksmeister sicherlich dankbar sein.(Bravo ! rechts.) Abg. Dr. Burckhardt(Wirtsch. Vg.): Die Apotheker stehen sich keineswegs so gut, wie vielfach behauptet wird. Die meisten haben noch nicht ein Einkommen von 3000 Mark, das jeder Setzer am Vorwärts" hat. Die Benachteiligungen, die der Entwurf den Apothekenij!bn>lgt, sind daher nicht zu billigen. Hierauf wird ein von Konservativen, Reichspartei und Zenttum eingebrachter Antrag auf Schluß der Debatte angenommen. Abg. Stadthagen (Soz.(zur Geschäftsordnungj): Ich konstatiere. daß uns durch de» Schlußantrag die Möglichkeit genommen ist, auf die gegen uns erhobenen Angriffe zu antworten. Dte Vorlag» wird an eine Kommission von 23 Mitgliedern verwiesen. Es folgt die Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs einer Fernsprechgebühren-Ordnung. Abg. Nacken(Q.): Aus der Kritik, die im vorigen Jahr an dein Entwurf geübt ist, hat die Ncichspostverwaltung nichts gelernt. Nicht die größere Belastung wird gegen das Einzelgesprächsqstem angeführt. sondern die größere Belästigung. Man kann die Tendenz der Vorlage direkt als verkehrSfcindlich bezeichnen. Weil bisweilen höhere Töchter das Telephon mißbrauchen, sucht man Handel und Industrie mit Nadelstichen heim. DaS haben meine politisdjen Freunde nicht bezweck», als sie verlangten, daß daS platte Land im erhöhten Maße der Borteile des Telephons teilhaftig werden sollte. Redner kritisiert iin weiteren Verlauf seiner Ausführungen zahlreiche Einzelheiten der Vorlage und regt an. unter Beibehaltung der vorgeschlagenen Grundgebühr von 4 Pf. für daS Einzelgespräch ein Abonnements- und Rabattsystcm einzuführen. Der Redner beantragt schließlich Verweisung der Vorlage an die Budgetkommission.(Bravo Ij Abg. Graf Westarp<k.): Die Klagen und Befürchtungen, die aus den Kreisen der Industrie und des Handels anläßlich dieser Vorlage laut geworden sind, sind zwar reichlich übertrieben, aber wir sind doch bereit, alle Einwendungen in der Kommission un­parteiisch zu prüfen. Zu Unrecht wird behauptet, daß die Borlage daS platte Land in ungerechter Weise bevorzuge. Wir müsien ver- langen, daß Begriff und Rayon des Ortsverkehrs bezw. Ortsgesprächs eine weitere Ausdehnung erfahren.(Bravo I rechts.) Abg. Lacmpf(Fortschr. BP.): Die unveränderte Wiedereinbringung der Vorlage ohne jede Benicksichtigung der an ihr geübten Kritik hat große Verstimmung hervorgerufen. Graf Westarp spricht allerdings verächtlich von dem Entrüstungsrummel in den Kreisen deS Handels und der Industrie; bei ähnlichen Vorgängen in seinen Kreisen nennt er dasVerfolgen berechtigter Jnteresien".(Sehr wahrt links.) Die Vorlage ist eine gegen den Verkehr gerichtete. Der Staatssekretär wandte sich Soiinabend gegen dieAuswüchse" im Fernsprechwesen. Was heißt da?? Doch nichts anderes, als es wirdzu viel" gesprochen. Da ist eS interessant, daß in der Begründung zur Fernsprcchgebührenordnung von 1839 festgestellt ist, daß durchschnittlich die stärkste Inanspruchnahme deS Fernsprechers von seiten derangeschlossenen Behörden geschieht." (Große Heiterkeit links.) Diese sprechen also zu viel oder unnütz. Besonders beschweren sich auch die Aerzte über die neu geplante Ordnung; jetzt wird ein Arzt auch von den Angehörigen eines Kranke» angerufen, dessen Familie nicht Telephoiianschluß hat. Das wird in Zukunft fallen nicht zum Vorteil der Ltranken. Defizit bringen der Reichspostverwaltung nur die ganz kleinen Netze bis zu 200 Anschlüsse» und die ganz großen in Hamburg und Berlin . Eine stärkere Heranziehung der Bieli'prccher wäre wohl gerechtfertigt, aber nur nach dem Maßstab einer allgemeinen Verteilung, also auf der Grundlage eines Pauschale, nicht aber in einer Weise, die den Teilnehmern den Gebrauch des Telephons berekelt.