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St. 181. 27. ZahtMS. rilifr iitü J ItiHaj, 5. JnjuJ 1910. Die BudgetbewilllgiiDs In Baden . Von G. A. Lehmann- Mannheim. Der Schluß des Badischen Landtages hat genau wie vor zwei Jahren der gesamten sozialdemokratischen Partei eine recht schrille politische Dissonanz gebracht. Damals wie jetzt hat sich die große Mehrheit der badischen sozialdemokratischen Fraktion mit ihrem Votum für das Staatsbudget in Widerspruch mit den Beschlüssen früherer Parteitage gesetzt. Das wurde vor zwei Jahren zum größten Teil bestritten, und es wurde der Lübecker Resolution von den Budgetbewilligern eine entsprechende Interpretation gegeben. Das ist nun diesmal nicht mehr niöglich, denn der Nürnberger Parteitag hat inzwischen die Stellung der Partei zur Budgetfrage unzweifelhaft festgelegt, so daß der früher erhobene Einwand auch unter Anwendung kühnster Auslegungskunst nicht mehr gemacht werden kann und wie anerkannt werden soll auch gar nicht gemacht worden ist. Dahingegen behaupten unsere badischen Parla- mentarier soweit sie für das Budget gestimmt haben, daß der Nürnberger Beschluß die besonderen badi- schen Verhältnisse nicht berücksichtige und daher nicht unter allen Umständen befolgt werden könne. Man wollte nicht gegen den Parteibeschluß verstoßen, aber man sei durch die politische Situation dazu gezwungen worden. Vor zwei Jahren war es ein anderer Grund, den unsere Genossen für ihre Haltung anführten. Damals erklärte der Sprecher der Fraktion, Genosse Dr. Frank: Mit Rücksicht darauf, daß für die kommende Budgetperiode verhältnismäßig erhebliche Beträge zur Erhöhung der Beamten- gehälter und Arbeiterlöhne angefordert werden, stimmt die sozialdemokratische Fraktion für das Finanzgesetz. Diese Ab- stimmung soll kein Vertrauensvotum für die Regierung sein. Die Politik des Ministeriums wird vielmehr, wie bisher, von der Fraktion energisch bekämpft werden, da die Regierung wiederholt in Wort und Tat, wie zum Beispiel im Falle des Eisenbahnarbeiters Schaufele, den Grundsatz der staatsbürger- lichen Gleichheit gegenüber Angehörigen der sozialdemokratischen Partei verletzte und durch ihre Haltung im Bundesrat, namentlich auch bei Beratung der Reichsfinanzreform, wichtige Volksinter- essen schädigte. Nachdem die sozialdemokratische Fraktion am Zustandekommen der Beamtengesetze nach besten Kräften mit- gearbeitet hat, hält sie sich für verpflichtet, mitzuwirken bei der Beschaffung derjenigen Mittel, die zur Ausführung dieser Gesetze notwendig sind. Nur aus diesem Grunde hat die Fraktion es unterlassen, ihr Mißtrauen gegen die Regierung durch Ablehnung des Gesamtctats zum Ausdruck zu bringen." Die Erklärung vom 14. Juli 131» aber war viel knapper und illlgemeiner. Sie lautete: Es liegt nahe, bei Abschluß des Finanzgesetzes Protest da- gegen zu erheben, daß die sozialdemokratischen Staatsbürger noch immer nicht gleichberchtigt sind. Mit Rücksicht auf die beson- deren, in den letzten Tagen veränderten politischen Verhältnisse haben meine Freunde sich aber entschlossen, von einer Demon- stration abzusehen und dem Gesetz ihre Zustimmung zu erteilen." Diese besonderen politischen Verhältnisse sollen durch die der- änderte Stellung gegeben sein, die der Minister des Innern von Bodman in einer Rede vor der Ersten Kammer unserer Partei gegenüber bekundete. Um bei den Herrenhäuslern die von der Regierung zur Gemeindeordnungsreform geforderte Sechstelung bei der Bildung der Wählerklassen durchzudrücken, hatte der Minister erklärt, daß das starke Anwachsen der Sozial- demokratie zurückzuführen sei einmal auf die starke Industrialisierung Badens und zum zweiten darauf, daß die