und Wissenschaft innerhalb der Arbeiterschaft gegenüber verhält sichdie Regierung mir hemmend. Hier paßt dae» Motto vom gehemmtenifortsctiritt und geförderten Nücksckritt. Die Regierung nutzt dieMachtstellung, die sie besitzt, im Auftrage der herrschenden Klasse»auS. Sie fällte sich vielmehr an das österreichische Beispiel halten,wo der Staat der Freien Volksbühne eine jährliche Subvention von2000 M. gibt, obwohl diese mit der Sozialdemokratie in engstemKonnex steht, während man bei uns der Freien Volksbühne mitschweren Schikanen begegnet. Die Arbeitervorstellungen können nichteinmal als Anfang auf diesem Gebiete bezeichnet werden. Die Billettswerden einfach an den Verein zur Förderung der arbeitenden Klassenvergeben, der sie an i r g e n d lv e l ch e Arbeitgeber verteilt.Unseren gewerkschaftlichen politisch organisierten Arbeitern ist esnicht möglich gewesen, auch nur ein Billett zu einer solchen Vor-stellung zu bekommen. Also nicht in wohlwollender großzügigerWeise geht man hier vor. sondern man verbindet mit diesen Arbeiter-Vorstellungen den Zweck,die Arbeiter zu möglichst bequemen Objekten der Geselzgebmigzu machen.ES ist eine Herabwürdigung der Kunst, wenn auch sieausgenutzt werden soll, um einen Köder auszulegen für dieArbeiter, sie von der Betätigung ihrer Interessen abzuhalten.Wenn inan behauptet, unsere Forderungen seien in der Theorie sehrschön, aber die Praxis sei eine andere, so ist das nur eine Aus-flucht der Verlegenheit. Wo ein Wille ist, da ist auch einWeg. Es zeugt von vollkommener Weltfremdheit oder brutalemEgoismus, wenn man behauptet, für solche Zwecke seien keine Mittelda. Wir fordern offene Fenster und Türen für die freie Luft dergeistigen Fortentwickelung. Das ganze Volk muß in den Mitbesitzall der Herrlichkeiten der Kunst und Wissenschaft gelangen, die jetztvielfach noch im Alleinbesitz der herrschenden Klassen sich befinden.�Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)Kultusminister V.Trott zu Solz: Der Herr Vorredner hat gegendie Regierung den Vorwurf erhoben, daß sie die Kunst nicht um ihrerselbst willen pflege, sondern u»l Nebenzwecke zu verfolgen. Dabeihatc» selbst seine Rede über Kunst und Wissenschaft dazu benutzt, inagitatorischer Weise alles Bestehende anzugreifen. Seine Vorwürfe sindvöllig unberechtigt.(Sehr gut I rechts.) Er hat über alles apodiktisch be-stimmte Urteile abgegeben und dabei in gewohnter Weise die dramatischstenAusdrücke gebraucht, die geradezu zum Lachen reizten. Er urteiltüber alle? ex cathedra und verlangt von uns, daß wir darausWert legen.(Abg. Liebknecht: Das ist absolut unrichtig!) Ausmich haben seine Ausführungen den Eindruck gemacht. Auf die Ge-staltung der Oper und des Schauspielhauses besitze ichkeinen Einfluß. Was den Ankauf der Florabüste anbelangt.so hat irgendeine Mittelsperson, insbesondere der von Herr»Liebknecht bezeichnete Herr Gretor. bei dem Kauf in keiner Weisemitgewirkt und auch keine Gelder eingesteckt. Die AnschaffungS-kommisston ist in vollkommen korrekter Weise bei dem Kauf beteiligtgewesen. Die Büste kam dann hierher und es war all-gemeine Freude darüber. Dann erst erschien in Londonder Artikel, der die Echtheit bestritt, und nun beganil derZeitungsstreit, der von beiden Seiten leider nicht in mildenFormen geführt wurde, weil bald die Dinge auf