— eher das Gegenteil~ wenn ich behaupte, daß ich in meiner Diözese, die auch nicht schlechter ist als andere und sicher besser als viele, kaum ein Kind auf zwanzig behalten werde. Die allgemeine Ver- legung der ersten Kommunion auf sieben Jahre bedeutet für Frankreich für neun Zehntel der Jugend, besonders der Volksjugend, das Ende jeder religiösen Erziehung." Mit rücksichtsloser Schärfe protestiert der Bischof, daß„dieser Schlag uns öffentlich, aus die Gefahr hin, unsere Autorität zu bis- kreditieren, versetzt worden ist, ohne daß wir in einer so wichtigen Sache befragt oder auch nur benachrichtigt worden wären. Was soll künftig von dem xosmt episcopos regere ecclesiam Dei(er setzte die Bischöfe ein, damit sie die Kirche Gottes regieren) übrig bleiben?" Der Augenblick sei gekommen, wo sich die Bischöfe erinnern müßten, daß sie nicht nur die gehorsamen Söhne des Papstes, sondern auch durch göttliches Recht seine Ratgeber seien. Gott würde ein Versagen der Bischöfe in diesem Augenblick durch kein Wunder gutmachen. Das klingt fast wie ein Aufruf zur Revolte, aber es ist vorauszusehen, daß die Suppe nicht so heiß gegessen werden wird, wie sie gekocht wird. Die geschichtliche Möglichkeit für eine offene Schilderhebung der Bischöfe gegen den römischen Absolutismus ist vorüber. In den religiös gleichgültigen Massen würde ein Ruf zum Kampf für eine nationale Kirche kein Echo finden, und die Insurrektion würde zwischen dem Fanatismus der einen und der Indifferenz der anderen zer- rieben werden. Das wissen die Bischöfe und das weiß auch Rom . Darum wird der Terrorismus gegen die liberalen Regungen im Episkopat weitergehen— zur Genugtuung aller freien Geister, die wissen, daß keine antiklerikale Agitation an schneller Wirkung den tiefen Wunden gleichkommen kann, die sich die Kirche in ihrer Selbstüberhebung schlägt. flnnee und Ziv)lju!t!z. Am 8. Oktober 1010 findet vor der 1. Strafkammer des Land« gerichtS Stuttgart eine Verhandlung statt, die geeignet ist, das Interesse der Oeffentlichkeit in hohem Matze zu erwecken. Gegen den Oberleutnant a. D. Heinrich Gramm, der als aktiver Offizier im königl. württembergischcn JNfanterie-Regiment Nr. 180 gedient hat, ist nämlich da? Hauptverfahren nach§§ 185 und 186 des Reichsstrafgesetzbuchs eröffnet. Die Beleidigung soll in einem Briefe enthalten sein, den der Beschuldigte am 2. März 1900 an den königl. preußischen Major Weller. Major und BataillonSkommandeur im preußischen Jnfanterie-Regiment Nr. 132 zu Stratzburg, geschrieben hat. In dem Briefe erhob Gramm den Vorwurf, der Major habe über ihn Aeutzerungen getan, die den Stempel der Animosität an sich trügen und geeignet gewesen seien, Gramms Ansehen und Qualifikation zu schädigen. Der Oberleutnant stellte ferner die Anfrage, ob Weller sich an ihm habe rächen wollen, weil Gramm die zahl- reichen Uebergriffe, die Major Weller in der Zeit, in der er noch Hauptmann und Konipagniechef im württembergischen Infanterieregiment Nr. 180 war. in der Behandlung seiner Untergebenen beging, nicht gebilligt und seinen Unwillen darüber öfter unzweideutig zum Ausdruck gebracht habe. Ober« leutnant Gramm ist, nebenbei bemerkt, ein geborener Württemberger und daher tat es ihm doppelt weh, datz ein nach Württemberg kommandierter preußischer Hauptmann in solcher Weise mit Württembergern umsprang. Der Eröffnungsbeschluß des Landgerichts Stuttgart ging merk- würdigerweise auf die Behauptung Gramms. Weller habe Soldaten mißhandelt, gar nicht ein! Er ignoriert sie einfach. Dieser Umstand läßt die Absicht befürchten, dem Be« schuldigten den Wahrheitsbeweis für feine Be« hauptungen abzuschneiden. Die Vermutung erscheint um so berechtigter, als dem Antrage Gramms, die zahlreichen Soldatenmitzhandlungen