Ei« freifinnkg-sozialdem okratisches Stichwahlabkoinmen.»Bei der Landtagsnachwahl, die durch den Tod des Zentrums-abgeordneten Z i e s ch e im Wahlkreise Breslau notwendig geworden ist, wollen Freisinnige und Sozialdemokraten bei einer eben-tnellen Stichwahl einander unterstützen. Die Freisinnigen habenGothein, die Sozialdemokraten Genossen Neukirch aufgestellt.Bei der letzten Wahl erhielten die vereinigten Konservativen undKlerikalen 844, die Freisinnigen 480 und die SozialdemokratenLOS Wahlmännerstimmen.Der Kampf um die Staatszugehörigkeit.Im Wiener Frieden, der den Krieg von 1864 abschloh, war esden Nordschleswigern freigestellt, sich für Dänemark oder Preußenzu entscheiden. Die preußischen Berwaltnngsbehörden haben nunseit je den entscheidenden§ 19 des Wiener Friedens möglichst enrseitig aufqekaßt und jeden als dänischen Staatsbürger betrachtet, derfür Dänen, ark optiert hat. Das Oberverwaltungsgericht ist denBehörden darin beigetreten, lieber solche Optanten schwebte dannständig das Schwert der Ausweisung. Anders hat jedochdas Obcrlandesgericht in Kiel entschieden. Danach ist die Optionerst für gültig zu erachten, wenn die Person, die für Dänemarkoptiert hat(sich entschieden hat), außer der Abgabe der Options-erkläning auch nach Dänemark übergesiedelt ist, mit derAbsicht, dort dauernden Wohnsitz zu nehmen.Am Donnerstag wurde, wie wir bereits kurz gemeldet, bor demKieler Oberlandesgericht ein Fall dieser Art entschieden, der die dänischeBevölkerung Nordschleswigs längere Zeit in Atem gehalten hat, deraber auch typisch ist für das Vorgehen der preußischen Verwaltung�behörden. Der Bankbeamte Jürgen Miller aus Scherrebek war am25. Februar 1909 aus politische» Gründen aus dem preußischenStaatsgebiete ausgewiesen worden, trotzdem er auf preußischem Gebiete geboren(1875 in Jagerup) und ständig seinen Wohnsitz inPreußen gehabt hat. Die Behörde sagte: Millers Vater hat 1870für Dänemark optiert, ist also dänischer Staatsangehöriger unddemzufolge ist es auch sein Sohn, wenn er auch i nPreu ßen geboren ist. Mit der Option des alten Miller verhält es sich nun so: Als 1370 die Mobilmachung gegen Frankreicherfolgte, optierte er für Dänemark, ging über die Grenze und be-suchte dort eine landwirtschaftliche Hochschule. Bei einein Besuch, den.r Verwandten in Nordschleswig abstattete, wurde er verhaftet undals Deserteur bestraft. Diese Bestrafung wäre natürlich nicht möglichgewesen, wenn das Gericht angenommen hätte, Miller sei durch dieOption dänischer Staatsbürger geworden. AlS sich dann herausstellte, daß Miller wegen eines Leidens keinen Militärdienst ver-richten konnte, wurde ihm die Strafe im Gnadenwege erlassen. Erblieb dann in Jägcgernp in NordschlcSwig, kaufte sich eine Landstelle, bekleidete nacheinander verschiedene Ehrenämter, wie G em e i n d e v o r st e h e r, Geschworener usw. Trotz alledemhielt ihn die Behörde für einen dänischen Staatsangehörigenund auch seinen Sohn und wies diesen aus.Der junge Miller, der am 25. Februar 1909 ausgewiesen wurde�kehrte am 27. April 1909 nach Scherrebek, seinem bisherigen Wohn-ort, zurück und wurde deshalb wegen unerlaubter Rückkehr bestraft.Das Schöffengericht sprach ihn frei, weil eS ihn als preußischenStaatsbürger ansah. Das Landgericht dagegen