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Nr. 149.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­fährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Pig. frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit tlluftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz­ band  : Deutschland   u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Breisliste für 1893 unter Nr. 6708.

Vorwärts

S

10. Jahrg.

Inferttons- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Beeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 19 Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Erpedition ift an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­und festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet. Fernfpredjer: Amt I. 4186. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin Berliner  

Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Abonnements- Einladung.

Mittwoch, den 28. Juni 1893.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Am klassischsten kam dies in Sachsen  , dem wirthschaft- semitismus, den sie sich selber ins Nest geschleppt hat, lich entwickeltsten Lande Deutschlands  , zur Erscheinung. mit Haut, Haar und Firmenschild aufgefressen zu werden. Dort find mit Ausnahme zweier Wahlkreise, in denen Den Sozialismus zur Linken, den Antisemitismus zur Mit dem 1. Juli eröffnen wir ein neues Abonnement die Deutschfreisinnigen, von den Sozialdemokraten unterstüßt, Rechten, gleicht der Kapitalismus einer an zwei Enden an­auf den bei den Stichwahlen siegten- blos Vertreter der beiden gesteckten Kerze, die rasch verbrennen muß. Und daß gerade politischen Extreme: der Sozialdemokratie und des reaktionären die eifrigsten Anbeter und Apostel des Kapitalismus: Bis­Antisemitismus gewählt worden. Sogar der Leipziger marck und seine goldhungrigen Agrarier den antisemitischen Nationalliberalismus hat, um seine Hochburg" nicht zu Brand entfacht haben, gehört zu jenen Wigen der Welt­verlieren, unter dem kaudinischen Joch des Antisemitismus geschichte, die in neuerer Zeit besonders häufig sind, und hindurchgehen müssen. Die Parteischattirungen sind ver- die in den blutigen Ernst des Kampfes einige heitere Ab­schwunden- die Vertreter des Kapitalismus fechten alle wechselung bringen.

Vorwärts"

Berliner   Volksblaff

mit der illuftrirten Sonntagsbeilage

,, Die Neue Welt.

Für Berlin   nehmen sämmtliche Zeitungsspediteure, sowie unsere Expedition, Beuthstr. 3, Bestellungen entgegen zum monatlichen Preise von

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in derselben Armee, und haben dasselbe Feldgeschrei. Es Die Zahl der am 15. Juni abgegebenen Stimmen entspricht dies der wirthschaftlichen Hochentwicklung des wird auf rund 72 Million geschätzt, wovon 1800 000 Landes, die englische Zustände" und eine haarscharfe also nicht voll zwei Millionen auf unsere Partei ge Abgrenzung, eine haarscharfe Scheidung der Klassen hervor- fallen sein sollen. Indeß sind diese Ziffern durchaus nicht gebracht hat. zuverlässig. Unbestritten ist unsere Partei weitaus die Was in Sachsen   schon seit Jahren ist, wird im stärkste Partei in Deutschland  , um fast eine halbe übrigen Deutschland   bald sein, und die Wahl des Million zahlreicher als die zweitstärkste Partei: das Zentrum. 15. Juni d. J. nebst den zu ihr gehörigen Stichwahlen, Trotzdem haben wir, dank der Unvollkommenheit unseres hat den Beweis geliefert, daß wir auf dieser Bahn der Partei- Wahlsystems, nicht halb so viel Abgeordnete wie das Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Abonnements Entwicklung schon beträchtliche Fortschritte gemacht haben, Zentrum. Hätten wir in Deutschland   das Proportional­zum Preise von

1 Mark 10 Pfennige frei ins Haus,

wöchentlich 28 Pfennige.

3,30 Mart für das 3. Quartal

entgegen.( Eingetragen in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1893 unter Nr. 6708.) Wir ersuchen unsere Postabonnenten höflichst, das Abonnement rechtzeitig aufzugeben, damit die regelmäßige Zustellung des Blattes teine Unterbrechung erleidet.

Die Redaktion und Expedition des Vorwärts" Berliner Volksblatt. die Gewißheit des endgiltigen Triumphs. Denn einer er- Reichstag   eine Majorität für die Militärvorlage, oder