WellerS unter Beweis z u st e l l e n, nicht st a t t g e g e b e n und der Antrag auf die Ladung von Zeugen, welche die von Weller an Soldaten begangenen Brutalitäten und Mißhandlungen bekunden sollen, abgelehnt wurde! Das württembergische Landgericht(Stuttgart ) ver» weigerte also die Ladung von Zeugen, die beweisen sollten, daß «in nach Württemberg kommandierter preußischer Hauptmann württembergische Landeskinder beschimpft und mißhandelt hat. Auch daS gehört unter die Rubrik.Deutsche Justiz". Aber eS war umsonst, denn der Angeschuldigte ließ durch seinen Verteidiger. Rechtsanwalt Kohl in München , die abgelehnten Zeugen direkt laden, so daß der Nachweis der Soldatenmitzhandlungen voraus« sichtlich vor Gericht geführt werden kann. DaS württembergische Volk und auch da« württembergische Armeekorps haben das größte Interesse daran, daß die Oeffentlich« teit nicht auSgeschloffen wird, weil es für beide sehr wichtig ist, zu erfahren, wie die nach Württemberg kommandierten preußischen Offiziere sich benehmen. Ja auch das gesamte deutsche Volk muß hier die uneingeschränkte Oeffentlichkeit fordern, denn Herr Weller ist heute nocki aktiv und trotz seiner Miß h an dlungen sogar zum Major und BataillonSkommandeur be« fördert worden. Aber nicht nur der jetzige Major Weller, sondern auch der frühere württembergische Ober st und jetzige wüttembergische Generalmajor von Berrer. hat sich von Herrn Gramm beleidigt gefühlt. Die Ursache ist charakteristisch für den„ersten Stand" und seine Eigentümlichkeiten. Gegen das Ende seiner aktiven Dienstzeit erhielt nämlich der nebenbei bemerkt verheiratete Oberleutnant Gramm von seinem BataillonSkommandeur eine Ermahnung zur Sparsamkeit. Im Bewußtsein seiner Unschuld verlangte Gramm ehrengerichtliche Untersuchung gegen sich, die aber abgelehnt wurde. Auf Grund früherer Beobachtungen glaubte der Oberleutnant, er sei von Kameraden angeschwärzt worden. Da er auch sonst allerlei Ersahrungen gemacht hatte, bat er um seine Ver- abschiedung und zwar mit einer Begründung, die für einige seiner Kameraden nicht schmeichelhaft war. Der Oberst von Berrer schickte ihm das Gesuch mit der Bemerkung zurück, daß eS sich in dieser 1,orm nicht zur Vorlage an höhere Stellen eigne. Darauf bat Gramm unter Weglaffung der anzüglichen Stellen nochmals um feine Verabschiedung, die ihm auch gewährt wurde. Der Oberst wußte nun ganz genau, datz der Ober- leutnant nur durch die Vermutung, Kameraden hätten ihn fälschlich denunziert, zum äußersten, zum Einreichen seines Ab- schiedeS, veranlaßt worden war. Der Herr v. Berrer wußte aber ebenso genau, daß Gramm« Verdacht u n b e g r ü n d e t war, denn die Mitteilung, daß die Eheleute Gramm angeblich luxuriös lebten, hatte der Oberst nicht von einem Offizier, sondern oon der eigenen Schwiegermutter des Oberleutnants erhalten. Wäre «S da nicht die Pflicht des Herrn v. Berrer gewesen, dem Ober« leutnant Gramm zu sagen:«Hören Sie einmal, mein Lieber, Sie regen fich da ganz unnötig auf. Nicht Offiziere haben mir über Sie so und so berichtet, sondern ihre eigene Schwiegermutter. Nehmen Ei« also Ihr Abschiedsgesuch wieder zurück". Aber der Herr Oberst schwieg! Er ließ Gramm ruhig seinen Beruf aufgeben. Dem Oberleutnant aber kam später ein Brief des Herrn Oberst in die Hände, in dem dieser die schon genannte Schwiegermutter bat, sie möge ihren Schwiegersohn endlich über den wahren Sachverhalt aufklären. Gramm, der erst jetzt klar sah, er- laubte sich nun das gräßliche Verbrechen, über den Herrn Obersten v. Berrer, der noch dazu beim Herzog Albrecht von Württemberg sehr gut angeschrieben ist, einen Bericht an den württembergischen Kriegsminister v. Marchthaler zu er- statten, in dem er die Angelegenheit genau darlegte und einige be- scheidene Fragen aufwarf, zum Beispiel ob Regimentskommandeure auch als Vollzugsorgane von Schwiegermütter da seien. Zum Schlüsse erlaubte Gramm sich die sehr berechtigte An- frage, ob Herr von Berrer sich nach dem Vorgefallenen noch weiter zum Regimentskommandeur eigne. Auf diese Frage hat er in- zwischen eine Antwort erhalten, denn Herr von Marchthaler hat trotz Gramms Bericht Herrn von Berrer zum Generalmajor und Kommandeur der Ludwigsburger Brigade be- fördern lassen. Der andere Teil der Antwort bestand darin, daß Grimm auch wegen dieses Berichtes vor den Kadi zitiert wurde. Da man gegen seine tatsächlichen Feststellungen nicht ankämpfen kann, sucht man ihn wegen formaler Be- leidigung zu fasten. UebrigenS wurde auch versucht, den unbequemen Oberleutnant unter der Etikette„Geisteskrankheit" unschädlich zu machen. Der Plan tauchte ursprünglich bei den besorgten Schwiegereltern aiif und wurde dann von der Justiz lebhaft nach- empfunden. Gramm sollte ein bißchenGehirnerweichung haben. Aber der Münchener Landgerichtsarzt Dr. Hermann Gramm lebt mit seiner Frau in München — machte den Herr- schaften einen dicken Strich durch die Rechnung und erklärte den Sünder für geistig vollkommen gesund. Die Affäre Gramm dürfte sich für den Militarismus zu einer recht ansehnlichen Blamage gestalten. Ilnd wird am Ende gar bei der Gerichtsverhandlung die Oeffentlichkeit anSgeschlossen, so wird auch noch die württembergische Justiz zwischen den Wagen kommen._ R. K. Aer orpniikrt die Heimarbeiter? „Konzentration der Kräfte!" heißt die Parole heute auf allen Gebieten deS wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Lebens. Der in steigendem Tempo sich vollziehende Akkumulations- Prozeß des Kapitals treibt die Klassengegensätze immer mehr auf die Spitze; drängt die Bevölkerung immer entschiedener in zwei Lager: hie Besitzende, hie Besitzlose! Die Kampforganisationen der Proletarier haben gutes Ver- ständnis und noch schnellere Nachahmung bei den besitzenden Klassen gefunden. Das kapitalistische Prinzip: restlose Ausnutzung aller toten wie lebenden Produktionsmittel findet seine kräftigste Stütze, seine verständnisinnige Vertretung in den großen Verbänden der Unternehmer. Trusts, Syndikate und Kartelle umschlingen er- barmungslos, wie das todbringende Netz einer Kreuzspinne, die besitzlose Arbeiterklasse, die, ohne den tatkräftigen, zähen Wider- stand ihrer festgefügten, zentralisierten Gewerkschaften, rettungslos der Profitgier unersättlicher Kapitalisten verfallen wäre. Immer klarer erkennen die breiten Massen der Arbeiterbevölkerung ihre heiligste Pflicht, die der Selbsterhaltung. Sie lernen immer gründ- licher ihren einzigen kostbaren Besitz: ihre Arbeitskraft, schützen. Nicht nur wirtschaftliche Organisationsverbände, auch Ver- einigungen rein gesellschaftlicher Natur geben davon Zeugnis, daß der Organisationsgedanke heute bereiteten Boden findet, daß Interessengemeinschaften Zeiterscheinungen sind. Allerorts, in allen Gesellschaftsschichten schließen sich Gruppen zu gemeinsamer Arbeit, in eigenen, als auch für allgemeine Interessen zusammen, um so- genannte„Sozialarbeit" zu leisten. Wir hören von Aerzte-, Nat'ur- forscher-, Katholiken-, Lehrer« und Juristentagen, von allen mög- lichen Kongressen gemeinnütziger Natur. Hier sei nur, aus jüngster Zeit, des Pariser Kongresses zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und des ersten internationalen Heimarbeiterkongresses zu Brüssel am 16. und 17. September d. I. gedacht, die beide ihr Gepräge durch den Besuch offizieller Reichsvertreter der verschiedensten Nationen erhielten. Folgende Hauptaufgaben hatte sich der internationale Heimarbeiterkongreß gestellt: 1. Feststellung von Mißbräuchen und Mißständen in der Heim- arbeit. 2. Untersuchung und Abstellung von Gefahren der Heim- arbeit für die Konsumenten. 3. Gesetzliche Regelung der Heim- arbeit, besonder? Beseitigung der ungesunden Gattungen in der Heimarbeit. 4. Festsetzung eines Mindestlohnes. 5. Einführung von Lohnbüchern und Ausdehnung der Gewerbeinspektion auf die Heimarb 6. Einwirkung der Gewerkschaften auf die Regelung der Heimar>.lt! solange Heiniarbeiterorganisationen fehlen, müssen die Organisationen der Fabrikarbeiter ausklärend wirken und für die Interesse» der Heimarbeiter eintreten. 7. Die Arbeit der Frauen und Kinder muß beseitigt werden. 8. Arbeits- und Wohnräume sind streng zu trennen. 9. Ungesunde Arbeiten dürfen nicht im Hause angefertigt werden. Und so weiter. Ob positive Arbeit geleistet wurde, muß die Zukunft lehren. Die Hartnäckigkeit, mit der die deutsche Regierung und die büraer- lichen Parteien, einschließlich ds Zentrums, gegen eine verständige Regelung der Heimarbeit sich sträuben, läßt der Hoffnung für Deutschland wenig Raum. Aussprüche auf dem Kongreß, wie„jedes Wesen in der Welt hat schon dadurch, daß es geboren ist, Anspruch auf die vollständige Entwickelung seiner intellektuellen und moralischen Eigenschaften," klingen zwar recht ehrenvoll. Gerne wollen wir dem guten Herzen der bürgerlichen Arrangeure Gerechtigkeit widerfahren lassen und ihren guten Willen zur Tat anerkennen. Indem sie aber selbst die Gewerkschaften als die eigentlichen treibenden Kräfte für die Umgestaltung der Verhältnisse in der Heimindustrie anerkannten, bestätigten sie ihre eigene Ohnmacht, die tiefeingewurzelten Miß- stände in dieser gedrücktesten Berufsgruppe ausrotten zu können. Wohl kerne Arbeitsmethode bedarf so gründlicher, gesetzlicher Umgestaltung wie das verabscheuenswürdige System der Heim- arbeit. Bände ließen sich füllen mit dem erdrückenden Material grauenhaftesten Heimarbeiterelends. Aber vor der«trauten Häuslichkeit" und der„Heiligkeit des Familienlebens" hat die Gesetzgebung bis heute stets Halt gemacht. Unter der heuchlerischen Maske: Schutz der persönlichen Freiheit! hat die Regierung bislang Hunderttausenden von Heimarbeitern, mitsamt ihren Familien, der schrankenlosesten Auswucherung einer Handvoll skrupelloser Kapitalisten überlassen, auf Kosten künftiger Generationen. Schon im Jahre 1867 forderte der sozialdemokratische Reichs- tagsabgeordnete v. Schweitzer in seinem Arbeiterschutzgesetzentwurf Regelung der Heimindustrie. Seitdem, also seit über 40 Jahren, stellt nun die sozialdemokratische Fraktion unablässig die Forderung nach Heimarbeiterschutzgesetzen. Der im Jahre 1996 von unseren Genossen eingebrachte Gesetzentwurf zum Schutze der Heimarbeiter legte in 22 Paragraphen genau unsere Forderungen fest. Wie immer, standen die Arbeitervertreter auch diesmal bei der Be- ratung dieser Vorlage im Reichstag allein. Die sonst so wortreichen, von Arbeiterfreundlichkeit und Mitleid mit den armen, elenden Heimarbeitern überfließenden bürgerlichen Parteien sorgten auch diesmal dafür, datz die Borlage nicht Gesetz wurde. Jetzt endlich, nach 4 Jahren, liegt ein neuer Regierungs- entwurf zu einem Heimarbeitergesetz einer ReichStagSkommission zur Beratung vor. Lohnämter, die Hauptforderung für ein wirk« sames Heimarbeiterschutzgesetz, sind nicht vorgesehen. Festgesetzter Minimallohn sowie kontrollierte Lohnzahlungen schrecken den Unternehmer ebenfalls nicht. Zwar soll der s 114a der Gewerbe- ordnung jetzt auch in der Hausindustrie Anwendung finden. Dieser schreibt Lohnbücher vor, in die der Arbeitgeber genau den Lohn für die zu leistende Arbeit einzutragen hat. Bislang ist die Gewerbe- tnspektjvs fiuf die Hausgrbeit oog tnäst auSgedehsst, Es sintz dcgu nach