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Kr.AV. 87. IahrslNlg.' Kilm des JotiDörtf Knlim Pollislilatl. Donllkrstllg, 8. Zejckmbtt 1910. UeberHewicht nicht unsere sozialistischen Endziele bertvirllichen. aber Vorteile für den Kawpf der Arbeiterklasse erringen. Wir bestimmen, trotz unserer Mehrheit, nicht selb- ständig den Inhalt des Budgets, aber wir haben Einfluß auf seine Gestaltung, und deshalb gestattet uns die Partei, das Budgetgesetz zu genehmigen. Der Nürnberger Parteitag hat dagegen keine Anweisung ge- geben für den Fall, daß eine sozialdemokratische Fraktion zwar nicht die Mehrheit, aber einen Teil einer p�rrlamentari. schen Arbeitsmehrheit bilde. Es war auch nicht nötig, für diese Möglichkeit Vorsorge zu treffen, weil sich bis dahin noch keine bürgerliche Partei gefunden hatte, die bereit und groß genug Gegner anzugreifen und zu beschmutzen. In der Zeitschrift, die war. mit uns ein solches Bündnis zu schließen. Zum ersten Male wissenschaftliche Waffen gegen die wirtschaftlichen und politisches in Deutschland bot sich nun für die badischen Genossen die Ge- vle Sshrhelt«der den badllchen flufftand". von Ludwig Frank {in derNeuen Zeit". Rr. 49/. I. Genosse KautSkh begnügt sich nicht mehr damik, gegen die Meinungen und Handlungen der badischen Budgetbewilliger zu kämpfen, er ist dazu übergegangen, die persönliche Ehre seiner Feinde der Arbeiterklasie liefern sollte, bergleicht er 17 Abgeordnete der eigenen Partei mitArbeitswilligen" undStreikbrechern" DaS Motiv für diesen plumpen Kniff ist leicht zu erkennen. Weil er weiß, daß von solchen Demagogenworten immer etwas hängen bleibt, sucht er die Verachtung, die den gewerkschaftlich geschulten Proletarier gegenüber abtrünnigen Klassengenossen erfüllt, auf uns abzulenken. Es ist eine unehrliche Spekulation; denn Genosse Kautsky weiß, daß in Baden kein Genosse den Kameraden in den Rücken fallen wollte, er weiß, daß die Landtagsfraktion in ihrer Weise und mit den Mitteln, die sie für die richtigen hielt, der Partei zu dienen bemüht war, und er weiß auch, daß keine egoisti- schen Interessen von uns verfolgt wurden. Wenn zur Erläuterung ein gewerkschaftliches Beispiel ange- führt werden soll, so sind die badischen Abgeordneten mit Ver- trauensleuten und Gewerkschaftsbeamten zu vergleichen, denen ihr Verbandstag den �Auftrag erteilt, innerhalb einer gewissen Frist eine Lohnbewegung durchzuführen. Durchbrechen sie diesen Be schlutz, weil sie ihn nach Prüfung der Verhältnipe für unzweckmäßig oder undurchführbar halten, so sind sie dafür Rechenschaft schuldig, und der nächste Kongreß ihrer Berufskollegen wird sie zur Ver anlwortung ziehen aberArbeitswillige" undStreikbrecher' sind sie nicht. II. Und worin besteht unserDisziplinbruch"? ES ist unbestritten, daß trotz der Nürnberger Resolution sozialdemokratische Abgeord- nete einem Budget zustimmen dürfen, sobald sie in einem Parlament die Mehrheit haben. Wir wären in diesem Falle also bereit, dem Klassensta>t Mittel zu bewilligen darunter Millionen für Heeresausgaben; denn die Wlehnung der Matrikularbeiträge wäre «ine wirkungslose Kinderei, solange die deutsche Reichsverfassung noch in Kraft ist. Genosse Kautsky gibt diese Schwierigkeiten zu; aber er tröstet sich damit, daß wir wenigstens die Zivilliste, das Kultusbudget und die Gehälter der politischen Polizei streichen könnten. So einfach liegen die Dinge nicht. Diese Ausgabeposten beruhen mit wenigen Ausnahmen auf gesetzlichen oder Vertrags- mäßigen Verpflichtungen, und wenn die sozialdemokratische Majorität die Zahlung dieser laufenden Staatsschulden ablehnen würde, so hätten die Bezugsberechtigten leichtes Spiel: sie würden Klage bei den ordentlichen Gerichten erheben und mit den rasch erwirkten Urteilen die Einkünfte und das Vermögen des Fiskus pfänden lassen. Ich kann mir nicht denken,' daß eine Fraktion so dumm wäre, eS so weit konunen zu lassen. Vielmehr wird sich die Entwicklung ähnlich vollziehen wie in den zahlreichen Gemein- den, in deren Vertretung wir die Mehrheit haben. Auf Grund gesetzlichen Zwanges werden für militärische Zwecke(wie Aus- Hebung der Rekruten oder Manövereinquartierung) öffentliche Gelder von unseren Parteigenossen bewilligt und ausgegeben. Ebenso sind wir oft genötigt, Aufwendungen für den K u l t u S zu machen. Ich kenne Gemeinden, in denen durch uralte Verträge den Ortskirchen daS Recht gesichert ist, sich den Läutedienst oder einen Teil der Pfarrgohälter durch die politischen Gemeinden be- zahlen zu lassen. Wir nehmen diese mißlichen Ueberreste der Ver- gangenheit nicht tragisch und lassen uns durch sie nicht abhalten. die Verantwortung für die Verwaltung der Kommunen zu über- nehmen. Wir versprechen den Arbeitern keine Weltwende von un- ferem Siege in einem Dorfe oder einer Stadt; aber wir bringen ein modernes, unparteiisches Regiment auf das Rathaus und ver- wirklichen, soweit dies in der bürgerlichen Gesellschaft möglich ist, die praktischen Forderungen unseres Programms. In den Einzel- landtagen werden wir die Erhöhung der Zivilliste oder die Zuwendung freiwilliger Unterstützungen an die Kirchen durch unsere Mehrheit verhindern können. Demokratische und soziale Reformen werden, wenn auch gegen den Widerstand der Herrenhäuser, durch- gesetzt werden. Eine unparteiische Handhabung des Vereins, und Versammlungsrechts wird sich erzwingen lassen. Die Ausbeutung der Proletarier werden wir dabei nicht abzuschaffen imstande sein. vlber das Koalitionsrecht der Arbeiter werden wir sichern und die Anwendung der sozialen Schutzgesetze streng überwachen. Wir ikönnen in einem einzelnen Staate durch unser parlamentarisches Kleines femlUton. Ehrlich 606 in Rußland . Während man da? neue Heilmittel in allen Ländern des Erdballs mit hoffnungsvoller Ungeduld erprobt, wird ein Fall aus Rußland gemeldet, wo ein G e n e r a l die Anwendung des Mittels verbot I Diesem Haudegen ist es vermutlich peinlich, wenn die(russische) Menschheit von irgend einer der vielen Plagen, die auf ihr lasten, besreit wird. Dein Odessaer General Tolpatschew, nein: Tolmaffchew beliebte es kürzlich erst, eine Ver- ordnung zu erlassen, durch die jede Kritik der zur Be- kämpfung der Cholera ergriffenen Maßregeln verboten wurde! Eben dieser Tolmaffchew beschloß auch, die Einspritzung des neuen Präparats zu untersagen I Wie dieR.W." mitteilt, wollte der Arzt, der im Stadthospital zu Odessa der Ab- teilung ftir Syphiliskranke vorsteht, das Präparat Ehrlich-Hata bei seinen Patienten zur Anwendung bringen; er wandte sich deswegen an den Chefarzt des Hospitals, erhielt ober einen Unbestimmten Bescheid. Der Chefarzt nämlich wollte erst das Gutachten des MedlzinalinspektorS einholen, der seinerseits unschlüssig war und den Rat einer noch höheren Autorität erbat, nämlich des Odessaer Stadthauptmanns, General Tolmatschew. Dieser zeigte sich weniger unentschlossen als die Vertreter der ärzt- lichen Wissenschaft, und er entschied kurz und bündig, daß d a S Mittel 606 in Odessa nicht erprobt werden dürfe! Glücklicherweise fanden sich in der Stadt aber einige Institute, die von der polizeilichen Kompetenz in medizinischen Angelegenheiten weniger abhängig sind: das Militärhospital und die Universitäts- klinik, die das vom Stadthauptmann verbotene Präparat mit Erfolg anwenden. O Tolpatschew l Cholera und Aberglaube. Trotz aller energischen Bekämpfung ist die Cholera in Apulien noch keineswegs zum Erlöschen ge- bracht worden, und sie findet einen Bundesgenossen in dem Aber- glauben der