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Die Wahlen

ja dem äußersten Punkt schon ziemlich nahe gekommen sind. system, so würden wir Sozialdemokraten, da unsere Stimmen Jedenfalls war der Wahlkampf dieses Jahres härter und ungefähr ein Viertel sämmtlicher abgegebenen Stimmen schwieriger für uns als irgend ein früherer Wahlkampf, ausmachen, etwa 100 Abgeordnete haben über das weil der Feind im allgemeinen uns stärker ent- Doppelte der uns thatsächlich zugefallenen Zahl. gegentrat. Und daß wir ihm dennoch mehr Boden abringen, mehr Niederlagen beibringen konnten, als tag ist heute noch nicht möglich. Das unterliegt aber Eine genaue Uebersicht der Barteien im neuen Reichs­in der glücklichsten aller bisherigen Wahlkampagnen, das keinem Zweifel, daß die Mehrheit der deutschen   Wähler bildet einen Maßstab für die Würdigung unseres Sieges, am 15. Juni gegen die Militärvorlage gestimmt hat. Auf setzt dessen Bedeutung in das richtige Licht und giebt uns der anderen Seite ist kaum zu bezweifeln, daß im heblichen Steigerung der Kräfte und der Machtentfaltung wenigstens für einen Militär- Kompromiß zu finden sein sind unsere Feinde nicht mehr fähig, wohingegen der wird. Sozialdemokratie durch die Zersetzung der bürgerlichen Ge- Unseren Vertretern ist der Weg klar vorgezeichnet: sellschaft unablässig und in immer rascherem Tempo neue sie werden nach Möglichkeit für die Verwirklichung unseres sind nun beendigt. Die Sozialdemokratie hat 45 Mandate Kräfte zugeführt werden. Wenn eine Gesellschaftsform sich überlebt hat, das vor neuer Belastung und vor jeder Beeinträchtigung seiner errungen 9 mehr, als bei den Wahlen des Jahres 1890. Programms thätig sein und alles aufbieten, um das Volk Ist die Siegesbeute auch nicht ganz so reich, wie wir am heißt, wenn sie den wirthschaftlichen Bedürfnissen nicht mehr Rechte zu bewahren. Der Umstand, daß wir in Deutsch­Abend der Hauptwahl erwartet hatten, so thut dies der genügt und ihre Gemeinschädlichkeit den Massen des Volkes land die einzige Partei sind, welche den Militarismus und Größe unseres Sieges doch keinen Abbruch. Im Gegentheil, offenbart, dann hat jeder Versuch, das Unhaltbare zu be- die Reaktion auf allen Gebieten prinzipiell bekämpft, und nachdem wir jetzt unterrichtet sind, mit welchen Mitteln die festigen, nur die Wirkung, den Sturz noch zu beschleunigen. die Interessen des Volkes in seiner Gesammtheit vertritt, Gegner gearbeitet haben, und wie festgeschlossen die Allianz Das gilt von dem Antisemitismus, dieser letzten Zuflucht kommt unseren Abgeordneten, wie überhaupt der Partei, der kapitalistischen   Parteien gegen uns fast überall war, der verzweifelnden bürgerlichen Gesellschaft. trefflich zu statten. fönnen wir heute mit gutem Gewissen sagen: was die Mit sauerfüßer Miene betrachtet daher die Kreuz- 8tg." Partei thatsächlich geleistet hat, übertrifft das, was wir am das Wahlresultat. Weit mehr sauer als süß. Ist doch das Auf den Lorbeeren des Wahlkampfes dürfen wir nicht ruhen. Und auch der Partei ist der Weg klar vorgezeichnet. Abend des 15. Juni von ihr geleistet glaubten. Die Er- Anschwellen des Antisemitismus ein memento mori   für die Er war nur die Einleitung einer Aera von langen und folge der 1890er Wahl waren äußerlich glänzender, sie konservative Partei, der das nämliche Schicksal bevorsteht, schweren Kämpfen, die für die Zukunft unseres Vaterlands brachten uns einen größeren Zuwachs an Mandaten und wie dem Zentrum: daß die adeligen Führer" von der entscheidend sein werden. Da giebt's teine Pause, feinen Stimmen, allein an Intensität der Kraftleistung steht die plebejischen Menge verlassen und auf den Kehrichthaufen Waffenstillstand. Wir dürfen die Rüstung nicht ablegen, 1890er Wahl entschieden hinter der soeben beendigten geworfen werden. Nur mit dem einen Unterschied, daß und haben uns rastlos vorzubereiten für die Kämpfe, die zurück. Damals war unsere Schlachtlinie bei weitem nicht das Zentrum, weil sich die große Mehrheit der Mitglieder uns erwarten. so ausgedehnt, das Kampffeld viel fleiner, und die Gegner den Wählern zu lieb von vornherein demokratische Allüren operirten lange nicht so einheitlich. Diesmal hatten wir zugelegt hatte, die Mauserung wenigstens ohne Wechsel der in den meisten Wahlkreisen im wahrsten Sinne des Worts Firma vornehmen konnte, während die konservative Partei ,, die eine reaktionäre Masse" gegen uns. in Gefahr steht, von dem gefräßigen Kutut des Anti­

Feuilleton.

Nachdruck verboten.)

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und

Die Bekehrung André Savenay's. Frauts. Er hatte die Rechte studirt, um sich wenigstens ein enthalt in Paris   Tros geboten hatte, mit einer Stimme fo

Sozialistischer Roman

von Georges Renard.

Autorisirte Uebersetzung von Marie Kunert  .