(Bravo I bei der Fortschrittlichen Volkspartei .) Staatssekretär Kraetke: Der Reichstag selbst wünschte eine andere Verteilung der Telephongebühren, aber ohne Verminderung der Einnahmen. Diese Aufgabe zu lösen, ohne jemanden wehe zu tun, ist die Quadratur des Zirkels. Zu beachten ist, daß die neue Ordnung für jeden, der nicht mehr als siebenmal täglich spricht, nicht einen Pfennig teurer ist. Empfohlen wird auch ein Staffelsystem beim Pauschalshstem. Aber es ist zu beachten, daß, wenn ein gemischtes System bleibt, jedenfalls eine Verminderung der Einnahmen eintritt. Abg. Beck- Heidelberg(natl.): Der Grund, weshalb der Reichstag eine Aenderung der Gebührenordnung wünschte, war, daß die Benutzung des Telephons auf dem Lande und in den kleinen Städten zum verkehr mit den größeren Lerkehrszentren zu teuer ist. Die Verbilligung des Telephons für da« Land sollte aber keineswegs eine agrariiche Liebesgabe auf Kosten der Städte sein, sondern dem Land sollte das moderne Verkehrsmittel deS Telephons zu- gänglich gemacht werden. Die Ncichspostverwaltung hätte die kauf- männischen und gewerblichen Kreise hören sollen, ehe fie diese Vor« läge wieder einbrachte. Sie sollte sich überhaupt, wie wir es be­antragt hatten,«inen ständigen Beirat auZ dicken Kreisen schaffen. (Zustimmung bei den Nationalliberalen.) Wir werden in der Budgetkommission jedenfalls die bessernde Hand an die Vorlage legen müssen.(Bravo l bei den Nationalliberalen.) Abg. Dr. Südekum(Soz.): Meine Partei steht noch auf dem Standpunkt, den im Reichstag im vorigen Jahre der Abg. Singer dargelegt hat. Wir wollen prüfen, ob nicht solcheTeilnehmer. die weitüber den Durchschnittvom Fernsprecher Gebrauch macben, mehr«c den Kosten herangezogen werden können, und ferner wollen wir dafür eintreten, daß die segensreiche Einrichtung des Fernsprechers auch ans dem platten Lande mehr zugänglich wird. Wir verwerfen aber entschieden jeden Versuch, den Verkehr zu er- schweren und zu verteuern und neue agrarische Borrechte zu schaffe«. Die Vorlage bringt eine Erschwerung und Verteuerung des Verkehrs mit sich, und daraus ergibt sich unsere Stellung von selbst. Die Postverwaltung konnte nach den Debatten des Vorjahres über dte Haltung der überwiegenden Mehrheit nicht im Zweifel fein; deshalb ist es erstaunlich, daß sie die Vorlage ohne Abänderung wieder eingebracht hat. Ginge eS nach mir und meinen Freunden. so würde die Vorlage nicht an eine Kommission verwiesen, sondern der Postverwaltung mit dem Auftrage zurückgegeben, eine andere Vorlage auszuarbeiten, die wenigstens in den Grundzügen den Wünschen der Mehrheit des Hauses entspricht. Für die Post- Verwaltung ist ihr hohes Selbstgefühl charakteristisch, fie glaubt den Verkehr meistern zu können, und ich vermute, daß fie sogar glaubt, eS gelingt ihr. In Wahrheit zehrt aber die Post- Verwaltung nur von altem Ruhme, ihre neuere Entwickelung entspricht nicht dem, was das Volk von ihr zu erwarten be- rechtigt ist. Ganz besonders gilt dies von dem Fernsprech- Wesen, daS durchaus nicht auf der Höhe in Deutschland steht. Wenn der Chef der Poswcrwaltung sagt, ihm liege daran, Auswüchse des Verkehrs zu beschneiden und unnütze Gespräche hintanzuhalten, so maßt er sich ein Urteil über die Handlungen seiner Mitbürger an. das ihm in keiner Weile zusteht. Selbstverständlich kann eS unnütze Gespräche geben. DaS zu beseitigen ist eine Angelegenheit der Erziehung deS Volkes, aber die Postverwaltung ist nicht dazu da, die Mängel unseres Schulwesens zu ergänzen.