sozialdemokratische Feier statt. AuS der vmgegend hatte sich eine ziemliche Anzahl Genossen zusammengefunden, die vom Bahnhof auS zum Denkmal zogen. Vorauf wurde ein mächtiger Kranz mit flammend roter Schleifege- tragen. Noch schrecklicher aber als das Rot war die Inschrift der Schleife. Zwar entsprach sie durchaus dem Zweck, denn der prächtige Reim war von Freiligrathl Indes— 1 die Inschrift lautete: „Daß Deutschland star! und einig sei, Das ist auch unser Dürsten; Doch einig wird eS nur, wenn frei, Und frei nur ohne Fürsten !" Am Denkmal wurde unseren Genosien verwehrt, den Kranz mit den Worten Freiligraths niederzulegen. Alles Protestieren half nichts, die Schleife mußte entfernt werden; ein Genosie wurde von der Schutzmannschaft notiert. Ein zweiter wurde angemertt. als er ein Hoch auf den„echten",„revolutionären" Freiligratb aus- brachte. Am Denkmal und am Hause, wo Freiligrath in Soest ge- wohnt hat, wurden Ansprachen gehalten und die Marseillaise ge- sungen. Auf dem Rückwege wurde die gefährliche Schleife an einem Stock zum Bahnhos getragen und unterwegs den erstaunten Pasianten und Einwohnern das Vorkommnis gebührend erklärt. Nach längerer Zeit bekamen zwei Genosien eine„Vorladung" zur Polizei als„Beschuldigte". Sie sollen einen„öffentlichen Aufzug" ohne Genehmigung veranstaltet haben. Die Vorkomm- nisse am Denkmal und am Hause Freiligraths ließ man klugerweise aus dem Spiel, um sich nicht vor der Welt noch mehr zu blamieren. Aber ganz ungerochen sollte die Misietat doch nicht bleiben. Die Genosien verweigerten jedoch vor der Polizei jede Aussage. Wieder nach einiger Zeit wurden dann die Genossen vor« Amtsgericht geladen, wo der eine Beschuldigter blieb, während der andere— wie schlau!— zum„Zeugen" avancierte. Jedoch war daS Ding auch so nicht zu drehen, eS blieb bei der Ver- Weigerung der Aussage, da auch der„Zeuge" mit gutem Grund ein- wenden konnte, daß er nicht wisse, was der Richter aus seiner even- tuellen wahrheitsgemäßen Aussage machen werde. So ist denn Holland , nein Soest in Not. Soll die Ehrung FreiligralhS durch die Sozialdemokraten in Soest wirklich ungesühnt bleiben? I Bon der russischen Grenze. Wieder sind den brutalen russischen Grenzvorschriften zwei Menschenleben zum Opfer gefallen. Vor einigen Tagen versuchten einige russische Auswanderer— ein Mann und eine Frau mit zwei Kindern— bei Soury heimlich die Grenze ihrer Heimat zu überschreiten. Als sie bereits den Szeszuppefluß überschritten und das preußische Gebiet erreicht hatten, wurden sie von dem russischen Grenzposten bemerkt, der wiederholt auf die Leute schoß und sowohl den Mann wie die Frau zu Boden streckte. Die Un- glücklichen blieben während der ganzen Nacht mit den kleinen 2% und 5 Jahre alten Kindern am Ufer liegen. Erst am Morgen rief ein Offizier der Grenzsoldaten einem preußischen Gutsbesitzer zu, daß an jener Stelle zwei erschossene Russen liegen müßten. Der Mann fand die beiden Leute noch lebend vor und schaffte sie samt den Kindern ins nächste Dorf. Dort angekommen, war der Man», der einen Schuß in die Brust erhalten hatte, bereits tot. während man die Frau, die gleichfalls einen Brustschuß erhalten hatte, am Leben zu erhalten hofft. Der Erschossene war ein Be- kannter von ihr, mit dem zusammen sie sich nebst ihren Kindern zu ihrem in Amerika lebenden Manne begeben wollte. Einige Ein- wohncr des Dorfes haben sich der armen Menschen angenommen und für ärztliche Hilfe gesorgt. Opfer des Wahlrechtskampfes. Ein Nachspiel zu der Remscheider WahlrechtSdemon- st r a t i o n vom 13. März d. I. spielte sich am Sonnabend vor der Strafkammer in Elberfeld ab. Der