persönlickieSGebiet hinübergespielt wurden. Auffallend ist bei der ganzenSache, daß der Herr Lukas, der seinen Vater bei der Anfertigungder Büste gesehen haben soll, für unsereinen nie zu sprechenwar. Es ist versucht worden, auch mit Anwendung einer gewissenList, diesem Herrn Lucas in die Augen zu sehen und ihnselbst zu fragen, wie das denn mit der Anfertigung derBüste durch seinen Vater gewesen sei, aber eS war nichtmöglich. Einer der berühmtesten Maler übrigens, Herkomer, derdenselben Lukas gekannt hat. hat ausgesprochen, mit dem Auftrage,eS hier mitzuteilen, daß er fest überzeugt sei, daß LukaS ein solchesWerk niemals habe ichaffen können.(Hört! hört I) Die verschiedenenAngaben über den Preis erklären sich dadurch, daß die Büste selbst160000 M. gekostet hat, 180 000 M. aber an den Händler bezahltsind, weil neben der Florabüste noch verschiedene andere Kunstwerkeerworben worden sind.Die Beamten der Königlichen Museen sind keines-wegS schlecht gestellt. Ueberstunden bekommen sie besonders bezahlt.An die Beamten des Zeughauses werden weitergehende An-forderungen gestellt. Wie sie gegen Krankheit versichert werdensollen, i st m l r n i ch t r e ch t k l a r. ES wird Herrn Liebknecht dochauch bekannt sein, daß alle unsere Beamte» während der Krankheitihr Gehalt fortbeziehen.Abg. v. Biilow-Homburg(natl.) schließt sich den Wünschen aufbessere Information der Museumsbesucher an.Abg. v. Gescher(k.): Eine Kunst, wie sie der Abg. Liebknechtwill, die sich auf die Sinnlichkeit stützt, kann einen sittlich bildendenEinfluß auf unser Volk nicht ausüben.(Bravo I rechts.) An denSviitagen sollten die Museen möglichst lange offen sein.Abg. Lukas(natl.j verlangt stärkere Förderung des Kunst-gewerbes.Ein Schlußantrag wird angenommen.Die Weiterberatung des ElatS wird auf Freitag 11 Uhrvertagt.Schluß 6-/4 Uhr.__Ißordprozeß pncroann.Aug der Beweisaufnahme sei folgendes hervorgehoben:t Zeugin Helfer, eine Kollegin der Rakowski, die gleichfalls eineiliale oeS„Nordstern" leitet, hat von dem Mädchen niemalselbstmordgedanken gehört. Die Zeugin hat auch als erste dieLeiche aufgefunden und festgestellt, daß in der Tageskasse zwar dasWechselgeld vorhanden toar, aber die Tageskasse jS3 M.) ganzfehlte.— Kriminalkommissar Wannowöki hat zunächst nicht aneinen Raubmord geglaubt, sondern angenommen, daß die Tat voneinem Bekannten oder Bräutigam der RalowSli begangen sei. Alsdie Spur auf Jünemann hingelenkt wurde, habe man in derWohnung der StragieS die blutbefleckten Kleider vorgefunden.Büffetier Knoblich hat auf einer Radtour im Grunewald denAngeklagten getroffen und erkannt. Er rief ihm zu:„GutenMorgen, Herr Jünemann" und da dieser zusammenzuckte, warer seiner Sache sicher, daß er sich nickt irrte. Jünemann be-schleunigte seine Schritte, und als er sich verfolgt sah, gab er diebeiden Schüsse auf sich ab.