bürgerlichen Parteien sich nicht rechtzeitig besonnen, sondern sich gegen- seitig zerfleischt hätten. Die Sozialdemokratie schlechthin als eine Krankheit zu bezeichnen, geht nicht an. Sie ist zu verwerfen, soweit sie die Monarchie und die Staatsordnung bekämpft, andererseits ist sie aber eine großartige Bewegung zur Hebung des vierten Standes, und da verdient sie Entgegen. kommen." Daß diese reservierte und auf ein bestimmtes Gebiet ein- geschränkte Anerkennung unserer Bestrebungen unsere Genossen im Badischen Landtag veranlasste, nun alle vorausgegangenen ent- gegengesetzten Acußerungen des Ministers zu vergessen und für das Budget zu stimmen entgegen einem bereits gefaßten Beschluß und trotz der zum Greifen naheliegenden Gefahr scharfer Partei- kleines feuitteton. Reptilien- Romane. In den Lebenserinnerungen von Julius d. Eckhardt, die in derDeutschen Rundschau" veröffentlicht werden, erzählt dieser später ins Auswärtige Amt berufene Journalist er- bauliche Dinge von seiner Pressetäligkeit im offiziösen Reptilien- sumpf. Er schrieb anfangs der achtziger Jahre unter dem Regime Bismarck- Puttkamer dieNeuesten Nachrichten" für die Provinz. blätter. Da diese Korrespondenz aber keine Verbreitung fand, gab man als Lockmittel Romane zur Belohnung guter Gesinnung drauf I Eckhardt berichtet über diesen Handel:Um Anziehungskraft und Verbreitung derNeuesten Nachrichten" zu erhöhen, hatte Herr V. Bitter(bet Reptilienchef) den Minister zur Bewilligung einer nicht ganz unerheblichen Geldsumme bestimmt, aus welcher der Anlauf noch nicht veröffentlichter Romane und Novellen beliebter Schrift- steller bestritten werden sollte. Die sowertvollen Gaben" wurden an diejenigen der von denNeuesten Nachrichten" gespeisten Provin- zialblälter verteilt, die sich um die RegierungSpresie besonders der- dient gemacht hatten, und denen man zu einem größeren Leserkreis verhelfen wollte. Gegen ansehnliche Honorare wurden die Herren Nomondichter willig gemacht, uns die ausschließliche Benutzung ihrer Werke für anderthalb Jahre zu überlassen, nach Ablauf dieser Frist durften sie in Buchform erscheinen." Su diesen beliebten Dichtern gehörte Wlldenbruch mit seiner »Danaide ". Hopfen u. a. Mit den Männern ging das Geschäft glatt, kaum daß die Herren nach den Blättern fragten, in deren Interesse sie verhandelten". Schwieriger, aber auch lehrreicher waren die Verhandlungen mit einzelnen der dichtenden Damen. Indessen, da die gezahlten Preise den landesüblichen Durchschnitt überstiegen, die Verhältnisse der Liefcrantinnen bescheiden waren, so war auch ihnen da» Geschäft zum Geschäft geworden, das sich nach den Verhältnissen zwischen Angebot und Nachfrage richtet I Da sage man noch, daß Preußen nichts für die Ltterawr tut I ES zahlt sogar die höchsten Preise, um mit.Dichtkunst" die Reptile zu füttern. Die Nerven am Telephon. An jedem Telephongespräch sind drei Nervenbündel betetligt, vorausgesetzt, daß es richtig zustande kommt. der Rufer, die Telephonistin und der Angerufene. Je mehr sich der Begriff der Person bei diesen Dreien mit dem eines Nervenbündels deckt, desto unerfreulicher kann die Sache verlaufen. Immerhin gebietet es die Gerechtigkeit anzunehmen, daß die weiblichen Be- amten auf dem Telephonamt, diesem ewigen Pufferstaat, noch am ehesten wegen Nervostlat entschuldbar sind. Daran denken aber leider wenige Fernsprechabonnenten, die vielmehr auf ihr vermeintliches Recht pochen, stets aufs schnellste und genaueste bedient zu werden. Jemand geht ans Telephon und hebt den Hörer ab. Meldet sich das Amt nicht sofort, so ärgert er sich und fäogt vielleicht zunächst milde au zu schimpfen. Hat« schädigender Auseinandersetzungen innerhalb