Redakteur der„Ar- beiterzeitung" in Remscheid , Genosie Willi G r ä tz, der den Verlaus der Demonstration in der„Arbeiterzeitung" schilderte und dabei die Nemilbeider Polizei und speziell den Kommissar Reimers wegen seines Verhaltens angegriffen hatte, wurde wegen Beleidigung in der Berufungsir. stanz zu drei Wochen Gefängnis verurteilt. Der Staatsanwalt hatte zwei Monate Gefängnis beantragt. Das Schöffengerichtsurteil lautete damals auf nur bv M. Geldstrafe. Die Polizeizeugen sagten natürlich zugunsten ihres Kommissars, während die Zivilzeugen, darunter zahlreiche Bürger, die Schuld an den Vorgängen dem Kommissar aufbürdeten. Trotzdem aber erfolgte die Verurteilung des Genosien Grätz und der Vorsitzende meinte bei der Urteilsbegründung, die Abschreckungstheorie müsse in die Praxis umgesetzt werden. Nationalliberale Kampfeöweise. Bor der Reichstagsnachwahl im Wahlkreise Oletzko-Lhck waren die Nationalliberalen höchst erbost darüber, daß ihnen die Konser- vativen die Säle abtrieben. Anderswo treiben es aber die National- liberalen genau so wie die Konservativen. Im Oberlande des Reichs- tagswahlkrcises Fürstentum N e u ß j. L. steht der Sozialdemokratie in den meisten Landoncn— infolge de« Terrorismus der Nationalliberalen — kein Saal zur Verfügung. Den Parteigenossen in Schleiz war es nun mit großer Mühe gelungen, einen Wirt in Oschitz bei Schleiz zur Hergäbe seine« Saales für eine öffentliche Versammlung zu bewegen. Kaum war das be- kaunt geworden, so liefen die nationalliberalen Partei» gänger. Bürgern, ei st er Köhler, Pfarrer Trögel, Lehrer Wolfram aus Oschitz und Lehrer Schleich aus Schleiz zu dem Wirt und drohte» mit einem Boykott, wenn die Zutage nicht zurückgezogen lvürde. Den Bemühungen der Herren gelang es denn auch, den Wirt so einzuschüchtern, daß die Bersamm- lung nicht stattfinden konnte. In dem Amtsblatt, der natioualliberalen„ G e r o e r geilung, wird über daS Heldenstück triumphierend, ohne ein Wort der Kritik berichtet._ Wer ist der Tchuldige? Im Mai d. J„ als die große Hitze einsetzte, wurden bei den Uebungsmärschen des in Schleswig garnisonierenden Infanterie- Regiments Nr. 64 mehrere Soldaten vom Hitzschlage befallen. Ein Soldat von der 10. Kompagnie starb, während der Musketier K. von der 11. Kompagnie vom 23. Mai bis 10. Juni im Lazarett be- handelt und dann mit zehntägiger Befreiung vom Außendien st als geheilt in die Kompagnie entlassen wurde. Aber schon am 14. Juni, also nach vier Tagen, mußte er mit einer Abteilung nach dem sieben Kilometer entfernten Schießplatz marschieren. Nach der Rückkehr wurde er von einem To b s u ch t s a n f a l l be- troffen und bald darauf in die Provinzial-Jrrenanstalt gebracht. Durch eine Verkettung von Mißverständnissen soll der Unglückliche in eine verkehrte Abteilung gerate,, sein, denn es sei angeordnet worden, daß er mit Erlaubnis des Haupt- mannes in eine Abteilung eintreten sollte, die nur einen viertel- stündigen Marsch nach einem anderen Platz machen sollte. Sei dem wie ihm wolle, die Anordnung verstieß gegen die von den Militär- ärzten verfügte Schonung. Das Kriegsgericht der 18. Division erblickte in dem Feldwebel H e g a r d den Schuldigen, der gegen den Befehl des Militärarztes gehandelt habe und verurteilte ihn wegen Ungehorsams zu zwei Tagen gelinden Arrest. In der Berufungsinstanz (Oberkriegsgericht Altona) machte der Feldwebel geltend, daß K. mit Erlaubnis des Hauptmannes mitmarschiert sei und daß K. sich auf die Frage, ob ein Behinderungsgrund vorliege, nicht gemeldet habe. Die Anordnung des Arztes sei auch kein Dienstbefehl. Ein Oberarzt führte aus. daß der Tobsuchtsonfall