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Nr. 160.
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Vorwärts
690
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Bur Lage.
Dienstag, den 11. Juli 1893.
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haltens dieselben dennoch ganz klar sind, so dienten Herrn den Agrarierwind in seine Segel zu bekommen. Ohne Böckel, der für die Antisemiten sprach, seine vielen Worte Laviren kommt er nicht vorwärts mit dem neuen Kurs. Das Geschäft geht glatt mit der Militärvorlage. Nach nur dazu, seine Zustimmung mit allerhand voltsfreundlich Den Agrariern kann man es nicht verdenken, daß dieser dem in den beiden Tagen der ersten Lesung sämmtliche erscheinendem Aufputz zu umkleiden. Er wollte erst Er- Erfolg ihren Muth und ihre Hoffnungen schwellt. Herr Parteien durch einen ihrer Führer Erklärungen über ihre klärungen vom Reichskanzler haben, daß die Reichen und v. Bennigsen, der in gänzlicher Verkennung der Sachlage Stellungnahme abgegeben haben, kann auch nicht der ge- nicht die nothleidenden Mitteltassen", als deren den Altenweibersommer des Nationalliberalismus als ringste Zweifel bestehen, daß sie mit Glanz angenommen besonderer Anwalt so auftrat, zur Aufbringung einen Frühling der Mittelparteien besang, mußte es wird. Daß Konservative, Freikonservative und National- der Kosten der Militärvorlage herangezogen werden sich gefallen lassen, von Herrn v. Manteuffel darauf liberale ohne mit den Wimpern zu zucken, Ja sagen würden, sollten, ehe er voll und ganz" seine Zustimmung geben aufmerksam gemacht zu werden, daß seine Parteigenossen nur wußte man im voraus. Es hätte der Erklärungen der tönne. Der Reichskanzler begnügte sich dieser Interpellation der Hinneigung zu den agrarischen Bestrebungen viele Herren v. Manteuffel, v. Stumm und v. Bennigsen gar gegenüber, mit einer höflichen Verbeugung gegen Herrn Size verdanken und daß er selbst hoffentlich bald sich gleichnicht bedurft. Gespannt konnte man nur darauf sein, was Böckel sich auf seine vorhergegangenen Erklärungen vom falls zum richtigen Agrarier maufern werde. für Umschweife die anderen drei Gruppen, auf deren Unter- allgemeinen Wohlwollen für die minder wohlhabenden Die Sozialdemokratie kann mit dieser Sachlage und stützung das Kartell angewiesen ist, die Polen , die Anti- Schichten zu berufen. Obgleich nun diese Antwort weder dieser Entwickelung nur zufrieden sein. Arbeitet doch alles semiten und fezessionirten Freisinnigen, brauchen würden, voll und ganz", noch überhaupt in irgend einer greif- der Zeit entgegen, in der es ein Hüben, ein Drüben" nur um ihre Zustimmung in Aussicht zu stellen. Alle diese drei baren Form den Wünschen des Herrn Böckel Rechnung giebt, und können wir doch mit Genugthuung feststellen, daß Gruppen famen am zweiten Tage der Verhandlungen zum trug, werden die antisemitischen Freunde der nothleidenden selbst bei anderen Parteien die Einsicht sich Bahn bricht, Wort. Die Antisemiten und die Wadelstrümpfe sagten Ja Mittelklasse" doch voll und ganz" für die Militärvorlage daß nur die schroffe Opposition der Sozialdemokratie gegen den mit Phrase, die Polen ohne Phrase. stimmen. Auch Herrn Richter's Wink, die Antisemiten Militarismus Aussicht auf Erfolg hat, nicht aber Halbmöchten Heu machen, so lange die Sonne scheint, da nach Annahme der Militärvorlage wohl nie die günstige GeLegenheit sich wiederfinden werde, daß sie das Bünglein an der parlamentarischen Wagschale bilden, wird diesem Mischprodukt von reaktionären und unklaren sozialistischen Bestrebungen schwerlich das Rückgrat steifen.
