Nr.M 37. Jahrgang. I Stil«« to Jotmgilf Zonnerstag, 8. Zeptember l910. Partei-?Zngelegendeiten. Partei-Konferenz für Berlin und die Provinz Brandenburg am' Sonntag, den 11. September 1910, vorniittags 11 Uhr, zu Berlin im„Gcwerkschaftshaus", Engelufer 15. Tagesordnung: 1. Bericht des Zentralvorstandcs.(Organisation und Agitation.) Referent: Richard Schmidt. 2. Bericht vom Juternatiovale» Kongreß in Kopenhagen . Referenten: H. B o r g m a n n, A d. R i t t e r. 3. Die politischen Organisationen unserer Gegner. Referent: Otto Wels . 4. Die nächsten ReichStagswahlen. Referent: W. D ü w e l l. 5. Anträge._ Zur Lokalliste. Am Sonnabend, den 17. September, feiert der Lotterieverein Unverzagt sein 7. Stiftungsfest in Charlottenburg , in dem Kaiser-Friedrich-Zelt, Berliner Str. 88, Jnh. F. Nack. Da uns das Lokal nicht zur Verfügung steht und versucht wird in Arbciterkreisen Billetts umzusetzen, ersuchen wir, dieselben zurückzuweisen und sich stets nach der Lokalliste zu richten. _ Die Lokalkommission. Berliner JMacbricbtm Im Strausberger Stadtforst. Wir fahren um 8.33 Uhr vom Schlesischen Bahnhof (Fahrpreis von hier ab 60 Pf.> oder entsprechend früher von einer anderen Station der Stadtbahn nach Strausberg an der Ostbahn; der Vorortzug geht über das Ferngleise. Der Bahnhof liegt eine gute Strecke von der Stadt Strausberg ab, mit der er durch eine Kleinbahn verbunden ist. Wir be- nutzen sie nicht, sondern wenden uns nordwestlich nach Eggcrs. dorf, nicht auf der Chaussee, sondern schräg durch den Wald, bis wir das hübsche Dorf auftauchen sehen und es in der Nähe seiner Kirche erreichen(August Geberts Wirtshaus ist frei). Wenn wir im Wciterwandern die Kirche links lassen, so erreichen wir in wenigen Minuten das Ende des Ortes mit einer hübsch gelegenen Wassermühle unbdem dazugehörigen idyllischen Mühlenteich. Hier beginnt der Wald von neuem. Wir können in nördlicher Richtung den Waldfahrweg nach dem„Hungrigen Wolf"(frei) einschlagen oder, bei trockenem Wetter, ein paar hundert Schritte rechts von diesem einen schmalen Fußsteig benutzen, der dasselbe Ziel erreicht, sich an den Wiesen und dem Erlengebüsch längs des Eggersdorfer Fließes hinschlängelt und überall üppige Vegetationsbilder zeigt. Nach der Einkehr im„Hungrigen Wolf" schlagen wir diesem gerade gegenüber einen Fußpfad ein, der uns neben einem Bächlein schließlich an das Westufer des stattlichen Bötz-Sees führt. Auch hier haben wir die Wahl, den unteren. stellenweise feuchten. aber durch interessante Gebüschformationen führenden Weg zu verfolgen oder oben am Waldrande zu bleiben, von wo aus sich fortwährend schöne Blicke au den See öffnen. Haben wir auf diese Weise Spitzmühle (Alte und Neue Spitzmühle sind frei) erreicht, das sehr hübsch gelegen ist, so wenden wir uns jetzt ostwärts auf den Weg nach Stadt Strausberg . Zwischen dem Ort und uns liegt der lange Sjrausberger See, dessen Ufer wir mit Hilfe der Karte und der Wegweiser leicht erreichen, um dann au schönem Promenadenwege südwärts bis zur Südspitze des Sees zu wandern. Gehen wir in der gleichen Richtung weiter, so kommen wir bald auf die Kleinbahn zwischen der Stadt und dem Ostbahnhof Strausberg . Wir schneiden sie beim Bahnhof Heegermühle(wer müde ist, kann hier ein steigen und den Rest des Weges fahren) und wandern Iveiter zum Restaurant Schlagmühle(frei), von wo wir das un erwartet hübsche Annatal bis dicht zum Bahnhof Strausberg durchschleildcrn. Hier treffen wir schattige Buchen, Wasser wühlen niit hübschen