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Fassung der Kommission. Der Kollege Marx wunderte sich, daß unser Antrag auch die kleinen Leute treffen soll, die nur 2000 M. Einkommen haben und die der Kommissionsentwurf freilassen will. Der Kommissionsantrag zeigt aber deutlich den agrarischen Pferde- fuß. In agrarischen Kreisen ist es ja Mode, das Einkommen niedrig einzuschätzen, und sehr reiche Agrarier verstehen es, sich so einzuschätzen, daß sie unter der Einkommen- grenze von 2000 M. bleiben, und noch mehr würden die Agrarier steuerftei bleiben, wenn die Anträge angenommen werde», die Einkommensgrenze für die Steuerfreiheit auf 3000 M. zu erhöhen. Die wirklich kleinen Leute bleiben schon nach der Bestimmung des ß 20 steuerfrei, wonach Beträge bis zu 20 M. nichl erhoben werden, und wenn ein kleiner Mann durch besondere Umstände, einen Schulbau und dergleichen, einmal einen besonders großen Gewinn macht, so wird er die Steuer auch gern zahlen, ganz im Gegen- satz zu den st euer scheuen Agrariern.(Zustinimung bei den Sozialdemokraten. Widerspruch rechts.) Auch die Ausnahme- bestimmung für die unbetveglichen Bergwerksanteile ist unzulässig, das Bergeigentum darf nicht anders behandelt werden wie das andere Grundeigentum. Die agrarische Durchseuchung dieser Steuer enthüllt wieder das Spiel des schwarzblauen Blocks. (Lärm rechts und im Zentrum, Zustimmung bei den Sozialdemo- kraten.) Dabei würde die Steuer sehr lukrativ werden, wenn sie auch die Agrarier erfaßte. Seit 1903 fft der ländliche Grundbesitz infolge der Zollgesetzgebung um nicht weniger>ls 33 Proz. im Werte gestiegen. lHört, hört I bei den Sozialdemokraten.) Der Retchsschatzfekretär führte hier Beispiele an, wonach der Kommissions- entwurf keinesSteuer verlangt in Fällen, wo die Regierungsvorlage eine solche Von 6000 M. erhebt. Neben den Agrariern werden auch die T e r r a i n s p e k u l a n t e n vor den Mauern der großen Städte geschont. Belastet werden hauptsächlich die kleinen und mittleren HauS- und Villenbesitzer, die gar nicht daran denken, Spekulations- geschäfte zu machen. Ganz ungebührlich zurückgesetzt erscheinen die Städte, statt 40 Proz. müßten sie mindestens SO Proz., wenn nicht 60 Proz. des Ertrages erhalten. Bedenken haben wir dagegen, daß der erhöhte Umsatz- stempel noch drei Jahre aufrechterhalten werden soll; gedacht und versprochen war die Steuer ja als eine Ersatz- steuer für diesen Umsatzstempel. Daß Sie ihn jetzt aufrechterhalten wollen, beweist deutlich, daß Ihr Triumphgeschrei über die Erfolge der Reichsfinanzreform npr Schein und leerer Wahn find, es beweist, daß schon jetzt die Reichsfinanzreform bankerott gemacht bat.<Lebhafte Zustimmung links, Lachen rechts und im Zentrum.) Sie haben die Zuwackssteuer nötig, um den Etat zu balanzieren. Sie ist geradezu der Eckstein deS Etats. Und dabei ist es noch fraglich, ob das Versprechen, den erhöhten Umsatz stempel nach drei Jahren aufzuheben, erfüllt werden wird. Es ist schon manches versprochen, was nicht gehalten wurde.(Widerspruch rechts.) Ich erinnere nur an die Witwen- und Waisen- Versicherung.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ferner wollen Sie den Ertrag der Steuer für die neue Heeres- Vorlage verwenden, und was etwa übrig bleibt, den armen Veteranen gewähren. Auch dagegen haben wir ernste Bedenken. Nie werden wir einwilligen, die Erträge der Steuer für die Heeres- Vorlage zu verwenden, auch nicht indirekt werden wir nur einen Pfennig bewilligen für de» Militarismus, der das Unglück des deutschen BolkeS, daS Unglück aller Kulturvölker ist. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Wir verlangen Berücksichtigung der Veteranen im weitesten Umfange; die Männer, die heute als Veteranen herumlaufen und not» leiden, waren es ja, die 1870 in Frankreich mitgeholfen haben, die Grundlage zu schaffen, auf welcher der große Wertzuwachs entstehen konnte, darum haben Sie in erster Reihe einen Anspruch auf die Erträge aus dieser Steuer. Deshalb muß dem Entwurf ein Paragraph eingefügt werden, der deutlich bestimmt, daß das Geld ,n er st er Linie den Veteranen gehört.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Und was etwa übrig bleibt, muß verwendet werden, eine der in- direkte» Steuern zu beseitigen, die heute so schwer auf dem Volke lasten. Die Nationalliberalen wollten ja die Z ü n d h o l z st e u e r gern beseitigen, wenn sie Ersatz dafür hätten; hier zeigen wir Ihnen den Ersatz. Diese Verwendung des Geldes ist dringender als für eine Heeresvorlage, die keineswegs so notwendig erscheint. Wir sind also überzeugte Anhänger einer gesunden, alle Schichten der Bevölkerung, vor allem die besitzenden Schichten, auch die be- sitzenden agrarischen Schichten fest anpackenden Zuwachssteuer. Machen Sie eine solche mit uns, so wird das Volk Sie auch einmal segnen. Wahrscheinlich werden Sie es ja nicht tun, aber wir werden alles daran setzen, es zu erreichen, und das Volk wird uns dafür seine Zustimmung geben.(Lebhaftes Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Weber(natl.): Der Herr Kollege Göhre möchte die ReichSwertzuwachssteuer einerseits zur Unterstützung der Veteranen, andererseits zur Beseitigung der Zündholzsteuer benutzen. Aber um beide Zwecke zu ersüllen, dazu reichen die Erträgnisse der Wert- zuwachssteuer nicht auS. Die Abschaffung derDZimdboljsteuer auf Rechnung der Wertzuwachssteuer würde bedeuten, daß die Veteranen keinen Pfennig erhalten. Wir sind prinzipiell für die Reichswertzuwachs st euer, versprechen uns aber von ihr nicht solche Wunderwirkungen wie die Bodenreformer. Der ReichSschatzsekretär betrachtet die Vorlage unter dem natür- lich sehr berechtigten Gesichtswinkel, daß sie ihm höhere Ein- nahmen verschaffen soll; wir haben daneben aber auch noch andere Gesichtspunkte ins Auge zu fassen. Durch die Wertzuwachssteuer werden bedeutsame Interessen in schwerwiegender Weise tangiert. Die kleinen Vergünstigungen, wie sie von der Kommission be> schloffen worden sind, sollte Herr Göhre dem Mittelstand doch gönnen. Wenn Graf W e st a r p aufrichtig den Wunsch hegt, den Besitz gleichmäßig zur Steuerleistung für das Reich heran- zuziehe», so mag er mit uns dem Gedanken einer Reichsvermögens st euer näher treten.(Sehr wahr I links.) Der Reichsschatzsekretär bedauert die Abschwächungsanträge. Aber man täusche sich nicht darüber: je drakonischer die Bestimmungen find, desto lebhafter wird der Wunsch der Betroffenen sein, sich der Steuer zu enlziehen; desto größer wird die Zahl der Scherereien, Plackereien, Prozesse usw. sein. Warum die Bundesfür st en von der Wertzuwachssteuer befreit sein sollen, ist wirllich nicht abzusehen. Wir begrüßen den KommissionSbeschluß, der diese Befreiung be- feisigt hat. Den Anträgen, die eine weitere Differenzierung zugunsten der Bauunternehmer, der kleinen Landwirte, überhaupt deö Mittelstandes bezwecken, stehen wir sympatisch gegenüber. Den sozialdemokratischen Antrag lehnen wir ab, weil er nicht nur den unverdienten, sondern auch den verdienten Wertzuwachs treffen soll. Dem Mittelstand ist die Kommission genügend entgegen gekommen mit der Wertgrenze von 20000 resp. 6000 M. und der Einkommens­grenze von 2000 M. für die Steuerfreiheit; wir halten daher die Anträge, die Grenzen auf 30 000, 10 000 und 3000 M. zu erhöhen, für überflüssig, wenn ihre Annahme uns auch nicht viel Kopf- zerbrechen machen würde.