Das Gericht vereidigt die drei von der Verteidigung geladene« Tachverständigen Hansmann, Mantel und Werner. Hierauf tritt die Mittagspause ein. Nach der Pause wurde die Erörterung über die Zustände in der Grube Nadbod kurz vor der Katastrophe sortgesetzt. Zeuge Berg- mann Wilhelm Thomas bekundete, daß auf der Grube viele Schlag- Wetter vorhanden waren. Er habe das auch schon bei seiner ersten Vernehmung dem Berginspektor Hallender sagen wollen, aber das sei das Jahr der schwarzen Listen gewesen, und da habe er sich und seine Familie nicht dem Unglück preisgeben wollen. Jeder, der für die Grube ungünstig aussagte, sei herausgeflogen.(Bewegung im Zuhörerraum.)— Borsihenver (unterbrechend): Ich muß den Zuhörcrraum dringend um Ruhe bitten.— Zeuge Thomas(fortfahrend): Nachdem am 12. Dezember zahlreiche Bergleute vernommen waren, wurde sechs Bergleuten gekündigt.— Verteidiger Rechtsanwalt Heine: Nach Ihrer Ver- nchmung als Zeuge durch Berginspektor Hallender sind Sie also entlassen worden?— Zeuge Thomas: Jawohl. Am 10. Dezember Ivar die Vernehmung, am Nachmittag noch haben wir an unseren Apparaten gearbeitet und angenommen, daß wir mit der Zeche sehr gut standen, am 12. Dezember aber wurden 5 Bergleute, die ungünstig ausgesagt hatten, entlassen. 6 Arbeiter von unserer Partei waren nicht vorgeladen und wurden auch nicht entlasten.— Verteidiger Rechtsanwalt Heine: Sind Sie damals auch vereidigt worden?— Zeuge: Jawohl.— Verteidiger Rechtsanwalt Heine: Und nachher haben die Bemühungen be- gönnen, die Leute meineidig zu machen und in» Zuchthaus zu bringen?(Anhaltende Bewegung im Zuhörervaum.)— Borsitzender: Es mag vielleicht noch manches vorkommen, was den Zu- Hörerraum interessiert und bewegt; aber wenn der Zuhörerraum fortfährt mit solchen Aeußerungen des Mißfallens, müssen wir in Erwägung ziehen, ihn räumen zu lassen.— Sachverständiger Hansmann(zum Zeugen Hohmeyer): War die Arbeit in der Grube Radbod sehr gefährlich?— Zeuge: Jmvohl.— Sachverständiger Hansmann: Sie haben erklärt, die Schlagwetter seien so zahlreich gewesen, daß Sie sich gefährdet glaubten. Zeuge: Jawohl.— Sachverständiger Hausmann: Nun habe ich in meiner dreißig- jährigen Praxis auch so gefährliche Stellen gehabt, aber man ist doch gewohnt, daß bei so gefährlichen Betriebspunkten die Werk- nieister oder Betriebs führer und auch die Aufsichtsbeamten kommen und die gefährdeten Strecken befahren. Ist auch Berginspektor Hallender öfter gekommen? Nach meiner Ansicht wäre das nötig gewesen.— Zeuge Hohmeyer: Ich habe meist Wechselschichten ge- habt und weiß nicht, ob Inspektor Hallender eingefahren ist. Mög- lich ist es. Sachverständiger Hansmann: Dann möchte ich meine Frage an den Zeugen Thomas richten.— Zeuge Thomas: Herr Hallender ist niemals bei uns gewesen. Ich habe auf dem Bergarbeite1:kongreß in Berlin öffentlich gesagt, daß in den zwei Jahren, wo ich auf Radbod gearbeitet habe, Herr Hallender auch nicht ein einziges Mal bei uns war.— Zeuge Bcrg- inspektor Hallender: Gerade die Zeche Radbod habe ich von Anfang an aufs schärffte im Auge gehabt und sie ist vom 1. Januar bis zum Eintritt der Katastrophe 38 mal revidiert worden, wovon allein 30 Revisionen auf mein Konto kommen. Ich bin gewohnt, eine Sache energisch anzupacken und auch energisch durchzuführen.