betrachtete ihn alsdänischen Staatsbürger und verurteilte ihn zu einem Tage Gefängnis.Auf eingelegte Revision wies das Oberlandesgericht in Kiel die Sachean das Flensbnrger Landgericht zurück mit der Begründung, daßdas Urteil des Landgerichts nicht erkennen lasse, ob der alte Millerseinerzeit wirklich in der Absicht nach Dänemark gegangen sei, umsich dort dauernd niederzulassen. Das Landgericht konnte das nschtfeststellen und sprach Miller frei. Die Staatsanwaltschaft legte ReVision ein, doch das Oberlandesgericht bestätigte am Donnerstagdas freisprechende Urteil mit der Begründung: Für die Aufgabe derpreußischen Staatsbürgerschaft auf Grund des Artikels 19 des WienerFriedens genügt nicht allein die Optionserklärung für Dänemark,es ist vielmehr noch, zweitens nötig die Ueberstedelung nach Däne-mark mit der Absicht, dort einen festen Wohnsitz zu nehmen.— Diepreußischen Verwaltungsbehörden haben also wieder eine Schlachtverloren IEin bedenkliches Lob.Ein sehr zweifelhaftes Lob wird dem prenßifchenKultuS-m i n i st e r aus u l t r a m o n t a n e m Munde gespendet wegenseiner neuerlichen Verfügung über die Ueberwachung des ReligionSUnterrichts in den Schulen durch die Geistlichen. Triumphierendschreibt das Organ des Domkapitulars und ZentrumsabgeordnetenDr. Pichler, die Passauer.Donauzeitung":„Das ist im Protest an-tantischen Preußen geschehen!" und lobt Herr v. Trott zuSolz, der da„so wacker in die Fuß st apfen seines baye-rischen Kollegen tritt."— Der heilige Antonius von Wchnerals Vorbild für den preußischen Kultusminister— das hatte geradenoch gefehlt IOeltcrrdcb.Die Fleischnot.Wien, 10. September. Der niederösterreichische Gewerbebereinlegt in einer scharfen Zuschrift an die Blätter Verwahrung gegendie Haltung der Regierung ein, die Wohl durch die gegenwärtigeFleischnotbewegung gezwungen, den prinzipiellen Widerstand gegendie Einfuhr argentinischen Fleisches fallen gelassenhabe, aber in ihren Konzessionen soweit Rücksicht ans die a g r a-rische Fleischpolitik nehme, daß von einer Organisation derEinfuhr und wirklich durchgreifenden Maßregeln keine Rede seinkönne.Italien.StaatSsnbmissionen und Arbeiterschutz.Rom, 8. September.(Eig. Ber.) Um die Arbeiter vor allzu-großer Ausbeutung durch Submissionsunternehmer staatlicher Ar-Veiten zu schützen, hat der Minister der öffentlichen Arbeiten, Sacchi,Bestimmungen ausgearbeitet, die bei jedem öffentlichen Wettbewerbvon SubmissionSunteritehmern angenommen werden müssen. ESwird festgesetzt, daß den Arbeitern bei öffentlichen Arbeiten einMinimallohn zu zahlen ist, den die lokalen Arbeiterorganisationengemeinsan, mit den Unternehmerverbänden bestimmen. Wo solcheOrganisationen fehlen, gilt der für die Arbeiten in StaatSregiefestgesetzte als Minimallohn. Die Arbeitszeit darf im Höchst-falle 10 Stunden betragen. Trucksystem ist verboten. DerUnternehmer darf weder unmittelbar, noch durch Einschiebungeiner Zwischenperson die Arbeiter mit Wohnung und Nah-rung versorgen: eine Ausnahme wird nur gemacht. fallsdie Arbeiter eS selbst beantragen und die Direktion der öffentlichenArbeiten die Preisliste gebilligt hat. Der Taglohn darf nie inGasthäusern oder ähnlichen Orten ausgezahlt werden. Strafgeldersind der Hilfskasse der Arbeiter oder der Landeskasse für