(Bravo I bei den Nationalliberalen.) Abg. Cuno(Vp.): Den Satz im Z 1,der ohne Zutun des Eigentümers entstanden ist" beantragen wir zu streichen, weil das keine klare Begriffsbestimmung für ein Sleuergesetz ist. Wie die Wertzuwachssteuer auf eine Berbilligung der Mieten hin- wirken soll, wie die Bodenreformer ständig behaupten, ist mir un- erfindlich. Ob die Steuer abwälzbar ist, hängt von den lokalen Verhältnissen ab, von Angebot und Nachfrage; am allerersten wird die Steuer von den Millionenbauern abgewälzt werden, also gerade diese, die man treffen will, werden nicht getroffen. Die Terrain gesellschaften sreilich werden die Steuer nicht leicht abwälzen koimen; werden sie aber stark getroffen, so leidet die Bau- tätigkeit. was keineswegs wünschenswert ist. Daher könnte ich als Kommunalpolitiker die Steuer nur annehmen,»oenn der Etat nicht anders zu balanzieren wäre. Deswegen können wir auch nicht dafür stimmen, daß der erhöhte Umsatz st empek neben der Zuwachs steuer weiter erhoben wird, die Kosten für die Heeresvermehrung werden sich auch anders aufbringen lassen. Ein weiteres Bedenken gegen das Gesetz ist, daß es sehr stark in die Autonomie der Gemeinden eingreift. Weiler stellt es eine erhebliche Mehr- belastung des Grundbesitzes dar. Fraglich erscheint uns, ob es nach der Verfassung überhaupt zulässig ist, daß dos Reich Steuern vom Grundbesitz erhebt, nicht für seinen eigenen Bedarf, sondern um sie den Gemeinden zu überweisen auch denen, welche diese Steuer gar nicht haben wollen. Die Kon- sequenz wäre, daß wir von Reichs wegen überhaupt die Gemeinde- finanzgebarung regeln. Die Gemeinden sind es, die aus diesem Gebiete experimentiert haben; jetzt soll ihnen die Möglicbkeit ge- nommen werden, durch weiteres Experimentieren die beste Form dieser Steuer festzustellen. Weiler ist die Steuer jetzt so gestaltet, daß der ländliche Grundbesitz geschont, der städtische belastet wird. Eine so ungerechte Verteilung der Lasten werden wir zu beseitigen suchen.(Zustimmung bei der Volkspartei.) Hieraus verlagt das Haus, die Weiterberatung auf Dienstag 1 Uhr. Schluß �7 Uhr._ Mgeoränetendaus. 4. Sitzung vom Montag, den 16. Januar. vormittags 11 Uhr. Am Ministertisch: Dr. Lentze, v. Dallwitz, V. Trott zu Solz. Beseler, v. Schorlemer, Sydow. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Wahl des Präsidiums. Die Wahl des Präsidenten erfolgt per Stimmzettel. Es werden abgegeben 306 Stimmen, davon 301 für den Abgeord- neten v. K r v ch e r(Bravo rechts), 3 Stimmzettel sind unbeschrieben. je eine Stimme entfiel auf den Abgeordneten S ch w a b a ch(natl.) (Heiterkeit) und auf den Abgeordneten Hoffmann(Soz.) (erneute Heiterkeit). Zum ersten Vizepräsidenten wird der Abgeordnete Dr. P o r s ch(Z.), zum zweiten Vizepräsidenten Dr. Krause(natl.) durch Zuruf wiedergewählt. Ebenso werden die bisherigen Schriftführer durch Zuruf wiedergewählt. Hierauf wird die erste Lesung des Etats fortgesetzt. Finanzminister Dr. Lentze: Herr Dr. Friedberg meinte, die Ein. stellung zur Einkonimensteiier sei zu optimistisch gesärbt. Ich glaube ihn dahin beruhigen zu können, daß diese Einstellung nach den bis- hengen Steuerergebnissen ausgestellt ist. Wenn gesagt worden ist, unsere Finanzverhältnisie seien so günstig. daß die anläßlich der Beamtenbcsoldungserhöhungen erfolgten Steuerzuschläge wieder rückgängig gemacht werdenkönnen, so möchte ich dem ernst kick entgegentreten. Wir haben noch immer 29 Millionen Fehlbetrag, und diese Zuschläge machen 60 Millionen Mark aus. Diese Stcuerziischläg» find auch nicht als vorübergehende anzusehen, sondern als dauernde.(Oho! links.) Nach meiner Erfahrung werden wir sie angesichts der immer wachsenden Aufgaben des Staates, vor allem ckuch der Kulturaufgaben, nicht mehr entbehren können. Abg. v. Jazdzewski(Pole): Die Beschwerden des Herrn Abg. Dr. Friedberg über das Bestehen einer Parteiregierung in Preußen können wir Polen nur unterschreiben. Ein unhalt- barer Zustand ist es, daß der Bischofsstuhl in Gnesen noch immer unbesetzt ist. Redner führt des weiteren Beschwerde über die Hand- habung deS Vereinsgesetzes gegenüber den Polen . Abg. Dr. Wiemer(Vp.): Am bemerkenswertesten war bisher die Haltung des Zentrumsredners. Der hat ein Friedenslied erschallen lassen: Seid umschlungen Konfessionen, diesen Kuß der ganzen Welt. (Heiterkeit.) Eine Ausschaltung der politischen Gegensätze, wie er sie auch wünschte, würde zu einem Aufgeben der eigenen Ueberzeugung führen. Wir sind doch hierhergeschickt, die bestehenden politischen Gegensätze auszutragen. Im übrigen bin ich mißtrauisch gegenüber den Friedensbeteuerungen des Zentrums, denn sie pflegen von ein- feitig konfessionellen Ausfällen begleitet zu sein. Wie war eS im Reichstag? Der erste Zentrumsredner war auch sehr friedlich. Der zweite war grob und der dritte war Gröber.(Heiterkeit.) Wir denken nicht an einen neuen Kulturkampf, aber wir müssen den Staat und seine Einrichtungen schützen gegen II ebergriffe derKirche. Die Erfahrungen können uns nur bestärken in der Forderung nach Ersetzung der geistlichen Schulinspektoren durch staatliche. Wirklicher Frieden zwischen Staat und Kirche wird erst herbeigeführt werden können, wenn Staat und Kirche sich vollständig überwarfen haben.(Sehr gut l links, Lachen im Zentrum.) Die Schule gehört nicht der Kirche, sondern dem Staate.(Bravo ! links.) Die Volksschule leidet nicht, wie Herr Praschma meinte, an einem Mangel, sondern am Ueberflutz von Religionsunterricht,(Sehr wahr! links.) Die Ver- dienste des Herrn v. Rheinbaben um die preußischen Finanzen erkennen auch wir an, schöpferisch hat er nach unserer Ansicht nicht gewirkt. DaS Defizit von 29 Millionen ist nur ein formell konstruiertes. In Wirklichkeit schließt der Etat ohne Defizit ab. Die Ansicht des Herrn Finanzministers, daß die letzten Steuerzuschläge auf die Dauer bewilligt seien, teilen wir durchaus nicht. Sie sind nur bewilligt bis zu der geplanten organischen Neugestaltung der Steuern.(Sehr wahr! links.) Wir halten es für das richtigste, daß die Ouote der Einkommensteuer »ach dem Staatsbedarf alljährlich festgesetzt wird.(Sebr richtig I links.) Der Aufforderung deS Herrn v. Poppenheim, in die steuer- lichen Verhältnisse überall mir allem Ernste hinein zu leuchten, wird die Regierung hoffentlich nachkommen. Die Landräte sollten von den Steuergeschäften befreit und durch technische Kräfte ersetzt werden. Das wird zur Herbeiführung einer gleichmäßig gerechten Steuereinschätzung in Stadt und Land beitragen.(Sehr richtig I links.) Für neue Orden werden einmal wieder 30 000 M a r k gefordert.(Hört! hört! links.) Die Senatoren deS neuen Kaiser- Wilhelm-Forschungsinstituts sollen goldgestickte Uniformen erhalten,(tzeilerkeit links. Zuruf bei den Sozialdemokraten: Das ist die Hauptsache!) All das beweist, wie bei uns Aeußerlichkeiten überschätzt werden. Auf der anderen Seite empfiehlt man den Veteranen mehr Spartanersinn, und diese Mahnung kommt noch dazu aus Kreisen, die sich Millionen an LiebcS- gaben bewilligen lassen.(Sehr gut I links.) Die Erhöhung der Löhne der Eiienbahnarbeiter ist gewiß zu be- grüßen, aber vielfach bleiben doch diese Löhne noch immer inter den ortsüblichen Tagelöhnen zurück.(Hört! ort I links.) Die Forderung der inneren Kolonisation können auch wir nur wünschen; dazu gehört aber auch der Verkauf und die Aufteilung von Staatsdomänen.(Sehr richtig I links.) Auch die F i d e i k o m m i s s e sind noch viel zu umfangreich, sie umfassen ein Fünfzehntel des preußischen Landbesitzes.(Hört! hört! links.) Die geplante Jugendpflege sollte sich auch auf die weibliche Jugend erstrecken, von jeder konfessionellen Sonde- rung muß dabei Abstand genommen werden.(Sehr richtig! links.) Ob der Gesetzentwurf über die F e u e r b e st a t t u n g noch in dieser Session kommt, hat Herr v. Dallwitz nickit gesagt. Die Regierung scheint auch in dieser Frage vor den reaktionären Strömungen zurückweichen zu wollen. Was man bisher von der geplanten Verwaltungsreform hört, erfüllt uns mii 'chwerer Sorge. Sie scheint darauf hinauszulaufen, die Machtsphäre der Landräte noch zu erweiteru. Dagegen müßten wir entschiedensten Protest einlegen.(Bravo ! links.) In bezug auf die Abschrift und Einsichtnahm» der Wählerlisten sollte der Minister den Landräten klare Anweisungen geben. Wie notwendig das ist. haben wieder die Erfahrungen in Labiau -Wehlau bewiesen. Bei dieser Wahl sind auch wieder konservative Flugblätter durch das K r e i z b l a t t verbreitet worden. Am un- erhörtesten war der Uebcrrumpelungovcrsuch des LandratS bei Anberaumung des Stichwahltermins.(Sehr wahr I links.) Auf den noch schwebenden Becker-Prozeß will ich. wie der ' Minister, nicht des längeren eingehen. Hätte Herr v. Dethmann Hollweg im Moabiter Prozeß ebenso gehandelt, hätte er sich die Dcsavouicrung durch das Urteil er'Part.<Sehr gut I links.) Der Prozeß Becker ist ein unerfreuliches Kulturbild. Wenn Becker sich auch zu einigen scharfen Worten hat hinreißen lassen, so Hai er sich doch als Ehrenmann erwiesen.(Schallendes Gelächter rechts.) Sie sollten doch auch Verständnis haben dafür, wenn jemand mutig für feine Ueberzeugung eintritt.(Bravo ! links.) Die Tatsache, daß wir eine konservative Parteiregierung baben, kann Herr v. Dallwitz nicht bestreiten. Das hat das Schicksal der Wahlrechtsvorlage wieder klar bewiesen; über diese wichtige Aufgabe geht die Thronrede mit eisigem Schweigen hinweg. Wenn wir auf die Beseitigung der Gegensätze aus diesem Gebiete warten wollen, wird die Reform auf den St. Nimmerleins- tag verschoben. Gerade in der Wahlrechtsfrage, die eine Macht- frage ist, werden sich die Gegensätze eher verschärfen.(Sehr wahr! links.) Preußen ist die Vormacht im Reiche und soll es bleiben. Das wird aber nur geschehen, wenn es nicht verkümmert unter dem Druck reaktionärer Zustände, sondern wenn es fort- schreitet, wenn es vorangeht auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung(Lebhaftes Bravo! links.) Kullusmimster v. Trott zu Solz ergänzt seine Ausführungen vom Sonnabend über den Modernisteneid und die Stellung der Re- gierung zu den kaiholischen Fakultäten. Minister des Innern v. Dallwitz geht zunächst de? näheren auf die geplante Verwaliungsreform ein. Ans die Beschwerden des Herrn Wiemer über die Vorgänge bei der Wahl in Labiau -Wehlau werde er bei der Interpellation über den Becker-Prozeß eingehen. Abg. Ströbel(Soz.): Auch ich muß meinem äußersten Befremden darüber Ausdruck geben, daß in der Thronrede kein Wort von der preußischen Wahlreform enthalten ist, die doch im Jahre l909 von der Thronrede als wichtigste Aufgabe der Gegenwart bezeichnet wurde. Man will offenbar zunächst das Ergebnis der Reichstags- w a b l e n abwarten und den Eindruck, den dies auf die Psyche einzelner Parteien ausüben wird. Das sieht so aus. als ob die Regierung, wenn die ReichstagSwahlen den oppositionellen Parteien einen starken Erfolg bringen, dann das Wahl- recht entsprechend demokratisch gestalten wolle. Aber daS anzunehmen, wäre sehr naiv.(Sehr wahr I bei den Sozialdemo- kralen.) Die Regierung hofft vielmehr darauf, daß der Ausfall der ReichstagSwahlen gewisse Kreise, die sich liberal nennen, aber es nicht sind, geneigt machen wird, zusammen mit der Rechten anstatt einer wirklichen Wahlreform eine armselige Scheinreform wie die zuletzt vorgelegte, anzunehmen.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Den Elsaß -Lothringern gibt man das allgemeine und geheime Wahlrecht. Was den Rcichsländern recht ist, sollte aber den Preußen längst billig sein. Das preußische Volk verlangt nicht nur das geheime und gleiche Wahlrecht, verlangt vor allem auch eine Neueinteilung der Wahlkreise. Die heutige Einteilung ist geradezu ein Skandal.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wenn die Regierung die ernste Absicht hätte, eine Wahlreform durchzuführen, so hätte sie den Landtag auflösen sollen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wenn unter der Parole der Wahlreform die Neuwahlen ausgeschrieben wären, und wenn dann die landrätliche Wahlbeeinflussung ausgeschaltet wäre, so wären wahrscheinlich die Landtagswahlen trotz des Dreiklassenwahlsystems etwas anders ausgefallen als bisher.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Die Parteien mit Ausnahme der Freisinnigen Polkspartei haben der Regierung ihre volksfeindliche Haltung in dieser Frage außer- ordentlich leicht gemacht. Herr Friedberg hat kein Wort von einer Neueinteilung der Wahlkreise gesprochen, hat nicht einmal eine Abschwächung deS Drei- klassenwahlrechtS gefordert, sondern nur das direkte Wahlrecht, daS die Regierung selbst angeboten hat, und das geheime, für das sogar die Konservativen zu haben sind, lleberhaupt war die Rede des Herrn Friedberg typisch nationalliberal. Am schärfsten war er in der Kritik des Falles der galizischen Dienstmagd, die. wie er genau wußte, bei der Regierung kein Mißfallen erregen würde. Bei der Kritik des Falles Becker wurde er schon viel vorsichtiger und bei der Kritik des Moabiter Prozesses hat er seinen gewohnten Scharfmacherton wieder gefunden.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.( Die Ratio na lliberalen würden ja so gern mit der Rechten techtelmechleln, wenn eS das Zentrum nicht schon täte. Aber sie sind dermaßen bescheiden. daß sie sich schließlich wohl auch mit einer T r i o l e begnügen werden.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Immerhin er- wähnte Herr Friedberg wenigstens die Wahlrechtsvorlage, aber der Redner des Zentrums sprach von dem Wahlrecht auch nicht mit einer einzigen Silbe.(Hört! hört! bei den Sozial- demokraten.) DaS wundert uns von dem Grafen Praschma persönlich nicht, wir wissen ja, daß er zu den Mitgliedern des Zentrums ge- hört, die seinerzeit den Wahlrechtsantrag nicht unterzeichnen wollten. Es ist aber bezeichnend, daß das Zentrum gerade diesen Herrn zu seinem Fraktionsredner gemacht hat. Er hat auS seinem reaktionären Scharfmacherherzen keine Mördergrube gemacht. Die Wahlrechtsfrage ist für das Zentrum eben keine Prin» zipienfrage, sondern eine Frage, die es unter dem Gesichts- Punkt betrachtet, was eine solche Reform dem Zentrum nützen kami. ehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) In Preußen hat das Zentrum bekanntlich gegen die direkte Wahl gestimmt und auch gegen die geheime Wahl der Wahl männer und gegen eine Wahlrechtserweiterung, wie sie sogar von den Nationalliberalen beantragt wurde. DaS Zentrum wollte den Konservativen damit einen Liebesdienst leisten. Die agrarische Volksverdummung liegt dem Zentrum ebenso wie den Konservativen am Herzen. Es will ja nicht nur die Volks- schule unter die Botmäßigkeit der Kirche stellen, sondern auch die Fortbildungsschule. Es gibt überhaupt knichts Wandel- barereS als die Grundsätze deS Zentrums, abgesehen von seinen reaktionären Grundsätzen. Bezeichnend dafür ist, daß Herr Marlin Spahn, der sich g e g e n die Uebertragung des Reichstagswahl - rechts auf Preußen ausgesprochen hat, trotzdem in die Zentrums- fraktion aufgenommen worden ist.(Hört! hört! bei den Sozial- demokraten.) Auch die Jagd auf die polnischen Kaninchen ist Herr Martin Spahn ganz im Gegensatz der sonstigen Haltung des Zentrums bereit, mitzumachen. Ueber Luther urteilt er zum Beispiel:Unbeschreiblicher Jubel durchbrauste bei der Kunde seiner kühnen Tat das ganze Land." Wenn Herr Martin Spahn trotzdem in die Zentruinsfrakiion aufgenommen wurde, so eben nur aus dem Grunde, weil daS Zentrum, wie er, reaktionär bis auf die Knochen ist. Wenn auch nicht von der Wahlreform, so ist doch in der Thron- rede von der Förderung der Jugendpflege die Rede. Worauf das abzielt, wissen wir. Es handelt sich dabei um nichts anderes als um die geistige Knebelung der proletarischen Jugend.(Sehr wahr l bei den Sozialdemokraten.) Sie sprechen von Wohlfohrts» und Bildungsbestrebungen und in Wirklichkeit sind Sie die ärgsten Feinde der wirklichen Bildung. Die Volksschule in allen katholischen Ländern ist in ihrem verwahrlosten Zustande ein Beweis dafür.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Die Junkerparole ist für Sie bei Ihrer sogenannten Jugendfürsorge maßgebend. Es soll der Jugend Respekt vor der hohen Obrigkeit beigebracht werden. Glauben Sie denn wirklich damit Erfolg zu haben?(Zuruf rechtS: Abwarten I) Was haben nicht schon die bestehenden katholischen und protestantischen Jugendorganisationen versucht, und deren Zahl ist Legion, aber bedauerlicherweise für Sie, erfreulicherweise für uns sind diese Organisationen nicht imstande gewesen, den Zustrom der Jugend zur Sozialdemokratie zu hindern und deshalb soll jetzt der Siaat eingreisen. Weil die ideellen, materiellen und geistigen Mittel nicht ausreichten, weil Sie bankrott geworden sind, deshalb soll der Staat jetzt ein- treten für Ei«, für die Bankrotteure.(Sehr richtig I bei den