(Sehr wahrt bei den Sozialdemokraten.) Der heutige Fernsprechtarif ist zu hoch, und zwar nicht nur auf dem flachen Lande, sondern auch in den Städten. Auch legt die Post- Verwaltung nicht genügenden Wert darauf, die Apparate neuester Konstruktion den Teilnehmern zur Berfügung zu stellen. Es wird zwar ein großes Wesen davon gemacht, daß sie auf der technischen Höhe bleibt. Wäre eS aber der Fall, so hätte nicht eine leistungs- fähige Privatindustrie aufkommen können, deren Leistungen turmhoch über denen der Postverwaltung stehen.(Sehr wahrl bei den Sozialdemokraten.) Ein besonderes Kapitel in der Begründung ist die Statistik. Sie könnte von dem gegenwärtigen Präsidenten des Reichs- statistischen Amtes herrühren. ES heißt da, daß nach den Er- gebniffen der Zählung vom 1. Juli 1303 bis zum 31. Juni 1307 auf Teilnehmer mit Grundgebühr durchschnittlich zwei Ge- spräche auf solche mit Pauschalgebühr neun Gespräche ent- fallen. ES wird aber nicht gesagt, an welchen Orten die Zählung vorgenommen ist, und wie die Gespräche sich verteilt haben. Die Psorzheimer Bijouteriewarenindustrie z. B. steht in engster Verbindung mit dem ganzen Gebiet und gebraucht den Fernsprecher sicher 10 oder 20 mal mehr als die Textilindustrie auf demselben Areal mit der gleichen Zahl von Arbeitern. Ohne nähere Angaben also haben diese Zahlen nicht den allergeringsten Wert. Einzelne Zahlen sind so, daß ich nicht anstehe, fie für völlig unglaubwürdig zu be- zeichnen. So wird gesagt, daß eine Sprechstelle mehr als 100 000 Ortsgespräche gehabt hat. So lange«tan mir nicht sagt, wo diese Sprechstelle ist und unter welchen Umständen daS war, ist diese Zahl nicht zu glauben. Es sollen 320 Anschlüsse im Durch- schnitt täglich fem! DaS ist eine pure Unmöglichkeit. Ebenso wertlos sind eine Reihe anderer Zahlen. Gerade mit diesem Kapitel wird die Kommission noch sehr stch zu be- schäftigen haben. Der Abg. Nacken sagte heute, daS Zenttum habe bor Jahren einmal eine Anregung zur Refonn der Telephongebühren gegeben. Aber nach dem, was jetzt daraus geworden ist, muß er doch erklären, daß eine brauchbare Reform nur im Reichstage geleistet werden kann; was die Postverwaltung gemacht hat. ist für uns total unbrauchbar.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Auf Einzelheiten will ich in dieser späten Stunde nicht eingehen. Wir sind außerstande, der Borlage zuzustimmen, eS sei denn, daß einschneidende Aenderungen an thr vorgenommen werden.(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Linz (Rp.) spricht sich im Namen deS größten Teils seiner Fraktion gegen die Vorlage aus. Eine allerdings erheblich« Minder- heit seiner Freunde werde jedoch für fie stimmen. Abg. Herzog(ÄSirtsch. vg.) steht der Borlage sympathisch gegen­über. Die Debatte schließt und die Vorlage wird an die Budget« k o m m i s s i o n verwiesen. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr.(ReichSschuldbuch, Rechmmgssachen, Haftung des Reichs für seine Beamten.) Schluß 7 Uhr._ Das 0bervewalt»i»gsgei'icht über das lüecht auf Demoiiitrationszüge. Schneller als wir erlvarten konnten, ist unsere Ansicht bestätigt, daß das Oberverwallnngsgericht unmöglich das Urteil des Bezirks- ausschuffes in Sachen Ernst wider v. Jagow gutheißen werde. Am Dienstag, demselben Tage, an dem der Bezirksausschuß sein irriges Erkenntnis erließ, hat das Oberverwaltnngsgericht in einem ähnlich gelagerten Falle grundsätzlich im Sinne unserer Darlegungen ent- schieden. Dem Erkenntnis lag folgender Sachverhalt zugrunde: Das Gewerkschaftskartell in Schwiebus veranstaltete zum 26. Juli 1309 ein Gewerkschaftsfest. Vorgesehen war unter anderem auch ein Festmarsch, der bei einem Lokal beginnen und im Fest- lokal enden sollte. Bei Einholung der Genehmigung zu dem Auf- zug wurden die Straßen angegeben, durch die man sich bewegen wollte. Zu dem Festmarsch(Umzug) durch die Straßen der Stadt verweigerte die Polizeiverwaltung die Ge- nchmigung mit der lakonischen Bemerkung, es seien Gefahren für d i e ö f fent lich e S i ch e rh eit zu besorgen. DaS erklärte der L a n d r a t ebenso kurz für einenzutreffenden Grund" und verwarf die Beschwerde, die Reinhold Schulz als Borsitzender des Kartells eingelegt hatte. Der Regierungspräsident wies eine weitere Be- schwerde ebenfalls ab und sagte, die Polizeivcrwaltnng gehe von einer zutreffenden Erwägung aus. Spezialisieren brauche sie den Grund nicht. Schulz erhob dann Klage und machte geltend, daß irgend welche Befürchtungen hillsichtlich der öffentlichen Sicherheit gar nicht gehegt werden köimten, denn solche Auszüge der Mitglieder der dem Gewerkschaftskartell angeschlossenen Verbände hätten schon seit mehreren Jahren stattgefunden, ohne daß eS zu den geringsten Störungen gekommen seien. Immer seien sie in größter Ordnung verlaufen. Nie sei ein polizeiliches Einschreiten erforderlich ge- wesen. Der Regierungspräsident in Frankfurt a. O. erwiderte, die Berufung des Klägers auf die früheren Fälle sei ohne Bedeutung. Die Polizei habe jedesmal von neuem zu prüfen und Entscheidung zu treffen. Nach vernünftigem Ermessen müsse allerdings die nahe Möglichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorliegen. DaS treffe hier zu l Zweifellos hätte der Festmarsch rein demon- strativen Charaltcr gehabt. ES hätte zu Streitigkeiten zwischen den Teilnehmern und dem anderen Teil der Bevölkerung der Ackerstadt Schwiebus kommen können, zu deren Unterdrückung die schwache städtische Polizei nicht ausgereicht hätte. Diese Gefahr sei um so naheliegender gewesen, als die politischen Gegensätze zwischen der Landbevölkerung und der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter- schast in den vorhergehenden Monaten namentlich durch die Haltung der politischen Parieipresse eine erhebliche Verschärfung erfahren hätten und wahrscheinlich nicht abzuweisen gewesen wäre, daß ein Teil der vor einem Gasthaus zum Marsch sich sammelnden GeWerk- schafter sich in einer durch den Festttubel und alkoholischen Genuß gesteigerten Erregung befinden würde. In der Verhandlung vor dem OberverwaltungS« g e r i ch t vertrat Rechtsanwalt Dr. Roth den Kläger. Er rügte, daß die Polizeiverfügung und die Bescheide der oberen Behörden der gesetzlich erforderten Begründung entbehrten. Aber auch in der Klagebeantwortung seien keinerlei Tatsachen beigebracht, die ein Verbot rechtfertigen könnten. Allgemeine Sentiments genügten aber nicht. UcbrigenS hätten die vielen Demonstrationen der letzten Monate gezeigt, daß die organifierte Arbeiterschaft eine wunderbare Disziplin halte. Das Oberverwaltungsgericht hob die Verbots« Verfügung auf und führte aus: Die Frage, ob der Mangel der Begründung im polizeilichen Bescheide zur Aufhebung des Verbots genügen würde, brauche hier nicht ent« schieden werden. Denn der Senat verneine daS Vorliegen tatsächlicher Boraussetzungen für das Verbot. Um das Verbot zu rechtfertigen, hätten von der Behörde tatsächliche lokaleVerhältnisse nachgewiesen werden müssen, die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherhett be- dingen. Daran fehle es hier. Allgemeine Sentiments, wie die, daß Gegensätze beständen, daß die Preffe verhetzend gewirkt habe usw., genügten nicht, wie der Anwalt schon hervorgehoben habe.»»