den Unsernehmern auch fürderhkn, trotz der Lohnbücher, in ihren Ausbeutungsgelüsten keinerlei Schranken gezogen. Diesen Umständen, in Verbindung mit der isolierten Stellung der Einzel- arbeitcr, ist es zum großen Teil geschuldet, daß bisher noch keine Organisation unter den Heimarbeitern geschaffen werden konnte. Ter völlige Mangel an klassenbewußten Vertretern dieses ver- werblichen Scheinmeistertums, das wie eine chinesische Mauer fast jegliches Eindringen von Organisationsversuchen hinderte, ist um so mehr zu beklagen, als wir von dem neu zusammentretenden Reichstag im November dieses Jahres die baldige Erledigung des Hcimarbciterschutzgcsetzcs zu erwarten haben. Wie dieses neue Reklamestück unserer vielgepriesenen Sozialgesetzgebung ausfallen wird, kann man nach den trefflichen Mustern der Reichsversiche- rungsordnung leicht ermessen. Um aber mit den grausigen Zu- ständen in der Heimindustrie endlich einmal gründlich aufzuräumen, bedarf es durchaus zielsicheren festen Zupackens der organisierten Arbeiter, bevor es wieder für Jahre hinaus zu spät ist. Wieder bewahrheitet sich das Wort unseres Altmeisters Karl Marx :„Die Befreiung des Proletariats kann nur das Werk der Arbeiterklasse selber sein!" Für die gesamte organisierte Arbeiterschaft ergibt sich die drängende Aufgabe, energisch Sturm zu läuten, um alle häuslichen Lohnarbeiter in allen Gauen Deutschlands aus ihrer sträflichen Gleichgültigkeit aufzurütteln, sie in Scharen aus ihren elenden Hütten und Verstecken auf den Plan zu rufen zu machtvoller Willenskundgebung! Soll das neue Heimarbeiterschutzgesetz eine Ausgestaltung im Sinne der Vorlagen unserer Fraktion erfahren, so ist ein Erfolg nur zu erwarten, wenn unverzüglich die Propa- ganda unter den Heimarbeitern betrieben und tatkräftig die Grün- dung einer gewerkschaftlichen Organisation in die Wege geleitet wird. Frsch aus zum Kampf für unsere versklavten Ardeitsbrüder und-schwestern, die Heimarbeiter! Ltadtvekordneten- Versammlung. 26. Sitzung Vom Donnerstag, den 29. September, nachmittags 5 Uhr. Der Vorsteher Michelet eröffnet die Sitzung nach 5 Uhr. Die Mitteilung, daß der bisherige Stadtv. Haberland sein Mandat niedergelegt hat, wird von verschiedenen Seiten mit leb- haftem Bravo! aufgenommen. Von der Alten und Neuen Linken sowie von der Freien Fraktion ist gestern folgender Dringlichkeitsantrag Cassel-Körte-Rosenow eingebracht worden: „Die Versammlung wolle beschließen, den Magistrat um Auskunst über die Vorgänge betr. den Verkauf des Tempelhofer Feldes zu ersuchen." Den bezüglichen Schriftwechsel hat der Magistrat bereits vor- gelegt. Die Versammlung beschließt, den Antrag unmittelbar nach der auf 6 Uhr angesetzten Stadtratswahl in Beratung zu nehmen. Die Vorlage wegen Festsetzung von Baufluchtlinien auf dem Gelände des Kommerzienrats Bahr-Stuttgart zwischen Born- holmer Straße, Weichbildgrenze, Straßen 3a und 9b(Abteilung 11 des Bebauungsplans) ist in der Ausschußberatung ebenso wie der Entwurf des mit dem Besitzer abzuschließenden Vertrages einstimmig gutgeheißen worden. Ohne Diskussion erfolgt auch die Annahme im Plenum. Von den 25 in diesem Sommer gegen die Richtigkeit der Ge- meindcwählerliste erhobenen Einsprüche haben sich bei der Nach- Prüfung durch den Wahlprüfungsausschuß 8 als berechtigt erwiesen. Der Ausschuß beantragt daher die nachträgliche Aufnahme der 8 Reklamanten in die Liste. Die übrigen 17 Einwendungen sollen als unbegründet zurückgewiesen werden. Nach dem Referat des Stadtv. Ladwig(N. L.) tritt die Ver« sammlung ohne Debatte den Ausschußanträgen bei. Der Aufhebung des mit den Deutschen Pepton-Futterwerken abgeschlossenen Vertrages über die Verwertung des auf dem Schlachthof gewonnenen BluteS hat der eingesetzte Sonderausschuß zugestimmt, den neuen Vertrag mit den Albumin- werken aber nur mit einer Reihe von Modifikationen genehmigt, welche verhindern sollen, daß diese neue Gesellschaft auf dem Gebiete des Blutverbrauchs eine Monopolstellung erlangt. Stadtv. Hoffmann(Soz.) begründet einen Antrag auf Zurückverweisung der Sache rn den Ausschuß. ES sind Beschlüsse zustande gekommen, welche schließlich zur Wiederkehr der schlimmen Zustände in der Umgebung deS Viehhofs führen können, wie wir sie jetzt endlich glücklich beseitigt haben. Die Ab- gäbe des Blutes- mutz auf andere Weise erfolgen, als der Ausschuß beliebt hat. Das merkwürdigste an der Sache ist die Rolle, die der Kollege Sonnenfeld im Ausschuß gespielt hat. Er ist dort als Vertreter einer Konkurrenzgesellschaft aufgetreten; als solcher hätte er dem Ausschuß überhaupt nicht angehören dürfen. Eine Kontrolle über die Handhabung des neuen Vertrages hat der Magistrat gar nicht in Händen. Stadtv. Feuerstein(N. L.) schließt sich den sachlichen Bedenken und dem Antrage Hoffmann an. Stadtv. Sonnenfcld(A. L.): Ich bin auch für Zurück- Verweisung, muß aber gegen die Unterstellung protestieren, daß ich irgendwie inkorrekt gehandelt hätte. Nach einem kurzen Wortgefecht zwischen den Stadtvv. Hoff» mann und Sonnenfeld wird die Angelegenheit an den Aus- schuß zurückverwiesen. Nunmehr folgt die Wahl eines besoldeten Stadtrates an Stelle des verstorbenen T o u r b i 6. Es kandidieren Bürger- meister S a u s s e- Elbing und die beiden Berliner Magistratsräte Dr. Hamburger und Dr. F r a n tz. Von 122 abgegebenen Stimmen erhalten S a u s s e 50, Hamburger 46, Frantz 25; ein Zettel ist unbeschrieben. Es ist Stichwahl zwischen Sausse und Hamburger erforderlich. In der Stichwahl siegt Sausse mit 69 gegen 53 Stimmen. Hierauf wird der Dringlichkeitsantrag Das<Iempelkofer fdd betreffend, verhandelt. Stadtv. Cassel(A. L.) hält für richtig, daß zur völligen Klar- stellung des Tatbestandes der Magistrat zunächst daS Wort nehme. Oberbürgermeister Kirfchner: Mit Rücksicht auf das lebhafte Interesse, welches die Bürgerschaft mit Recht an der Angelegenheit nimmt, glaube ich es vertreten zu können, daß alsbald die Fnter» pellationpellation beantwortet wird. Bürgermeister Tr. Rcicke: Aeußerlich hat eS meiner Ueber- zeugung nach zu-dem jetzigen Ergebnis nur kommen können durch eine Art von Ueberrumpelung Berlins , und weil die Selbst« Verwaltung vor den Toren Berlins nur auf dem Papier zu stehen scheint. Der Gedanke» da? Tempelhofer Feld für Berlin zu er- werben, ist zum ersten Male im August 1907 ausgesp-ochen worden. Damals wollte die Militärverwaltung das Aufmarschgelände ver- kaufen; einige Herren vom Kriegsministerium suchten mich damals auf, und ich machte schon damals den Gedanken geltend, daß Berlin eventuell doch der gegebene Käufer auch des Tempelhofer Feldes sein würde. Am Tage darauf wurde ich von einem Vertreter des Kriegsministeriums aufgesucht und nach der Tragweite meiner Aeußerungen befragt. Ich habe damals zu den Akten einen Ver- merk gemacht, wonach der Vertreter mir zusagte, daS Kriegs- Ministerium würde sich auch für die U m g e m e i n d u n g von Tempelhof verwenden, wenn Berlin als Käufer des Feldes auftrete.(Hört! hört!) Die Stadt Berlin hatte es also dem Militärfiskus besonders bequem gemacht. Tie Vcrhand- lungen mit dem Kriegsminister begannen; eine schriftliche Antwort auf mein Schreiben vom 22. Juni 1909 erhielt ich erst am 13. 4. 1910(Hört! hört!), und seit diesem Termin hat offenbar die Stellungnahme deS Ministeriums etwas gewechselt. Ich empfand den Wortlaut deS Schreiben? als eine erste Unfreundlichkeit. ES VW uuS verlangt, uns Pinnen wenigen Tagen, bis zum
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