— Sachverständiger Hausmann: Ich habe diese Frage nur gestellt, weil im VolkSmunde es immer heißt: Wo es gefährlich ist, läßt sich die Behörde nicht blicken.— Berginspektor Hallender: In Radbod war es überall gefährlich.— Zeuge Bergmann ThomaS: Herr Prä- fident, eS ist überall Vorschrift, daß nach einer Befahrung oben über Tage in das Wetterbuch eingetragen wird, ob die Stellen gefährlich sind. Diese Eintragungen müssen der Bergbehörde gemeldet oder die Aufsichtsbcamten müsten darauf aufmerksam gemacht werden. Wir haben aber niemals irgend jemand von der Behörde in der Grube gesehen. Einmal hatten wir MtttagSschicht und in der Morgenschicht zuvor war der Ventilator entzweigegangen. Mr hatten schon über% der Schicht gewartet, bis der Ventilator wieder instand gesetzt wurde. Beinahe wäre es damals durch die bloße Unachtsamkeit des Bergmanns Rettich zu einer Explosion gekommen und ein Brand wäre ausgebrochen. So gefährlich war diese Arbeit. — Zeuge Berginspektor Hollendcr: Solche Punkte, die nicht un- mittelbar vor Beginn der Schicht bearbeitet wurden, wo also die Arbeit einige Zeit unterbrochen war, müssen mindestens 3 Stunden vor Eintritt der neuen Schicht revidiert und der Befund muß ein- getragen werden. Die Bestimmungen über die Eintragungen be- ziehen sich also nur auf solche Stellen, die nicht forttvährend belegt sind. Deshalb ist die eben getane Aeußerung des Zeugen Thomas gegenstandslos.— Zeuge ThomaS: Ich habe die Stelle am Morgen voller Wetter gefunden und den Steiger gleich darauf aufmerksam gemacht. Wir konnten auf bessere Wetter nicht warten, weil wir zu wenig verdienten. Während wir sonst 8 M. verdient hätten, kamen wir durch Gnade und Barmherzigkeit auf ö M. Wirklich verdient haben wir sie eigentlich noch nicht einmal.— Sachverständiger Hollenbek : Aus der Vernehmung des Thomas weih ich, daß dort, wo die Ueberziehungs- kraft war und wo besondere Schlagwetteransammlungen vorhanden waren, ein Bläser angestellt war, so daß die Schlagwetter abgeführt werden konnten.— Verteidiger Rechtsanwatt Heine: Dieser eine Bläser hat aber offenbar nicht ausgereicht, denn es mußte nach der Katastrophe ein zweiter Ventilator angeschafft werden.— Sachver- ständiger Hallender: Davon weiß ich nichts. Verteidiger Rechtsanwalt Heine: Unter allen Umständen war das ein gefährlicher Punkt, der hätte revidiert werden müsse». — Sachverständiger Hallender: Nein, soweit darf man das Berg- gefetz wohl nicht ausdehnen.— Verteidiger Rechtsanwalt Heine: In der Dienstanweisung für die Wettersteiger steht, daß sich die Steiger durch tägliches Befahren dauernd unterrichtet zu halten haben über den Zustand in den Gruben, und daß sie ihren Befund sofort nach der Ausfahrt in ein Wetterbuch einzutragen haben, das dem Betriebsführer vorzulegen ist. Es steht ferner in den Dienst- Vorschriften, daß die Steiger die Maßnahmen einzutragen haben, die sie für notwendig halten, um diese Gefahren zu beseitigen.— Sachverständiger Hallender: Das ist richtig.— Verteidiger Rechts- anwalt Heine: Es scheint dies aber nicht geschehen zu sein.— Sachverständiger Hollcnder: DaS weiß ich nicht. Was die Wetter- steiger zu machen haben, geht mich nichts an.— Verteidiger Rechtsanwalt Heine: Wenn nun einzelnen Zeugen bei ihrer ersten Ver- nehmung gesagt wurde, sie hätten diese Aussage über die Schlag- Wetter ichi zu machen brauchen, würden Sie darin nicht eine grobe Pflichtverletzung des die betreffende Untersuchung führenden Be- amten sehen?— Sachverständiger Berginspektor Hallender: DaL ist AuffastungSsache.— Verteidiger Rechtsanwalt Heine: Ich sehe darin keine Auffassungssache, sondern ich sehe darin eine Pflichtverletzung, wenn die Betriebsleitung Leute verleitet, entweder die Unwahrheit zu sagen, oder mit der Wahrheit zurückzuhalten.(Bewegung�— Sachverständiger H-llender: Ich stimme darin Ihrer Auffassung durchaus bei.— Der nächste Zeuge Ivar Bergmann Rowek, der, wie die anderen Bergleute, bekundete, daß kein Wasser da war und daß, wenn Wisser vorhanden toar, der Druck nicht ausreichte.— Zeuge Bergmann Schröder bekundete, daß Wasser vorhanden war, wenn Besuch kam. Einmal habe der Steiger gesagt: Macht alles ordentlich naß, es kommt Besuch. Ich antwortete ihm: Wir möchten ja gern be- rieseln, aber eS ist kein Wasser da. Darauf sagte der Steiger, er werde mal nachsehen, und am Abend ging auch die Wasserleitung. — Zeuge BergtoerkSdirettor Andrer: Ist denn nachher auch tat- sächlich Besuch gekommen?— Zeuge Schröder: Ich habe nur den Wettersteiger gesehen. Von dem Besuch eines Aufsichtsbeamien haben wir nichts bemerkt. Nachdem noch verschiedene Zeugen über die Art des Zustande- kommenS des Gedinges vernommen worden waren, wurde die Weiterverhandlung auf Freitag vertagt. Hus der parte!* Entwickcluugstendenzen in der sozialistischen Veivegung Großbritanniens . London , 17. Oktober. Schon früher ist darauf hingewiesen worden, daß das OSborncurteil uno die wachsende Kampflust der britischen Unternehmerverbände, denen es eben gelungen ist, die Gewerkschaft der Kesselschmiede weih zu bluten, nicht verfehlen würden, die sozialistische Bewegung in diesem Lande mächtig an- zuspornen. Auch bürgerliche Blätter in Großbritannien haben diese Vermutung des öfteren ausgesprochen. Von besonderem Interesse ist in dieser Hinsicht ein Artikel in der„English Review ", einer Zeitschrift, deren Tendenzen schon durch den Titel gekennzeichnet werden. In diesem Artikel verlangt der Redakteur die sofortige Aufhebung des Osborneurteils, weil sonst das schnelle Emporwachsen einer sozia- listischen Partei, die die Stelle der Arbeiterpartei ein- nehmen würde, unvermeidlich sei. Früher als man erwartet hatte, hat sich diese Vermutung be- wahrheitet. Ueberall bilden sich wieder neue sozialistische Gruppen und die allgemeine Nieder- geschlagenheit, die noch vor wenigen Wochen herrschte, ist einer frohen Kampfes st immung gewichen. Besonders die sozialdemokratische Partei entfaltet augenblicklich eine äußerst rege Agitation. Ihre Agitatoren halten in den Gebieten, wo die Kesselschmiede ausgesperrt sind, in den Bergwerksrcvieren und in anderen Gegenden große Versammlungen ab, die von Tausenden von Arbeitern besucht werden. Sie dringen in Gebiete ein, wo noch nie eine sozialistische Versammlung abgehalten worden ist und von allen Gegenden kommen die erfreulichsten Berichte über den Fortschritt der Bewegung. Hand in Hand mit dieser inten- siven Agitation geht die Bestrebung, die neu gewonnenen Kräfte zu organisieren, so daß sie der Partei nicht wicoer verloren gehen. Die S. D. P. will einen Organisator anstellen, der im Lande umHerreisen soll, um den jungen Organisationen mit Rat und Tat beizustehen. Die Kosten dieses neuen Unternehmens werden