vielleicht auch ohne diesen Marsch ausgebrochen wäre, aber genau lasse sich das nicht feststellen. DaS Oberkriegsgericht sprach den Angeklagten von der Anklage wegen Uttgchorsams frei, verurteilte ihn aber wegen nach- lässiger Beaufsichtigung zu ebenfalls zfve, Tagen gelinden Arrest. Ob nach einer anderen Richtung hin vorgegangen werden soll, entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls ist hier eine„Lücke im Text". Sechs Wochen Mittelarrest für 250 Soldaten- mifthandlunge«. Der Sergeant Stanislaus Liwitzki vom Infanterieregiment 154 in Jauer stand wegen Soldatenmißbandlung vor dem Kriegsgericht in Glogau . Nach der Anklage wurden dem Sergeanten 292 Fälle körperlicher Mißhandlung Untergebener zur Last gelegt. Er schlug die Rekruten beim Griffeüben mit dem Seitengewehr auf die Finger, stieß sie beim Exerzieren vor die Brust, mit dem Gewehrkolben in die Kniekehlen, in das Gesäß, ohrfeigte sie, ließ bei Instruktion, so- bald nicht die von ihm erwartete Antwort kam, die Leute längere Zeit Kniebeuge machen, wobei sie den Schemel strecken mußten, so- daß ihnen die Beine zitterten. Bei Schießübungen im Liegen trat er sie bei falscher Lage oder sonstigen Fehlern mit dem Fuße auf Rücken, schlug mit flacher Klinge aus das Gesäß usw. Infolge der Mißhandlungen ist ein Soldat zweimal deserttert. Dadurch kam die Sache erst zur Kenntnis der Vorgesetzten. Der Angeklagte suchte sich damit herauszureden, er habe minderwertiges Material zur Rekrutenausbildung gehabt und fei bestrebt gewesen, auch aus diesem brauchbare S»ldaten zu machen. Die Aussagen der Zeugen bezeichnete er als stark übertrieben. Der Vertreter der An- klage beantragte vier Monate Gefängnis und Degradation. DaS Gericht nahm 250 IFälle Mißhandlungen„minderschwerer Art" an und erkannte auf sechs Wochen Mittelarrest, nahm auch von der Degradation Abstand. Der gewalltätige Rekrutendrill- meister bleibt also Sergeant und hat somit Gelegenheit, neue Miß- Handlungen zu begehen._ ftanhreich. Die Nestitrunsiserklärung. Paris , 8. November. Die Erklärung der Regierung. die heute nachmittag in den Kammern zur Verlesung gebracht wird, besagt: Die Regierung, die an der Trennung der staatlichen von der kirchlichen Gewalt, an der Gerechtigkeit und der Freiheit festhält, wird sich ausschließlich auf eine republikanische Mehrheit stützen, welche aus Männern besteht, die entschlossen sind, die Eroberungen der Republik gegenüber der Kirche, gegen die Reaktion zu verteidigen und weiter auszudehnen. Die Re- gterung wird ein Gesetz zur Verteidigung der Laienschule einbringen und auf gesetzlichem Wege die Wahl-, die Ver- w a l t u n g s- und die I u st i z r e f o r m sowie das Beamten- und das Einkommen st euergesetz ins Leben rufen.— Die Erklärung erinnert sodann an die zugunsten der Arbeiter ins Werk gesetzten Reformen, namentlich an die Alters- Versorgung. Die Arbeiter dürfen einzig vom Gesetz, nicht aber von Unordnung und Gewalttat ihre wirtschaftliche Be- freiung erwarten. Es wird sich empfehlen, den gesetzlichen Maß- nahmen zur Vermeidung der unerträglichen Fälle von Sabotage und Anarchie, wie sie beim Eisen- bahnerausstand zutage getreten sind, dadurch größeren Nachdruck zu verleihen, daß man durch sie die Urheber solcher Handlungen und die. die zu ihnen ausreizen, trifft. Die Frei» heiten der Syndikate werden dadurch nicht berührt, sie sind unverletzlich wie die Freiheit der Arbeit. Die Berufs- syndikate seien in ihren nützlichen Bestrebungen zu fördern und die Beteiligung der Arbeiter am Gewinn unter den bereits an- gegebenen Bedingungen zu sichern. Die Regierung werde aber nicht dulden, daß die Syndikate