der Partei, dies ist nur zu erklären, wenn man annimmt, daß der Fraktionsmehrheit die ihr durch den Nürnberger Parteitag aufgedrängte oppositionelle Stellung unbehaglich war und sie nach einer Gelegenheit ausspähte, um aus dieser ihr unbequemen Situation, der sie sich in letzter Zeit etwas entwöhnt hatte, herauszukommen: Die Großblockpolitik und der gerecht denkende Minister sollten gerettet werden! Das war das Ziel, das sie gesteckt hatten. Man darf sich wohl fragen, ob selbst vom Standpunkt rechtsrevisionistischer Auffassung das zu erstrebende Ziel das zu bringende Opfer wert war. Wird die er- reichte Anerkennung der liberal-bürgerlichen Kreise nicht zehn- und vielleicht hundertfach aufgewogen durch vermindertes Ver- trauen in den Arbeiterkreisen? Um die ganze Situation richtig würdigen zu können, sei hier in gedrängter Kürze ein Bild der Situation gegeben. Die Wahlen von 1909 hatten uns im ersten Wahlgang 10 Sitze gebracht und die Stichwahlen erhöhten die Zahl auf 20. Damit waren wir stärker geworden als die Nationalliberalen, die stärkste Partei des Großblocks. Denn der Großblock bestand weiter und funktionierte gleich bei der Präsidentenwahl. Dadurch, daß das Zentrum den ihm angetragenen Posten eines e r st e n Vize- Präsidenten nicht annahm, nachdem man ihm, obwohl es die stärkste Fraktion war, den Präsidentenposten vorenthalten hatte, wurde einer der Unseligen erster Vizepräsident. Die Hoffnung des ausgeschalteten Zentrums, daß die Weigerung unseres Genossen, bei Hofe sich vorzustellen, ihm Schwierigkeiten im erforderlichen geschäftlichen Verkehr mit der Regier u n g bereiten, oder daß die Vorstellung erfolgen, und daß dann ein Parteiskandal einsetzen würde, ist gründlich zu Wasser geworden. Das Präsidium hatte nämlich was übrigens. kein Kunststück war herausgefunden, daß m a n d e m Großherzog von der Wahl des Präsidiums auch schriftlich Mit- teilung machen könne. Auch an der feierlichen Er- öffnung des Landtags im November vorigen Jahres hat keiner unserer Genossen teil- genommen. Und selbst dasjenige Mitglied, das durch das Los bestimmt worden war, nebst sieben bürgerlichen Abgeordneten den Großherzog neb st Gefolge an der Schwelle desHohen Hauses" zu empfangen und an den Thron zu begleiten, ist in der richtigen Erkenntnis, daß ihm seine republikanische Ueber- zeugung höher stehen müsse als die antiquierten Bestimmungen der Geschäftsordnung, gleichfalls der feierlichen Eröffnung ferngeblieben. Um so verwunderlicher muß es darum erscheinen, daß dieselben Leute, die damals mit diesem Verstoß gegen die Geschäftsordnung einverstanden waren, jetzt beschlossen haben, die zwei dem Kammer- vorstand angehörenden Genossen zum Großherzog zu schicken, um in Gemeinschaft mit einer gewählten Deputation zu seiner silbernen Hochzeit zu gratulieren, weil die Geschäftsordnung das verlange. Die Liberalen hatten jenen Verstoß gegen die Geschäftsordnung damals ruhig hingenommen, mußten ihn ruhig hinnehmen, weil sie uns nötiger gebrauchten, als wir sie. Ja, die bürgerlichen Gegner haben dieser unserer Stellungnahme sicherlich ihre Achtung nicht versagt. Die Zentrumspresse hat damals unser Verhalten als antimonarckisch bezeichnet und uns die Regierungsfähigkeit abgesprochen, während sie jetzt in Beziehung auf uns von einem moralischen Tiefstand in der Politik spricht, den wir in unserem Bestreben, Regierungspartei zu werden oder zu bleiben, an den Tag gelegt hätten. Ebenso unverständlich ist es auch, daß zur Schlußfeier neun Mitglieder der Fraktion, sicherlich sehr zum berechtigten Erstaunen der Gegner, im üblichen schwarzen Feierkleid erschienen sind. Um diesen Vorgang richtig würdigen zu können, muß man