_ Sozialed» DaS Kaufhaus des Westens vor dem Kaufmannsgericht« Einen Blick hinter die Kulissen der Lebensmittelabteilung eines Warenhauses boten zwei Verhandlungen, die gestern das Charlottenburger KaufmannSgericht in mehrstündiger Sitzung be- schäftigten. Die beiden Kläger H. und D. waren ihres Postens als Verkäufer im beklagten Kaufhaus des Westens sofort ent« hoben worden, weil sie nach verschiedenen Richtungen hin ihre Dienstpflichten gröblich vernachlässigt haben sollten. ES wird ihnen widerrechtliche Aneignung von Ware, Genuß von Spiri» tuosen ans dem Bestände der Firma und Verkauf von Ware ..unter Preis" vorgeworfen. Der Bureauchef desK. d. W.". Schüler, hatte auch gegen die jetzigen Kläger dieserhalb Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Diese lehnte jedoch ein Einschreiten mit der Begründung ab, die Aussagen der polizeilich vernommenen Zeugen seien zu unbestimmt, als daß eine Anklage gerechtfertigt erscheine. Schüler legte Beschwerde beim Ober. staatSanwalt ein, und die nunmehr richterlich vernommenen Zeugen schränkten ihre teilweise belastenden Aussagen noch mehr ein, so baß der Staatsanwalt nunmehr erklärte, jetzt liege für ihn erst recht kein Grund zum Einschreiten vor. Wie der Voriitzende. Dr. Landsberger, erivähnte, sei ein solchesUmfallen" der erst poli» zeilich vernommenen Zeugen vor dem Richter keineswegs selten. Zu den von der Beklagten immer noch aufrechterhaltenen An« schuldigungen bemerkt der Kläger H., er habe auf Verlange,» des RayonchefS Lebensmittel billiger verkauft, wenn die Ware minderwertig war. So habe er einmal einen alten Rehriickcn unter Preis verkauft. Beide Kläger erklären, daß sie im Kühl» räum Spirituosen zu sich nehmen mußten, um eS überhaupt aus- zuhalten und�in dem von schlechten Gerüchen angefüllten Raum bei 8 Grad Kälte arbeiten zu können. Der Kläger D. habe infolge der mephitischen Düfte, die dort unten herrschten, sich des öftere» übergeben muffen, und die Polizei habe einige Male den Raum schließen lassen. Der Kläger D. gibt zu, Spirituosen, die er sich mitgebracht habe, teilweise auch im Verkaufsraum verzehrt zu haben. Gegen diesen Kläger erhebt daSK. d. W." auch Wider- klage in Höhe von 160 M. Für diese Summe zum mindesten soll sich D. Spirituosen widerrechtlich angeeignet haben. Im übrige» bestreitet die beklagte Firma die Behauptung der Klager. Das Kaufmcmnsgericht verurteilte die Beklagte, dem Kläger H. antragsgemäß 360 M. nebst 4 Proz. Zinsen zu zahlen und die Gesamtlosten zu tragen. Da die sehr eingehenden Ermittelunge» der Staatsanwaltschaft nichts ergeben haben, muß der Entlaf» fungsgrund wegen Verdachts des Diebstahls bezw. der Unter- schlagung ausscheiden. Der Verdacht allein, den die Beklagte hegt, genügt nicht zur Entlassung. Die kriminelle Untersuchung hat sich auch auf den Verkauf unter Preis erstreckt, und auch hier ist dem Kläger keine strafbare Handlung nachgewiesen. Selbst wenn aber auch geschehen sei, so sieht das das Gericht nicht als genügenden Entlasiungsgrund an. Nach der eidlichen Aussage des Zeugen G. hat der Aufsichtsherr den mäßigen Genuß von