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heiten, bei denen andere oppositionelle Parteien stehen geblieben stud. Bequemte sich doch Herr Eugen Richter zu dem Zugeständniß, daß der Mißerfolg seiner Partei wesentlich der ungenügenden Schärfe der freisinnigen Partei in der Oppositian gegen den Militarismus zuzuschreiben sei. Wie er in dieser Hinsicht uns Recht giebt, wird er vielleicht mit der Zeit noch anderes von uns lernen,
Preußischer Bergassessor und westfälischer Junker.
Die poluische Aristokratie, die die Vertretung der polnischen Bezirke Preußens bisher noch ausschließlich in der Hand hat, treibt die hohe Politik als ihre Spezialität. Die Herren spekuliren auf eine Wiederherstellung des Königreichs Polen nach einem siegreichen Kriege Deutsch lands und Desterreichs gegen Rußland . Muß dabei auch auf eine Angliederung der preußischen Provinzen Posen und Einen unfagbar kläglichen Eindruck machte es, als Westpreußen an das neue Polen verzichtet werden, so sind namens der Wadelstrümpfler Herr Rickert für die Vordie preußischen Polen doch so! erfüllt von der Solidarität lage sich in patriotischen Tiraden erging. Für ihn giebt's der gesammtpolnischen Interessen, daß sie jede Maßregel kein Baudern und Bedenken, wenn es sich um Forderungen gutheißen werden, die in irgend einer Weise dazu angethan der Heeresverstärkung handelt. Unbedenklich bringt er dem erscheint, die Feinde Rußlands militärisch zu stärken. Mit Moloch Militarismus das Opfer des Intellekts. Ginge es fachlichen Prüfungen, ob die Vertheidigungsfähigkeit nach ihm, so hätte der Reichstag unbesehen alles zu beDeutschlands gegen einen etwaigen russischen Angriff sich willigen, was die militärischen Sachverständigen im Interesse nicht auf andere Weise noch weit besser erreichen läßt, oder der Wehrfähigkeit des Vaterlandes" fordern. Und derselbe Der preußische Bergamtsassessor an der Saar , Herr Hilger ob die finanzielle Belastung des deutschen Volkes nicht weit Mann hat vor zwei Monaten noch gegen den Antrag in Saarbrücken , der den dort aus Staatsmitteln unterſtügten das Maß des Erträglichen überschreitet, halten sie Huene gestimmt. Da sieht man, wie rasch so ein freisinniger Bergmannsfreund", ein halbamtliches Blatt der preußischen Bergverwaltung, redigirt, das die Bergleute in rechte Zufriedenfich nicht auf. Was geht sie auch das deutsche Bourgeoispolitiker in den Sumpf der phrasenhaften Un- heit" mit ihren Verhältnissen unter dem preußischen Fistus einVolk an? Sie fühlen sich nur als Polen , deren mündigkeit des beschränkten Unterthanenverstandes hinein- dufeln soll, das aber dabei über jede selbständige Regung der Brüder durch die russische Regierung schmählich unter gleiten kann. armen Rohlenstlaven, über ihre Vereine, ihre Presse und Ver drückt werden. Die Todtfeindschaft gegen Rußland Also alle die Gruppen, die vor kurzer Zeit noch mit fammlungen gewohnheitsmäßig in unerhörter Weise herfällt, hat ist das Leitmotiv ihrer gesammten Politik. Aus Feind- Zögern und Zagen um den heißen Brei der Militarvor- bekanntlich einen Zusammenstoß mit dem ultramontanen schaft gegen Rußland , nicht aus Freundschaft für die lage herumgeschlichen waren, sind jetzt bereit, ihn herunter- Bentrumsfandidaten Grafen von Schulenburg gehabt. Vor und preußisch- deutsche Regierung werden sie für die Heeres- zuschlingen, heiß wie er aus der Regierungsküche kommt, um nach dem letzten Streit der Saarbergleute haben wir das Verhalten des Bergmannsfreunds" mehrfach an dieser Stelle verstärkung, für