noch wissen, daß die Zweite Kammer ihre Schlußsitzung schon am Tage vorher gehabt hatte, in der die Uebersicht über die Tagung gegeben, der Dank an das Präsidium usw. erstattet und der Ständische Ausschuß gewählt war. Was in aller Welt, so muß man fragen, hat unsere Parteigenossen zu einer solchen Aendcrung ihrer Taktik bewogen? Niemand hätte sie vermißt, wenn sie der Schlußfeier ferngeblieben wären. Nun, sie wollten auch hier ihre gute Lebensart beweisen; sie wollten zeigen, daß sie wissen, was sich schickt, und wollten damit vor allem einen weiteren Stein des Anstoßes auf dem Wege zur Einigung mit dem Liberalismus von Bassermann bis Bebel heißt diese politische Formel im Reich beseitigen. Daß es gerade Herr v. Bodman war, für den unsere Ge. nossen als Blockminister glaubten eintreten zu müssen, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Denn gerade Herr v. B o d m a n ist es gewesen, der bei den letzten Wahlen zwischen Haupt- und Stich- seine Nummer angegeben und bekommt wieder nicht sofort Antwort, so ärgert er sich zum zweiten Mal und schimpft zum zweiten Mal. Wird er aber gar mit einer falschen Nummer verbunden, so bekommt er einen Wutanfall. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber die Ungeduld ist in höherem oder niederem Grade die Regel. Das ist vielleicht einfach menschlich und wäre auch nicht besonders tadelnswert, wenn die Folgen sich nicht immer gegen die Telephoniftinnen richteten, deren Nerven dadurch zerrieben werden müssen und wahrhaftig auch etwas Rücksicht verlangen dürsten. Auf einer der großen Berliner Aus- stattungsbühnen wurde vor einiger Zeit auch eine kleine Telephonszene gezeigt, bei der die Telephonistin sich bei ihrer Beschäftigung fortgesetzt unterhielt, während der Rufende auf der anderen Seite der Bühne über die schlechte Bedienung beinahe in Tobsucht verfiel. Dieser Scherz war sehr zu tadeln. ES weiß nicht jeder, der das Telephon täglich in Anspruch nimmt, wie es auf einemAmt" zugeht, und daß es durchaus kein Vergnügen ist, dort zu arbeiten. Nichts ist mehr an- steckend als nervöse Erregung und die Telephonistin hat eigentlich den ganzen Tag mit Leuten zu tun, die im Zustand mehr oder weniger großer Eile und Ungeduld sich befinden. An ihre Nerven werden also die größten Ansprüche gestellt und niemand, der das Telephon häufig benutzt, sollte vergessen, daß er durch die Wahrung der Selbstbeherrschung am Fernsprecher gewissermaßen einen Akt von Nächstenliebe ausübt. Eine Statistik der Höhenflüge. Eine Statistik der Höhenflüge, die bei dem bevorstehenden Wettflug über die Alpen von besonderem Interesse ist, wird imFigaro" zusammengestellt. Sie erstreckt sich auf die letzten 18 Monate und gibt ein deutliches Bild von den großen Fortschritten, die die Techniker der Flugkunst in dieser kurzen Zeit gemacht haben. Als Wilbur Wright am 18. Dezember 1908 in Auvours mit seiner Flugmaschine eine Höhe von IIS Meter erreichte, feierte man diesen Erfolg als einen Triumph und in der Tat verstrichen sieben Monate, ehe diese Leistung überboten werden konnte. Es war Paulhan, der am 18. Juli 1909 bei einem Fluge in Douai eine Höhe von ISO Meter erreichte. Fünf Wochen später, am 29. August, überbot Latham diesen Erfolg um S Meter. Mit seinem denkwürdigen Fluge um den Eiffelturm löste der Graf de Lambert ihn ab und stieg am 13. Oktober 1909 bis zu 300 Meter empor. Aber nun ritz Paulijan den Rekord wieder an sich und konnte am 19. November in Bouy 360 Meter verzeichnen. Sein Triumph war nur von kurzer Dauer, denn am selben Tage noch erreichte Latham 410 Meter Höhe. Am 1. Dezember überttaf er sich dann selbst und steigerte fein« Leistung auf 47ö Meter. Aber er war damit noch nicht zufrieden: am 7. Januar 1910 leitete er eine neue Etappe in der Entwickclung des Höhenfluges ein, indem er in Bouy bis zu einer Höhe von 1000 Meter emporschwebte. Aber Paulhan saß ihm auf den Fersen. Am 7. Januar hatte Latham seinen 1000 Meter-Rekord aufgestellt, fünf Tage später, am & Lgnggr, stieg Paulhan mit seiner Maschine in Los Angeles Wahl in derKarlsruher Zeitung" einer Etntgung zwischen Zentrum und National liberalen gegen die Sozialdemokraten sehr entschiede ndas W o r t ______________ stens ebensr---- wenn sie umgekehrt mit den Sozialdemokraten gegen das Zentrum gingen.Jedenfalls", so hieß es. s o l l h i e r n o ch m a l s b e t o n t w e r d e n. dasi es tief bedauer- lich wäre, wenn bürgerliche Parteien der Sozialdemokratie durch Wahlhilfe Vorschub leisten würden.".. Derselbe Minister hat aber auch öffentlich in der Zweiten Kammer einige Monate vorher mit Nachdruck erklärt, daß ein Beamter nicht Sozialdemokrat sein dürfe, denn er habe seinem Großherzog den Treueid geleistet. Desgleichen hat er zugegeben und es als selbstverständlich hinzu« stellen beliebt, daß die staatlichen Bezirksämter die PersonalienderMilitärrekrutenandieMilttar- be Hörden ausliefern, damit denen, die sozial- demokratischer Gesinnung verdächtig sind, besser auf die Finger gesehen werden könne. Nun soll neben derSchwenkung" des Mintsters in bezug auf seine Anschauungen über die Sozialdemokratie auch der Umstand, daß das Zustandekommen der Gemeindeordnungsreform gefährdet gewesen sei und deren Fall auch den Sturz des Ministers zur Folge gehabt haben würde, unsere Genossen zu der plötzlichen Aenderung ihrer Stellungnahme in der Budgetfrage veranlaßt haben. Hatten unsere Genossen so wird argumentiert gegen das Budget gestimmt, so hätte die Erste Kammer die Gemeindeordnung fallen lassen, und mit ihr wäre auch der Minister gestürzt, weil ermann kein wichtiges Gesetz durchgebracht hätte und mit leeren Händen dagestanden wäre. Eine merkwürdige Logik, denn man kann aus den Vorder- sätzen mit demselben Scheine von Recht auch den entgegengesetzten Schluß ziehen. Nach dem Vorausgegangenen ist der Minister vom sozialdemokratischen Standpunkt aus nicht viel wert, jedenfalls ist er höchst unzuverlässig. Fiel er, weil die Vorlage fiel, so war also von unserem Staudpunkt aus nichts verloren. Sein Nach- folger hätte unserer Partei nicht minder Rechnung tragen müssen, wie das schon unter Bodmans Vorgänger Dr. Schenkel der Fall gewesen war, der sogar einmal offen erklärte, er möchte die Sozialdemokraten im Landtag nicht missen. Und dabei ist noch lange nicht ausgemacht, ob dem Ministee Bodman das Eintreten unserer Genossen für ihn wirklich etwas beim Großherzog genutzt hat, denn er ist ja nicht Blockminister, wie Dr. Schenkel es war, der bei den Wahlen im Jahre 190S einen den Stichwahlgroßblock empfehlenden Artikel in dieKarlsruher Zeitung" lanciert hatte, sondern, Bodman hatte, wie wir gesehen haben, das gerade Gegenteil getan. Man müßte nun glauben, daß die neue Gemeindeordnung, um welche der Kampf geführt worden sein soll, einen besonders großen Wert für die Arbeiter besitzt. Statt dessen ist der Vorteil, den daS neue Gesetz bringt, gar sehr bescheiden, denn das Klasienwahlrecht ist geblieben, nur ein wenig gemildert, und der Kreis der Wahl- berchtigten wurde nur dadurch um ein Geringes erweitert, daß das wahlfähige Alter vom 26. auf das 2S. Lebensjahr herabgesetzt wurde. Welche unwesentliche Verschiebung durch die Einführung der Sechstelung anstatt der für die Städte mit mehr als 4000 Ein- wohnern bisher bestandenen Zwölftelung herbigeführt werden wird, mag folgendes Beispiel zeigen. Die Wählerzahl in der Stadt Mannheim betrug zum Reichstag 37 4S0 und zur letzten Stadtverordnetenwahl im Oktober 1908 nur 2SS24. Die Verteilung der Wähler auf die einzelnen Klaffen stellt sich folgendermaßen: Letzte Stadt- g,«,.