Bevölkerung, die in ihrem Schrecken doch weniger Angst vor der Krinkheit als vor dem Hospital hat. Jeder Kranke, der den Keim der furchtbaren Seuche in sich fühlt, hat nur die eine Bitte an seine Angehörigen:Laßt mich hier sterben I Ruft nicht den Arzt!" Und die Verwandten geben sich oft genug wirklich alle Mühe, den neuen Krankheitsfall zu verheimlichen und den Leidenden mit Weihwasser zu heilen! Aber eS gibt auch, wie dcrGazzctta del Popow" geschrieben wird, noch andere Mittel, die nach der festen Ueberzeugung des Volkes gegen die Cholera wirken, sie sogar ganz verhindern. Man braucht nur etwas Knoblauch am Halse zu tragen, und man wird damit ein ganzes Heer von Mikroben in die Flucht schlagen. Völlig sicher ist auch ein Horn aus Korallen oder «twchen ajs einzige VorsichlKniaßregel in tnefen Zeiten pcc Epi- legenheit zumGroßblock", und wir hielten uns für berechtigt und verpflichtet, im Interesse unserer Bewegung darauf einzugehen. War aber dieses Zusammenarbeiten erlaubt, so mußte die not- wendige Konsequenz die Zustimmung zum Budget sein, auf dessen Inhalt wir in monatelanger Arbeit Einfluß geübt hatten. Genosse Kautsly gelangt deshalb, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, zur Verurteilung der Großblockpolitik, die uns zur Annahme des Budgets veranlaßte. Aber seine Kritik kommt fast ein Jahr zu spät er hätte schon das Wahlbündnis verbieten müssen. Er ver- steht und billigt, daß wir 1969 im zweiten Wahlgang für die Libe- ralen gegen die Klerikalen und Konservativen gestimmt haben. Aber er übersieht oder vergißt, daß auch die Liberalen nach Ab- schluß eines schriftlichen Vertrags mit uns öffentlich zur Wahl sozialdemokratischer Kandidaten aufgefordert und für sie tatsächlich gestimmt haben. Eine Mehrheitsbildung war im Landtag nur möglich durch ein Zusammengehen des Zentrums oder/ der Sozial- demokraten mit den Liberalen. Unser Wahlbündnis wäre sinnlos gewesen, wenn wir die Liberalen gezwungen hätten, mit dem Zen- trum wieder zusammenzuarbeiten. Die agitatorische Wirkung, die sich und uns Genosse Kautsly von dem Bündnis des Zentrums und der Liberalen verspräche, wäre sehr gering gewesen; denn nicht die Nationalliberalen, sondern die Sozialdemokraten, die diesen Bund herbeigeführt und verschuldet hätten, wären kompromittiert worden. Für Agitationsstoff sorgt die kapitalistische WirtschaftS- ordnung genügend; wir brauchen ihn nicht erst künstlich zu schaffen. III. Genosse Kautsky verwirft grundsätzlich das Zusammengehen mit einer bürgerlichen Fraktion. Für seine Anschauung ist es des- halb gleichgültig, ob im Einzelfall die Sozialdemokratie bei diesem Geschäft Vorteile erringt oder ob der andere Kontrahent den Haupt- nutzen hat. Trotzdem sucht er zu beweisen, daß die Budget- bewilligernicht einmal Augenblickserfolge erzielt" haben,die der Rede wert wären", vielmehr sei die Fraktion auf das Niveau der Nationalliberalen herabgedrückt worden. Die wackelige Stütze dieser schweren Anklage besteht in einem armseligen Zitat aus derKöl- nischen Zeitung", in der irgend ein offiziöser Artikelschreiber zur Verteidigung der badischen Nationalliberal en behauptet, sie seienum kein Jota nach links abgerückt". Wenn Genosse Kautsky auf das Urteil der bürgerlichen Presse so großen Wert legt, so hätte er doch auch erwähnen müssen, daß in Hun- derten von Artikeln die konservativen, klerikalen und scharfmacherischen Blätter beklagt haben, die badischen Nationalliberalen seien durch den Großblockradikalisiert" worden und in völlige Abhängigkeit von der sozialdemokratischen Fraktion gekommen. In Wahrheit kann nur aus Unwissenheit oder aus bösem Willen behauptet werden, wir hätten unsere Selbständigkeit preisgegeben oder die Grundsätze der Partei verleugnet. Bei un- seren Interpellationen über die Maureraussperrung und über die Beschäftigung ausländischer Arbeiter, bei der Beratung unserer Anträge über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und gegen die Arbeitsnachweise der Unternehmer und bei jedem ähnlichen Anlaß haben wir rücksichtslos unsere Programmforderungen gegen Libe- rale und Zentrum vertreten. Wir haben uns niemals der Jllu- sion hingegeben, Nationalliberale und Fortschrittler für sozial- demokratische Ziele begeistern zu können. Die erzieherische Wirkung des Großblocks zeigte sich vielmehr darin, daß die Nationalliberalen, die früher ganz wie ihre hessischen und preußischen Parteigenossen kon- servativ- agrarische Neigungen hegten, von unS dazu gedrängt wurden, liberale Politik zu machen, Dafür ein paar Beispiele: Auf dem vorigen Landtag brachten die Nationalliberalen den Antrag zu Fall, die paar noch bestehenden konfessionellen Lehrerseminare abzuschaffen letztes Jahr dagegen stimmten sie geschlossen für diesen sozialdemokratischen Antrag. Früher traten die Nationalliberalen, die bisher in den meisten größeren Gemeinden die RathauSherrschaft besaßen, für jede reak- tionäre Verschlechterung des Gemeindewahlrechts ein. Jetzt unter. demie. DaS Unheil verbreitet sich nicht etwa durch verdorbene Me- Ionen oder durch schmutzige Lappen, wie die Aerzte behaupten, son- dern vor allem durch denbösen Blick"! Man kennt ja eine ganze Anzahl solcher Leute mit bösem Blick, und man kann ihnen aus dem Wege gehen, wenn man sie nur von fern erblickt; aber das Unglück ist, daß man bei weitem nicht alle kennt, und gerade in diesen Chölevazeiten sieht man durch das Land gewisse Gestalten ziehen, von denen keiner weiß, wo sie so plötzlich hergekommen sind. Sie sehen verdächtig aus, haben eine gewisse honigsüße Art und ver- stecken immer die Hände... Wenn die Frauen eine solche ge- fahrbringende Erscheinung sehen, so zittern sie vor Angst, pressen ihre Kinder an sich und stürmen eiligst in das HauS, dessen Tür sie hinter sich schließen, und auf den Türpfosten stellen sie eine Flasche mit heiligem Manna und den geweihten Oelzweig. Wehe denen, die zu öffnen wagten, wenn jener Fremde klopft! Unglück und Tod würden sofort ihren Einzug in das Haus halten. Die be- klagenstoerten Opfer des Aberglaubens/ zumal die Frauen, hat nie- mand als das römische Pfaffentum auf dem Gewissen. Schulmeister zu Pferde. In den Abruzzen kommen auf 100 Ein- wohner 68 Analphabeten trotz der Schulen, die man in den letzten fünf Jahren dort errichtet hat. Die Schulen werden eben nicht besucht, und die Bewohner des Berglandes leben weiter, ohne sich in die Anfangsgründe der Bildung zu vertiefen. Da hat denn Professor Emilio Agostinoni der italienischen Regierung ein neu- artiges Erziehungssystem vorgeschlagen und bereits mit Glück durch- geführt. Der größte Teil der Bewohner der Abruzzen besteht nämlich aus Hirten, die neun Monate des Jahres in den Bergen bleiben. Wenn sie also nicht zur Schule kommen, so muß die Schule sie aufsuchen. Es sind daher IS Schulmeister beritten gemacht worden, die auf ihren Pferden in den Bergen herumreiten und da, wo sie auf junge Leute und Kinder stoßen, Schule unter freiem Himmel abhalten. Die Resultate sind über alles Erwarten günstig ausgefallen und die 18 Schulmeister zu Pferde erftcuen sich unter dem Hirtenvolk der größten Beliebtheit; wo sie in den Bergen erscheinen, laufen ihnen Schüler in Menge zu. Die Hirten, die bisher so standhaft aller Bildung widerstrebten, erweisen sich sogar als sehr wissensdurstig; sie lernen eifrig Lesen und Schreiben und legen viel Verstand und lebendige Auffassungsgabe an den Tag. SicherheitSsPiegel an Straßenecken. Die enge und winkelige Bauart der meisten kleineren Orte und Landstädtchen erweist sich mit der Zunahme des Automobilverkehrs als sehr gefährlich. So lange auf diesen Straßen mit ihren schmalen Fahrdämmen und scharfen Krümmungen das alte Fuhrwerk herrschte, machte sich der herannahende Wagen schon durch seinen Lärm bemerkbar. Seitdem jedoch die Automobile technisch so vervollkommnet sind, daß selbst die kräftigsten Wagen mit fast lautlos arbeitendem Explosionsmotor dahinflitzen, häufen sich die Zusammenstöße an gefährlichen Kurven. stützten sie unseren Vorschlag, das Erfordernis der wirtschaftlichen Selbständigkeit" des Wählets aus der Gemeindeordnung zu streichen. Ein Teil ihrer Fraktton war mit uns für das Frauenstimmrecht in den Gemeinden die Kommission lehnte es mit nur acht gegen sieben Stimmen ab, und mit nationalliberaler Hilfe setzten wir es wenigstens durch, daß in die wichtigen städtischen Kommis sionen für das Schul- Wesen und das Armenwesen Frauen als Mitglieder ge« wählt werden müssen. Im Gegensatz zu der alten sozialpolitischen Unzuverlässigkeit ihr-r Partei verhalfen sie dem sozialdemokratischen Antrag zur Anmchme, daß in das nächste Budget 100 990 M. für die Förderung der Arbeitslosenversicherung einzustellen seien, ebenso unserem Antrag, daß Arbeiter für die staatliche Bauaufsicht verwendet werden sollten. Während jahrzehntelang die Nationalliberalen und Klerikalen die wichtigen Kommissions- berichte unter die Mitglieder dieser beiden Parteien verteilten, ge- lang es uns jetzt, diesen alten Mißbrauch abzuschaffen. Sozial- demokraten wurden nun die Referenten für das Volks- schulwesen, die Fabrikinspektion, die Gemeinde- besteuerung. Ebenso unbegründet und ungerecht ist der auch von Kautsky gegen uns wiederholte Vorwurf, loir hätten uns benommen wie die Freisinnigen im konservativ-liberalen Bülowblock. Wir pro- testieren gegen diese Zusammenstellung. In der Blockära wurde dem Volke mit der rechten Hand genommen, was mit der linken gegeben war. Die paar Verbesserungen, die das Reichsvereinsgesetz manchen Bundesstaaten brachte, wurden aufgehoben durch die Eni- rechtung der Jugendlichen und durch die Knebelung der polnisch sprechenden Bevölkerung. Man soll doch den Grundsatz nennen, den wir verleugnet haben, oder auch nur eine einzige Verschlechterung der bestehenden Verhältnisse, beschlossen in dieser Session. Dagegen haben wir bei jedem Gesetz, dem unsere Zustimmung gegeben worden ist, wichtige Reformen durchgesetzt. Die Schulnovelle brachte eine Erhöhung der Lehre rgehälter, das achte Schuljahr für die Mädchen, die obligatorische Einführung der Schulärzte und auf unseren Antrag die gesetzliche Bestimmung, daß Kinder von Dissidenten gegen den Willen ihrer Eltern nicht zum Besuch des Religio nSunter- richtes gezwungen werden können. Die Neuregelung der Einkommensteuer in Staat und Gemeinde enthielt die bisher fehlende Progression der Steuersätze. Für die unteren Einkommen bis zu 1490 M. erwirkten wir erhebliche Erleichterungen. Die neue Gemeinde- und Städteordnung brachte noch nicht das von uns vergeblich geforderte allgemeine direkte Wahlrecht, aber dafür andere große Perbesserungen, die uns mit einem Schlage fast in allen Orten eine Vertretung auf den Rathäusern und vielfach die Mehrheit garantieren. Die Negierung hat in Baden kein Bestätigungsrecht, weder bei den Bürgermeistern, noch bei den Mag i str at sm i t- gliedern(Stadträten). Wir haben jetzt schon ein halbes Dutzend sozialdemokratischer O r t s v o r st e h e r, die Zahl wird sich unter dem neuen Gesetz sofort stark vervielfachen. Jeder Deutsche, der zwei Jahre in einer Gemeinde gewohnt hat, erwirbt das Wahlrecht. Er braucht kein Einkaufsgeld zu zahlen und ist nicht genötigt, die badische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Aber er mußselb- ständig" sein. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn jemand einen eigenen Hausstand besitzt. Da die Arbeiter früher heiraten als die Besitzenden, wirkt diese Bestimmung zu unseren Gunsten. Es ist uns aber gelungen, den Kreis der Wahlberechtigten noch zu er- weitern. Das Alter, mit dem die Wahlberechtigung beginnt, wurde vom sechsundzwanzigsten auf das fünfundzwanzigste Fahr herab- gesetzt. Während bisher durch den Wegzug aus einer Gemeinde daZ Wahlrecht erlosch, wurde auf unseren Antrag beschlossen, daß das Wahlrecht sofort wieder auflebt, wenn der Fortgezogene innerhalb zweier Jahre zurückkehrt. Diese Neuerung wird Tausenden von Arbeitern ihr Wahlreckst sichern, wenn sie in schlechten Zeiten vor- übergehend, um Arbeit zu finden, ihren Wohnsitz aufgeben müssen. Das prozentuale Verhältnis der Wahlberechtig. ten zur ganzen Einwohnerzahl ist in keinem Bundesstaat s<Mg ü n st i g wie in Baden. Genosse L e h» mann, der in seinem Artikel dos Gegenteil beweisen will, kann zu seinem Ergebnis nur durch absichtliche Entstellung der Tatsachen gelangen. Er entnimmt seine Ziffern, vorsichtigerweise ohne Quellenangabe, aus dem Kommissionsbericht, den der Freiburger Oberbürgermeister Dr. Winter in der badischen Ersten Kummer erstattet hat. Es sind dort die Zahlen für 32 preußische Städte genannt, von �enen Spandau die günstigsten Verhältnisse hat. Es sind dort von 190 Einwohnern 18,8 wahlberechtigt. Diese Stadt greift nun Lehmann als typisch heraus und vergleicht sie mit Mannheim , wo die industrielle Bevölkerung besonders stark fluktuiert und wo deshalb die Verhältniszahlen viel niedriger sind Um solche Unfälle nach Möglichkeit zu verhüten, ist, nach dem Scientific American", die Verwaltung der englischen Landstadt Woodbridge auf eine glückliche Idee verfallen. Sie hat an den gegenüberliegenden Ecken einer fast rechtwinklig abgehenden und sehr engen Straßenkurve zwei große Spiegel derart angebracht, daß jeder Spiegel einen weiten Blick in die ihm gegenüber liegende Straße gewährt. Kommt z. B. von einer Seite ein breites Last- fuhrwerk auf die Straßenkurve zugefahren, so kann der Fuhrmann schon von weitem im Spiegel sehen, ob jenseits der Ecke die Straße frei ist. Ist das der Fall, so kann er ohne Gefahr um die Ecke biegen; kommt aber von der anderen Seite etwa ein Auto heran, so sieht er den Kraftwagen kommen und kann, wenn er weiß, daß sein Wagen die ganze Fahrdammbreite einnimmt, rechtzeitig an- halten. Ebenso sieht dcr Chauffeur des herannahenden Automobils in dem anderen Spiegel den Frachtwagen herankommen und kann sich entsprechend vorsehen. Es würde sich vielleicht empfehlen, auch in Deutschland einmal einen derartigen Versuch zu machen. Humor und Satire. An Maltzahn-Gülz. Wenn er sich'S doch verkneifen könnte, Der schneid'ge Oberpräsidente! S o hat zu Stolp er in dcr Nacht 'ne Mißgeburt zur Welt gebracht. So schimpft ein ungeschlachter Bauer Und allenfalls der Januschauer; Ha,»vie er nach der Presse greift, Die ihn verlacht und auf ihn pfeift! O Maltzahn, das war sehr von Uebek, Man wirft nicht so mit seinem Kübel; Man trägt so'was, weil's wertvoll ist, Auf's Rittergut zum andem Mist. Paulchen. Notizen. --»Die Wiener Freie Volksbühne hat nunmehr be- reitS 13990 Mitglieder. Gespielt wird im Deutschen BolkStheater. im Theater in der Josesstadt und im Lustspicltheater(den beiden Jarnotheatern), auf der Neuen Wiener Bühne und der Residenz- bühne. Von Novitäten kommen zunächstDer natürliche Vater" von Herbert Eulenberg und»Ein Doppelleben" von Josef Jarno zur Aufführung. Der Verein unterhält ein eigenes, vom Genossen Kullianek verwaltetes Sekretariat. Die Besprechung der Erstaufführung von GorkiS Schauspiel »Die Letzten" finden unsere Leser im heuttgen Unterhaltungsblatt.