diese und jede künftig geforderte stimmen. uur ja nicht des Lohnes verlustig zu gehen, dessen ein solcher gebrandmarkt." Natürlich blieben wir in der Kritik der Hilger Daraus erklärt sich auch, daß ihr Generalredner, Herr militärfrommer Patriotismus in dem schönen Heiche gewärtig schen Rücksichtslosigkeit mit Staatsfubvention ziemlich allein; v. Jazdzewski, es ablehnte, sich auf eine fachliche Erörterung sein darf, in dem der Unteroffizier die Rolle des Stellver- die bürgerliche Presse hütete sich wohl, den Bergmannsfreund" der Nothwendigkeit der Vorlage einzulassen und nur eine treters Gottes auf Erden spielt. Eine Belohnung wird die mit an den Ohren zu nehmen, wie er es verdiente, und insganz bescheidene Bitte an die Regierung richtete, doch in Reichsregierung auch ausschütten, aber nicht in die Hände besondere die Zentrumspresse, die sich doch auch im Saarrevier Anerkennung der militärischen Bereitwilligkeit der Polen der Polen , Antisemiten oder Wadelstrümpfe, sondern in den so eifrig um die Bergleute bemüht, hatte kein Wort der Kritit deren sonstigen Wünschen eine geneigte Berücksichtigung zu Schooß der Agrarier, deren politischer Weizen blühen wird, für das unerhörte Benehmen des Bergmannsfreundes". Im Theil werden zu lassen. Aus dem refignirten Tone des mag nun der grundbesiglose Graf v. Caprivi oder demnächst ein Gegentheil, bei Gelegenheit des letzten Streits waren ja die Redners flang aber deutlich heraus, daß er viel Hoffnung mit viel Grundbesitz gesegneter Politiker den Reichskanzlersessel Schwarzen mit der preußischen Bureaukratie ganz einig darin, daß die Bergarbeiter- Bewegung lediglich ein Werk nichtsauf Erfüllung dieses Wunsches nicht hegte. zieren. Aus der sonst ziemlich inhaltlosen Rede des gegenwär- würdiger Hetzer" u. f. w. sei. Sie ließen die Bergleute auch im Wenn nun trotz oder vielmehr gerade wegen des tigen Reichskanzlers tlang deutlich die Ankündigung heraus, daß Reichstag völlig im Stich. Da ist nun jetzt die Etrafe dafür geSchweigens der Polen über die Beweggründe ihres Ver- er eine halbe Wendung nach Rechts einschlagen wird, um kommen. Der Redakteur des Bergmannsfreunds" hat seinen
Feuillefont.
Nadbrud verboten.)
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Die Bekehrung André Savenay's.
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fallen, eine Gleichgiltigkeit und einen Steptizismus, der nur diesen Fragen als die Gleichgiltigen aufgespielt hatten; er zur Hälfte aufrichtig war; in Wirklichkeit besaß er jedoch war immer der erste gewesen, der sich über die Heuchelei Ehrgeiz und hatte sich über vieles eine eigene Meinung ge- der Kandidaten und die Naivetät der Wähler lustig machte. bildet. Er hielt es für vortheilhafter, in der Tragikomödie Er rühmte sich, noch niemals bei der Wahl seine Stimme der Welt mitzuspielen, anstatt nur zuzuschauen. Er wartete abgegeben zu haben. Er konnte sich nicht enthalten, vernur auf eine Gelegenheit, auf das Eintreten von Umständen, ächtlich bei dem Gedanken zu lächeln, daß auch Henri die ihm ermöglichten, André zu seinen Ansichten zu befehren wie so viele andere bereit war, alles zu versprechen und und ihn für seine Zwecke zu gebrauchen. nichts zu halten.
,, Nun, Du weiser Staatsmann," sagte er mit schneidender Stimme ,,, Du wartest also nur darauf, endlich dahinterzukommen, welche der Ansichten für Dich die nützlichsten sein werden?! Ganz wie Talleyrand , weißt Du!"
Henri überlegte, ob er lachen oder sich beleidigt fühlen sollte. Er zog das erstere vor.