JnvaliditätS-und Altersversicherung zuzuführen. Wenn der Unternehmer die Lohn-zahlung über den ortsüblichen Ternnn hinausschiebt oder unter denMinimallohn herabgeht, kann die Verwaltung der öffentlichenArbeiten die Zahlung selbst vornehmen und dafür die demSubmissionsunternehmer geschuldete Summe beschlagnahmen.Geldbußen bis �u 100 Lire für jeden einzelnen Fall sind vor-gesehen. Geht ein Unternehmer trotz ausdrücklicher Verwarnungunter den ortsüblich vorgeschriebenen Lohn herab, so kann erauf die Dauer von drei Jahren von jedem Submissionsvertragmit dem Staate ausgeschlossen werden und im Rückfalle auf Lebens-zeit. Alle diese Bestimmungen müssen öffentlich und sichtbar an denArbeitsstätten angebracht sein. Besonders wichtig sind von diesenMaßnahmen die Festsetzung eines Maximalarbeitstages für erwachseneMänner, die im Widerspruch zu dem von den italienischen Gesetzenoefolgten Prinzip steht, die Dauer des Arbeitstages nur für Kinderppd Frauen zu regeln. Wichtig ist weiter die Bestimmung, nach derder Staat selbst die Zahlung vornimmt, falls der Unternehmersäumig ist und dies ohne furistifche Formalitäten und besondereBeschlagnahmung des Guthabens des SubmissionärS tun kann.Snglanä.Zum Charakterbild des MiuisterS BuruS.Aus'London wird uns geschrieben: Der Minister Burns kann seinenwahren Charakter, den eines gerissenen Strebers, nicht verleugnen. JedeStufe in seiner Entwickelungsgeschichte läßt uns den echten JohnBurns besser� erkennen. Augenblicklich liegt er mit der liberalenParteiorganisation in seinem Wahlkreis Battcrsea, einem hauptsächlich von Arbeitern bewohnten Viertel Südlondons, im Streit.Die liberalen Arbeiter Batterseas haben den früheren Arbeiterführerbis jetzt mit großer Hingebung unterstützt. Taufende von ihnenhaben in vergangener Zeit ihren Obolus zu dem Fonds beigesteuert,der ihrem Vertreter in Grafschastsrat und Parlainent den Lebensunterhalt gewährte und zur Bestreitung der hohen Wahlnnkostenbeitrug. Als BnrnS Minister wurde und 2000 Pfund SterlingGehalt bezog, glaubten nun die Londoner Arbeiter, daß es a»der j}eit sei. daß ihr Vertreter etwas zu dem Wahlfondsbeiträgt. Aber erst zwei Jahre nachher fühlte sich derneue Minister bemüßigt, der liberalen Parteikasse in Battersea 50 Pfund Sterling zu schicken und in keinem der folgendenJahre ist sein Beitrag höher gewesen. Diese Knickerigkeit wurdeaber den Arbeitern mit der Zeit zu bunt, besonders in den letztenMonaten, da der Minister das sürstliche Gehalt von 5000 Pfd. Sterl.bezieht. Sie klopften daher diskret an seiner Pforte an; aber derMinister verhielt sich mäuschenstill. In den letzten Tagen hat nundie liberale Föderation— die den ärmeren liberalen Wahlkreisenbei der Bestreitung ihrer Kosten beisteht— beschlossen, der liberalenPartei in Battirsca künftig keine Unterstützung mehr zukommen zulassen. Dadurch sah sich der liberale Wahlvercin Batterseas ge-nötigt, seinem Agitator und Wahlagenten, dem er jährlich 300 PfundSterling Gehalt zahlte und der seit 1892 der Organisator der Wahlsiege des Ministers ist, zu kündigen. Aber anch dies scheint ausBurns nicht den mindesten Eindruck gemacht zu haben. Das Verlangen der Arbeiterwähler, daß der reiche Herr BurnS aus seinen5000 Pfd. Sterl. mindestens die 300 Pfund für den erprobten Wahlagenten ausbringen wollte, läßt ihn kalt. Er zieht eS anscheinendvor, seine Parteiorganisation in Battersea zugrunde gehen zu lassen.Man hat sein Verhalten, das seiner Popularität unter den Arbeiternenorm geschadet hat, so zu deuten versucht, daß der Minister dieAbsicht hat, sich bei den nächsten Wahlen einen sichereren Wahlkreisauszusuchen. In der Tat beruht die Vermutung auf guten Gründen.Die Stimmenzahl der Konservativen ist in Battersea mit jeder Wahlgewachsen, und zwar infolge des Umstandes, daß Battersea immermehr von Bureauangestellten und anderen vornehm tuenden Ar-beitern besiedelt wird. Diese armen Teufel im schwarzenRock und Zylinder sind der festen Ueberzeugung, daßdie Einführung des Schutzzolles und die Verteuerungder Lebenshaltung ihre jämmerliche Lage wirklich verbessernkann. Es ist ein Wählerelement, das in Großbritannienin demselben politischen Nebel lebt wie anderswo und das inBattersea bei der nächsten Wahl höchstwahrscheinlich den Ausschlaggeben wird. Burns fühlt offenbar das Bedürfnis, die Brücken hintersich abzubrechen und die Spuren seiner proletarisch-revolutionärenVergangenheit endgültig auszulöschen. Dieses Verlangen und dieerwähnte Unsicherheit seines Wahlkreises liefern uns die wahrscheiwliche Erklärung für sein Verbalten, das in gutem Einklang steht mitdem wirklichen Charakterbild eines alten Renegaten, der sich seinerPrinzipien längst entledigt hat und nun auch seinen Getreuen,die noch halb an ihn glauben, den Gnadentritt versetzen will.CUrkd.Venizelos verzichtet.Kanea, 9. September. V e n i z e I o s hat den Vorsitz der pro-visorischen Regierung von Kreta sowie sein Mandat für die kretischeAbgeordnetenkamnier niedergelegt. Den Konsuln ist von diesemSchritt Venizelos Mitteilung gemacht worden.Eue der Partei.Die Nürnberger Genoffen gegen die Budgetbewilligttng«Ueber die Nürnberger Parteiversammlung vom Donnerstag,deren Verlauf wir schon kurz gemeldet haben, wird uns noch be-richtet:Der Referent Treu, der die dem Parteitag vorliegenden An<träge behandelte, kam bei Besprechung des Antrages Miünchen, dieNürnberger Resolution wieder aufzuheben, auf den badischen Konflikt zu sprechen und erklärte,'daß das Vorgehen der Ba.denser nicht gebilligt werden könne, auch wenn man in derBudgetfrage-verschiedener Meinung sein sollte. Andererseits geheaber das Verlangen nach Ausschluß zu weit. Wenn die Badensermit dem Bewußtsein und in der Absicht gehandelt hätten, die Parteizu schädigen, müßten sie ausgeschlossen werden, sie hätten aber auchder Partei zu dienen geglaubt. Sie auszuschließen wäre ein nochgrößerer Fehler, als sie selbst begangen haben, weil dann die Spal-tung unvermeidlich wäre. Wenn sie fehlgeschossen haben» müssen siezetadelt und zurechtgewiesen werden, aber von einem Ausschlußdarf keine Rede sein.Schneppcnhorst behandelt die Aeußerungen des GenossenM a u e r e r- München auf dem badischen Parteitage,wo er als Vertreter des bayerischen Landesvorstandes den Badensernversichert habe, daß sie marschieren, wenn auch nicht immer im un>bedingt klassenbewußten Paradeschritt; die Bayern würden mitihnen marschieren. Es müsse entschieden dagegen protestiert werden,daß Mauercr derart im Namen der bayerischen Sozialdemokratiepreche, die Nürnberger Genossen wollen nicht mit den Badensernmarschieren, wie sie unzweideutig erklärt hätten. Weiter wendetich Redner dagegen, daß die„Münchener Post" und das„BayerischeWochenblatt" in ihrem Bericht über den bayerischenParteitag eine Stelle haben, die in den anderenBlättern nicht enthalten sei und erst nachträglichhinzugefügt worden sein müsse. Es wird da behauptet, inErlairgen habe Genosse Auer beim Bericht des Landesvorstandesals Referent sofort Gelegenheit genommen, auf die Erklärungder 66 in Nürnberg zu beriveisen, womit er einmütigeZustimmung gefunden habe. Derartiges seiaufdemPar-eitage überhaupt nicht gesagt, die badischeFrage gar nicht angeschnitten worden, weil manah, daß keine Stimmung für die Badenser vorhanden war. DieseArt der Berichterstattung habe lediglich den Zweck gehabt, denBadensern den Rücken zu stärken.Zwosta verteidigte die Badenser und meinte, der MagdeburgerParteitag könne nichts Würdigeres tun, als den unwürdigen Be-chluß von Nürnberg aufzuheben. Der Budgetstreit habe sich nurdurch die Schuld der„Neuen Zeit" ausgelvachsen. Wie im Ge-werkschaftsleben müsse man in der Politik das Erreichbare hin-nehmen, um immer wieder neu zu fordern. Die prinzipielle Budget-ablehnung durch eine kleine Minderheit könne als Demonstrationkeinen Eindruck machen. Man solle die revolutionäre Phrase nichtsehr pflegen, den Arbeitern nicht zu viel den Weg zur Machtzeigen, sondern ihnen vielmehr den Willen zur Macht anerziehen.Äüsiheim kann nicht verstehen, wie ein Gewerkschaftler, wieZwosta, den Disziplinbruch verteidigen kann, den selbst Legien aufdas schärfste gekennzeichnet habe. So wenig wie die GewerkschaftenSonderorgamsationen dulden, so wenig darf die Partei partiku-laristische Tendenzen dulden. Wenn man wie die Badenser denParteibeschlüssen trotzen könne, habe man keine einheitliche Parteimehr, sondern nationale Sonderorgamsationen. Es sei bedauerlich,daß im Jahre vor den Wahlen, die uns so glänzende Aussichtenbieten, der Parteitag seine kostbare Zeit auf derartige Dinge ver-wenden muß. Die Badenser Hütten die Schivierigteiten voraus-sehen müssen, die sie der Partei durch ihr Vorgehen bereitet haben.Hoffentlich werde der Parteitag die Frage ruhig und sachlich er-örtern und werde es ihm gelingen, die Badenser wieder in Reihund Glied zurückzurufen.,»■I Hassel macht aus Aeußerungen aufmerksam, die Genosse Noskeauf dem sächsischen Parteitag gemacht hat und denen er eine_ symptomatische Bedeutung beimißt. Noske habe die Meinung ver-' treten, daß ein sozialdemokratischer Vizepräsident sich an höfischenEmpfängen beteiligen könne, und empfohlen, von einem Antrag aufAbschaffung der Ersten Kammer abzusehen und sich mit einer Re-form zu begnügen. Wenn Noske recht behielte, dann wäre dieArbeit von 40 Jahren vergeblich gewesen und wir könnten wiedervon vorne beginnen.Gausekrctär Walther erklärt: Ich gehöre zu denjenigen, die dieErklärung der 66 mitunterschrieben haben unterdem Eindruck der bewegten und erregten Kämpfe. Heute stehe ichauf einem anderen Standpunkt. Als Mitglied des bayerischenLandesvorstandcs war mir Gelegenheit geboten, einen tiefen Ein-blick in die Landespolitik der Partei zu tun und gerade das hat inmir den Umschwung bewirkt. Die Annahme des Münche-n c r Antrages, der die Aufhebung des N ü r n b e r g c rBeschlusses will, würde die Anflösuug der taktischen Ein-heit der Partei bedeuten. Jede L»ndesorganisation brauchte dannnur das Schwergewicht der Bewegung auf die Landesangelegen-heilen zu verlegen, um d.e Gesamtpartei nahezu auszuschalten.Wenn z. B. die Preußen einen preußischen Landesvorstand er-richten, hätte der Parleivorstand jeden Einfluß auf die preußischeWahlrcchtsbewegung verloren. Dadurch würde die der freiheit-lichen EntWickelung hinderliche Bundesstaatlerci auch in die Parteieingeführt. Man nützt nur der Partei, wenn man offen sagt, wieman über die Sache denkt.Simon weist, wie die vorigen Redner, Zwosta zurück und gehtdann auf die Hauptfrage ein. Manchem der 66 werde heute derStar gestochen sein, nachdem man sieht, wohin- die Reise geht.Nicht um die Budgetfrage handele eS sich jetzt mehr, sondern lediglichum den Disziplinbruch, Die Erklärung der 66 kann nicht als An»kündigung aufgefaßt werden, den Nürnberger Beschluß nicht einzu-halten, sondern nur als Ausdruck eines Standpunktes. Was dieBadenser für sich verlangen, können mit dem gleichen Recht diegewerkschaftlichen Sonderorganisationen verlangen. Man sagt,durch die Budgetabstimmung gewinne man an Einfluß; nun, wirhaben in Bayern bor zwei Jahren für das Budgetgestimmt, aber haben wir dadurch an Einfluß ge-Wonnen? Nein, unser Einfluß ist geringer ge»worden. Die Badenser berufen sich auch darauf, daß derMinister gestürzt worden wäre, wenn sie das Budget abgelehnthätten; zum Teufel mit einem bürgerlichen Minister, wenn dadurchdie Einheit und Disziplin der Partei zugrunde gehen soll. Denbadischen Genossen wird es in ihrem Großblock vielleicht so ergehen.wie den Liberalen im Hottentottenblock: eines schönen Tageswerden sie einen Tritt auf den Allerwertesten bekommen und ausdem Block herausfliegen. Nicht mit den Badensern wollen Wirmarschieren, sondern mit der Gesamtpartei,-die uns so schöne Er-folge gebracht hat.Durch einen Schlußantrag wurde die Debatte beendigt. D i ei o l u t i o n wurde mit 540 gegen 7 Stimmen angenommen.„RefcZum Bericht über die sächsische Landeskonferenzwird uns geschrieben: �.Die Genossen N i tz s ch e und Riem aus Dresden entrüsten sichmerkwürdigerweise über den Bericht der Landeskonferenz und nennenihn einseitig, tendenziös. In ihrem BerichtigungSeifer beweisen siemehr als im Bericht behauptet worden ist. Zunächst wendet sich derGenosse Nitzsche gegen die Stelle des Berichts:„Der Alles- oderNichtsstandpuiikt müsse aufgegeben werden, die höfischen Per-pflichtungen müsse der Vizepräsident erfüllen", und sagt, daß erdiesen Gedanken nicht so und auch nicht in diesem Zusammenhanggeäußert habe. Jeder, auch der Genosse Nitzsche. sieht, daß hiernur die Gedankengänge kurz zusammengefaßt sind. Daß Genossenur dle Gedankengange kurz zuiammengesa�r iino. xjqb genaueNitzsche die Forderung des Zuhofegehen«. d. h. bei der Eröffnungdes Landtages müsse der sozialdemokratische Vizepräfident zu Hofegehen, erhoben hat. kann er doch nicht im Ernst bestteiten; er sagtnach dem offiziellen Bericht:...