Teichen, Promenadenwege mit Aussicht� punkten, wie wenn wir uns in der Umgebung eines kleinen Kurortes befänden. Die ganze Wanderung ist sehr bequem ausführbar, und sie führt uns Wald und Wasser, Tal und Wiesen, Teiche und Mühlen in reizvoller Abwechselung vor Augen._ Gäste vom Jnternatioualen Kongreß erfreuten in den letzten Tagen den„Vorwärts" durch ihren Besuch. So fanden sich am Dienstag Genosse W a u t e r s, der Leiter des Brüsseler„Peuple* sowie die belgischen Deputierten Troclet und D e b u n n e bei uns ein. Am Mittwoch hatten wir das Ber gnügen, Vandervelde sowie die französischen Genossen I a u r ö S und R o u a n e t begrüßen zu können. Die ausländischen Genossen haben einige Tage auf eine Studienreise durch Deutschland verwendet. Jaurös und Vandervelde befinden sich bekanntlich aus der Durchreise nach Frankfurt a. M., wo ihnen die Polizei durch das Verbot deS Gebrauchs ihrer Muttersprache einen reizenden Begriff von der preußischen Gastlichkeit beigebracht hat. JauröS selbst war schon stüher in Frankfurt , Die Hochachtung vor dem deutschen Geiste, die ihn damals zu den Slätten der Erinnerung an Goethe und Schopenhauer führte, wird durch das lächerliche Frankfurter Bureaukratenstückchen glück licherweise keinen Abbruch erleiden, da der Empfang, den ihm die Frankfurter Arbeiter bereiten werden, ihn den ohnehin mehr humoristischen als peinlichen Eindruck der Polizeizensur ver- gessen lassen wird. Auch die Belästigungen, denen JauröS und Landervelde in Berlin durch die Zudringlichkeiten einer gewissen Eensationspresse ausgesetzt waren, haben unsere Genossen mit gutem Humor ertragen, sodaß sie mit dem freundlichsten Eindruck von Berlin scheiden._ Stellennachweis und— Krankenkasse, was V-licn diese beiden miteinander zu tun? Wie man sie in Be- ziehung zueinander bringen kann, das hat kürzlich einer, der eine Stellung suchte, zu seinem Schaden erfahren müssen. Ein Herr B.. der gern den Posten eines Hausverwalters oder Portiers übernommen hätte, las in der„M o r g e n p o st" um Mitte Juni die folgende Annonce: Portier, � rusreinjger, bessere Stellen, vergibt unentgeltlich Petr ck. Lichtenberg, Wagnerstr. 13. Nicht wahr, daß einer Stellen„unentgeltlich" vergibt, doS kommt nicht alle Tage vor? Unserem Stellungsuchenden klang das sehr verlockend, und die Annonce animierte ihn, sich bei bc- fagtem Herrn P e t r i ck zu nielden. Am 17. Juni schrieb B. an ihn, und schon am 18. Jizni ließ Petr ick PM sich hören. Mit Zppf- schütteln las B. die folgende Antwort, die zu seiner nicht geringen Verwunderung auf einem Briefbogen der„Brandenburg , Allgemeine Krankenversicherungs-Anstalt(E. H.) zu Lichten berg-Berlin", niedergeschrieben war: „Im Besitz ihres werthcn v 17 d M theile ihnen mit das Caution auf den Stellen nicht verlangt wird ich Nechargiere und bei guten führungs Zeugnissen und sonstigen guten Leumund Empfehle ich. würden sie bitte so freundlich sein und mich Mor- gen d 19. um 1 Uhr besuchen Stelle sicher Es giebt 1 Proz. von der Micthe 3 Mark wen sie eine Wohnung vermiethen 2 Stuben und Küche manch mal auch ausnahmen wo noch neben ein kommen ist von Handwerkern und dergleichen. Ich erwarte sie Morgen 1 Uhr. Ich bin nicht dcrekt Vermitler ich bin Kontroleuer und besorge nur für unsere Mittglicder rcsp Hauswirthe Es kostet ö Mrk. Hochachtungsvoll N. Pctrick." Dunkel war der Rede Sinn, dunkel nicht nur wegen der kuriosen Form(die wir buchstabengetreu wiedergegeben haben) sondern auch wegen des befremdlichen Inhalts. Die einleitende Mitteilung, daß„Caution auf den Stellen nicht verlangt" werde klang ja noch verlockender als das in der Annonce gegebene Ber sprechen, die Stellen„unentgeltlich" nachzuweisen. Aber, i weh, das dicke Ende kam nach, der Schlußsatz„Es kostet 6 Mrk.' war eine sehr unerfreuliche Ucberraschung.