1. Rapitel.

gründlichste in die Hand zu nehmen. Der dritte endlich, einem so elenden Körper langweilig zu finden, André, war der Sohn eines hervorragenden Architekten, der sicherlich gähnte man dann aus Sympathie mit ihm. Ganz vor mehreren Jahren gestorben war. Gegenwärtig lebte im Gegensaß hierzu war man versucht zu lächeln, wenn André mit seiner Mutter und seiner Schwester zusammen Guntram mit seinem gutmüthigen, breiten, etwas bäurischen von einer bescheidenen Jahresrente von fünfzigtausend Gesicht, dessen röthlicher Teint einem sechsjährigen Auf­Ansehen zu geben, als thäte er etwas. Er war Advokat, mächtig wie die eines kommandirenden Offiziers Alfred aber er praktizirte nicht. Dabei war er von den dreien nachzuahmen suchte und dabei in kläglich sein sollenden noch der Beschäftigste. Tone Phrasen aus pessimistischen Romanen hervorpolterte. Man hätte glauben können, daß sie in sehr fröhlicher Wenn man ihn nicht kannte, fragte man sich gewiß, von Stimmung zusammen gespeist hätten. Das wäre jedoch welcher schweren Last dieser robuste Junge so niedergedrückt André Savenay hatte in einem großen Restaurant der ein Frrthum! Die Geschichtsschreiber der Zukunft werden sein konnte; und wenn man ihn fannte, so wunderte man Champs- Elysees   in Gesellschaft zweier Kameraden vortreff berichten, daß im Jahre des Heils 1888 gefunde Fröhlich- sich wieder darüber, wie ein so leerer Kopf so schwer zu lich zu Abend gespeist. Guntram von Serenoize und feit nicht Chic*) war, und die drei Freunde folgten der tragen sein könne. André dagegen war weder so verlebt Alfred Bernaud- so hießen sie nannte er seine Mode des Tages zu genau, als daß sie ihren Vergnügungen wie der erstere, noch so schwerfällig wie der zweite. Ein Freunde, ohne eigentlich recht zu wissen, weshalb,-einen Anstrich gegeben hätten, der vom guten Ton" ver- reges, inneres Leben strahlte aus seinen schwarzen, funkeln­wahrscheinlich aber, weil es zur Gewohnheit geworden dammt wurde. Alfred, dessen blaffes, scharfgeschnittenes den Augen, klang aus dem warmen Ton seiner sonoren war, daß er überall mit ihnen zusammenfam, weil er Gesicht einen greisenhaften Bug hatte und um dessen Lippen Stimme, aus seinem elastischen Schritt; und wenn er, was in gleichem Alter stand, ihrer Welt und ihren Kreisen an- beständig ein Lächeln spielte, das an das Grinsen eines zuweilen geschah, in dem beschäftigten Müßiggang, der gehörte, weil er ihnen Geld lieh, wenn sie welches ge- Klowns erinnerte, konnte nicht drei Sätze hinter einander fein Leben ausfüllte, Zeit fand zum Nachdenken, so fühlte er brauchten oder weil er gelegentlich auch einmal von ihnen sprechen, ohne Betrachtungen anzustellen über die Nichtigkeit sich von einer sonderbaren Mißstimmung und einem merf einige Louisd'or borgte. Die drei jungen Leute der aller Dinge im Allgemeinen und über die schauderhafte Lang- würdigen Ekel erfaßt, und solche Stimmungen machten sich älteste von ihnen war noch nicht dreißig Jahre alt weiligkeit des Lebens im Besonderen. Dieser troftlose Refrain dann in beißenden Sarkasmen, in wilder Fronie, in waren von Familie", wie man heute zu sagen kehrte bei allem, was er sagte, ebenso regelmäßig wieder spöttischen Bemerkungen Luft. Seine beiden Kameraden pflegt, wo man reich sein muß, um ein Recht auf wie der Tic, mit dem er alle zwei Minuten sein linkes liebten ihn nicht besonders, bewunderten ihn aber sehr und eine Familie zu besitzen. Von Alfred wußte man, daß er Auge zukniff, während ein Monokle auf unsichtbare Weise fürchteten ihn noch mehr. Dieses Original, dieser André im Bureau seines Vaters, eines steinreichen Bankiers, vor dem rechten Auge befestigt schien. Er hätte sein Lebtag hatte zuweilen Anfälle von einer Leidenschaftlichkeit, die arbeitete", der feine jüdische Abstammung nicht verleugnete, nur gegähnt, hatte ein Spötter einmal von ihm gesagt. den kleinen Affen von Alfred vollständig aus der Fassung trotzdem er sich hatte taufen lassen. Guntram, der einzige und in der That, man brauchte diesen blutleeren, voll- brachten und Spöttereien, daß es dem braven Guntram falt Erbe eines Großhändlers aus der Touraine  , bereitete sich ständig entkräfteten, jugendlichen Greis nur anzusehen, um über den Rücken lief. vorläufig auf dem Pflaster von Paris   gemächlich darauf zu begreifen, daß er wirklich Ursache hatte, das Leben in vor, eines Tages an seines Vaters Stelle die Ausbeutung

seiner ländlichen und industriellen Arbeiter auf das*) Sprich schick guter Zon"," feinste Mode".

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Sie hatten also in der melancholischsten Stimmung von der Welt die herrlichsten Gerichte verspeist, sie hatten mit blasirter Gleichgiltigkeit mehrere Flaschen Chateau