Sozialistischer Roman von Georges Renard, Heute Abend war er wieder darauf gefaßt, daß André sich wie gewöhnlich in beißender Fronie und paradoxen BeAutorisirte Uebersetzung von Marie Kunert. merkungen Luft machen würde. Aber André sprach wenig André hielt ihm einige der kleinen Kunstgegenstände, und nur ernsthaft und schien lebhaft mit seinen Gedanken die er aus Spanien mitgebracht hatte, vor die Augen wie beschäftigt. Auf seinen Divan ausgestreckt schien er in einem Kinde, das man beruhigen will. Des jungen Dufaule den bläulichen Wölkchen seiner türkischen Zigarette dem Spezialität war es, über alle politischen und sozialen Fluge eines ihn peinigenden Gedankens zu folgen. Was willst Du!" sagte er. Die Ueberzeugung! Es ist Fragen zu sprechen. Er hielt etwas auf seine Familie und Sage mal, Du zukünftiger Abgeordncter," sprach er damit gerade wie mit den Frauen. Man muß viele Ges wollte sein Theil dazu beitragen, die Ehre des Geschlechts plötzlich zu Henri ,,, was ist Deine Meinung über den liebten gehabt haben, bevor man eine für das ganze Leben zu heben. Er bereitete sich darauf vor, Abgeordneter zu Sozialismus?" heirathet." werden und war nur wüthend darüber, daß er sich an den Henri sah ihn scharf an, um sich zu vergewissern, daß Ob André diese Art, mit den Gedanken zu spielen, nächsten Wahlen noch nicht betheiligen konnte, weil er noch er nicht scherze. Auf jeden Fall hielt er es für gut, sich nach ihrem wahren Werth taxirte? Er sagte nichts mehr zu jung war. Sechs Monate fehlten ihm nur noch, um nicht zu kompromittiren. hierzu und sprach dann von etwas Anderem. Aber die Ges gewählt werden zu können, und nun sollte er die Erfüllung O, ich," antwortete er, ich würde darin die Ansichten danken über Sozialismus und alles, was heute darüber ge= seiner Hoffnungen noch vier lange Jahre hinausschieben! meiner Wähler theilen, wenn ich gewählt werden sollte. In- sprochen worden war, verfolgten ihn den ganzen Abend. Als Entsetzlicher Gedanke! Er wäre ganz untröstlich darüber dessen glaube ich, daß das, was Bapa heute aussprach, auch die drei jungen Leute wieder in den Salon traten, saßen gewesen, wenn ihn der Gedanke nicht gestärkt hätte, daß sein Gutes hat. Vielleicht schon ein wenig ver- Onkel Theodor und Dusaule in einem Erker und beendeten er inzwischen durch eine reiche Heirath seine Aussichten veraltet, aber in der Provinz macht das noch immer ihre Diskussion, die sehr hißig gewesen sein mußte, wenigstens bessern könnte. Effekt. Solche Redensarten sind bequem; sie ver fonnte man dies aus dem ungewöhnlichen röthlichen Schimmer Mit André aufgewachsen, der ihn duzte und gern wegen pflichten zu nichts. Und dann scheint es mir, daß wir schließen, in dem die Gesichter der beiden Gegner leuchteten. seiner gelehrten Miene verspottete, schonte er ihn aus mehr uns jetzt in einer Zeit befinden, wie am Vorabend" Ja," sagte der Dufel, ich sehe, daß wir im Grunde als einem Grunde. Er ahmte ihn nach, so gut er konnte, von Achtundvierzig. Es ist vielleicht nicht ganz dumm. mit unseren Ansichten doch übereinstimmen. Aber ich bin mas er für die zarteste Art hielt, ihm seine Zu- wenn man jetzt schon ein bischen den Sozialisten spielt. mehr für die Gewalt."
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neigung auszudrücken. Weil André den Lauf der Dinge André hatte es schon Duzende von Malen mit anhören„ Und ich bleibe dabei, ich ziehe ein sanftes Verfahren als Dilettant beurtheilte, heuchelte Henri, um ihm zu ge- Imüssen, wie sich Politiker hinter verschlossenen Thüren in vor."