„Unentgeltlich" und „6 Mark", wie reimte sich das zusammen? Und was für„Mit glieder" waren das, die der Herr„Kontrolleur" da meinte? Hing das vielleicht mit der Krankenkasse„Brandenburg " zu sammen, auf deren Briefbogen Herr Petrick seine Stellenver> mittlerdien st e anbot? B. suchte am folgenden Tage Petrick persönlich auf. Petrick wiederholte, er werde nur bessere Stellen besorgen, bei denen eine Kaution nicht gefordert werde. Warum denn aber jetzt plötzlich 6 M. für die Nachweisung zu zahlen seien, fragte B. Doch P. be- schwichtigte, das habe ja nichts zu bedeuten, er habe das nur so geschrieben. B. habe recht getan, sich hierdurch nicht abschrecken zu lassen, daran sehe man. daß es ihm ernst sei. Tatsächlich könne B. die Nachweisung unentgeltlich habep, versicherte P. Aber, so fügte er in demselben Atemzuge hinzu, mit gewissen Un kosten sei die Sache allerdings doch verknüpft. B. platzte hier heraus:„Aha, jetzt kommt der Pferdefuß!" JndeS P. ließ sich nicht verstimmen.„Sehen Sie." sagte er,„die Haus Wirte legen'Wert darauf, daß die Portiers in einer Kasse sind. Und den zunächst abwehrenden B. wußte er schließlich zu über- zeugen, daß es gut sei. in die„Brandenburg " einzu- treten. B. ließ sichS noch schriftlich geben, daß aus der Nach Weisung einer Stelle ihm weitere Ausgaben nicht entstehen oder diese ihm zurückerstattet werden sollten. P. bescheinigte»hm das auf einem Briefbogen des„Pcrmittelungsbureaus R. Petrick Lichtenberg bei Berlin . Wagnerstr. 13." Er fühlte sich also zetzt nicht mehr als Angestellter der Krankenkasse„Brandenburg . sondern wieder als unentgeltlich arbeitender Vermittler von Portierstelleu B. nahm den Revers und empfahl sich in Erwartung der Stelle, die ihm besorgt werden würde. � Er wartete ein bißchen sehr lange, bis Mitte August. Als er dann aufs neue zu Herrn Petrick ging und mahnte, nannte der ihm eine Stelle bei einem Baumeister in Steglitz. - Der Herr Bau meister forderte aber 19 0 0 M. Kaution, die in barem Gclde erlegt werden sollte. Das stimmte schlecht zu der anfänglichen Versicherung Petricks, daß er Stellen besorgen wolle, bei denen Kaution nicht nötig sei. Als B. ihm das in einem ärgerlichen Schreiben vorhielt, antwortete Herr Petrick wieder auf einem Briefbogen des„Vermittelungsbureaus R. Petrick", daS inzwischen nach Frankfurter Allee 198 verlegt worden war. In dem von P. unterschriebenen Briefe wurde ausgeführt, er sei seinen Verpflich- tungen gegen B. voll nachgekommen, indem er ihm die Stelle»n Steglitz nachgewiesen habe. ES sei doch nicht seine Schuld, daß B. die Stelle wegen der„kleinen Kaution"— als„klein" gilt dem Herrn P. der Betrag von 1000 Mark— nicht annehme. B. habe bisher an P. noch keinen Pfennig für die Vermitte- lung gezahlt, eö sei„also nur ein besonderes Ent- gegenkommen" gewesen, wenn P. ihm die Stelle nachwies. Offenbar hatte Herr P. inzwischen vergessen, daß er in seiner „Morgenpost"-Annonce von vornherein und ohne einschränkenden Zusatz„unentgeltliche" Vermittelung in Aussicht gestellt hatte. Jetzt war es mit einem Male„ein besondere? Entgegenkommen"! ' Der interessanteste Passus in dieser Antwort des Herrn Petrick an Herrn B. war der folgende: „Ferner teile ich Ihnen mit, daß die Krankenversicherung absolut nichts mit meiner Stellenvermittelung zu tun hat. son dern daß dies zwei ganz verschiedene Geschäfte sind. Nur aus Kulanz besorge ich den Mitgliedern, die sich durch mich aus nehmen lassen, Stellung, wenn ich hierzu in der Lage bin." Also die Krankenversicherung..Brandenburg' hat absolut nichts zu tun mit der Stellenvermittelung desHerrnPetrick. In der dem Herrn B. überreichten„Mik gliedsurkunde" sind die beigefügten Statuten unterzeichnet von einem Vorstand, der sich zusammensetzt aus dem 1. Vorsitzenden I. Gilberg, dem 2. Vorsitzenden H. Lembke, dem Kontrolleur R. Petrick. dem Beisitzer M. Mietze. Der Herr Petrick, der zum Vorstand der„Brandenburg " gehört und Mitglieder aufnimmt, ist derselbe Herr Petrick, der Stellen„unentgeltlich vergibt". Aber, wie gesagt, er besorgt denen, die sich durch ihn in die Kasse auf' nehmen lasse»,„nur aus Kulanz" eine Stelle, falls er eine hat. Da geschieht gewiß auch das„nur aus Kulanz", daß er sich die Mühe macht, die„unentgeltlich zu vergebenden" Stellen sogar noch zu annoncieren. Was mag das Annoncieren dem„kulanten" Herrn Pctrick kosten? Weiß übrigens einer etwas Näheres über die Kasse„Branden- bürg"? Unter unseren Lesern wird sie. wohl außer Herrn B. kein Mitglied weiter haben, und auch der will ihr wieder den Rücken kehren. Seine„Mitgliedsurlunde'" vom LS. Juni 1910 trägt erst die Nr. 133._ Die„Straffreiheit" der Irrenärzte. Wann ist in den letzten Jahrzehnten jemals ein Irrenarzt wegen Freiheitsberaubung bestraft worden? Man kann uns wqpl nicht einen einzigen Fall nennen. Stets haben es die Irrenärzte verstanden, mit einem Trick, der immer ungenierter gehandhabt wird, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen Dieser Trick ist die gewohnheitsmäßige Berufung auf den„guten Glau- den", der auch kürzlich wieder in einem vor Berliner Gerichten verhandelten Jrrenhausprozeß eine ausschlaggebende Rolle gespielt hat. Bekanntlich wird heutzutage mehr denn je unseren Irren- ärzten der Vorwurf gemacht, daß sie Personen unberechtigt über- Haupt oder unberechtigt lange im Jrrenhause festhalten. Kommt es dann zum Prozeß und geht die Karre schief, so verstecken sich die Irrenärzte regelmäßig hinter der Ausrede, daß sie„in gutem Glauben" gehandelt haben. Damit geben sie zwar ein völliges Versagen ihrer sogenannten Wissenschaft Psychiatrie zu, aber sie retten sich vor der Bestrafung. Eigentümlicherweise lassen unsere Gerichte diesen guten Glauben stets gelten, ohne in die dringend notwendige nähere Prüfung des Sachverhalts einzutreten. Damit sind wir zu der Praxis gelangt, daß Irrenärzte bei tatsächlich vor- liegender Freiheitsberaubung stets der Bestrafung entzogen wer- den. Was wir vermissen, ist die Prüfung, ob eine Fahrlässig- keit des guten Glaubens vorliegt, das heißt nach dem Kommentar zu 8 222 St.-G.-B. sogenannter Unfleiß, Ilnkunst oder ein Kunstfehler. Das wird fast in hohem Grade sogar auf Kurpfuscher angewendet. Warum nicht auch auf gewisse moderne Psychiater, die mit dem Begriff„Kurpfuscher" vieles gemeinsam haben? Wird irgendeine Person, deren behauptete Geisteskrank- heit sehr zweifelhaft sein kann, dem Jrrenhause überliefert, so geben sich feie Jrrepqrzje so gut sie gar kerne Wsiihc, hcji objektiven Tatbestand, namentlich die familiären Beziehungen des Einge» lieferten, auf ihre Nichtigkeit hin nachzuprüfen. Schon darin, daß sie prinzipiell keiner Behauptung des Internierten Glauben schcn- kcn, liegt zweifellos eine Fahrlässigkeit, die um so mehr ins Ge- wicht fällt, als es sich nicht nur um längerdauernde Freiheit?- entziehung, sondern auch um äußerst schwere moralische und Wirt- schaftliche Nachteile handelt. Hier scheint uns eine bedenkliche Lücke im Strafrccht zu sein, die bei der Reform der Strafprozeßordnung in ganz präziser Form, womöglich unter Hinweis auf Jrrenärzic. ausgefüllt werden sollte. Haben fahrlässig haiidelnde Irrenärzte mal erst das Gefängnis in sicherer Aussicht, so werden sie mit Mcnschenschicksalen und Menschenfreihcit etwas weniger Unmensch- lich umgehen._ Der Berliner Viehhof gesperrt. Der Berliner städtische Viehhof ist gestern vormittag wegen Aus- bruchs der Maul- und Klauenseuche für den Abtrieb von Vieh jeder Art gesperrt worden. Die Sperre ist dadurch notwendig geworden, daß aus einem Waggon Schweine, der aus Stolp in Pommern kam. ein Tier mit der Maul- und Klauenseuche behaftet vorgefunden wurde. Ferner wurde an einem Transport von 33 Windern, der aus einen, verseuchten Stall in Pommern hier eintraf und auf den die hiesige Behörde bereits telegraphisch aus Schlawe aufmerksam gemacht war. auf dem Seuchenviehhof. wohin er gebracht war, konstatiert, daß die Rinder mit Maul» und Klauen» seuche behaftet sind. Die Vorsitzenden des Vereins Berliner Biehkommissionäre haben sofort persönlich im LandwirtschaftS» Ministerium Schritte unternommen, um Erleichterungen in dem Sinne zu erwirken, daß die Ausführung von Schlachitieren zum sofortigen Abschlachten nach auswärtigen, mit direktem Bahnanschluß versehenen Schlachthöfen zugebilligt werde. Diesem Wunsche wurde. wie die„Allgemeine Fleischer-Zeitung" mitteilt, Folge gegeben und die Genehmigung erteilt. Wie wir weiter erfahren, dürfte diesmal auf die Desinfektion des Viehhofes verzichtet werden, weil die ver» feuchten Tiere sofort nach der Entladung aus den Seuchenhof ge» bracht wurden. ES ist unter diesen Verhältnissen auch begründete Aussicht vorhanden, daß die Sperre schon für den nächsten Sonn- abendmarkt aufgehoben sein wird. Da sperrt man nun die Grenzen angeblich wegen Seuchen- gefahr, in Wirklichkeit im Interesse der Agrarier und verhindert so die ZuWr von Vieh auS dem Auslände und in Wirklichkeit grassiert die Seuche unter dem Viehbestand unserer ostclbischc» Viehzüchter. Eine Protcstversammlung gegen die Zcnsurvcrfiigung des Polizei» Präsidenten findet heute Donnerstag, den 8. September. S'/z Uhr abends, in der Neuen Philharmonie(Kellers Fcstsäle), Köpenicker Str . 96. statt. Die Tagesordnung lautet: Die Freie Volksbühne und die Zensur. Redner deS Abends sind die Herren Eduard Bernstein , Reichstags» und Landtagsabgeordneter Albert Träger . Hell- m u t v. G e r l a ch und Landtagsabgcordncter Ströbel. Der Berliner Stadtverordnetenversammlung sind gestern zwei dringliche Anträge noch zugegangen. Der eine, vom Stadtältcsten Kaernpf eingereichte, ist von der Fraktion der Linken, der Freien Fraktion nnd der Neuen Linken unter- stützt. Er betrifft die Fleischteuerung. Dieser Antrag hat folgenden Wortlaut:„Die Stadtverordnetenversammlung er- sucht den Magistrat: 1. mit ihr in gemischter Deputation schleunigst über die anläßlich der bestehenden Fleischteuerung notwendigen Maßnahmen zu beraten; 2. die Reichsregierung zu ersuchen, alle zur Milderung der Fleischteuenmg sofort durchführbaren Mittel unverzüglich zu ergreifen." Der zweite, von dem Stadtverordneten Modler und Genossen eingereichte dringliche Antrag, lautet wie folgt: „Die Stadtverordnetenversammlung beschließt, den Magistrat zu ersuchen, mit ihr in gemischter Deputation zu beraten. in welcher Form den ortsangehörigen$riegsveteranen von 1864, 1866, 1870 und 1871 eine Zuwendung gewährt werden kann." Unglückliche Liebe hat den 20 Jahre alten HandlungSaehilfen Karl Wolff ans der MarkuSstr. 