eine gesellschafts- feindliche politische Aktion organisierten. Es werde auch notwendig sein, die Syndikatsverbände derart auszugestalten, daß sie eine richtige Vertretung der Arbeiter darstellten, und die Frage des Ausstandes der Ange st eilten der öffent- lichen Betriebe unzweideutig zu regeln. Ein Schiedsgericht sei zwar ein vorzügliches VorbeugungSmittel, könnte aber un- wirksam sein. Es wäre unzulässig, daß Angestellte, die Sonder- vorteile genießen, durch Lähmung des öffentlichen Lebens das Vaterland in Gefahr brächten. Die Regierung werde eine Ab- stimmung über die Maßregeln fordern, die nötig seien, um den öffentlichen Dienst im Falle eines Ausstandes der Angestellten der öffentlichen Betriebe sicherzustellen. Dank dieser Maßnahmen werde die Republik , stark auch durch ihre Allianz und ihre freund- schaftlichen Beziehungen, denen sie unabänderlich treu zu bleibest beabsichtige, inmitten der Nationen den Rang bewahren können, der ihr zukomme. Die Regierung sei entschlossen, die militärische Macht zu stärken. Die Regierung rechne schließlich darauf, daß daS Parlament das Marineprogramm anuehmen werde. Die Kammersitzung. Paris , 3. November. Zu Beginn der heutigen Kammcrsitzung herrschte im Saale und in den Wandelgängen lebhafte Bewegung. Die Tribünen sind überfüllt. Minisierpräsident Briand verlaß die Erklärung der neuen Regierung. Die Stelle, daß die Regie- rung sich auf eine republikanische Majorität stützen werde, wurde auf der linken mit lebhaftem Beifall begrüßt, ebenso der Satz, daß der Betrieb der öffentlichen Dienstzweige gesichert werden solle. Hierauf trat die Kammer sofort in die JnterpellationS- d e b a t t e ein. P a i n l ä r e(uuabh. Sozialist) warf Briand vor, daß er um das Vertrauen der Kaminer gebeten habe für ein Ministerium, das nicht mehr bestanden habe, da eS gleich darauf zurücktrat. Painlcre griff in seinen weiteren Ausführungen die Persönlichkeit BriandS heftig an, dem er vorwarf, daß er daS Volk mit patriotischen Redensarten getäuscht habe und der erst habe Minister werden müssen, um zu lernen, daß Frankreich Grenzen habe.(Lärm.) Briand er- widerte, er habe nicht darauf gewartet, die antipatriotische Taktik gewisser Sozialisten zu brandmarken, bis er Minister geworden fei. tBcifall auf der Linken.) P a i n l i r e warf Briand ferner seine sozialistische Propaganda und seinen Mangel an republikanischer Loyalität heftig vor und rief:„Solange Sie dort sind, wird aus der Ministerbank etwas faul fein!" Aubriot(geeinigter Sozialist) erklärte bei Besprechung der Umstände, unter denen der letzte Ministcrwechsel stattgefunden, Briand habe einen wahrhaften Ver- trauensmitzbrauch gegen seine Majorität begangem JauräS sagte, die ministerielle Erklärung enthalte zwei Charakterzüge: Brutalität und Zweideutigkeit. Die erstere, weil sie wage, den Arbeikern in den öffentlichen Betrieben das Streik- recht zu nehmen, die zweite, weil sie nicht angebe, wie sie diese Drohung ausführen wolle. Im weiteren Verlauf seiner Rede wünschte Jaureö, daß die Regierung erkläre, ob sie An- hängerin des fakultativen oder des obligatori- schen Schiedsgerichts fei, und warf Briand vor, daß er ein doppeltes Spiel spiele zwischen den Parteien der Linken und des Zentrums. Redner erklärte ferner, die Gemäßigten und die Konservativen hätten den neuen Arbeitsminister Lafferre an- genommen, weil sie in ihm einen Reaktionär sehen. Er griff Briand dann von neuem heftig an.' der sich allen Parteien ent- ziehe, und bedauerte zum Schluß, daß alle reaktionären Regierungen heute Briand als Beispiel anführten. Als letzter der heutigen Redner trat Theodore Reinach (radikal) für daS obligatorische Schiedsgericht ein. Sodann wurde die Sitzung aus morgen vertagt. Kuvlanck. Die Konstitution und der Galgen. AuS Anlaß des soeben stattgefundenen fünften Jahrestage? der Proklamierung derrussischen„Konstitution" veröffentlichen die russischen Zeitungen statistische Daten, die die Regierungskunst N i k o l a u s II. in bengalischem Lichte erscheinen lassen. Ungerechnet die zahlreichen Strasexpeditionen, die Tauiende von Personen hinmorderten, forderten die Feld- und Kriegsgerichte, die in dieser Periode ununterbrochen arbeiteten, bloß nach den unvollständigen Angaben der Presse 6273 Opfer, von denen 3168 hingerichtet wurden. Den Charakter der Ver- brechen, für die Todesstrafe zuerkannt wurde, ist aus den offiziellen An- gaben für 1909 ersichtlich. Aus diesen Angaben sieht man, daß von 630 Hingerichteten nur sechs für militärische Vergehen zur Verantwortung gezogen wurden. In demselben Jahre wurde laut Mitteilung der Zeitungen die Todesstrafe zuerkannt: für Diebstahl einer halben Flasche Schnaps, für Inbrandsetzung eines Heu- Haufens usw. Die Epidemie der Hinrichtungen schonte auch Minder- jährige und Frauen nicht. Em der Partei. Gemeindewahl erfolge. In Wetzlar kamen zwei Genosien in die Stichwahl. Die Stimmenzahl der Sozialdemokratie ver» doppelte sich. Bei der Sladtverordnetenwahl in AscherSleben erhielten die Sozialdemokraten 1060, die Bürgerlichen 769 Stimmen. Wir haben drei Mandate behauptet und eines gewonnen. In der Gemeinde Bölhorst bei Minden haben die Sozial- demolraten durch die letzte Wahl die Mehrheit im Gcmeinderat er- halten. Bon sechs Sitzen gehören ihnen vier im Gemeinderat. Vom Fortschritt der Presse. Die„Volkswacht" in Bielefeld hat in der letzten Woche 500 Abonnenten gewonnen. Ueber 1000 neue Abonnenten hat die jüngste Haus- agitation der„Düsseldorfer Volkszeitung" gebracht. Die Organisationen zum Parteitag. Würzburg . Die Würzburger Genossen befaßten sich in zwei Versamm- lungen, das letzte Mal am 31. Oktober, mit dem Parteitage. Der gesamte übrige Stoff trat gegen die Budgetfrage in den Hinter- grund. Der Delegierte des Wahlkreises Würzburg, Genosse Kern, war auf einer Wahlkreisgeneralversammlung, die aus Delegierten der Sektionen zusammengesetzt wird, gegen 3 Stimmen gewählt worden. Seine Stellung als Gegner der Budgetbewilligung war beinahe zweifelsfrei den Genossen bekannt, jedoch stellte Genosse Kern in Aussicht, falls er durch die badischen Genossen eines besseren belehrt würde, würde er gar keinen Anstand nehmen, zu- gunsten der Budgetbewilliger abzustimmen und er hat ferner die ausdrückliche Erklärung vor seiner Wahl abgegeben, daß er ein gebundenes Mandat weder nach der einen noch anderen Richtung annehmen würde. Kern hat dann für die Vorstandsresolution gestimmt und auch den Antrag Zubeil unter st ützt. Dagegen stand er auf der Seite der Genossen, die nicht haben wollten, daß der Antrag noch am Mitt- woch nachts zur Behandlung und Beschlußfassung kommen sollte. Weil dies dennoch durchgedrückt wurde und damit den badischen Genossen die Gelegenheit genommen war, ihrerseits eine befriedi- gende Erklärung zu formulieren und abzugeben, hat sich Genosse Kern der Abstimmung enthalten. Nach lebhafter Dis- kussion, die oft den Rahmen des Sachlichen verließ, wurde eine Resolution angenommen, in der das Verhalten des Delegierten mißbilligt wird und die ferner ihr Bedauern über die Ab» lehnung einer Studienkommission zum Ausdruck bringt. Von den anwesenden zirka 100 Mitgliedern stimmten 7 gegen die Resolution, eine Anzahl enthielt sich der Stimme. Die Sektion Würzburg zählt zirka 900 Mitglieder. Dagegen