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Nr. 273. 27. Jahrgang.

1. Beilage des Vorwärts " Berliner Volksblatt. Dienstag, 2. November 1910.

Die Moabiter Vorgänge

vor Gericht.

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Aber es waren auch

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Am

Ladens sprachen, wird vom Verteidigertische eine dahingehende lieren, sondern daß es sich nur um einen Unfug Frage an den Zeugen Preuß gerichtet, die er dahin beants handelte, etwa so, als wenn man mit einem Stock über Roll­wortet: Eine Plünderung meines Ladens hat nicht statt- läden fährt um Geräusch zu machen. Draußen wurde gejohlt und gefunden. Polizeileutnant Göße behauptet: Preuß geschrien, ich hörte auch Schutzleute vorüberreiten. Das Gros der hätte gehört haben müssen, daß aus den Häusern seiner Nachbarschaft Leute, welche ich auf der Straße sah, waren junge Menschen­geworfen worden sei. Zeuge Preuß bestreitet das. Als er kinder von 15 bis 20 Jahren. Es waren auch weibliche Neunter Tag. von den Beamten vom Balkon vertrieben wurde, habe er nicht ge- Personen und ein Teil ältere Leute dabei. Mindestens die Nach Eröffnung der Sigung beantragte Rechtsanwalt folle deshalb bom Balkon gehen, damit er nicht insulte gegen mich war eine Episode, die spontan zum Ausdruck wußt, daß geworfen fein soll. Er habe angenommen, er hälfte der Menge kann man als Janbagel bezeichnen. Die Dr. Heinemann die Ladung des Polizeirats Dr. Henringer. fehe, was auf der Straße passiert. Die Beamten hätten fam und nur einen Moment dauerte. Derselbe folle angeben, wie viele Beamte der politischen ihm gedroht, sie würden schießen, wenn er sich nicht vom Balkon direttor Lieber fragt den Beugen, wie sich nach seinen Landgerichts= Abteilung in Moabit tätig waren, welchen Auftrag sie hatten und wie sie gekleidet waren. Weiter ersucht der Verteidiger Göze die Frage, ob er nichts davon wisse, daß bei einer Attacke an entferite. Rechtsanw. Rosenberg richtet an den Polizeileutnant Beobachtungen das Publikum auf der Straße den Vorsitzenden, die bereits beantragte Genehmigung des Polizei- reitender Schuyleute eine Gruppe von Kriminalbeamten beinahe mit Schwebel gibt darauf folgende Auskunft: Es waren viele anderen Tagen zusammensete? Pastor präsidenten zu uneingeschränkter Aussage der Polizeibeamten ohne Säbeln geschlagen worden wären. Sie hätten sich durch Hochheben junge Mütter mit Kindern da, die nur aus Neugier auf die Straße Verzug einzuholen. Kriminalbeamte in Tätigkeit. ihrer Stöcke als Kriminalbeamte zu erkennen gegeben und wären gegangen. Dann eine große Schar junger Männer, die immer da dadurch dem Angriff entgangen. Der Zeuge Göge weiß nichts find, wo etwas los ist, also der Janbagel. Polizeileutnant& olte meldet sich, um seine Aussage davon. viele darunter, denen man ansah, daß sie ohne ihre Schuld zu ergänzen. Er sei am 28. oder 29. nachts dazu gekommen, als Die Angeklagte Frau Friese erklärt zu diesem Thema: unter die Menge geraten sind: Arbeiter mit Schuyleute, die unter seinem Kommando standen, ein Automobil an- Der Kriminalbeamte Hent, den sie von ihrer Jugend auf kenne, sei Arbeitszeug, die bemüht waren, so schnell wie