« Verordneten tvahl Wahlgesetz Erste Klaffe.. 2 127 4 255 t weite Klasse..» 4 4254 8 510 'ritte Klasse.... 19 143 12 759 Rechnet man die 11 999 Reichstagswähler, die überhaupt kein Kommunalwahlwahlrecht besitzen, zu den 12 700, die auch nach dem neuen Gesetz noch in der dritten Klasse rangieren, so haben die 12 700 Wähler der ersten und zweiten Klasse trotz aller Reform immer noch doppelt so viel Recht wie die 24 600 erwachsenen mann- lichen Personen über 25 Jahren, die entweder die dritte Klasse bilden oder, trotzdem sie Reichstagswähler sind, überhaupt kein Ge- meindewahlrecht besitzen. bis zu 1269 Meter hinauf. Der Wettkampf der beiden Rivalen war damit noch nicht abgeschlossen. Zwar verstrich ein halbes Jahr, ehe Paulhans Leistung überboten werden konnte, dann aber, am 7. Juli, eroberte Latham die Meisterschaft zurück: er erreichte 1384 Meter. Wie man sieht, waren es vor allem Paulhan und Latham, die bis dahin die EntWickelung der Höhenflüge förderten. Nun traten neu« Flieger in den Wettkampf: am 30. Juli stellte der Aviatiker Olies Laegers einen neuen Rekord auf, er stieg zu 1524 Meter empor und nun, am Montag, hat ein bisher wenig bekannter junger Flugkünstler, der Belgier Tyck, die Palme an sich gerissen und einen Höhenflug von 1700 Meter glücklich vollendet, der in- zwischen schon wieder durch Chavez mit 1778 Meter überholt wurde. Die Besatzung der chinesischen Mauer vor 2000 Jahren. In der Pariser Akademie der Inschriften hat Pros. Chavannes die zwei Jahrtausende alten, auf Holz geschriebenen Dokumente vorgelegt, die Dr. Stein auf seiner Forschungsreise durch Zentralasten an den östlichsten Teilen der großen chinesischen Mauer gefunden hat. Die Inschriften und Aufzeichnungen stammen zum größten Teile aus dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung; ihr Inhalt gibt ein lebendiges Bild der Lebensweise der chinesischen Soldaten, deren Aufgabe es war, das Himmlische Reich gegen die von Westen heran- drängenden fremden Kulturen zu schützen. Auch die Ucberreste von Büchern wurden gefunden, so eine besondere Abschrist des Di-King. ferner eine Sammlung medizinischer Rezepte, ein Traktat über Prophezeiungen und zwei kostbare Kalender, einer aus dem Jahre 63 v. Chr. und einer aus dem Jahre 59 v. Chr. Dr. Stein entdeckte auch ein chinesisches Wörterbuch, das zur Zeit der Han-Dhnastie im altchinesischen Lehrwesen eine große Rolle spielte. Diese Funde um» schließen die ältesten chinesischen Handschriften, die bisher der Wissen« schaft bekannt geworden sind. Aus dem Inhalt ergibt sich, daß die Soldaten in Naturalien, die Beamten dagegen in bar bezahlt wurden. Man kannte in jener Zeit nur zwei Getreidearten, Roggen und Hirse; als Scheidemünzen dienten kupferne Sapeken. Aus den ans- gefundenen Dokumenten lassen sich noch die genauen Preise für Seide feststellen; leider fehlen für die Getreidepreise einstweilen ge« naucre Hinweise. Der chinesische Kalenderkannte auch den Meton« scheu Mondzyklus. Auch das Notensystem der Pythagoräer war den Chinesen bekannt, wie überhaupt sowohl die Zeitrechnung und die Musik mit der griechischen Kultur eine überraschende Uebereinstimmung zeigen._ Notizen. Tljeaterchrontl. Hermann Sudermann hat sein« vieraktige Komödie S ch m etterlingSschlacht" der Neuen Freien Volksbühne zur Aufführung im Neuen Bolks-Theater überlassen. Der Autor hatte daS Stück, nachdem es im Jahre 189S am Lessing-Theater einen Premierenskandal erregt hatte, nie wieder in Berlin aufführen lassen.