eben durch eine Sammlung aufgebracht. Diese Sammlung, deren Erfolg schon jetzt gesichert ist, ist ein schönes Zeichen für die Opfer- freudigkeit dieser kleinen Partei, die kaum mehr als 18 vgl) Mit- glieder umfaßt. In kleinen Beträgen von 20, 30 und 50 Pfennigen sind in kurzer Zeit Tausende Mark eingelaufen. Das ist ein Ergebnis, das von keiner ähnlichen früheren Sammlung er- zielt worden ist. Mit dem Wachsen der Partei wird auch die Presse in allernächster Zeit vergrößert werden. Das Parteiorgan „Justice" soll demnächst zweimal wöchentlich er- scheinen, womit wohl der erste Schritt zur sozialdemokratischen Tageszeitung in Großbritannien getan werden wird. Bei dieser Gelegenheit sei auch bemerkt, daß sich der Genosse Keir Hardie mit dem Gedanken trägt, im nächsten Jahre eine sozialistische Tageszeitung herauszugeben. Man kann bei der Schilderung dieser erfreulichen Aussichten der sozialdemokratischen Bewegung in Großbritannien nicht um- hin, die mißlichen Zustände in der Arbeiterpartei zu erwähnen. Der JndifferentiSmus der Mitglieder dieser Partei steht in grellem Gegensatz zu der Opferfreudigkeit der Sozialdemokraten. Die Arbeiterpartei schickte sich vor einiger Zeit an, frei« willige Beiträge zu erheben, um die durch das Osborneurteil er» zeugten finanziellen Verluste wettzumachen; aber die auf frei- willigem Wege gesammelten Beiträge waren trotz der 1 500 000 Mitglieder, d,e die Partei auf dem Papiere hat, so gering, daß man sich schämen mutz, sie anzugeben. Vor einigen Tagen hat sich die Arbeiterpartei nun auf einen sehr bedenklichen Weg begeben. Ihr Sekretär schrieb cm die„Daily News" einen Brief, in dem die bürgerlichen Leser dieses Blattes ersucht werden, der Arbeiterpartei finanziell zu Hilfe zu kommen. Der Brief trägt den Titel:„Ein Existenzfonds für die Arbeiter- Partei." Mit gerechtfertigtem SarkaSmuS schreibt unser Bruder- blatt„Justice" hierzu:„Man denke sich den Sekretär der deutsefien sozialdemokratischen Partei, der an das„Berliner Tageblatt", oder den Sekretär der französischen Partei, der an den„Matin" in dem Tone schreiben würde, in dem Macdonald an die„Daily NewS" schreibt:„Jede Sektion im Parlament hat der Hilfsbereit- Willigkeit der Partei und der Aufmerksamkeit, die sie den Ge- schäften schenkt, Tribut gezollt und abgesehen von den politischen Gefühlen und Ueberzeugungen wird man allgemein zugeben müssen, daß das Verschwinden der Arbeitervertreter für unser öffentliches Leben einen großen Verlust bedeuten würde." Dieser rührende Appell an die Gutmütigkeit der Bourgeoisie beweist, welchen Illusionen sich die Führer der Arbeiterpartei noch hingeben und wohin eine proletarische Politik führt, die den Klassenkampf als ein inhaltloses Schlagwort betrachtet. Stände jetzt hinter der Arbeiterpartei ein klassenbewußtes Proletariat, so könnte sie auf das Osborneurteil, insofern es die Finanzen der Partei berührt, pfeifen._ Die Organisationen zum Parteitag. Wahlkreis Gera . In den Arbeiterdörfern Debschwitz und Pforten, Vor- orten von Gera (Reuß). nahmen die Parteigenossen am 18. Ok- tober den Bericht vom Parteitage entgegen. In den nur kurze» Aussprachen und in Resolutionen wurde den Beschlüssen des Parteitages, insbesondere dem in der badischen Budgetangelegen« heit gefaßten Beschlüsse, einmütig zugestimmt. Straßburg -Stabt. Im Sozialdemokratischen Verein Straßburg -Stadt vertrat der Delegierte zum Magdeburger Parteitag, Genosse Re- dakteur Schneider, den bekannten ablehnenden Stand- punkt gegenüber der Resolution des Parteivorstandes zur Frage der Budgetbewilligung. Er habe sowohl in der Einzelabstimmung wie in der Gesamtabstimmungen gegen die Resolution des Partcivorstandcs gestimmt, wie dann auch gegen den Zusatzantra� Zubeil. Dagegen war er für die Einsetzung einer Studienkommission nach dem Wunsche der Parteitagsminderheit. Die Budgetbewilligung sollte, wie der Delegierte sagte,„nicht vom Gesichtspunkte des Revisionismus oder des Radikalismus heraus" beurteilt werden, die Parteigenossen sollten„sich nicht derart spalten, sondern einfache Sozialdemokraten sein". Der Referent meinte weiter,„wenn die Budgctfrage nicht unter dem Zeichen der Empörung über die badifchen Genossen gestanden hätte, so wäre ihr sicher eine ruhigere Erledigung zuteil geworden". Daran werden weder die Revisionisten noch die Radikalen in der Partei zweifeln!— In der Diskussion stellten sich die Genossen Voigt und Geiler auf den Standpunkt der Parteitagsmehrheit, während die Genossen P e i r o t e s und I m b s gegen die Partei- tagsheschlüsse in der VudgetbewilligungSsrage sich wendeten. Von einer Stellungnahme in Form einer Resolution sah die Versamm- lung ab._ Ein neues BezirkSsckretariat soll zum t. März 1911 in Dresden für die ersten neun sächsischen Wahlkreise errichtet werden. Bewerber um den Sekretärposten wollen sich unter Beifügung von Angaben über ihre bisherige Tätigkeit und eine kurze Abhandlung über die Aufgabe eines BezirkSsekretariatS bis 15. November an H. Fleißner, Dresden -A., Zwingerstr. U, wenden. Gewarnt werden die Genossen der Tabakindustriebezirke bor einem angeblichen Genossen Michael U l l m e r. Zigarrensortiermeister. Der Mann ist im Besitze eine? Mitgliedsbuches des Sozialdemokratischen Vereins Aachen-Land. Er stammt aus Edingen , Kreis Schwetzingen in Baden . Ullmer verzog vor einigen Wochen angeblich nach Landau in der Pfalz . Dort ist er aber nicht zu finden. Polizeilich hat er sich nach Mannheim abgemeldet, es aber für gut befunden, von dort fern zu bleiben. Als wahr- scheinlicher Aufenthalt kommen die Pfälzer , badischen, hessischen oder der Sünder westfälische Tabakindustriebezirk in Frage. Die Genossen dieser Bezirke seien besonders darauf aufmerksam gemacht. Es wird gebeten, bei etwaiger Ermittelung des Mannes sofort die „Rheinische Zeitung ", Filiale Aachen , zu benachrichtigen. Soziales. Verlorener Aerztestrelk in Halle. Vor mehreren Monaten wurden sämtlichen Ortskrankenkassen in Halle a. S. von den Kassenärzten die Verträge gekündigt. Später geschah das auch gegenüber den Betriebskrankenkassem Die Aerzte verlangten Einführung, der freien Arztwahl in dem Sinne, daß sämtliche der Standesorganisation angehörenden Aerzte(aber nur diese) zur Kassenpraxis zugelassen werden. Nebenher ver« langten sie auch eine Erhöhung der Honorare. Die zu einem Ver» bände vereinigten Ortskrankenkassen lehnten das ab. Die Betriebs- krankenkassen taten das gleiche und schlössen sich dem Kassenvcr- bände an. Am 1. Juli bezw. 1. Oktober 1910 legten auch die Aerzte (etwa 30) ihre Tätigkeit bei den Kassen nieder. Inzwischen hat der Kassenverband soviel auswärtige Aerzte erhalten, daß er zu- sammen mit einigen der