gehalten hatten, welches die Absperrungslinie mehrfach gefreuzt in ihrer Wohnung gewesen und als er sie über die erhaltene Miß- möglich aus dem Trubel hinauszutommen. habe. Von den zwei Infassen der Autodroschke folle der handlung weinen fah, babe er zu ihr gefagt: Das ist ja doch nicht 27. und 28. ist es nach Angabe des Zeugen am Tage ruhig gewesen, eine die Schußleute verhöhnt haben. Als der Beuge so schlimm; ich selbst habe ja vicle Keile von den Beamten bekommen". gegen Abend hätten sich wieder Menschen angesammelt und die dazu tam, waren die beiden Fahrgäste ausgestiegen. Die Angeklagte behauptet weiter, daß der Schuhmann, der fie nach Schußleute hätten mit großer Höflichkeit versucht, die Leute zum Sie feien bekneipt gewesen. Zwei Kriminalbeamte in Zivil der Polizei brachte, ihr auch gefagt habe, er habe soviel Hiebe be- Fortgehen zu bewegen. hätten sich ebenfalls mit den beiden Leuten aus der Auto- kommen, daß er noch Striemen am Körper habe. Daß jemand von einem Schumann geschlagen wurde, hat der Zeuge nicht gesehen. Er habe droichte beschäftigt. Der Zeuge sagt, er habe seine Leute, Beugin Frau Preuß bestätigt die Angaben ihres viel mit Augenzeugen über die Vorgänge gesprochen. Die als er dazu kam, sogleich zurückgezogen. Einer von Mannes über die Migbandlung des jungen Mannes. Der junge Mann hätten ihm gesagt, das Provozierende seien die Menschen­den beiden Fahrgästen habe den Chauffeur bezahlt und sei dann ging ruhig an den Schußleuten vorbei. Ein Schuhmann stieß ansammlungen, denn sie seien ja zuerst dagewesen. Erst nach fortgerannt. Der Mann sei von einem Kriminalbeamten und schlug ihn, daß er zu Boden fiel und dann wurde her sei die Polizei gekommen. Sie habe aber sehr scharf berfolgt worden. AIS er zurückgebracht wurde, der am Boden liegende junge Mann, der laut weinte und Hilfe eingegriffen, und dabei feien auch Menschen zu blutete er an der Stirn. Wie er zu der Verlegung ge- rief, von zwei Kriminalbeamten mit Stöcken geschlagen. Die Zeugin Schaden gekommen, die an den Ausschreitungen kommen ist, danach hat der Zeuge nicht gefragt. Er hat ihn hörte, wie die Stöcke durch die Luft pffiffen. Auch Frau der Menge ganz schuldlos feien. Der Zeuge ist der verbinden lassen und glaubt seine Pflicht da Preuß ist von den Schuyleuten vom Balton ver Meinung, daß die Leute bei solchen Gelegenheiten von Neugier ge­durch erfüllt zu haben. Rechtsanwalt Dr. Rosen- trieben worden, obgleich im ganzen Hause die frieben auf die Straße gehen und nicht ermeffen können, welcher feld: Warum hat der Zeuge seine Leute zurückgezogen? Polizei größte Ruhe herrschte. Gefahr sie sich dadurch aussetzen. Andere Leute, mit denen der Leutnant Folte: Weil sich Beamte der vierten Abteilung mit Buchhalter Brüttte, ein Angestellter im Warenhause Beuge sprach, hätten ihm gesagt, hier fönne man sehen, wohin es dem Automobil beschäftigten und ich es grundsäglich vermieden habe, von Preuß gibt an, daß er einmal, als er auf dem Wege nach führt, wenn die Behörde nicht von vornherein geeignete Maßnahmen mich um die Beamten der vierten Abteilung zu tümmern. Hause mit einigen Bekannten stehen blieb, von einem Kriminal- treffe. Ein radikaler Schluß der 200 Schankstätten der Stadtgegend wäre Rechtsanwalt Rosenfeld: Läßt sich denn die Tätigkeit der schutzmann gestoßen wurde. Der Zeuge hat gesehen, daß ein geboten gewesen. Schon nachmittags hätte die Gruppierung von Menschen Kriminalbeamten und der uniformierten Schußleute so streng trennen? Mann, der durch die Schumannstette hindurch verhindert werden müssen. Auch ein frühzeitiger Schluß der Häuser Polizeileutnant Folte: Darüber verweigere ich die geben wollte, geschlagen und gestoßen wurde, hätte angeordnet werden müssen, damit die Bewohner der Hinter­Auskunft. Rechtsanwalt Cohn: Ist es zu daß er hinfiel. Ein anderer Mann sei von einem häuser nicht auf die Straße fönnten. Der Zeuge tlagt darüber, daß Differenzen zwischen Kriminalbeamten und uniformierten Schuhleuten Schutzmann zu Boden geworfen worden. Der die Jugend durch aufreizende Lektüre gegen alles, was gekommen? Polizeileutnant Folte: Die Beant Schuhmann habe den Mann absichtlich auf die Füße getreten als Obrigkeit gilt, eingenommen werde.. Durch Zeitungsartikel, in wortung dieser Frage lehne ich ab. Es handelt sich um ihn dadurch zu Falle gebracht. Weiter gibt der denen von Bluthunden die Rede sei, würden die Leute verhett und eine disziplinare Angelegenheit der Polizei. Rechtsanwalt Beuge an, die Schaufensterscheiben feien feiner Ver- zum Haß gegen die Obrigkeit veranlaßt. Erster Staats­Itur zufällig durch Cohn: Sie haben die Genehmigung, über alles auszusagen, was mutung nach wohl Stein anwalt Steinbrecht fragt: Was für Artikel find auf der Straße paffiert ist. Ich frage Sie, ob es auf der Straßewürfe getroffen, die nach Laternen gerichtet waren. Vom bas, die diesen verderblichen Einfluß ausüben. Pastor anläßlich der Vorgänge in Moabit zu Differenzen zwischen Kriminal- Staatsanwalt über das Plakat im Schaufenster befragt, fagt Schwebel: Leider Gottes werden in Schaufenstern Zeitungen beamten und uniformierten Schugleuten gekommen ist und ob es der Zeuge, es sei nur eine Vermutung gewesen, daß die Scheiben ausgehängt und Artikel mit aufreizenden Ueberschriften sagar zu ernsten Zusammenstößen, ja zu eingeworfen wurden, weil das Gerücht umging, die Firma habe blau angestrichen. Jeder Vorübergebende liest das dann. Decken an Kupfer u. Co. geliefert. Unter den Kunden des Waren- So hat sich die Arbeiterbevölkerung gewöhnt, nur das zu lesen, Schlägereien zwischen beiden Beamtenkategorien haufes fagt der Zeuge war die Ansicht vorherrschend, die was gegen die Obrigkeit gerichtet ist. Durch folche Zeitungslektüre gekommen ist?- Polizeileutnant Folte: Die Beant- Straßenunruhen seien dadurch hervorgerufen worden, daß die Polizei werden namentlich die Frauen aufgehezt. Wenn es dann zu solchen wortung dieser Frage lehne ich ab. ohne Grund mit der Waffe gegen das Publikum vorging. Borgängen kommt, so schwindet jede Beherrschung. Erster Staats­Längere Zeit nimmt die Vernehmung des anwalt Steinbrecht fragt nochmals, welche Artikel oder Pastors Schwebel welche Zeitungen der Zeuge meint. Pastor Schwebel: Die Welt am Montag" und die Zeit am Montag" kommen in erster Erster Staatsanwalt Steinbrecht : Haben Sie auch den Linie in Betracht. Das schlimmste aber ist der Simplicissimus".

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Konnte man die Prügeleien sehen?

und

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Als Kaufmann Preuß am Sonnabend feine Aussage über die Mißhandlung eines jungen Mannes durch Kriminalbeamte gemacht von der Reformationskirche in Anspruch. Nach Berichten bürgerlicher hatte, bestritt Polizeileutenant Göze, daß der Zeuge Preuß vom Zeitungen soll Pastor Schwebel am Abend des 26. von der Menge Balton seiner Wohnung aus die Stelle sehen bedrängt worden sein und zwar derart, daß er nur mit Mühe sein tönne, wo sich der Vorgang abgespielt haben soll. Deshalb wird Leben habe retten können. Nach den Angaben, die Pastor Schwebel" Vorwärts" aushängen sehen?-8euge: Der Vorwärts" jezt eine eingehende Erörterung an der Hand eines Situations. als Beuge machte, stellt sich der Vorgang wesentlich anders wird in der Gegend nicht ausgehängt. Den haben ja die plans über die Lage der Preußschen Wohnung ge- dar. Er fam am 26. um 114 Uhr abends mit der Straßenbahn Leute im Haufe.- Auf eine Frage des Ersten Staatsanwalts läßt pflogen. Der Beuge Preuß legt dar, daß er die Vorgänge in die Nähe seiner Wohnung, die unmittelbar neben der Reformations- fich der Beuge eingehend aus über die soziale Lage der Moabiter fehr gut habe überieben lönnen und bleibt in allen Bunften firche in der Beuffelstraße liegt. Der Wagen hielt, die Straße war Bevölkerung, namentlich über die auf die Jugend ein bei seiner Aussage. Er bemerkt ferner, es sei ihm sehr unangenehm, dunkel, weil die Laternen verlöscht waren. Gine große Wienichen- irkenden Verhältnisse. Bis zur Konfirmation seien die Gleich darauf würden sie meist daß er in diese Sache verwickelt worden sei, als Geschäftsmann menge war auf der Straße. Ein junger Menich von 18 bis jungen Leute meist gute Menschen. fürchte er Nachteil von der Sache, denn seine Kundschaft seze 20 Jahren warf die legte Laterne aus, die noch brannte. dreist, unverschämt und unempfänglich für gute Einflüsse. Zum fich aus den verschiedensten Kreisen der Bevölkerung zusammen, Fast gleichzeitig flog ein Stein an die Seite des Wagens. Der großen Teil sei das darauf zurückzuführen, daß die jungen Männer nichts erlernen, sondern gleich in die Fabriken gehen. auch viele Beamte feien unter seiner Kundschaft. Der Beuge Preuß Beuge jagt: Jch stieg mun aus. Man rief aus der Menge: teilt noch mit, daß ihm von anderen Personen Fälle von ist ja der Pfaffe Schwebel, schlagt den Hund tot." Auch bei den jungen Mädchen mache sich der Einfluß der Fabrit An einer Erziehung im Hause In dieser Situation hielt ich es nicht für unvereinbar mit meiner arbeit unangenehm bemerkbar. Manneswürde, so schnell wie möglich zu entkommen. Ich ging auf mangele es oft ganz. Das sei zurückzuführen zum Teil auf die Haustür meiner Wohnung zu. Da wurde mir nachgerufen: chlechte foziale Verhältnisse der Eltern, zum Teil " Da läuft er ja." Ich ging ins Haus und wollte die Tür aber auch auf Mangel an gutem Willen. Auf eine Frage nach der ( Beschädigung der Reformationskirche

Mißhandlungen durch Polizeibeamte

Erzält worden sind. Ein Friseur habe ihm erzählt, daß er von feinem Fenster aus, wo er von den Beamten nicht bemerkt werden Lonnte, gesehen habe, wie

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Kleines feuilleton.

Da

indem er dem Toten die kirchliche Bestattung und die Totenmessen weigert. Auch davor bleibt der freie Christ also glücklich bewahrt, wenn er in Jassnaja Poljana, dem Gut, wo er so lange gelebt, beigesetzt wird.

Sie

hinter mir schließen, was mir aber erst nach einer halben Straßenpassanten von Kriminalbeamten furchtbar geschlagen Stunde gelang, weil der Schlüssel beschädigt war. Während fagt der 8euge: Es sind 11 Fensterscheiben eingeworfen. Der wurden, auch eine alte schwächliche Frau habe ohne jede Ursache einen dieser Zeit hörte ich, daß nicht an meiner Tür, aber Schaden ist berhältnismäßig gering. Die Beschädigung Säbelhieb bekommen. Die Verteidigung beantragt die an den beiden dicht daneben befindlichen Türen mit harten der Kirche ist in den Zeitungen durchweg außerordentlich Ladung dieser Personen. Da die Vertreter der Staats- Gegenständen geschlagen wurde. Ich hatte den Eindruck, übertrieben worden. Die Verteidiger fragen den anwaltschaft fortgesetzt von einer Plünderung" des Preußschen daß dies nicht geschah, um die Türen zu demo Beugen, ob ihm nicht bekannt sei, daß gerade die organisierte lichen Gegenstandes, wiederholt werden. Es würde sich empfehlen, fünftig bei allen und nicht bloß bei einigen Liedertexten deren Verfasser zu nennen. Daß die Chorlieder mit folistischen Vokal- und Instrumentalvorträgen abwechselten, ist nur zu loben. Ein neuartiger Leitartikel". In London erscheint seit Frl. Anna Drechsler hörte man es an, daß sie sozusagen direkt einigen Tagen ein neues Abendblatt, die Evening Times". Ihr von der Opernbühne aufs Konzertpodium gesprungen war. Vorbild find die gelben Blättchen, die nach dem Muster der lieben verkörperte gleichiam, was sie mit stimmlicher Bravour und Rundung aus Opernpartien sang, die ihr " Daily Mail" gearbeitet sind, mit anderen Worten: ihr Inhalt künstlerischer besteht zum größten Teil aus phantastischen politischen Nachrich gerade auf der Bühne vortrefflich liegen dürften. ten, Theaterklatsch, Hoflakaiengerede, Mitteilungen aus der soge- Urad entzückte durch meisterliche Vorträge auf dem Cello. älterer wie neuerer Komponisten führte er mit nannten Gesellschaft und Sportnachrichten. Um sich aber wenig- Stücke ftens durch etwas von den anderen Vertretern der gelben Presse edler Beherrschung vorüber; dabei trat neben schöner Ton­zu unterscheiden, hat die Evening Times" einen neuartigen Zeit- gebung auch des Künstlers virtuose Technik ins Hellste Licht. artikel geschaffen. Was ist ein Leitartikel? Ein mehr oder minder Beide Mitwirkenden, die Herr Alexander Weinbaum, der be= umfangreicher Kommentar zu dem Ereignis des Tages. Die gelbe währte Chormeister der Typographia, fein auf dem Flügel begleitete, Preffe hatte den Leitartikel schon auf fünfzehn bis zwanzig Beilen mußten fich zu einer Zugabe verstehen. So sehr das Publikum reduziert; die Evening Times" aber hat auch diese zwanzig Beilen daran seine Freude haben mag vom Standpunkt einer höheren abgeschafft und sie durch ein Bild ohne Worte ersetzt. So können Stonzertveranstaltung wird diese Zumutung als Unfitte zu verwerfen die englischen Leser das Ereignis des Tages gründlich kennen lernen, ohne daß sie ihren Verstand zusammenzunehmen brauchen: sind doch Vernunft und Ueberlegung wie Manzoni einmal fagte unter Umständen höchst lästige und überflüssige Dinge. Ganz abgesehen davon, daß das so hergestellte Blatt auch von Analphabeten gelesen werden kann!

Tolstois Tob. Allein zu sterben, unbelästigt von den Krämern und Schacherern, denen jede menschliche Größe nur als Profit­quelle ehrwürdig ist, fern von seiner Familie, die ihn mit Guwverbs­und Erbschaftsinteressen seinem Jdeal abspenstig machen wollte, hatte der 82 Jährige heimlich Haus und Heim verlassen. Und nur zu bald ging die Todessehnsucht des greifen Dichters in Erfüllung. Auf seiner Flucht in die Einsamkeit mußte Tolstoi frant Halt machen. Eine Herzlähmung hat ihm nach ein paar Tagen des Krantenlagers ein sanftes Ende bereitet. Sonntag, den 20. No­vember, früh 6 Uhr, war er für immer von den Widersprüchen befreit, in die ihn Lehre und Leben verwickelt hatten. Aber ganz so einsam, wie er es gewünscht, ist er nicht verschieden. Die Zi­vilisation, die er bekämpfte, hatte ihre besten Aerzte an sein Bett entfendet. Wehrlos mußte der Strante protestieren:" Auf der Erde find Millionen Menschen, von denen viele leiden. Weshalb sind

Sie denn alle bei mir allein?"

Auch die Familie hatte sich am Sterbebette versammelt, ohne daß( wie es scheint) eine Aussöhnung stattfand. Draußen aber wartete die Schar der Reporter und Schriftsteller, gierig, jedes Detail aufzuschnappen. Denn Tolstois Tod ist natürlich ein Er­

eignis.

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Musik.

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Humor und Satire.

erhalten.

e. k.