— Längere Zeit beansprucht die Ver-nehmung der Zeugin Wando Stragic». Der Angeklagte hat nachderen Bekundung bis September seine Miete regelmäßig bezahlt.Er hat auch von seiner Beteiligung an einem Rennstall gesprochen.Von der Rakowski, von der tm August fast täglich Briefe undDepeschen eintrafen, hatte er gesagt: er habe mit ihr ein kleinesVerhältnis gehabt. Die Zeugin hat dem Angeklagten über100 M. vorgeschossen und ihn mehrfach gemahnt. Am Tage derTat ist Jünemann vormittags schon fortgegangen. Das Blut anseinem Rock erklärte er mit dem Unfall einer Dame, die verkehrtvon der Straßenbahn gesprungen sei. und die er nach der Unfall-station gebracht habe. 5lls er sich auszog, um gu Bett zu gehen.hat er noch leise vor sich hergesungen. Am nächsten Morgen ister um Wi Uhr weggegangen; um 10 Uhr kam die Kriminalpolizeiund fand im Schrank die blutdurchtränkten Kleider dcS An-geklagten.Die Zeugin verwitwete Obertelegraphenafsistent HeleneSalewSki hat die Rakowski näher kennen gelernt. Diese habe ge,glaubt, daß Jünemann Jockei sei. weil er viel vom Rennplatz undvom Trainieren erzählt haben soll. Einmal soll er auch gesagthaben, er sei vom Pferde gefallen und habe sich Gesicht und Händeverletzt. Von Selbstmordgedanken hat die Zeugin von Alice nieetwas gehört; sie hat sie nur stets heiter und fröhlich gesehen undspäter nur etwas traurig befunden, weil sie immer in einer ge»wissen Angst lebte, daß Jünemann beim Rennen stürzen und umSLeben kommen könnte. Die Zeugin gibt zu, daß sie Alice manchmalKarten gelegt habe. Das erstemal habe die Herzen-Zehn zwischendem Pique-König und Herzen-König gelegen, und da habe sie ge-sagt:„Sie haben ja mit zwei Männern zu tun." Auf weitereFragen des Vorsitzenden gibt die Zeugin zu, daß sie Bekanntenöfter die Karten gelegt habe, doch betreibe sie es nicht gÄverbZ-mäßig.— Präs.: Lassen Sie sich auch dafür etwas schenken?—Zeugin: Man befahlt mir meine Zeit und den Kaffee und Kuchen,den die Leute bei mir verzehren.Auf Befragen des Sachverständigen Dr. Strauch erklärt dieZeugin StragieS, daß der Angeklagte in der Nacht nach der Tatbei seiner Heimkehr sie mit den Worten begrüßt habe:„GutenTag, Maus."— Gerichtsarzt Dr. Strauch erläutert den Ge-schworenen den Obduktionsbefund und begründet seine Ansicht,daß Jünemann die Tat nicht in der Weise begangen haben dürfte,wie er behauptet.— Geheimrat Dr. Straßmann schließt sich diesenDarlegungen an.Als den GeschworenenPhotographien vom Tatortevorgelegt werden sollen, erhebt Rechtsanwalt Dr. Alsberg Ein-spruch und beantragt außerdem Ortsbesichtigung. Der Verteidigerhält es für dringend notwendig, an Ort und Stelle sich davon zuüberzeugen, daß die Angabe des Sachverständigen Dr. Strauchnicht richtig sei, wonach es angeblich nicht möglich sein soll, aufdem engen Korridor die Tat in solcher Stellung zu vollbringen,wie sie der Angeklagte nach seiner Behauptung eingenommen habenwill. Es kommt bei dieser Gelegenheit zu ziemlich erregten Aus-cinandersetzungen zwischen dem Sachverständigen Dr. Strauchund dem Verteidiger über die Bekundungen, die Dr. Strauch inder borigen Verhandlung über diesen Punkt gemacht hat. Rechts-amvalt Alsberg protestiert nochmals gegen das Zirkulieren derPhotographien bei den Geschworenen. Die Bilder zeigen doch nureine Leiche, die eine Stichwunde hat, und daraus ergebe sich fürdie Geschworenen gar nichts. Es könne nur dazu dienen. Stim-nlung zu machen, und hiergegen müsse entschieden Einspruch er-hoben werden. Es sei nicht schwer zu erkennen, aus welchenMotiven der Staatsanwalt Stimmung machen wolle.— Staatsanwalt Müller protestiert ganz entschieden gegen diese Bemerkung.Die Photographie sei in den Akten als Beweismittel aufgeführtund es liege keinerlei Grund vor. sie den Geschworenen vor-zuenthalten.— DaS Gericht sieht vorläufig von der Vorlegungder Photographien ab und behält sich eins Beschlußfassung überden Antrag auf Lokalbesichtigung vor.Anlaß zum Selbstmord?Fräulein Asfelder war längere Zeit Freundin der AliceRakowski, bis ihr ihre Mutter den weiteren Umgang verbot, weildie Rakowski außer mit Jünemann noch mit anderen Herren auS-ging. Die Zeug,» macht zwei Herren namhaft, mit denen die R.auch noch ausgegangen sei und Cafes besucht habe. Wenn Jüne-man sich bei ihr nicht sehen ließ, dann sei die R. traurig gewesen,wenn er wiederkam, sei sie lustig gewesen. Sie wechselte über-Haupt mit ihren Stimmungen und äußerte manchmal den Wunsch,aus dem Leben zu scheiden, weil ibr das Leben nichts wert sei.Die Zeugin hat die R. auch zweimal zu Frau Salewski begleitet.als diese ihr Karten legte und weiß, daß die R. dafür 60 Pf. be-zahlte. Alice hat ihr auch erzählt, daß in ihrer Kindheit einmaleine Zigeunerin prophezeit habe, daß ste keines natürlichen Todessterben werde; einige Monate vor ihren« Tode hat ihr die R.wieder von einer anderen Zigeunerin erzählt, die ihr prophezeithabe, daß sie den Winter nicht überleben werde. Die R. war aberder Meinung, daß dies bloß eine niederträchtige Bemerkung derZigeunerin gewesen sei, weil sie dieser kein Almosen gegebenhabe. Auch von häßlichen Träumen habe ihr die R. erzählt; dieZeugin bleibt auch trotz mehrfacher zweifelnder Vorhaltungen desStaatsanwalts und des Vorsitzenden dabei, daß die R. gelegent»lich einmal geäußert habe:„Wenn jemand käme, der mir dasLeben nimmt, Würde ich damit einverstanden sein." Ueberhaupihabe die R. sich manchmal in Phantastereien über Männer, diesie heiraten wolle, ergangen. Die Zeugin hat. wie sie bekundet,der R. manchmal Vorwürfe darüber gemacht, daß sie mit jungenLeuten ins Passage-Cafe und zu Aschinger ging; sie erhielt aberzur Antwort:„Warum soll ich mich nicht amüsieren, wenn Jüne-mann nicht da ist?" Sie hat auch öfter darüber geklagt, daß ihrauf unbegreifliche Weise Beträge in der GeschäftSlasse fehlten.Oberkellner Göring von den Winzerstuben hat den An-geklagten und die R. an dem Abend bedient, als daS Pärchenangeblich sich dort Mut zum Selbstmorde trinken wollte. Diebeiden fielen dem Zeuge» dadurch auf, daß sie an der allgemeinenHeiterkeit, die in den Winzerstuben zu herrschen pflegt, nicht teil-nahmen. Der Zeuge ist wegen Begleichung der Zeche mehrfachvergeblich bei der Wirtin des Angeklagten gewesen, zuletzt amTage vor der Tötung der R. An diesem Tage hatte der Zeugegedroht, daß er den Angeklagten wegen Zechprellerei anzeigenwürde, wenn er ihm nun nicht bezahlt.lieber die Möglichkeit, daß Jünemann dieTat im Korridorin der Weise ausgeführt haben könne, wie er behauptet, ergebensich noch zahlreiche Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Ver-teidiger, den, Sachverständigen Dr. Strauch und den in Fragekommenden Polizeibeamten. Der Angeklagte muß aus dem An-klageraum heraustreten und soll an der Figur des Gerichtsdienersmit einem Holzmesser vormachen, wie er die Tat begangen. Jüne-mann erklärt, daß er jetzt in der Aufregung, in der er sich be°finde, nicht mehr ganz dazu imstande sei. Rechtsanwalt Dr.Alsberg bittet, diese Versuche nicht vor dem großen Publikum vor-nehmen zu lassen, was den Angeklagten verwirren müsse, sondernin einem besonderen Zimmer. Der Borsshende erklärt dies fürunzulässig. Jünemann stellt nunmehr dar, wie er zu seinemOpfer gestanden habe, als er die Tat vollbrachte.— SachverständigerDr. Strauch bleibt bei seiner Ansicht, daß die Enge des Korridorses nicht wahrscheinlich mache, daß die Angabe des Angeklagtenzutreffe.Mehrere Zeuginnen bekunden daß die R. im ganzen trüb-selig veranlagt war und die von ihr manchmal geäußerten Selbst-mordgedanken nicht ernst zu nehmen waren.Eigenartig stimmte«inegruselige Geschichte,welche eine Kollegin der Verstorbenen erzählte. Die Jilial-leiterinnen der Bäckerei nächtigen gemeinschaftlich m einemSchlafraum in der Landsberger Straße. Eines Nachts, als dieRakowski noch nicht zu Hause und deren Bett noch unberührt war.will die Zeugin plötzlich gehört haben, wie sich die Tür leiseöffnete und jemand m das Zimmer schlich. Sie habe ganz beut-lich den Schatten gesehen und solche Furcht bekommen, daß sie sichdas Deckbett über den Kopf gezogen habe. Sie habe dann gehört,wie der Fremde, der offenbar ein Einbrecher gewesen, im Dunkelnan verschiedenen Stellen herumtappte und etwas zu suchen schienund dann an dem Bett der Rakowski. die dort gewöhnlich dieTageskasse bewahrte, herumsuchte. Nach einiger Zeit, die dieZeugin in banger Angst zubrachte, habe sich die Gestalt wiederdurch den Schlafraum und den Laden entfernt. Als der Ein-breche? wieder weggewesen, habe sich gezeigt, daß das Bett derRakowski ganz durchwühlt war. Die Ladentür sei ordnungsmäßigverschlossen vorgefunden worden. Gestohlen war nichts; dieZeugin kann auch keinen Verdacht nach der Richtung äußern, daßetwa Jünemann der Eindringling geioesen sein könnte.■— Rechtsanwalt Dr. Alsberg meint, daß die Zeugin ein Gespenst gesehenzu haben scheine. Sollte aus der ganzen Geschichte irgend etwaszuungunsten des Angeklagten gefolgert werden, so müßten dochsehr eingehende Erhebungen angestellt werden.Im weiteren Verlauf der Verhandlung werden die Er-Hebungen über den Charakter und de» Lebenswandel der Rakowskifortgesetzt. Von mehreren Zeugen wird unter anderem bekundet,daß die R. den Angeklagten eine ganze Zeitlang immer als JockeiKorb bezeichnet habe. Eine Zeugin bekundet, oaß die R. einmalvon ihr Geld borgen wollte, um sich einen Revolver zu kaufen,eine andere will wissen, daß sie manchmal eine gewisse Angst vorJünemann bekundet habe; eine dritte hat von der R. eines TageSgehört, daß sie der Jünemann mit einem Opernglas ins Gesichtgeschlagen habe, so daß sie ein blaues Auge davongetragen. DerAngeklagte bestreltet diesen Vorfall. Die Rakowski wird von fastallen diesen Zeugen für sehr verschieden in ihren Stimmungengeschildert; cZ kehrt immer die Bemerküng wieder, daß siemanchmal Selbstmordgedanken äußerte, bald traurig, sehr balddarauf aber wieder ausgelassen und lustig gewesen sei. Selbst--mordgedanken soll sie namentlich in der letzten Zeit bekundet haben,teils weil sie sich Mutter fühlte, teils weil ihr 6ö M. aus der Kassefehlten. Unter den Zeugen befindet sich auch die Portierfrau, umderentivillen das erste Urteil aufgehoben worden ist, weil dasProtokoll nicht verzeichnete, daß diese Zeugin vereidet worden sei.Die Aussage dieser Zeugin ist völlig belanglos.— Von größeremInteresse ist die Aussage des Friseurgehilfcn Hollmann, der frühermit Jünemann bekannt war u»i> diesen mit der Rakowski bekanntgemacht hatte. Der Zeuge ist aus Nizza hierhergekommen, umZeugnis abzulegen. Er hat Jahre lang mit der R. in freund-schaftlichem, aber nicht geschlechtlichem Verkehr gestanden und istmehrfach mit ihr ausgegangen. Auch er schildert die R. als sebrungleichmäßig in ihren Stimmungen und bestätigt, daß siemanchmal Selbstmordgedanken äußerte. Rechtsanwalt Dr. Alsberg:Sie haben ja den Jünemann recht genau gekannt: Hatten Sieihn für fähig gehalten, einen Meuchelmord zu begehen?— Zeuge:Nein. Ter Angeklagte war in seiner Arbeit stets pünktlich, imGeschäft sehr tüchtig und ich habe ihn nie als brutalen Menschenkennen gelernt, im Gegenteil, er hatte etwas Gutmütiges an sich.-?Der Zeuge bekundet auf Befragen weiter, daß die R. auch vielHintertreppenromane und Liebesgeschichtengelesen und er ihr verschiedentlich den Besuch der Kartenlegerinnenabgeraten, da diese einen schlechten Einfluß aus sie ausüben.Zeuge Friseur Mann aus der Friedrich-Wilhelm-Straße:Jünemami ist in seiner letzten Stellung 1% Jahre bei ihm be-schäftigt gewesen. Der Zeuge war außerordentlich zufrieden mitihm gewesen, denn er war der beste Gehilfe, den er je gehabt,fleißig, zuvorkommend gegen jedermann, und niemals jähzornig.Er und seine ganze Familie halten es für unmöglich, daß ereinen Mord begangen haben könnte.— Hierauf kommt es zu leb-haften Auseinandersetzungen bezüglich der Kompetenz der Sach»verständigen zwischen diesen und dem Verteidiger Dr. Alsberg.Schließlich wird ein Antrag des Verteidigers über die beschränkteVernehmung des Sachverständigen Dr. Strauch abgelehnt.—Während einer eingetretenen Pause formuliert der Verteidigereinen längeren Antrag auf Ablehnung des Dr. Strauch als Gut»achter, soweit sein Gutachten nicht lediglich auf die Art der Ver»letzung und die Todesursache sich beschränkt. Dr. Strauch müsseals befangen gelten; wenn er auch nicht Beamter der Polizei sei.so stehe er doch in einem beamtenähnlichen Verhältnis zur Polizei.Er habe außerdem seine Befangenheit durch eine Reihe von Fragenbekundet, die völlig aus dem Nahmen seiner Sachverständigen-tätigkeit herausfallen und darauf hinausgingen, die tatsächlichenBehauptungen des Angeklagten zu erschüttern. Die Kriminal-Polizei stehe auf dem Standpunkt, daß Jünemann die Tat mitWissen und Willen der Zeugin Stragies begangen habe, und Dr.Strauch habe schon vor dieser Berhandlung kundgegeben, daß erauf dein Standpunkt der Kriminalpolizei stehe.Ueber diesen Antrag entwickelt sich ein lebhaftes Wortgefecht;schließlich wird der Antrag nach längerer Beratung vom Gerichtabgelehnt. Nachdem noch eine Anzahl Zeugen vernommen waren.beantragt Rechtsanwalt Dr. Alsberg nochmals Lokalbesichtigung.Das Gericht beschloß, um 11 Uhr abends in dem Weber-straße 40b gelegenen Geschäft, in dem die Tat verübt worden ist.einen Lokaltermin abzuhalten.Die Verhandlung wird hierauf abgebrochen und auf Freitaglv Uhr vertagt._Soziales«Vom Oberbcrgamtsbezirk Dortmund.Nach den Jahresberichten der Bergrevierbeai.cten des Ober-bergamtsbezirks Dortmund hat trotz der Zunahme der Belegschaftdie Zahl der bei dem Berggewerbegericht anhängig gemachten Klagenim Vergleich zum vorhergehenden Jahre nicht unerheblich ab-genommen. Bei den 10 Spruchkammern des Berggewerbegerichtsim Oberbergamtsbezirk Dortmund wurden insgesamt im Jahre1909 1103 Klagen verhandelt, im Jahre 1908 dagegen 1428. DerRückgang in der Zahl der Klagen ist nach Ansicht eines Revier»beamten darauf zurückzuführen, daß die Arbeiter häufiger wegenangeblich erlittenen Unrechts persönlich in dem Dienstzimmcr dcSAufsichtsbeamten erschienen und nach erhaltener Aufklärung überdie betreffenden Fälle auf Einlegung der Klagen verzichteten. ImInteresse der Bergarbeiter, denen durch gänzlich aussichtslose, aufeiner Verkennung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen be»ruhende Klagen häufig nicht unwesentliche Kosten erwüchsen, könneman diese Erscheinung bloß mit Genugtuung begrüßen.Diese Erklärung dcS Rückganges der Klagen trifft gewiß nichtden Kern der Sache, es ist eine Verlegenheitsausflucht. Näherliegt gewiß, die immer straffer werdenden Macht- und Organisa-tionsverhältnisse der Zechenkönige, die neuerdings wieder in demZwangsnachweis ihren knebelnden Ausdruck fanden, als Ursacheheranzuziehen. Die Bergleute haben Grund, die Rache derGrubengewalligen zu fürchten, wenn sie gegen erlittenes Unrechtam Berggewerbegericht Schutz suchen.Ein fernerer Grund für den Rückgang der Klagen ist auch dieTatsache, daß sich das Berggewerbegericht keines Vertrauens beiden Bergleute» zu erfreuen hat. und die Urteile sowie die Art derBerhandlungsführung an den Spruchkammern des Lerggewerbe-gerichts haben auch vielfach nicht die Wirkung, bei den Arbeiterneine günstigere Beurteilung zu erzielen. Im Gegenteil.Besonders„beliebt" ist bei den Bergleuten der VerhandlungS»führer der Spruchkammer III des Berggewerbegerichts in Dort»mund. Greifen wir aus dessen BerhandlungSpraxis einige Fälleheraus.Ein klagender Bergarbeiter wurde in der mündliche» Ler»Handlung von einem die Zeche vertretenden Inspektor mit„KerlS"und„Lügner" tituliert, was nicht gerügt wurde.Ein Zeuge eines Arbeiters wurde vor der Beeidigung vorden Folgen des Meineides gewarnt und ermahnt, keinen falschenEid zu schwören. Der Zeug« meinte darauf abwehrend:„Nein,ncinl" Der GerichtSvorsitzendc Bergrat Remy erklärt« darauf:„Na, das kennen wir ja!"In einem Falle hatte die Spruchkammer zuungunsten desArbeiters entschieden, und da das Klageobjekt über 100 Mk. be-trug, legt« der Bergmann Berufung an das Landgericht«in. Diesesurteilte zugunsten des Arbeiters. Später erklärte Bergrat Remyin einer Sitzung des Gewerbegerichts. da» betreffende Landgerichts»urteil enthalte hahnebüchenen Nnsinn!In allerjüngster Zeit noch klagte ein Bergmann drei ab»gehaltene Strafbcträg« ein, von denen zwei von der Zechen»Vertretung als zu Unrecht«inbehalten anerkannt wurden. Alsder Zechenvertrcter nebenher erwähnte, daß derselbe Kläger auchschon früher einmal wegen abgehaltener Strafen geklagt habe, er»klärte Bergrat Remy,„der(Arbeiter) betrachtet das also al»Sport!!"Diese Siedeblüten könnten bedeutend vermehrt Werden, sie kenn»zeichnen den Geist, der am Berggewerbegericht herrscht, und derden Bergarbeitern jedes Vertrauen zu diesen Gerichten nimmt.Nehmen aber die Klagen ab, so nimmt damit natürlich nochlange nicht die Erbitterung ab. Im Gegenteil, der Groll sammeltsich und steigt und verschärft damit di« gespannte Lage im Ruhr»gebiet.Der Art der Verhandlung vor dem Ecwcrbegericht mutz einEnde gemacht werden. Eine solche Art der Behandlung derArbeiter ist ein Hohn auf eine gesund« Rechtsprechung.