seitherigen Aerzte, welche ihre Tätigkeit fortsetzten, genügend ärztliche Hilfe besitzt. Der Aerztestreik ist da- durch als erledigt zu betrachten. Die Aerzte haben zwar an die Aufsichtsbehörde Beschwerden eingereicht, die sie von Kassenmii- gliedern unterschreiben ließen, doch stellten sich diese als unzu- treffend heraus. Der Magistrat hat daraufhin ein Eingreifen aus- drücklich abgelehnt. Die staatlichen Universitätskliniken und die Krankenhäuser streiken noch; sie nehmen Kranke entweder gar nicht oder nur in den dringendsten Fällen auf. Der erste ordentliche VcrbandStag der bayerischen Baugenossenschaften fand am Montag zu Nürnberg statt. Dem Verbände gehören 45 Baugenossenschaften resp. Vereine an. Die Mehrzahl dieser Genossenschaften, deren Mitglieder vorherrschend Arbeiter und kleine Beamte sind, wurden in den letzten 4 Jahren gegründet, und zwar in den meisten Fällen auf die Initiative von Sozialdemo- kralen hin, so unter anderem die Genossenschaft Gartenstadt-Nürn- berg, die gegenwärtig etwa 1700 Mitglieder zählt. Ganz besonders haben die Kleinwohnungsbaugenosscnschasten auf dem Lande und in kleinen Städten zugenommen. Auf der Tagung nahmen die Debatten über die Geld- beschaffung sowie über die Wirkung der neuen bayerischen Steuer- gesetze auf die Kleinwohnungsbauten einen großen Raum ein. Von fast allen Rednern wurde der bayerischen Staaisregierung der Vorwurf gemacht, daß sie wohl große Versprechungen mache, jedoch nichts halte. Obwohl die Regierung gezwungen war, das Bestehen einer Wohnungsnot anzuerkennen, unterlasse sie es, die Beschaffung von Baugeldern zu erleichtern. Die bayerische Kulturrentenanstall verfüge über außerordentlich reiche Kapitalien; diese können den Baugenossenschaften aber nicht in der notwendigen Weise zu- geführt werden, weil das Gesetz über die bayerische Kulturrenten- anstalt verlangt, daß die Gemeinden bei Darlehen an gemein» nützige Baugenossenschaften für diese Darlehen haften müssen. Die Gemeinden weigern sich aber regelmäßig, diese Haftung zu übernehmen. So gibt eS viele solcher Baugenossenschaften, die eine große Mitgliederzahl haben und im Besitze von Bauplätzen sind, die aber, wiewohl in diesen Orten großer Wohnungsmangel herrscht, nicht bauen können, weil sie keine Vaugelder bekommen. En einer Resolution wurde gefordert, daß die durch das neue aussteuergesetz eingefübrte zeitweilige Befreiung gemeinnütziger Bauvereinigungen von ver Entrichtung der Haussteuer dauernd stattfinden solle. In einer anderen Resolution wurde energisch ver» langt, daß die Regierung die Hindernisse, die der Geldbeschaffung für Kleinwohnungsbauten entgegenstehen, beseitige, und daß die Gemeinden mit allen gesetzlichen Mitteln gezwungen werden sollen, den Wünschen der Baugenossenschaften in bezug auf Geld- beschaffung, KanalisationS- und Straßenbauten usw. entgegenzu- kommen. Man versprach sich jedoch eine gründliche Besserung erst dann, wenn in den Gemeinden die dominierende Macht der Hau»« besitzer gebrochen ist. Die anwesenden Vertreter der Versicherungsanstalten der Kreise Mittel- und Oberftanken, sowie der von Oberbayern , schwiegen zu den auch den Versicherungsanstalten gemachten Vor- würfen. Der Vertreter der bayerischen Staatsregierung, Regie- rungSrat und ZentralwohnungSinspektor Dr. Bergmann, mahnte zur Geduld. Nur langsam,— Geduld und Abwarten beseitigen nur nicht die Wohnungsnot. )Ziis Industrie und Kandel . Diskonterhöhung. Nachdem die van! von England erst am 29. September ihre Rate von 8 auf 4 Proz. erhöht hat, ließ sie am 20. Oktober eine neue gleich starke Erhöhung folgen; sie setzte ihren Diskont auf 5 Proz. fest. Den gleich hohen Satz hatte die Bank vom 21. Oktober bis 9. Dezember 1909 und vordem vom 18. bis 23. Januar 1908, während die Rate vorher 8 und 7 Proz. betragen hatte. 1114520 000 M. Gewin». Das Kaiserliche Statistische Amt veröffentlicht in einem Er- gänzungSheft zu den„VierteljahrSheften zur Statistik des Deutschen Reiches" eine eingehende Arbeit über die finanzielle Gebarung der deutschen Skliengesellschaften im Jahre 1908/09. Diese Arbeit ist eine Forsetzung der erstmalig für 1907/08 bearbeiteten Statistik. Von den am 30. Juni 1009 vorhandenen 6187 Alticn« gescllschaften(mit Ausschluß der in Liquidation oder in Konkurs befindlichen) kamen für die Rentabilitätsstatistik 4579 sogenannte reine Erwerbsgesellschaften in Betracht. Denn auszuscheiden waren alle Gesellschaften mit nicht-wirtschaftlichen Zwecken, solche, die satzungsgcmäß die Gcwinnerzicluna oder Dividendenvcrteilung aus» schließen oder beschränken, endlich solche, deren Bilanzen nicht oder lückenbaft veröffentlicht wurden, ohne daß durch Rückfragen Auf- lläcung zu erzielen war. Das eingezahlte Aktienkapital der 4579 Gesellschaften betrug am Tage des Bilanzabschlusses 13 200,57 Millionen Mark. Die echten Reserven beliefen sich auf 2358,84 Millionen Mark--- 21,7 Prozent des eingezahlten Aktienkapitals. Von jenen 4579 Gesellschaften waren für 3080,62 Millionen Mark Obligationen im Umlaufe. Die Statistik für 1903/09 verzeichnet: a) 8633 Gesellschaften mit JahrcSgewinn, b) 809 mit JahreSverlnst und o) 62 ohne Jahres- gewinn oder-Verlust. Bei den Gesellschaften zu a) belief sich der Jahresgewinn auf 1233.05 und bei denen zu b) der JahrcSvcrlust auf 113,53 Millionen Mark, so daß der Jahresmehrgewinn von sämtlichen 4579 reinen Erwerbsgesellschaften 1114,52 Millionen Mark betrug, vergleicht man diesen Betrag mit dem eingezahlten Aktien- kapital, so ergibt sich für die Gesellschaften eine Rentabilitätsziffer von 8,57 Proz. und wenn man zweckmäßigerweise da» ganze Unternehmungskapital(Aktienkapital-f. echte Reserven) berücksichtigt, eine Ziffer von 7,03 Proz.(gegenüber 10,11 und 3,35 Proz. für 1907/08). Will man die GeschäftLergebnisse der Akticiigesellschaften vom» Standpunkte der Aktionäre aus keimen lernen, so bieten die Zahlen für die ausgeschütteten Dividenden einen gewissen Anhalt. Bon den 4579 reinen Erwerbsgesellschaften verteilten im Jahre 1903/09 3271 Gesellschaften Dividende. Dies taten im Jahre 1907/08 von 4573 Gesellschaften 8425. Die Dividendensumme be» trug im Jahre 1908/09 959,70 Millionen Mark gegenüber 1022,80 Millionen Mark im Vorjahre. Auf das dividendenberecytigte Akiienkapital aller reinen ErwerbSgescllschaften machte dies 1903/09 7,33 Proz. und 1907/03 3,07 Proz. ans. Vom Standpunkte des Aktionärs— die Dividendenfumme zum dividendeirberechtigte» Aktien» kapital in Ansatz gebracht— sinkt der Dnrchschnittüsatz des Vorjahrs, 8,07 Proz., auf 7,33 Proz. hinab. Die RentabilitätSziffer nimmt sich in den wichtigsten Industriezweigen wie folgt auS:
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