Otto

Bisher habe ein

Der Tribut der Syphilis. In der Neuen Preußischen Storrefpondenz" bespricht ein Arzt ausführlich die drobende Schädigung der wirtschaftlichen Lage der Aerzte und namentlich der Hautärzte durch Ehrlich- Hatas Syphilis - Heilmittel 606", wenn es wirklich Der Kampf um den Toten geht inzwischen weiter. Trauer­sein Versprechen weiter erfüllt"; er meint, daß die Einspritzungen, fundgebungen finden überall statt. Die Reichsduma chrte sein Andenken am Montag durch Erhebungen von den Sißen und schloß Konzert der Typographia". Der riesige Festsaal die sich in fürzester Zeit schon um 7 bis 10 Mark ausführen lassen werden, da die Kosten des Präparats nur 4 Mart be= die Sizung gegen protestierende Stimmen der Rechten. Die Ka- der Neuen Welt" faßte am letzten Sonntag taun alle Gäste, die ge- tragen, bon feinem Arzte unter 50 Mark vorgenommen detten beantragten seine Beisetzung auf Staatskosten. Heute und kommen waren, um den Vorträgen des Gefangvereins Berliner werden sollten, damit die Aerzte wenigstens teilweise für den Stolz Rußlande" feiern, den es bei Lebzeiten nur gar zu gern Urteil über die hervorragende Leistungsfähigkeit dieses stärksten aller Syphilisfranker dem Arzte bis zur Heilung 300 bis 500 m., also morgen wird gewiß das ganze offizielle Rußland den Ruhm und Buchdrucker und Schriftgießer anzuwohnen. Dem längst feststehenden ihren großen Schaden Ersatz mundtot gemacht hätte. Der Tote kann diese Marodeure, die feine Berliner Arbeiter- Männerchöre ist allenfalls hinzuzufügen, wie sehr durchschnittlich 100 M. im Jahre, eingetragen, und noch ergiebiger Größe ihren Zwecken dienstbar machen wollen, nicht davon jagen, er sich bestrebt, den stetig erworbenen Ruf zu wahren. Hiervon war der chronische Verlauf der Krankheit. Hautärzte insbesondere aber seine Werke werden für ihn, als Empörer der Gewissen, gab denn auch dies Vokalkonzert untrügliche Beweise. Der Hörer hatten zu 75 Proz. Syphilisfranke als Patienten. genießt die Empfindung von einem Tonförper, an dem sich alles zu aber muß rechtzeitig etwas geichehen, wenn der Gegen der In jedem Falle Noch ein anderer Kampf wird sich abspielen: um Tolstois lite- einer gewaltigen Einheit verschmilzt. Man merkt nichts mehr von Ehrlichschen Erfindung für viele Tausende von Aerzten nicht zu einem rarische Erbschaft, die in den Händen seines bei der Tolstoischen der Mühe und peinlichen Sorgfalt, die auf das Studium der je- Fluch werden soll." Familie bestgehaßten Jüngers Tschertkow sich befinden soll. weiligen Chöre verwendet wurde und kann sich dem Genusse be- So schreibt ein Helfer der leidenden Menschheit, bemerkt der An der Bahre des lebten Christen" werden so all die Mächte ruhigt hingeben. Da wollen kleine temperamentvolle Ausbrüche, wie Simpliciffimus" dazu. lebendig, die er auf seine Weise bekämpft hat: sein Tod enthüllt solche in Wilhelm Kienzls" Bolkslied" einige Male bemerklich uns unerbittlich die Tragik seines Lebens und Strubens. wurden, nicht viel bedeuten. Andere weit schwiegere Stüde , Tolstoi ist ohne Versöhnung mit der orthodoxen Kirche ge- namentlich Mar Bruchs Friede den Schlummernden", hier gerade storben, die ihre Späher vor und in die Tür des Erkommunizierten die Schlußstrophe, erhoben sich zu dramatischer Wucht. Der Pfeifer" Ein neues Wert Gortis. Magim Gorki hat nach sandte, um womöglich noch seinen letzten Seufzer als Zeichen der von the graben wurde mit pointierter Verve und Fröhlichkeit einem Bericht der Revue" ein neues Drama vollendet, das als Reue und Rückkehr in Anspruch zu nehmen. Vor dieser Ausbeu- gesungen; zart und innig famen Johannes Brahms Jn stiller Titel den Namen seiner Heldin Sava Schelesnolva" trägt. Szenen tung wenigstens hat sich der Sterbende zu schüßen gewußt. Der Nacht" und Friedrich Silchers" Nun leb wohl, du kleine Gasse; und Gestalten der jüngsten russischen Vorgänge sollen hier auf die Heilige Synod, der so gern diesen Heiligen fruttifiziert und das" Ständchen" des Desterreicher Eduard Kremser mußte, Bühne gebracht werden; die aktuellen Probleme werden behandelt, hätte, ist nicht auf seine Rechnung gekommen. Jetzt rächt er sich, obwohl hauptsächlich wegen seines allgemein verständlichen text- I die gegenwärtig die Gemüter der russischen Intelligenz bewegen.

zeugen.

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Notizen.