sprachen sich die L a n d s e k t i o n e n des Wahlkreises, so wett sie sich jetzt mit der Frage befaßten, sämtlich für die Be- schlüsse des Parteitages auS. Anwesend waren in diesen Sektionsversammlungen zirka 259 Mitglieder. Außer in Würz- bürg selbst sprachen nur noch in HeidingSfeld zwei Genossen gegen die Beschlüsse des Parteitages. Zu den Parteidifferenzrn in Elfah-Lothrlnge» ersucht unS Genosse Martin in Mülhausen noch um Aufnahme dieser Erwiderung, womit er die Auseinandersetzung mit Pei» roteS im„Vorwärts" schließt: Der Artikel der„Mülhauser VolkSzeitung" vom 6. April d. I., durch welchen die Oktroivebatte in Elsatz-Lothringen„zur rein persönlichen Angelegenheit gedeichselt" worden sein soll, ist. wie Pcirotes weiß, garnicht von mir, sondern von einem Straß- bürg er Genossen, dem eS allerdings ebenso wenig wie mir ge- lungen ist, vi« in Kolmar und Markirch für die Beibehaltung deS Oktrois gehaltenen Referate des Genossen PeiroteS von seiner Person zu trennen. Die Unterschiebung, daß eS„den Mülhausern" nur darum zu tun sei, durch„Stänkerei" mit der Oktroifrage den Landesvorstand nach Mülhausen zu bekommen, leistete sich Peirotes in der Straßburger Parteiversammlung vom 29. Juni t>. I., wobei er zur besseren Bekräftigung behauptete, die„Mülhauser" seien schon im Jahre zuvor mit einer„fertigen Vorschlagsliste" für den Landesvorstand auf der Landeskonferenz erschienen. Diese Behauptung von PeiroteS wurde in Nr. 145 der „Mülhauser Volkszeitung" vom 2b. Juni 1910 unter näherer Dar- legung deS Sachverhaltes berichtigt. ES genügt mir» daß es mit dem PeiroteSschen Dementi seiner Markircher Aeußerungen über den Magdeburger Parteitag„genau so" steht, wie mit dieser heutigen Ableugnung seines damaligen Auftretens in der Straß« burger Parteivcrsammlung. Die Verteidigung der Schlachtge- bührenerhöhung hat das Straßburgcr Parteiblatt in einem Artikel aus Markirch versucht, der in Nr. 87 der„Mülhauser Volkszcitung" vom 16. April 1910 Abdruck und kritische Zurück. Weisung fand. Der Versicherung des Genossen Peirotes, daß seine Verstöße gegen das Parteiprogramm nur theoretischer Art seien, widerspricht die im Protokoll der Markircher Gemeinderats- sitzung vom 8. Februar 1910 enthaltene Erklärung des Genossen Knicbühler.'der sich ausdrücklich auf die praktische Anleitung� deS Genossen PeiroteS im konkreten Markircher Fall beruft, um seine plötzliche Abkehr von der bisherigen Oktroigegnerschast zu rechtfertigen. Was endlich die sozialdemokratische Ge» meinderats Mehrheit in Bt Uthausen von 1902— 1906 betrifft, so hat sie daS Oktroi auf Zucker, Seefische, denaturierten Weingeist, Petroleum und Koks abgeschafft, nachdem vorher dem GemeinderatSbeschlusse auf Befreiung deS Fleisches vom Oktroi die Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde verweigert worden war. Eine Zustitumuiig der Fraktion zu Oktroierhöhungen ist niemals erfolgt, und selbst die schlimmsten Gegner der sozial- demokratischen Ratsmehrheit von damals haben sie niemals derart zu verleumden gewagt. Einige Oktroierhöhungen, naiuentlich auf Baumaterialien, die mit Hilfe einzelner Stimmen aus der Fraktion beschlossen wurden, erfolgten gegen den ausdrück- lichen Fraktionsbeschluß und wurden vom sozialdcmokrati- schen Verein nach einem Referate deS Unterzeichneten hernach verurteilt. Die von Peirotes vermißte„persönliche Verun- glimpfung der in Frage kommenden Parteigenossen" schloß sich von selbst aus, da diese Parteigenossen dem Parteibeschlüsse sich loyal unterwarfen. Das war also damals in der Tat etwas ganz anderes. Jean Martin.
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten