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Wentt z. 93. die..Vossische Ztg." die Mitteilung, daß das neue tleine Panzerschiff mit zwei 43- Zentimetergeschützen armiert werden solle, damit abzutun sucht, daß nach demNautilus" für ItUlZ das größte deutsche Geschützkaliber nur 30,5 Zentimeter be- trage und daS Geschoßgewicht höchstens 410 Kilogramm, so ist das ein recht kindlicher Widerlegungsversuch. Denn der.Nautilus" registriert Geschehenes und Ausgeführtes, erber nicht künftigeNeuerungcn. Zudem sollte doch auch den Marine- gelehrten derVossischen Ztg." bekannt sein, daß die neuesten Dreadnoughts bereits mit Geschützen von 3S- und 36-Zentimeter Kaliber ausgerüstet werden. Bis zum 43- Zentimetergeschütz ist also gar kein so riesiger Sprung mehr. Daß aber das Geschoß eines 43. Zentimetergeschützes das Mehrfache des Gewichts des Geschosses eines 30,5- Zentimetergeschosses haben muß, kann sich dieVossische Ztg." von jedem angehenden Mathematiker ausrechnen lassen.©ine Verdrehung aber ist es, wenn dieVossische Ztg.' behauptet, derVorwärts" habe alsbesondere Merkwürdigkeit" hervorgehoben, daß der Geschützturm durch Druckwasser bewegt werde. Natürlich war es uns nicht unbekannt, daß man schon längst die Panzertürme mit Elektrizität oder Druckwasser bewegt. Der neue Dreadnoughtzerstörer soll aber v o l l st ä n d i g drehbare Türme erhalten, so daß die Geschütze nach allen Seiten feuern können, und solche hat noch kein einziges Schiff aufzuweisen. Was die Panzerplattenpresse selbst vorbringt, ist ebenso fadenscheinig. Da wird einfach darauf losbehauptet, daß der Typ eines Schiffes, wie cS derVorwärts" geschildert, den modernen Anforderungen an Seetüchtigkeit und Aktionsradius unmöglich ge nügcn könne. Wobei das Blatt nur vergessen hat, daß gerade durch das Wegfallen der großen Kesselanlagen nicht nur sehrviel Ge- wicht, sondern auch sehr viel Raum gespart werden dürfte, und daß auch die Oelmotoren leichter und kleiner sind als gleich- starke Dampfmaschinen. Famos ist übrigens die Auslassung eines christlichsozialen BlättchenS, daS dieVorwärts"-Darstellungen für lächerliche Fabeleien erklärt und in demselben Atemzuge zu einer Aktion gegen solchen Verrat militärischer Geheimnisse aufputscht! Ja, wenn unser Gewährsmann sich seine Mitteilungen aus den Fingern gc- sogen hat. wie können denn da militärische Geheimnisse ver- raten sein? In Wirklichkeit hat unser Gewährsmann nur Tatsachen berichtet, aber gleichwohl militärische Geheimnisse nicht verraten. Denn die betreffenden Versuche werden ja auch in England ge wachtl Was sollte denn da verraten werden?! Erwähnt sei übrigens noch, daß, nach einer Londoner Korrespondenz desHan­noverschen Anzeigers", der englische Schriftsteller und Parlamen- tarier Jaime die.Vorwärts"-Mitteilung keineswegs als eine Phantasie auffaßt. Natürlich spricht er nur von deutschen Versuchen, lieber die englischen Versuche schweigt er sich aus. Die Flottenfanatiker beider Länder werden eben im Interesse ununterbrochenen Flottenbaues die neue Revolution im Kriegeschiffbau solange zu hehlen suchen, bis sie nicht länger Sil Kehlendes Ereignis geworden ist! teures fleisch. Die Zusammenstellungen derStatistischen Korrespondenz " über die Durchschnittspreise an 50 Marktorten ergeben für die zweite Hälfte August wiederum einen Aufstieg gegenüber der ersten Hälfte des Monats und im Vergleich mit dem gleichen Monat des Vorjahres. Es kostete nämlich ein Kilo August August 1910 1009 I. Hälfte II. Hälfte Pfennige Rindfleisch von der Kenle.. 168.7 175.8 lüO.l vom Bug... 156,0 161,2 156,4 vom Bauch..» 135,8 146,1 lSV.S im Durchschnitt. 156.0 168.1 167.» Kalbfleisch von der Keule.. 180,2 190,9 192,7 vom Bug... 164,2 178,3 175,7 im Durchschnitt. 178.8 183.9 185,9 Hammelfleisch von der Keule. 174,7 181,6 181,5 vom Bug... 162.0 163,3 164,2 im Durchschnitt. 169.5 174,3 174.» Schweinefleisch..... 185,3 186,0 187,9 Der Preis für Schweinefleisch ist ebenfalls weiter ge« stiegen, von 100.1 Pfennig pro Kilo im Juli d. Js. auf 162,7 Pfennig in der zweiten Hälfte August. Und was tut die Negierung zur Abhilfe der Not? Nichts! *» P" Hebet den Bichmarkt im Monat August schreibt das Organ des Deutschen FleischerverbcmdeS: DaS ganze Interesse des Fleischergewerbes, nicht minder allerdings auch das der konsu- miereuden Bevölkerung, der Behörden und der Presse konzentriert sich auf die weitere Gestaltung der Preisbewegung auf dem Vieh. niarkt. Nun ist es allerdings gelungen, auf dem Berliner Vieh. markte die Preisbewegung für Großvieh zum Stillstand zu brin. gen. ob auf natürlichem Wege, ob mit Kunstgriffen, sei zunächst dahingestellt. Jedenfalls aber zeigten alle anderen Märkte während des abgelaufenen Monats weiterhin steigende Tendenz. Die Preise für Ochsen sind an manchen Plätzen um 34 M.. zum mindesten um 1�2 M. gestiegen, für Bullen um 12 M. und für Kühe um 1% 2 M., in Ausnahmefällen 4 V M. Die Auf. wärtsbewegung ist bisher noch nicht zum Stillstand gekommen, Wenn auch die Aufschläge nicht mehr bedeutend sein werden. Aber nicht nur das Rindvieh hat sich weiter verteuert, sondern auch die übrigen Vichgattungen sind wieder im Preise gestiegen. Schweine waren in Norddeutschland fest. Berlin zog eine Kleinig. keit. Mittel, und Westdeutschland 12 M. an. in Süddeutschland und Schlesien waren die Aufschläge aber noch größer und erreichten -in Einzelfällen 5 M. Kälber waren an allen Märkten teurer, und zwar im Durchschnitt um 2 M. Einen außerordentlichen Auf. schlag erfuhr Hamburg , wohingegen Bayern billiger kam. Schafe waren in Hamburg etwas flauer, an allen anderen Märkten indes steigend und gewannen durchschnittlich 2 M. Die erneuten Aufschläge haben die Lage des Gewerbes und die Fleischversorgung im allgemeinen noch weiter erschwert. Wenngleich man in dem nächsten Monat mit etwas größeren Marktzufuhren zu rechnen haben wird, dürfte der Preisstand ver» hältniSmäßig doch im allgemeinen hoch bleiben. Das an den Markt kmnmende Weidevieh ist nunmehr in befriedigendem Mast. zustand, teilweise sogar recht gut, nur sind die Preise zu hoch. Auf dem Husumer Markte wurden in der letzten Woche für beste Ochsen 7881 M. gezahlt, während die PreiSnotiz am gleichen Markte vor 10 Jahren sich auf 5862 M. stellte. In einer letzthin in Husum abgehaltenen Vichhändlerversammlung wurden Klagen über die Evtwickelung deS Vormarktes laut, weshalb eine Kom- Mission eingesetzt wurde, um Mittel und Wege zu suchen, daß Schädigungen cntferntwohnender Händler abgewendet werden. Der Stand der Futtermittel ist im allgemeinen ein recht ve Erledigender. Er wird mehrfach sogar als gut und vorzüglich be zeichnet. Durch übergroße Nässe ist namentlich in den tiefen Lagen zwar viel Heu und Futter im Frühsommer verdorben, doch rechnet man mit einem guten zweiten Schnitt. DaS Hauptinteresse kon» zenssiert sich zuxzejt überhaupt auf den AuKfqll dkp Ernte, Die preußische Regierung hat in Anbetracht dessen in diesem Jahre he! reits Ernteschätzungen borgenommen, woraus sich ergibt, daß der voraussichtliche Ertrag an Weizen den deS Vorjahres überragt, während Roggen im Ertrag zurücksteht. Für Gerste wird ein ganz wesentlich geringerer Ertrag erwartet, ebenso für Hafer. Der geringe Ausfall der Gerste- und Haferernte wird die Futtermittel im allgemeinen verteuern. Für Kartoffeln sind im Reich 27 651 Hektar oder 0,8 Proz. weniger in Kultur genommen als im Jahre vorauf. Da die Kartoffeln außerdem durch Nässe vielfach gelitten haben und durch geringe Knollenentwickelung und viele faulige Frühkartoffeln eine schlechte Beurteilung erfahren(die amtliche Note für Mitte August stellte sich auf 2,8 und ist nächst dem Jahre 1904 die schlechteste), ist auch von frieser Seite kein Ausgleich zu erwarten, so daß erneute Befürchtungen hinsichtlich der Ernährung des Schwemebestandes wachgerufen werden, wenn auch die Schätzung der Maisernte zurzeit noch sehr günstig ist, denn das war auch im Vorjahr der Fall, während das Ernteergebnis ein weit weniger gutes war. »» » Der Ursprung der Maul- und Klauenseuöhe, die zur Sperre des Berliner Viehhofes geführt hat, ist jetzt, wie dieAllgemeine Fleischer-Zeitung" von amtlicher Seite erfährt, in folgender Weise aufgeklärt. Dem Markte in Tuchel(Kreis Marienwerder ) am 23. August war verseuchtes Vieh aus Rehden , Kreis Graudenz , wo die Seuche in fünf Gehöften bestand, aber verheimlicht worden war, zugeführt worden. Dort infiziertes Vieh verschleppte die Seuche nach Ortschaften in den Kreisen Neu-Stettin , Bütow, Tuchel, Czarnikaü, Stolp und Schlawe. Von den Kreisen Stolp und Schlawe wurden dann mit der Seuche behaftete Tiere nach dem Berliner Viehhof gebracht, wo dank der Wachsamkeit der Veterinärbehörde die Seuche sofort bei der Entladung der kranken Tiere erkannt und dadurch ihre Weiterverbreitung verhütet wurde. Regierungs- und Veterinärrat Nedermann aus dem landwirtschaft- lichcn Ministerium, der seinen Urlaub unterbrach, hat diese Tat- fachen in den infizierten Kreisen festgestellt und alle Vorkehrungen gegen eine weitere Verschleppung der Seuche getroffen. Diesen Maßregeln ist es zu verdanken, daß am nächsten Mittwoch der Berliner Markt wieder uneingeschränkt freien Verkehr haben wird. Die Verheimlichung der Seuche auf den Gehöften kann nicht scharf genug verurteilt werden. Der außerordentlich große Schaden, der in diesem Falle durch die Vertuschung wiederum verursacht worden ist, sollte eine dringende Mahnung sein, sofort beim Aus- bruch einer Seuche die �vorgeschriebene Anzeige zu erstatten. Auch der Magistrat zu Charlottenburg hat in seiner letzten Sitzung vom 8. September zu der gegenwärtig herrschenden Fleisch- not und Fleischteuerung Stellung genommen. Er bestreitet, daß die vom deutschen Landwirtschastsrat in seiner Plenarversammlung vom 15. bis 18. Februar 1910 aufgestellte Statistik über die Fleisch- Versorgung der städtischen Bevölkerung im Deutschen Reich den dort behaupteten Nachweis erbracht habe, die Fleischteuerung der Jahre 1905-1907 sei nicht durch ein Versagen der heimischen Fleisch- Produktion verursacht worden. Bei genauer Prüfung beweist die Statistik gerade im Gegenteil eine Knappheit in der heimischen Fleischproduktion der Gegenwart, aus welche die Bevölkerung fast ausschließlich angewiesen ist. Der Magistrat lehnt daher die vom deutschen Landwirtschastsrat vorgeschlagenen Maßnahmen der beut- schen Stadtverwaltungen für die Fleischversorgung der Bevölkerung ab, welche voraussetzen, daß der Grund für die Fleischteuerung in Maßnahmen und Unterlassungen der Gemeinden, sowie beim Zwischenhandel zu suchen sei; er beschließt aber gleichzeitig, bei dem deutschen Städtetage zu beantragen, er möge in eine Prüfung darüber eintreten, welche Maßnahmen gegen die Fleischteuerung zu treffen sind. Ferner soll ein Ausschuß eingesetzt werden, der mit den Direktoren der städtischen Werke zu prüfen hat, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind, um den städtischen Arbeitern eine billigere Fleischversorgung zu verschaffen. politische Qcbcrlicbt. Berlin , den 9. September 1910. Ein Gedenktag der Arbeiterbewegung. Am 9. September waren es 40 Jahre, daß der Ausschuß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Parteivorstand der Eisenacher zu Braunschweig auf Befehl des Generals Vogel von Falckenstein verhaftet und in Ketten nach der Festung Boyen bei Lützen transportiert wurde. Der Ausschuß, bestehend aus den Genossen Bracke, Bon- Horst, Spier, Kühn und G r a l l e. hatte am 5. September 1870 ein Manifest an die deutschen Arbeiter erlassen, worin er sie auf- forderte, in Massenv ersammlungen gegen die Fort- setzung des Krieges gegen Frankreich und gegen die Annektierung Elfaß-Lothringens zu pro- t e st i e r e n. Auf Grund nationalliberaler Denunziation ließ Vogel von Falckenstein , der Generalgouverneur der Küstenlande, die fünf Unterzeichner deS Manifestes verhaften. Ihnen folgten noch am selben Tage daS frühere Mitglied deS Ausschusses Ehlers und der Druckereibesitzer SieverS, der den Druck des Manifestes besorgt hatte. Auch der Genosse G e i b und einige Tage später noch Johann Jacobi wurden dorthin gebracht. Während die Fort- schrittler sich bis dahin stumm verhalten hatten, begannen sie bei der Verhaftung JacobiS doch etwas zu murren, was allerdings den Falckenstein in seinem ungesetzlichen Treiben durchaus nicht störte. Am 24. Ottober wurde endlich der»preußische Untertan' Bonhorst durch königlichen Befehl in Freiheit gesetzt. Die anderen Gefangenen blieben bis zum 14. November in der Festung und wurden dann mit Stricken gefesselt in das Braunschweiger Gefängnis gebracht. Im Laufe des Dezembers wurden dann nach und nach auch sie entlassen. Nur Sievers blieb in der Feste Boyen, er erblickte die Freiheit erst zu Weihnachten wieder, nachdem ihn Falckenstein inzwischen durch Schließung der Druckerei ruiniert hatte. Nach jahrelangem Pro- zessieren erreichte eS SieverS, daß Falckenstein zur Leistung einer Entschädigung wegen deS Ruins seines Geschäfts venlrteilt wurde. Die Maßnahmen FalckeusternZ nuraor in jeder Beziehung un- gesetzlich, da die Preß- und Versammlungsfreiheit durch den Krieg?- zustand nicht aufgehoben war und kein Bürger seinem ordentlichen Richter entzogen werden durfie. Aber was fragt ein preußischer General nach Verfassung und Bolksrechten! Um dem Streich Vogel von FalckensteinS wenigstens den Schein einer Begründung zu geben, mußten freilich Staatsanwälte und Richter versuchen, ein Hochverratsverfahren gegen die Verhafteten einzuleiten. Aber die Mühe war umsonst. Alles Herumstöbern in den beschlagnahmtenPapieren deS Ausschusses förderte kein Material für eine solche Klage zutage. So mußte das Verfahren schließlich eingestellt werden. Mit Ach und Krach kam auf das Drängen Bismarcks wenigstens eine Anklage gegen Bracke. Bonhorst, Spier und Kühn wegen»Ver- gehens gegen die öffentliche Ordnung' zustande, dir in erster Instanz den Genossen Bracke und Bonhorst je 16, dem Genossen Spier 14 und dem Genossen Kühn 5 Monate Gefängnis einbrachte. Aber die zweite Instanz setzte das Strafmatz für Bracke und Bonhorst auf je drei, für Spier auf zwei Monate und für Kühn auf sechs Wochen herab und erklärte die Strafe durch die Untersuchungshaft verbüßt. Bismarck hatte einen Schlag gegen die Arbeiterbewegung führen lassen wollen er gelang gänzlich daneben. Einen posi- tiveren Ausgang hatte freilich der Hochverratsprozeß, den er zu der- selben Zeit den Genossen Bebel , Liebknecht und Hepner anhängen ließ. Er endete bekanntlich im März 1872 mit der Verurieiluitg von Bebel und Liebknecht z« se zwei Iahten Festungshaft. Aber auch er ward nicht der Schlag für die deutsche Sozialdemokratie, wie ihn Bismarck gewollt hatte. Im Gegenteil. Die junge Bewegung überwand alle Verfolgungen und ging gestärlt aus ihnen hervor. Aber noch heute können Staatsmänner und bürger- liche Politiker, die auS der Geschichte nicht lernen, davon, die Sozialdemo- kratie, die inzwischen Massenbewegung geworden ist, durch Gewalt und gerichtliche Verfolgungen zerbrechen zu träumen. Sie dürfen sich ver- sichert halten, daß die heuttgen Sozialdemokraten nicht aus schlechterem Holz geschnitzt sind als jene Männer, die in der Zeit, da die ent- fesselte Wut deS Chauvinismus daS kleine Häuflein klassenbewußter Arbeiter umheulte und die militärische Gewalt sie wider Recht und Gesetz in Ketten schlug, nicht einen Augenblick an ihrer Pflicht irre geworden sind!_ Freie Volksbühne und Goethe-Bund-Juristen. In der Protestversammlung der Freien Voltsbühne gegen die Zensurversügung deS Polizeipräsidenten gab ein Delegierter des Goethe-BundeS, der dramatische Schriftsteller Herr Georg Engel , namens des Bundesvorstandes eine schriftlich formulierte Erklärung ab, die starkes Befremden erregte und auch einem späteren Redner. Herrn v. Gerlach, Anlaß zu polemischen Bemerkungen bot. In dieser Erklärung spricht sich der Goethe-Bund zwar prinzipiell gegen die Zensur und ihre Ausdehnung auf die Freie Volksbühne aus, versichert aber zugleich, daß die Polizeibehörde sich»in rein formeller Beziehung keiner angreifbaren juristischen Ueber- tretung schuldig gemacht habe'. Da bekanntlich der Vor« stand der Freien Volksbühne , gestützt auf daS Urteil hervor- ragender Juristen, die gegenteilige Meinung vertritt und sich an- schickt, vor Gericht den Beweis zu erbringen, daß eine derartige angreifbare juristische Uebertretung' der Polizeibehörde tatsächlich vorliegt, muß daS Verhalten deS Goethe-BundcS recht seltsam er- scheinen. Aber vielleicht oder wahrscheinlich erklärt sich diese Dissonanz auS einem sachlichen Mißverständnis, das dem Goethe- Bund bei der Abfassung seiner Erklärung unterlaufen ist. Statt von der Freien Volksbühne ist nämlich von der Neuen Freien Volksbühne die Rede, und von den Veranstaltungen dieses letzt- genannten Vereins dürften die Verfasser der Erklärung auch wieder nur jene im Auge gehabt haben, die auch Nicht Mitgliedern zu- gänglich sind. Bekanntlich veranstaltet die Neue Freie Volksbühne nur einen Teil ihrer Vorstellungen für den geschlossenen Kreis ihrer Mitglieder, der andere größere Teil ist öffentlich; das Recht deS Eintritts wird dann entweder durch Lösung eines Billetts an der Tageskassel oder billiger durch die Mitgliedschaft bei der Neuen Freien Volksbühne erworben. Diese öffentlichen auch Nichtmitgliedern zugänglichen Vorstellungen unterstehen zwar nicht nach unserer Ansicht, wohl aber nach dem de» OberverwaltungSgerichtS, der Zensur, aber um ste dreht sich auch gar nicht der Streit. Sondern es handelt sich um die Vorstellungen der Freien Volksbühne , die al» streng geschlossene Vereinsvorstellungen der- anstaltet werden, und in denen daher die Polizei nichts zu suchen hat. Genau dasselbe gilt dann selbstverständlich auch von jenen Vorstellungen der Neuen Freien Volksbühne, die gleich« falls nur den Mitgliedern zugänglich find, auch sie müssen dm Schutz vor der Polizei für sich beanspruchen, der bisher allen nicht« öffentlichen Veranstaltungen zugekommen ist. Es kann kaum in der Absicht deS Goethe-BundeSIgelegen habe», durch seine Autorität die schädlichm juristischen Deduktionen zu stärken, durch die Herr v. Jagow seinen Sketch zu rechtfertigm sucht. Aber der Goethe-Bund hat offenbar seinen WahlspruchÄulotn non movere"(»daS Ruhende nicht zu bewegen') in den letzten zehn Jahren zu sehr beherzigt und findet sich jetzt nach seinem plötzlichm Erwachen in der Welt der Tatsachen noch nicht ganz zurecht. ES ist äußerst unvorflchtig, in solchem Zustande suristische Gut« achten abzugeben!_ Zur Affäre v. Richthofe«. DieDeutsche I o u r n a l p o st" meldet: Vor einiger Zeit konnten wir melden, daß gegen den konservativen Abgeordneten, Freiherrn Ernst v. Nicht, hosen(Mertschütz), bei der Staatsanwaltschaft in Liegnitz eine Strafanzeige wegen angeblicher Steuerhinterziehung im Gesamtbetrage von annähernd 300 000 M. eingereicht worden sei. Tie Unterlagen zu dieser Strafanzeige waren von dem früheren Wirtschaftsinspektor des Herrn v. Richthofen, Karl Kasten, gegeben worden, der diesen beschuldigte, daß er eine ganze Anzahl von Ncbencinnahmen bei seinen Steuererklä» rungen nicht mit angegeben hätte. Freiherr v. Richthofen hatte zunächst die Existenz einer solchen Strafanzeige über- Haupt bestritten, die auf dem Wege über das Justizministe. rium an die Liegnitzer Staatsanwaltschaft gelangt war. Dann erklärte er sofort, daß alle Angaben des Inspektors Kasten unwahr seien, und daß er diesen schon vorher wegen Unterschlagung angezeigt habe, so daß die Strafanzeige einen Racheakt darstelle. Bald darauf konnte Herr v. Richthofen auch einen Bescheid der Einschätzungskommission des Kreises Liegnitz produzieren, wonach ihm keinerlei Steuerhinter- ziehungen vorzuwerfen seien. Dabei beruhigten sich jedoch die Beteiligten nicht, sondern führten bei der Oberstaats- anwaltjchaft in Breslau Beschwerde, daß die Staatsanwalt- schaft die Anzeige der Steuerbehörde abgegeben habe, statt das beantragte Strafverfahren kurzerhand einzuleiten. Die Oberstaatsanwaltschaft hat jetzt rundweg abgelehnt, die Straf- Verfolgung des Freiherrn v. Richthofen einzuleiten, da er (der Oberstaatsanwalt), wie es in dem Bescheide heißt,auch im Justizaufsichtswege keine Veranlassung gefunden habe. entgegen der Verfügung des Herrn Ersten Staatsanwalts zu Liegnitz vom 26. Juli 1910 ein strafrechtliches Einschreiten anzuordnen, da die Untersuchung und Entscheidung»ach Z 76 deS Einkommensteuergesetzes dem Gericht nicht zustehe". Hier- nach sei auch die Staatsanwaltschaft zur Ermittelung nicht zuständig. Mit dem vorstehenden Bescheide ist die Angelegenheit jedoch nicht erledigt. Freiherr v. Richthofen hatte sofort nach Bekanntwerden der erhobenen Beschuldigungen erklärt, daß er gegen die Urheber derselben Strafantrag wegen Belei­digung gestellt habe. Da den Beteiligten bis heute keinerlei weitere Schritte des Freiherrn o. Richthofen bekannt geworden sind, während andererseits der K r e i s t a g in Liegnitz unter dem 17. August auf Veranlassung eines Gutsbesitzers Göpel(Kausewitz) Herrn v. Richthofen ein Vertrauensvotum ausstellte, sah sich der Wirtschaftsinspektor Kasten veranlaßt, an diesen Herrn Göpel eine Zuschrift zu richten, in der er dagegen protestiert, daß vor Abschluß des Verfahrens eine Behörde, wie der Kreistag, Stellung zur Sache nehme, da er seine Anschuldigungen in jeder Be> zieh un g aufrechterhalten müsse und besonders darüber erstaunt sei, daß ihn Herr V. Richthofen noch nicht verklagt habe. Die Wendungen des Briefes, die Herrn v. Richthofen betrafen, haben diesen nun veranlaßt, Strafantrag wegen Beleidigung gegen Kasten zu stellen.