baS Gesetz ganz offen zu Tage. Aber auch, wenn die Versammlung in den Garten des Lokals einberufen und also die behördliche Ge- nehmigung erforderlich war, bedeutet die Versagung einen Akt, der mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen ist. Der z 7 des Vereinsgesetzes sagt über die Bedingungen, unter denen die Ge- nehmigung verweigert werden darf, das Folgende: „... Sie... darf nur versagt werden, wenn miS der Abhaltung der Versammlung... Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten ist... Die Verfügung des Kreisamts behauptet nun freilich, daß eine solche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zn befürchten sei. Aber es genügt nicht, daß das Kreisamt solche Befürchtung hat, es muß bielmehr die angebliche Gefahr durch Tat- fachen belegen, aus denen sich nach vernünftigem Ermessen eine nahe Möglichkeit der Verwirklichung der Gefahr ergibt- So sagt ein Urteil des preußischen Oberverwaltungsgerichts. Das Kreisamt Offenbach gibt sich denn auch Mühe, solche Tatsachen herbeizuschaffen. ES behauptet, der Ton der öffentlichen Einladung zu der Versammlung in Verbindung mit der Aufforderung, dem Zaren, dem zurzeit im Lande weilenden Monarchen eines dem Deutschen Reiche befreundeten Nachbarreiches, den Protest der Pro- letarier entgegenzuschleudern, rechtfertige die Annahme, daß die Ver- sammlung die Aufreizung der Masse zu Gewalttätig- ketten zu Folge Habel Wie ist nun der Ton dieser Einladung? Wir geben sie hier in den wesentlichen Teilen, die das Mißfallen des KreisamtS erregt haben werden, wörtlich wieder: Der russische Zar, der Vertreter des russischen HenkersystmS, hat es gewagt, hessischen Boden zu betreten. Dieser Menschen- schlächtcr im Purpurmantel kommt zu uns, belastet mit der Blut- schuld seiner Schergen, verfolgt von den Flüchen und dem Haß der Völker, die unter seiner Herrschaft stöhnen. Werte Genossen und Kollegen I Gegen die Anwesenheit dieses Unmenschen auf hessischem Boden müssen wir auf das nachdrück- lichste Protest erheben, müssen kundgeben, daß wir ihm jede Gast- freundschaft verweigern. Um dem Proletariat Gelegenheit zu geben, dem Blutzaren seinen Protest entgegen zu schleudern, findet am Sonntag, den 11. September, nachmittags um 3 Uhr, in Langen eine allgemeine Protcstversammlung statt. Tagesordnung: Der russische Zar und der Zäsarismus in Deutschland ! Referent: H o f f m a n n- Berlin, Landtagsab�eordneter. Genossen und Kollegen I Erscheint in Massen m dieser Protest- Versammlung.... Das ist alles! Es wird zum Protest gegen den Aufenthalt des Zaren aufgefordert. In kräftigen, in scharfen Worten, wie sie dem Gegenstände entsprechen. Aber mit keinem Werte, mit keiner Silbe wird auch nur eine Andeutung gemacht, die man selbst mit dem Aufgebot aller Auslegungskünste für eine„Tatsache" ausgeben könnte, aus der»sich nach vernünftigem Ermessen eine nahe Möglichkeit der Verwirklichung der Gefahr(für die öffentliche Sicher- heil) ergibt". Wir wollen ganz davon absehen, daß jeder vernünftige Mensch in Deutschland heutzutage weiß, daß die Sozialdemokratie nicht zu Gewalttätigkeiten auffordert— die Behörde braucht ja nicht zu wissen, was nicht in den Akten steht. Aber selbst wenn sie der Sozialdemokratie das Allerschlimmste zutraut, aus den, Wortlaut der Einladung kann sie in alle Wege nicht irgend ein Bestätigung ihrer grausen Befürchtungen herleiten. Es fehlt ihr absolut an jedweden Tatsachen, die die Verweigerung der Genehmigung zu rechtfertigen vermöchten. Und deshalb ist auch dann das Verbot ungesetzlich, wenn eine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden sollte. Das Kreisamt Offenbach hat wohl selbst die Schwäche seiner Begründung der„Gefahr für die öffentliche Sicherheit' gefühlt und es hat deshalben noch einen zweiten Grund herangeholt. Der Zweck der Versammlung soll den Strafgesetzen wider- sprechen! Das ist nun ganz und gar unverständlich. Der Zweck der Versammlung ist der Protest gegen den Aufenthalt des Zaren auf deutschem Boden. Das widerspricht unseren Straf. gesehen nicht; denn wenn unsere Zustände auch vielfach schon sehr russisch anmuten, Deutschland ist immerhin noch nicht Rußland . In Rußland mag es den dort geltenden Strafgesetzen widersprechen, gegen hie Anwesenheit des Zaren zu protestieren— in Deutsch - lcmd ist der Zar nicht Landesherr, wenn auch deutsche Behörden seines Winkes gewärtig sind. In Deutschland verbietet noch kein Strafgesetz, gegen den Aufenthalt des Schinders seiner Völker zu protestieren. Mit diesem Grunde ist also schon gar kein Staat zu machen! Unsere hessischen Genossen haben den Streich schnell pariert. Niemand wird sie hindern können, in der Protestversammlung gegen das ungesetzliche Verbot ihre Meinung über den Zaren und sein Blutregiment ungeschminkt vor aller Welt kundzutun. Und sicherlich werden sie alle im Gesetz vorgesehenen Mittel anwenden, üm eine klare Entscheidung über das unerhörte Verfahren des KreiSamtS Offenbach herbeizuführen und ihm� begreiflich zu machen, daß sich die hessische Arbeiterschaft solche widergesetzliche Beschneidung ihrer Bürgerrechte nicht bieten läßt. Aber das Verbot ist da und wird durch die nachträgliche Rekti» fizierung der Behörde nicht wieder ungeschehen gemacht. ES bleibt die beschämende Tatsache bestehen, daß um des Zaren willen eine deutsche Behörde gegen«in deutsches Gesetz verstößt, deutsche Bürger im Gebrauch ihrer Rechte einzuschränken sucht. Es bleibt die be- schämende Tatsache, daß in Deutschland der Protest gegen den Be- such des Zaren mit staatlicher Gewalt zu verhindern gesucht wird, ein Versuch, der in England, Frankreich und Italien ganz aus- geschlossen wäre. ES bleibt die beschämende Tatsache, daß das offizielle Deutschland in Liebesdiensten für den Blutzaren die Re- gierungen aller anderen Länder um mehrere Längen schlägt! Die brennende Scham aber über all das soll uns anspornen, mit allen Kräften an dem Sturz des Polizeistaates zu arbeiten, in dem solche Angriffe auf die Rechte des Volkes, in dem solche Liebesdienste für einen Nikolaus II. möglich sind, zu arbeiten für «in freies Deutschland , in dem das Volk nicht mehr gebüttelt wird von einer Obrigkeit, die als die Vertreterin einer kleinen Minder- heit handelt, und in dem einem russischen Despoten nicht mehr wohl sein kann!_ engelmacherei und Aailenpslege. Wir haben gestern in dem Artikel„Erlebnisse einer Polizei- assistentin" eine Reihe von Fällen angeführt, die da zeigen, wie sehr die Waisenpflege und die Fürsorgepflege für ge- fährdete Kinder noch vielfach im Argen liegen. Eine neue Illustration zu diesem erschütternden Thema liefert eine Ge- richtsverhandlung gegen den Redakteur Genossen W i t t r i s ch von der Frankfurter „Volksstimme", über die uns geschrieben wird: Welche entsetzlichen Fälle langsamen Kindermordes noch jetzt in Preußen, wo angeblich doch das Beanfsichtigungswesen und die Waisenpflege so gut geregelt sind, vorkommen können, das zeigte sich in einer Schöffengerichtsverhandlung zu Frank- furt a. M. Altpreußischer Gewohnhett getreu war gegen unseren Genossen W i t t r i s ch Anklage wegen Beleidigung erhoben worden, weil er in der„ V o l k s st i m m e" Kritik geübt hatte an dein Verhalten eines Fräulein E i b a ch- Will, die vom Landrat zu Wiesbaden als Waisen- Pflegerin für das ein paar tausend Einwohner zählende Dorf Dotzheim in Amt und Pflicht genommen war. aber Amt und Pflicht verblüffend lax aus- geübt hat. In der Verhandlung wurde bewiesen: das wenige Monate alte Kind einer eheverlassenen Arbeiter- frau war der Waisenpflege überwiesen worden, die Waisen- Pflegerin brachte es unter bei einer halbidiotischen, 53 Jahre alten Frau, deren Wohnungsverhältnissc die allertraurigsten waren. An Pflegegeld bezahlte die Gemeinde 10 Mark pro Monat, die Waisenpflegerin schoß noch 5 Mark zu; sie ist nämlich die Schwester des Ortspfarrers und es fließen ihr mancherlei milde Gaben zu. Die Waisenpflegeriu erklärte vor Gericht, sie habe sich ganz besonders um dieses Kind ge- kümmert. Dabei mußte sie aber schließlich zugeben, daß sie auf Vorstellungen, die Pflege sei doch ganz un- geeignet und schlecht, gesagt hat:„Ja, für 15 Mark nimmt uns sonst niemand das Kind ab." Sechs Wochen lang verreiste die Waisenpflegerin, sie sieht es noch heute als ganz selbstverständlich an, daß in dieser Zeit keine V e r- treter in bestellt wurde. Auch nach der Rückkehr vergingen Wochen, ohne daß die Waisenpflegerin sich nach dem Kinde umsah, das derweil im Dreck verkam. Eine resolute Arbeiter- frau verschaffte sich schließlich durch List Zutritt in die Wohnung der- Pflegefrau und stellte fest, daß das Kind entsetzlich verwahrlost war. Es lag in einem viel zu engen Korbe, konnte sich nicht aus- strecken und in folgedessen waren die Beinchen krumm geworden, entsprechend der Rundung des Korbes und nicht mehr zu strecken. Der Leib war aufgedunsen, dis Folge schlechter Ernährung. Wanzen hatten die Stirn zerfressen. Das Köpfchen lag auf einem. Brett und der Hinterkopf war dadurch völlig stach gewachsen, die vordere Kopfhälfte ent- sprechend aufgetrieben. Das Bettzeug, die Windeln usw., waren nicht erneuert worden, alles faulte unter dem armen Wesen, Maden und Würmer krochen massenhaft in dem Lager und an dem Körper herum. All das teilte die Arbeiterfrau der Waisenrätin mit, aber die hatte zur Antwort:„ F ü r 15 M. finden wir keine bessere Pflege!" Dreimal forderte die Arbeiterfrau die Waisenpflegerin dringend auf, das Kind in andere Pflege zu geben, sie beschaffte auch selbst eine andere Pflegestelle, wo allerdings drei Mark pro Monat mehr gefordert wurden. Auch schlug die Arbeiterfrau Lärm und drohte mit Anzeige. Trotzdem dauerte es mehrere Wochen, ehe dieWaisenpslegerin eingriff und das Kind der halbidiotischen Pflegfrau wegnahm. Nun war es freilich zu spät, das arme Wesen verstarb sehr bald. All dieses war dem Waisenrat zu Dotzheim (Vorsitzender: Pfarrer Eibach, der Bruder der Waisenpflegerin) bekannt, dennoch veranlaßte er die Waisenpflegerin zur Stellung des Strafantrages gegen Wittrisch, weil die„Volksstimme" ge- schrieben hatte, Frl. E. habe sich arg versündigt. Und auch dem Staatsanwalt war der entsetzliche Fall bekannt, denn inzwischen war die Engelmacherin angeklagt und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt worden. Dennoch übernahm er die Anklage gegen Wittrisch im öffentlichen Interesse. Die Gerichtsverhandlung gegen unseren Genossen endete freilich mit einer Bloßstellung der Amtsorgane, die für den Fall verantwortlich sind, Wittrisch wurde freigesprochen und das Gerichtsurteil läßt keinen Zweifel darüber, daß nun- mehr eine Verbesserung der Waisenpflege in Dotzheim herbei- geführt werden muß und wird. Aber ist's nicht empörend, daß solches überhaupt sich ereignet und daß dann gegen die Kritiker eingeschritten wird? In Dotzheim führen unsere Ge- Nossen seit Jahren einen Kampf in der Gemeindevertretung um Verbesserung der Armenpflege; aber die reichen Grund- besitzer waren dafür nicht zu haben. Erst muß die rote Presse den Vorhang von einem Schauerroman ziehen, eher gibt's keine Abhilfe I Und wenn unsere Genoffen sich nicht jetzt ganz energisch erneut dahinter machen, dann wird fortgewurstelt. Kinderfürsorge ist gut, aber Geld darf sie nicht kosten! poUrtfcbe CfebcrHcbt. Berlin , den 10. September 1910. Verunglückter Zaren-Liebesdienst. Der„Vorwärts" hat bereits die schändlichen Bedingungen wiedergegeben, die die Frankfurter Festhallengesellschaft an unsere Parteileitung stellte, wenn sie die städtische Festhalle zur Abhaltung des Meetings zur Verfügung stellen sollte. Unsere Genossen haben bekanntlich die Bedingungen abgelehnt. Die sozialdemokratische Stadtverordnetensraktion brachte nun, wie bereits kurz gemeldet, in der letzten Stadtverordnetenversammlung folgende Jnterpella- tton ein: „Ist dem Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung bekannt, welch« unwürdigen Bedingungen der Auf. sichtsrat der Festhallengesellschaft den Veranstaltern des Jnter- nationalen Meetings vom 11. September bei Benutzung der städtischen Festhalle auferlegen wollte, und was gedenken die oberen städtischen Behörden gegen da? kompromittierende Verhalten ihrer Vertreter in den Verwaltungsorganen der städtischen Festhalle zu tun?" Unsere Genossen O u a r ck und Wendel hielten bei der Be« sprechung der Interpellation eine scharfe Abrechnung mit der Fest- Hallengesellschaft und insbesondere mit deren Vorsitzenden, Oberbürgermeister Dr. AdickeS. Dieser ist der Bater der erbärmlichen Bedingungen, und er mußte diesmal erleben, daß auch nicht einer von den bürgerlichen Stadtverordneten ihn unterstützte! Oberbürgermeister Adickes klammerte sich bei seiner Verteidigung an die noch nie bestrittene Tatsache, daß einige sozial. demokratische Vertreter die Bedingungen ja zuerst akzeptieren wollten. Er verschwieg aber, wie Genosse Ouarck feststellte, daß dies nur unter Protest gegen die Bedingungen geschah. Dr. Adickes erklärte, bei der Errichtung der.Festhalle sei„man" darin klar ge- Wesen, daß die Halle für politische Versammlungen nicht bestimmt sei. Zu Festen stehe sie allen politischen Parteien offen. Die Partei, die gegen die Monarchie kämpfe, könne sich nicht beschweren, wenn man ihr zu antimonarchischen Kundgebungen die städtische Festhalle nicht zur Verfügung stelle. Wohl seien die Herren, die sprechen sollten, vernünftige Politiker und Jaures ein vornehmer Mann. Er wünsch«, man hätte in Deutschland recht viele Jaures. Nicht dieser hätte getroffen werden sollen, sondern die Frankfurter Sozialdemokraten, die immer in den schärfsten Tönen reden würden. Es wäre nicht im Interesse der Stadt Frankfurt gelegen, wenn der russische Zar, der„unser Gast ist" (heftige Unterbrechungen: Unser Gast?!), angegriffen werde. Genosse Wendel— und später auch noch Quarck— ant- wprteten dem OberMrgermeister. Dessen R�de nwge im pre u ß i- s ch e n H e r r e n h a u s e am Platze sein, in die Frankfurier Stadt- verordnetenversammlung passe sie nicht. Die Zumutungen der Fest- Hallengesellschaft seien das stärkste Stück politischer W ü r d e l o s i g k e i t, sie seien aus Rücksicht auf Berlin entstanden. Es sei törichfi zu glauben, daß durch diese Mittelchen die Monarchie gestützt werde. Was purzeln solle, das purzele doch! Den Blutzaren habe man besonders schützen wollen, diesen Mann, der der l ä st i g st e A u s l ä n d e r sei, denesgebe. Die ganzen Forderungen der Fcsthallengesellschaft seien eine Schande für die Stadt Frankfurt . Der Fortschrittler Göll erklärte,' die gestellten Bedingungen der Festhallengesellschaft seien auch für sie unannehmbar. Er stellte folgenden Antrag: „Die Stadtverordnetenversammlung spricht ihr Bedauern darüber aus. daß von den Veranstaltern der am 11. September geplanten Massenversammlung die Erfüllung von Bedingungen verlängt worden ist, welche als eine bisher in Frankfurt nicht üblich gewesene Beschränkung der freien Meinungsäußerung aufgefaßt werden mutz. Die Ver- sammlung spricht ferner den Wunsch aus. daß in Zukunft die Festhalle allen Parteien zur Verfügung gestellt wird." Um einen möglichst einheitlichen Beschluß zu erzielen, zogen unsere Genossen ihren schärferen Antrag zurück. Gegen 7 national- liberale Stimmen wurde dann der Antrag Göll angenommen. So endete die Besprechung mit einer vernichtenden Verurtei- lung des Verhaltens der Festhallengesellschaft und mit einer blamablen Niederlage des Oberbürgermeisters A d i ck e s. Die Aleischnot. In einer im �bayerischen Staatsmini st erium des Innern in Sachen der Vieh- und Fleischteuerung ab- gehaltenen Besprechung wurde, wie das„Verl . Tageblatt" meldet, unter anderem beschlossen, bei der Reichsregierung die Erleichterung der Einfuhr von Schlachtvieh aus Dänemark durch Aufhebung oder Einschränkung der Viehquarantäne und der Tuberkulinimpfung und die Zu- lassung der Einfuhr von Schlachtschweinen aus O e st e r r e i ch- U n g a r n in alle unter verläßlicher veterinärpolizeilicher Aufficht stehende bayerische Schlacht- Häuser zu erwirken. Das Staatsministerium für Ver- kehrsangelegenheiten wurde ersucht, eine vorübergehende Ermäßigung der Frachtsätze für das nach den bayerischen Schlachtviehöfen in weiterer Entfernung ver- frachtcte Vieh zu gewähren..Ferner wurde eine außerordent- liche Viehzählung in Bayern angeordnet, um in den derzeittgen Stand der Viehhaltung in Bayern einen genauen Einblick zu bekommen. Es hat also wenigstens eine der vielen deutschen Re- giernngen der Forderung der Oeffnung der Grenzen, wenigstens teilweise zugestimmt. Allerdings ist damit nochnichts getan. Denn die Reichsregierung steht unter dem Kommando der preußischen und diese ist in den Fragen der Volks- ernährung nur das ausführende Organ des Bundes der Land- Wirte. Immerhin zeigt der Schritt der bayerischen Regierung. daß selbst in diesen Kreisen die Ahnung aufdämmert, daß es so nicht weiter gehen kann. Der infamen Aus- hungerungspolittk muß einmal ein Ende gemacht werden und die Rcichsregierung wird endlich erklären müssen. was sie zu tun gedenkt. um der Not wenigstens teilweise Abhilfe zu schaffen. Die Forderung. die die bayerische Regierung jetzt stellt, ist bereits von Hunderten von Versammlungen erhoben worden. Es scheint aber, daß mit der Reichsregierung noch nicht energisch genug gesprochen worden ist. Den Herren kann geholfen werden I Die Teuerung wird immer unerträg- sicher und die Stimmung im deutschen Volke ist wahrlich nicht danach, um sich von den regierenden Handlangern der agrarischen Sippe noch länger diese schnöde Mißachtung seiner Lebensinteressen gefallen zu lassen. FleischpreiserhShnngen. Zu den 23 Städten, in denen in voriger Woche die Fleisch- preise erhöht wurden, sind abermals 19 gekommen, wo die Fleischer ihre Preise erhöht haben. Es sind nach der„Deutschen Fleischer-Zeitung": Ansbach , Bocholt . Feuchtwangen . Förch- heim. Geisenheim . Gotha . Halberstadt . Kamenz . Lausten a. N.. Lauterbach , Minden . Namslau. Nürnberg . Offenburg . Passau , Säckingen . Selz. Suhl . Sulzbach. Vielfach sind Erhöhungen vorgenommen ohne vorhergehende offizielle Verlautbarung. Nationalliberale Steuerpolitik. Der nationalliberale Kandidat für den jetzt vor der Nachwahl stehenden Reichstagswahlkrets Frank- f u r t a. O.- L e b u s. Dr. Winter, hat. wie wir unserem Kottbuser Parteiblatt, der„Märsischen Volksstimme", entnehmen, in Versammlungen zu Müllrose und Neu- Hardenberg ein Geständnis gemacht, das zwar nichts Neues sagt, aber doch sehr bemerkenswert ist wegen des Be- strebenS der Nationalliberalen, die ganze Verantwortlichkeit für die Reichsfinanzreform dem blauschwarzen Block auszu- laden. Herr Dr. Winter hat in diesen Versammlungen ge- sagt, daß auch er, falls er im Reichstage gesessen hätte, für die Bewilligung der 4 00 Millionen Mark indirekter Steuern gestimmt hätte!! Ja. er sagte weiter. daß er. falls er in Frankfurt -Lebus gewählt würde, auch für neue tn- direkte Steuern zur Kostendeckung zu haben wäre und daß namentlich Tabak„nd Bier noch einen Steueranfschlag vertragen könnten. Gewiß, so sagte Winter weiter, ist auch eine Vermögenssteuer möglich, aber indirekte Steuern seien notwendig und er werde jederzeit auch für sie ein- treten. Nachdem besonders die Tabaksteuererhöhung furchtbares Elend über die Tabakarbeiter gebracht hat. ersiärt der nattonalliberale Kandidat sich zu einer nochmaligen Erhöhung dieser Steuer bereit. Die Arbeiter werden sich's merken! Fortschritt und Sammelpolitik. In einer von der Fortschrittlichen Partei einberufenen Ber- sammlung, die den Zweck hatte, gegen die Kaiserrede Stellung zu nehmen, sprach Abg. Träger. Er kam zu dem Schluß, daß wirtliche Abhilfe nur dadurch geschaffen werden könne, wenn da? Parlament energisch darauf dringe, daß konstitutionelle Garantien in die Ver- fassung aufgenommen werden. Zum Schluß sagte er: „Wir stehen kurz vor den Neuwahlen, wo es sich um den Kampf zweier Weltanschauungen— konservativ und liberal— handelt. Die Locktöne der Sammlung haben längst ihren Klang und ihre Wirkung für uns verloren. Für uns heißt es wie in der neuen Fahrordnung: Rechts aus- weichen und links überholen!" Hoffentlich ist das nicht nur die Ansicht des Herrn Träger, der ja im Freisinn mit seinen 80 Jahren bekanntlich die freisinnige Jugend verkörpert I �
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