„Es ist dabei auch gesagt, die sozialdemokratische Fraktionwerde es immer ablehnen, zu Hofe zu gehen. Ich bin der Meinung,daß. selbst wenn wir die uns gestellte Bedingung akzeptiert hätten,von einem Hofgang keine Rede sein könnte." In seinem schriftlichenBericht teilt Genosse Nitzsche das Verlangen der Nationallioeralenmit; da heißt eö auf Seite 12 it. a.:„Zu diesen Verpflichtungen gehört auch bi«Teilnahme an der in§ 117 der BerfassungS»Urkunde vorgeschriebenen feierlichen EröffnungS»und Schlußsitzung sowie eine Anzahl anderer denVerkehr mit dem Staatsoberhaupt betreffenderVep flichtungen.'Danach ist eben, wie schon auf der Landeskonferenz ausgeführtwurde, mit Nitzsche schwer zu diskutieren, wenn er in diesen Be-dingungen keine höfischen Verpflichtungen sieht.Wenn Genosse N. nun aber bestreitet, die Aeußerung getan zuhaben,„die Reform der Ersten Kammer mit einer vernünftigenbürgerlichen Mehrheit durchführen zu können," so kann ich nur sagen,daß er sie nach meinem Stenogramm wörtlich getan hat. Warumsie im ofsiziellen Bericht nicht in der Schärfe enthalten ist, weiß ichnicht. Ueber die Zuverlässigkeit und die Tendenz des offiziellen Berichtes werden sich die maßgebenden Parteiinstanzen Sachsens so-wieso noch unterhalten. Damit erledigt sich auch vie Frage, ob dieüberrevisionistischen Anschauungen NitzscheS mit Heiterkeit auf-genommen würden.Mit dem Genossen Riem über daS zu streiten, waS er wirk-lich gesagt, wäre nur dann möglich, wenn er uneingeschränkt zuseinen Worten stände. Zwischen seinen Reden auf der Landes-konferenz und denen in der sächsischen Kammer gähnt eine Kluft, diemit bloßen Behauptungen nicht zu überbrücken ist und die jauch durchkeine noch so geschickte Korreklur beseitigt wird. ES mag den beidenGenossen unangenehm sein, daß ihre Anschauungen von der Landes-Versammlung so emmütig zurückgewiesen wurven, daS gibt ihnenfreilich noch lange nicht daS Recht, von einseitiger und tendenziöserBerichterstattung zu reden._ Der Berichterstatter.Parteiliteratur.Im Verlage der Buchhandlung„VorivSrtS" sind voreinigen Tagen zwei Arbeiten erschienen, welche sich mit dem Ge»nossenschaftswesen beschäftigen und zwar zunächst ein umfassendesWerk des Genossen Paul Göhre, welche? den Titel führt: Diedeutschen Arbeiterkonsumvercine. Preis brosch. 12,50 M., Halbranzband 16 M.An der Entstehung und EntWickelung einiger deutscherKonsumvereine schildert der Verfasser in eingehender Weise dieeinzelnen Arten dieser Vereinsbildungen.— Göhre hat dasMaterial zu seinem Buche auS den Aktenstücken der geschildertenVereine mühsam zusammengetragen. Die bis in die kleinstenEinzelheiten gehende Schilderung läßt erkennen, welche Wider-tände zu überwinden sind, um die Konsumvereine zu einer Macht-entfaltung zu bringen, wie sie alle Freunde der Bewegung erstreben.Außerdem ist eine Broschüre der Genossin Gertrud David zurAusgabe gelangt, betitelt: Sozialismus und Genossenschafts-bcwegung. Preis 1 M.. Volksausgabe 50 Pf.Aus dem Inhalt geben wir folgende Kapitelüberschriftenwieder: Der Sozialisierungsprozeß der Gesellschaft. Der Ge-nossenschaftsgedanke in der Geschichte des Sozialismus. DieProduktivgenossenschaft. Die Konsumgenossenschaft. Die land-wirtschaftlichen Genossenschaften. Die Grenzen der Genossen»schaftsbcwcgung und ihre Beziehungen zu den anderen Gliedernder GenossciischaflSbewegung.Da sich auch der deutsche Parteitag in Magdeburg mit der'Genossenschaftsbewegung befassen wird, werden dies« Neu»erscheinungen jetzt sicher Interesse begegnen,