4 in de» Tod getrieben. Der junge Mann war in einem Kolonialwarcngeschäft in der Wallner-Theaicr» Straße angestellt und hatte ein Verhältnis mit einer 18jähriaen Verkäuferin. Diese gab ihm den Abschied, weil sie glaubte, daß er es auch noch mit anderen Mädchen halte. Der Verschmähte war sehr niedergeschlagen und äußerte zu Bekannten, daß er sich das Leben nehmen müsse. Am Mittwoch voriger Woche verließ er plötzlich ohne Kopfbedeckung den Laden und kam nicht wieder. Gestern landete man ihn am Schiffbauerdamm als Leiche aus der Spree.— AuS demselben Motiv hat der 24 Jahre alte Mechaniker Fritz Leikum. Engelufer 7, Selbstmord verübt. Als er allein zu Hause war. nahm er Gift, dessen Wirkung den Tod herbei- führte. Seinem Lebe» freiwillig ein Ende gemach» hat der im vierten Wahlkreise bekannte Genosse Karl Arndt, der in der Palisaden- straße 46 eine Schankwirtschaft betrieb. Er wurde DienStagmorgen auf dem Korridor zu seinem Schanklokal an einer Leiter erhängt aufgefunden. Karl Arndt hat sich als rühriger Genosse betätigt und als solcher in der Parteiorganisation wie in der Gewerkschaft, dem Holzarbeiterverband, verschiedene Vertrauensstellungen bekleidet. Die für unsere Bewegung so wichtige und viel Idealismus erfordernde Kleinarbeit war das Feld seiner Betätigung. Auch unter dem verflossenen Schandgesetz hat der auf so tragische Weise ans den, Leben Geschiedene treu und ehrlich seine Pflicht getan. Noch bei den letzten Wahlrechtsdemonstrationen hatte Arndt einen Zusammenstoß mit der Polizei, die seinen Sohn in mierhörter Weise behandelt und nach der Wache gebracht hatte. Arndt wurde wegen seines mannhafte» Auftretens noch obendrein bestraft. Und nun ist er aus dem Leben geschieden. Die Genoffen, die Karl Arndt gekannt haben, werden ihn in gutem Andenken behalten. Mutmaßlicher Kindesmord. Vor dem Hause Kotibuser Ufer 3 wurde gestern morgen um 6 Uhr die Leiche eines neilgeborenen Mädchens, die ganz nackt war. aus dem Lnndwehrkanal gelandet. Die Revierpolizei beschlagnahmte sie und ließ sie nach dem Schau- Hause bringen. Spuren äußerer Gewalt waren bei der vorläufigen Besichtigung an dem Körper nicht wahrzunehmen. Ob das Kind ertränkt war oder vielleicht schon als Leiche in das Wasser geworfen worden ist, kann erst die Obduktion feststellen. Drei Kinder wurden vorgestern nachmittag überfahren und geiltet. DaS drei Jahre alte Töchterchen Anna de» Kellners Bichbäumer» ans der Britzer Str. 1 ging um 1 Uhr mit seiner vier Jahre alten Schwester über den Damm, um aus der anderen Straßenseite bei einem Kaufmann Bonbons zu holen. Als jetzt ein Straßenbahn- wage» der Linie Bchrenstraße— Treptow von der Admiralstraße her gefahren kam, ließ das ältere Kind das jüngere los. Dieses fiel hin. wurde überfahren nnd fo schwer verletzt, daß eS im Krankenhause am Urban schon bei der Ausnahme starb.— Um S Uhr nach» mittags geriet die 3 Jahre alte Tochter Betty des Händlers Primo auS der JabkonSkistr. 14 vor dem elterlichen Hause unter einen Ge« fchäftSwagen des Fuhrhcrrn GnlliS zu Pankow und erlitt eine» Schädelbruch. Ein Arzt, de» die Mutter auS der Nachbarschaft
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten