Sozialdemokraten.) In einer Schrift des Nltramontanen Dr. Piper Aber Jugendfürsorge wird unter anderem direkt verlangt, daß die Jugend durch die Lchrhcrrcn und Jnnungsvestimmungen zum Besuche des konfessionellen Jugendvereins verpflichtet werden sollen. Das ist der moralische Zwang, den Sie ausüben sollen, aber Sie versuchen es auch mit unmoralischem. Die preußischen Staatsbehörden, die ja immer gleich bereit sind, alles Reaktionäre zu unlerstützen, haben sich nicht bitten lassen, den konfessionellen Jugcndfaug zu unterstützen. 1901 erging eine Regierungsverordnung, 1905 erließ der Kultusminister Studt eine Weisung an die königlichen Regierungen, worin eS hieß, daß die Jugend in den Fortbildungsschulen für ihre Bestimmung in der bürgerlichen Gesellschaft zu erziehen sei— das heißt, daß sie die Rechtlosigkeit als Staatsbürger und dieAus- beutung durch die Unternehmer bereitwilligst erlragen. 1908 kam ein neuer Erlaß der Regierung heraus, worin gesagt ist, daß die Fortbildungsschule bestrebt sein müßte, auch außerhalb der S ch u l st li n d e n die Jugend in dieser Weise zu beeinflussen. Ts versteht sich von selbst, daß wir gegen diese Summe stimmen werden, wir erheben aber auch den allerschärfften Protest gegen einen solchen Mißbrauch von Staatsgeldcrn. > Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten,) Wie eS übrigens »m den konfessionellen Jugendsang, der jetzt von Staatswegen unter- iliitzt werden soll, gestellt ist, beweist die vor kurzem verösfentlichte Liste von Theaterstücken, die von rheinischen, katholischen Jugend- vereinen aufgeführt worden sind. Redner verliest eine Liste um'äg- [ich alberne Schwanke.— Abg. Hoffmann sSoz.): Diese Dramen gehören in die Ausstellung für Schund- literaturl— Der Redner verliest ein ordinäres Gedicht, das in einer ultramontanen Jugendorganisation zu Köln zirkuliert.— Das wird von der Jugendorganisation des Zentrums der Jugend beigebracht, und für diese.Volksbildung" sollen wir eine Million bewilligen. Es ist ein Zeichen des schlechten Gewissens, wenn Sie nun auf Staatskosten solche Bildung ins Volk pflanzen wollen. Gerade Sie auf der Rechten, die von dem sozialdemokratischen ZuchthauSstaat sprechen, Sie wollen durch diese Organisation einen ZuchthauSstaat einrichten. Der junge Mann, der aus der Schule kommt, soll gleich in diese Organisation hineingesteckt werden, wo die Jugend ihren Klasseninteressen entfremdet werden soll, selbst ihren Eltern und nächsten Angehörigen I(Lachen recht?.) Sie werden doch ohne weiteres zugeben, daß die Eltern der jungen Arbeiter, daß bei weitein die große Mehrheit des deutschen und preußischen Volkes der Sozialdemokratie angehört j(Lachen und Widerspruch rechts.) Wir lehnen diesen Posten ab, er wird ja wahrscheinlich doch angenommen werden.(Sehr richtig! rechts.) Konservative und Zentrum haben sich alle begeistert dafür ausgesprochen, und der Embryo dafür war ja auch schon vorhanden in der Zentralstelle für Volkswohlfahrt, die von dem Freiherrn v. Zedlitz so sehr gelobt und dadurch auch schon als reaktionäre Gründung gekenn- zeichnet worden ist.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten. Zu- ruf.) Ick weiß nicht, ob man die Nationalliberalen rechnen soll zu den Amphibien oder zu einer anderen Spezies. Sie schnappen bis- weilen in liberaler Luft, aber sie sühlen sich auch in dem reaktionären Morast wohl.(Heiterkeit.) Präsident v. Kröcher: Ich bitte, von Mitgliedern dieses Hanfes nicht in dieser Weise zu sprechen.(Erneute Heiterkeit.) Abg. Ströbel(fortfahrend): Versuchen Sie es ruhig mit der Zwangserziehung, mit der Knebelung der Arbeiterklasie. Fahren Sie nur so fort! Die Jugend wird trotz alledem zur Sozialdemokratie kommen!(Widerspruch rechts, Zustim« mung bei den Sozialdemokraten.) In der Thronrede fehlte völlig der Hinweis auf die Reform der direkten Steuern. Auch wir verlangen natürlich diese Reform, die Zuschläge sind ja nur ein Provisorium. Wir verlangen, daß die Zuschläge für niedere Ein. komme» vollständig beseitigt werden. Als die Zuschläge eingeführt wurden, halte ja sogar die Regierung gefordert, daß die Zuschläge erst bei 300 M. beginnen sollen, aber die Mehrheit hat das Gesetz so gestaltet, daß die Zuschläge schon bei 1200 M. beginnen. Wenn wir für die Aufbesserung der'Unterbeamten eingetreten sind, hieß es innner— es fehlt uns ja die Deckung I Man sieht di» Absicht, wes- halb keine Steuerreform gemacht wird. So relativ günstig momentan die preußischen Finanzen sind, so teile ich nicht die Auffassung des Abgeordneten Dr. Fricdberg, daß Steuererhöbungen überflüssig sein werden. Es kann sehr wohl ein Zeitpunkt kommen, wo das St eich höhere Ansprüche an Preußen stellt. Die Reichsflnanzen bieten auch nur dank außerordentlicher geschickter Frisierung ein günstiges Bild, in Wirklichkeit besteht ein Defizit im Reiche von 220 Millionen und nach Abzug des Münzerträgnisses von 190 Millionen. Man wollte verdecken, daß nächstens wieder neue Steuern notwendig sein werden, daß man wiederum eine neue Bolksausplünberung durch indirekte Steuern plant. Freilich wogt eS niemand schon jetzt, in dieser Zeit der un- geheuerlichsten Teuerung abermals mit Koniumsteuern hervorzutreten; obgleich die Fleischnot äußerst empfindlich ist, tut auch das Zentrum nichts, damit das Volk billige« Fleisch erhält. Das Zentrum hat sich ja den Agrariern mit Haut und Haar verschrieben. Es ist be- wiesen, daß die Vorteile des durch die Zölle ermöglichten Fleischwuchers hauptsächlich den Großgrundbesitzern zugute kommen. Die Preissteigerung der Güter ist eine enorme, am stärksten aber ist sie bei den Gütern über hundert Hektar, also beini Großgrundbesitz. Es ist gar nicht wahr, wie behauptet wird, daß die Agrarzölle den Landproletariern zustatten kommen. Gerade innerhalb der Landbevölkerung hat sich dieselbe Tntwickclung gezeigt, wie innerhalb der industriellen. Die Zahl der ländlichen Bevölkerung ist von 1895 bis 1907 zurückgegangen von 18,5 auf 17,7 Millionen, (ilcichzeitig ist aber auch die Zahl der U n s e l b st ä n d i g e n tark gestiegen. Dies beweist sogar die gewiß un- verdächtige, weil von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt herausgegebene Schrift eines Arztes Dr. Kaupe. Außerdem hat sich nach dieser Schrift das militärische Tauglichkeitsverhälttns auf dem Lande vermindert.(Hört I hört I bei den Sozialdemokraten.) Daraus ergibt sich doch, daß die Niesengewinne des agrarischen Fleisch- und Brotwuchers nicht Vorteile für die Massen der landwirtschaftlichen Bevölkerung bringen wie Sie immer behaupten, sondern daß es den Land- Proletariern schlecht geht, daß sie keinen Vorteil von diesen Zöllen haben.(Widerspruch rechts.) Daß eS den Landproletariern schlecht geht, das wissen Sie ja selbst, sonst würden Sie ihnen ja das Koalitionsrecht einräumen.(Sehr gut I bei den Sozialdemokraten.) Aber Sie fürchten eben, daß die Landarbeiter Gebrauch davon machen würden, um sich eine bessere Lebenshaltung zu erkämpfen. Sogar die Zuschrift eines Land- arbeiters an die landwirtschaftliche Beilage der ultramon- t a n e n„Augsburger Postzeitung" schildert eindrucksvoll das Elend der Dienstboten, es heißt dort:„Der Verdienst be- trägt wöchentlich 6—7 M. und noch weniger. Der Dienst- böte wird heute nur als notwendiges Uebel betrachtet und als Maschine." So schreibt ein katholischer Arbeiter in einem katholischen Blatte.(Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Und wie erst durch durch den Fleischwucher das städtische und in- dustrielle Proletariat geschädigt wird, das werden Sie ja gewiß nicht bestreiken können. Die Enquete des Deutsche » MetallarbeiterverbandeS von 1909, die sich nur auf qualifizierte, also besser bestellte Arbeiter, mit einem Einkommen von 1600 bis 2000 Mark bezog, hat einen Fleischverbrauch von 60 bis 80 Gramm pro Tag ergeben, obgleich doch ein tägliche? Fleischquantum von 180 Gramm wissenschastlich als richtig und nötig erachtet wird. So lange die Arbeiterbevölkerung gar nicht in der Lage ist, mehr als 60 oder L0 Gramm Fleisch konsumieren zu können, so lange muß die ultramontane und konservative Befürchtung, als ob sich die Ar- beiter einem zu großen Fleischkonsum hingeben könnten, und die Ratschläge von dieser Seite, doch andere als Fleischnahrung zu ge- nießen, von den Arbeitern als Verhöhnung empfunden werden, (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wir fordern ferner energisch eine durchgreifende Aufbessernng der Löhne der StaatSarbciter. Gclviß, es hört sich großartig an, wenn man sagt, daß die Löhne der Eisenbahnarbeiter um 7 Millionen Mark erhöht worden seien. Aber das verteilt sich doch auf weit über 300 000 Arbeiier!(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Bei der Berliner Universitätsfeier ist Mitteilung gemacht worden, von dem neuen Fonds zur Unterstützung wisienschaftlicher Forschungsinstitute. Ich halte eine solche Fondsbildung von M a m m o n s g n a d e n für überaus gefährlich.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten). Die Wissenschaft ist heute leider schon allzu sehr dem Zäsar Mammon unterworfen. Ein Staat, der Anspruch darauf erhebt, ein Kulturstaat zu sein, muß selbst diese Mittel ausbringen kömie». Sonst ist er eben kein Kulturstaat. Ich kann die Tatsache, daß solche Institute von privater Seite ausgehalten werden müssen, nur als einen Schandfleck für die deutsche Kiiltur bezeichnen.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten, Unruhe rechts.) Die„Köln . Volkszcitung" schrieb kürzlich, daß die amerikanischen Multimillionäre gierige und hartherzige Ausbeuter seien, daß sie mit ihren Schenkungen selbstsüchtige Zwecke verknüpften und daß eine größere anonyme Schenkung zwischen New Dork und San Francisco nicht vorkomme. Das sagt ein Zentrumsblatt vom amerikanischen Kapitalismus und dessen durchsichligen Scbenkungen.— Wir protestieren dagegen, daß ein solches System der Korruption in Preußen Ein« bürgerung finde.(Lebhaftes Bravo I bei den Sozialdemo« kraten.) Nun zum Becker-Prozeß. Er beweist, was sich ein könig- lich preußischer Landrat alles herausnimmt. ES ist bewiesen, daß er das liberale Blatt ein Schweineblatt genannt hat und daß Gast- wirte, die ihr Lokal für liberale Versammlungen zur Verfügung stellten, systematisch boykottiert worden sind. Das tollste. was sich bei diesem Prozeß ergeben hat, ist bis jetzt noch nicht erwähnt worden, nämlich daß �wei Mitglieder des Kreis- ausschusies folgendes erklärt haben: bei der Konzessionserteilung werde selbstverständlich nach der politischen Gesinnung deS Gastwirts nicht gefragt, sondern man halte sich streng an die Bestimmungen der Gewerbeordnung. Eine Ausnahme würde nur gemacht bei Svzial- dcmokratcn.(Lebhaftes Hört! hört! links.) Diese Leute halten es also für ganz in der Ordnung, daß gegenüber Sozialdemokraten das Gesetz mit Füßen getreten wird. Von einem Lokal be- hauptete der Landrat des Kreises Grimmen. eS verkehre dort nur minderwertiges Publikum, Maurer. Zimmerer und Schiffer. Also ehrliche deutsche Arbeiter werden von einem Königlich preußischen Landrat für minderwertig'erklärt, nur weil sie Ar- beiter sind, und es darf in dem Lokal, in dem dieses minderwertige Publikum verkehrt, keine Militärkapelle spielen.(Hört, hört! links.) ES muß denn doch gesagt werden: der preußische Staat würde nicht leiden, wenn alle Landräte aus ihm verschwinden würden. Aber es stände schlimm um den preußischen Staat, wenn es diese minderwertigen Zimmerer, Maurer und Schiffer nicht gäbe. (Sehr richtig I links.) Von einem anderen Landrat haben wir ja dieser Tage eine höchst interessante Rede gehört. Er sprach von der gräßlichen Bewegung, die alles umstürzen wolle, und lobte das stramme Regiment de« Kaisers. Die Königsbcrger Rede nannte er großartig und räsonnierte über die jungen Leute und die unver- schämten und lümmelhasten Bengels. Bengel scheint ja ein Lieblings- ausdruck der Herren auf der Rechten zu sein. Wir wollen, daß dem selbstherrlichen Regiment von der Gottähnlichkeit der preußischen Landräte ein Ende gemacht werde. (Lebhaftes Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Ich komme zum Moabiter Prozeß.(Aha I- Rufe rechts.) Die Moabiter Vorgänge waren ja ein gefundenes Fresien für die Scharfmacherpresse. Sie hat in jenen Tagen gelogen, daß sich die Balken bogen, unterstützt von der polizeioffiziösen Berichterstattung. ES ist bedauerlich, daß den Beamten nicht gestattet worden ist, darüber auszusagen, wie weit sich die Polizei an der Berichterstattung beteiligt hat. Vielleicht erfahren wir daS bei dein Prozeß gegen den„Vorwärts". Was wurde gelogen über den Sturm auf die Reformationskirche und die Besudelung des Altars. Alles Schwindel. Nur ein paar Fensterscheiben sind zer- brocken worden. Solcken Schwindel der Konservativen sind wir ja gewöhnt. Das ist dieselbe konservative Ehrlichkeit, die ein Flugblatt sagen ließ: Freisinnige und Sozialdemokraten sind daran schuld, daß die Streichhölzer und der Kaffee teurer geworden sind. Das ist auch konservative Wahrheitsliebe! Ist sie bei den Steuerdeklarationen ebenso groß? Auch das Mitglied dieses Hauses, Herr v. R i ch t h o f e n, ist ja der Steuerhinterziehung beschuldigt worden. Ich enthalte mich jedes Urteils darüber, ob die Anschuldigung berechtigt ist und erivarte nur, daß Herr v. NichtHofen durch ein öffentliches Gerichtsverfahren vor aller Welt nachweisen wird, daß kein Grund zu der Beschuldigung vorliegt.— Die reaktionäre Presse hat weiter behauptet, daß Pastor Schwebe! gemißhandelt worden sei. Das ist wiederum frecher Schwindel.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) ES ist Pastor Schwebet nicht ein Haar gekrümmt worden, auch die Tür seines Hauses ist in keiner Weise beschädigt worden. Aber ins- besondere die amtlich subventionierten Kreisblätter haben eine wahre SchinderhanneSphantasie in der Schilderung angeblicher Moabiter Vorfälle entwickelt. Da liest man, wie Herr v. Jagow an der Spitze der Polizeibehörde Sturm geritten habe gegen die aufrührerische Menge und dabei in ein Kreuzfeuer geraten sei. All das ist aufgelegter Schwindel. Es fehlt nur noch, daß auf dem Lande kinematographische Borstellungen dieser Art verbreitet werden und daß die Erläuterungen dazu Herr v. Oldenburg -Januschan gibt.(Heiterkeit.) Man wollte eben auf diese Weise für die Reichstagswahlen Stim- mung machen, die Regierung aufputschen gegen die Arbeiter, sie geneigt machen zu Ausnahmegesetzen, wie sie ja auch Herr v. Heydebrand im Reichstage verlangt hat. Die Arbeiter, die die Hauptlasten der Steuern zu tragen haben, die unter dem Brot« und Fleischwucher am schwersten leiden, sollen nicht eimal durch ihre Organisation ihre Klassenlage verbessern können. Hat doch Herr B u e ck eS offen ausgesprochen: die Gewerkschaften sollen vernichtet und zertrümmert werden.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich erinnere auch daran, daß Herr v. Oldenburg verlangt hat, man möge den gordi- scheu Knoten mit dem Schwerte durchschlagen, also auch eine Auf- forderung zur nackten Gewalt. Die Haltung der ganzen Scharfmacherpresse beweist, wie sie förmlich nach B ü r g e r b l n t gelechzt hat.(Lachen rechts.) So schrieb die„Deutsche TageS- zeitung". eS sei unerhört, daß nicht sofort wirksame Ahndung mit der Waffe erfolgt sei, die Obrigkeit solle das Schwert nicht umsonst tragen. Nun, die Prozeßverhandlungen haben doch be- wiesen, daß von dem Polizcisäbel und Gummikmippel ausgiebig Gebrauch gemacht worden ist und eS gehört wirklich eine Scharf- richter-Phantasie dazu, um noch schärferes Eingreifen zu ver- langen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Die„Post" hat sogar Eröffnung eines Schnellfeuers auf die Menge verlangt, heißt das nicht nach Biirgerblut lechzen?! Und die„Germania " hat rücksichtsloseres Einschreiten gegen den sozialistisch verseuchten Mob verlangt.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Herr v. Pappenheim aber hat es fertig gebracht, trotz der Ergebnisse des Prozeffes der Polizei das vollste Vertrauen anSznsprechen. Er sagte, die Polizei hat ihre Pflicht erfüllt, wie wir eS von ihr erwartet haben. Sie haben also gewünscht und erwartet, daß die Polizei mit dem Säbel und Knüppel einhauen werde, wie sie eS getan hat. DieS Zugeständnis des Schar fmachertumS genügt uns. Man hat die Moabiter Vorgänge eine Vorübung zur Revo- lution genannt und hat davon gesprochen, daß die Parteileitung und die Gewerkschaftsleitung die Drahtzieher seien. Als die Be- schuldigungen zusammenbrachen, sprach man von einer m o r a- lisch en Verantwortung der Partei. Run. daS Urteil der Lieber- Kammer enthält kein Wort davon, und nachdem von der Staat anwaltfchaft dies Moment in den Prozeß hineili gezogen war, wäre es nicht nur das Reckt, sondern die Pflicht des Gerichts gewesen, in dem Urteil etwas über die moralische Schuld der Sozialdemokratie zu sagen, wenn das Gericht der Meinung gewesen wäre, daß auch nur ein Atom einer solchen moralischen Mitschuld festgestellt worden sei.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokralen.) Durch das Urteil ist also auch Herr v. Bethmann Hollweg vollständig desavouiert worden. Der Ministerpräsident hat auch in ein schwebendes Ver« fahre» eingegriffen. Vor allem aber bedeutet der nachher erfolgte OrdeiiSregen für die Polizei eine Beriiiflussuiig der Richter. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Der Verteidiger, der im Prozeß davon gesprochen hat, daß die Blutflecken auf den Uniformen der Polizeibeainten durch solche Orden nicht zugedeckt werden köniien. hat den Nagel auf den Kopf geiroffen. �(Sehr wahr! bei den Soz.) Die Herren scheinen der Ansicht zu sein, daß die Bewohner von Proletariervierteln rechtlos und vogelsrei wären, wenn uniformierte Rowdies ohne Rücksicht aus gerickUiche Feststellungen von dieser Seile ausgezeichnet werden. Wir erheben im Interesse der Ehre und des Ansehens des Staates, das uns vor allem am Herzen liegt, schärfsten Protest gegen ein solches Verfahren. Mit Rücksicht auf unsere Agitation könnte es uns ja nur recht sein. Gerade die Aus- sagen von königstreuen und gutbürgerlicken Leuten im Moabiter Prozeß haben bewiesen, daß die Polizeitaten auch die loyalsten Leute mit Empörung»ild Abscheu erfüllt habe». Die Lieber-Kammer hat den Herrn Ministerpräsidenten auch noch darin desaoouirt, daß sie festgestellt hat, es handelt sich nicht um vereinzelte Mißgriffe von Beamten, sondern solche Ueber- griffe sind in größerer Zahl vorgekommen und besonders viel- fach sind grundlose Beleidigungen und Beschimpfungen seitens der Polizeibcamien verübt worden. Diese Feststellung des Gerichts wiegt wohl etwas schwerer als die Ansicht des Herrn v. Pappen- heim und des Herrn v. Bethmann. Man müßte Herrn v. Bethmann Hollweg nicht bloß für einen Stoiker, sondern auch für einen Zyniker halten, wenn man annehmen wollte, daß er jetzt sein Urteil nichl einer Revision unterziehen würde. Ich erwarte, daß der Herr Ministerpräsident an dieser Stelle erklären wird, daß er sich geirrt hat. Die Feststellung des Urteils, daß die Schutzleute ihre Ausschreitungen nickt aus Lust an Roheit verübt haben, mag im allgemeinen richtig sein. Wenn eS aber im Urteil heißt, die Schutz- leute hätren Exzesse verübt, weil sie durch die Aufregungen nervös geworden seien, so ist das nicht richtig. Die Hauptschuld trägt die scharfmacherische Presse, durch die sie in einen Taumel sinnloser Wut geraten sind, in der man ihnen eingeredet hat, es handele sich um eine Revolution.(Sehr wahr! bei den Soz.) An der Scharfmachcrprcsse von den Konfervativen, bis zum Zentrum und den Nationalliberalen hastet also untilgbare Blutschuld. Der„Vorwärts" rechnet es sich zur Ehre an, daß er die einzige Tageszeitung war, die diese Lügen entlarvt hat. Alle seine Aus- führungen sind durch Gerichtsverhandlungen glänzend bestätigt worden.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ihm gebührt das Verdienst, die Schreckenstaten der Polizei an den Pranger ge- stellt zu haben. An den ersten Zusammenstößen in Moabit tragen auch die Arbeitswilligen einen großen Teil der Schuld(Lachen re chtS), vor allem die Hintze-Garde, die ja auch das Gerichtsurteil als aben« teuerliche Elemente bezeichnet. Die Anklageschrift des Staatsanwalts ist geradezu klassisch und so abgefaßt, als ob ihr Urheber Herr Stinncs selbst sei. ES heißt darin, daß die Forderungen der Streikenden nicht hätten bewilligt werden können. Und dock hat gerade ein Mann wie Stinnes sein Vermögen seit 1897 von 0 Millionen auf 30 Millionen erhöht. Und solche Vermögen sind ein politischer Faktor von un- geheuerer Bedeutung. Sie verbinden sich mit der Bureau- kratie, mit der Presse, der Kirche und mit den bürger- lichen Parteien, sie handeln mit Baumwolle, Religion und Patriotismus und üben, wie Moabit beweist, einen u n- heimlichen Einfluß aus. Auch die Kirche ist nicht freizusprechen von Sckuld; denn sie entartet zur Dienerin der herrschenden Klasse. Auf der Seite der Arbeiter- schaft ist die Kirche nie gestanden.(Hört! hört! links.) Die reaktionäre Kirche leistet dem reallionären Staat treue Dienste. So schreibt ein Pastor.(Hört! hört! linls.) Wir würden auch in Preußen wie in Amerika und England sozialdemokratische Geistliche haben, aber„wer nicht pariert, der fliegt". Daß aber die Kirche zur Dienerin der herrschenden Klaffe geworden und daß die Kirche nicht auf feiten der Arbeiterschaft sich stellt, beweist ein Ausspruch von autoritativer ultra- montaner Seite, vom Bischof Heule von Regens- bürg, der im Parlament ein Wort des Avostel Paulus zitierte: Wer Knecht ist, soll Knecht bleiben, und d,e„Historisch-politischen Blätter", ein ultramontanes Organ, geben dem Bischof recht, indem sie ausführen, daß die soziale Frage im Urchristentum niemal« eine Rolle gespielt habe. DaS ist ein Eingeständnis, von dem wir mit Vergnügen Notiz nehmen. Und wo sind die Geistlichen ge- wesen, die Einspruch erhoben haben gegen das Vorgehen der Polizei gegen die wehrlose Bevölkerung in Moabit. (Gelächter rechts.) Die Geistlichen haben sich nicht gerührt. Bei kolonialen Bestialitäten, bei Kriegen erhebt sich kein Geistlicher, auch nicht gegen die SteuerauSplündcrung in Massen. Sie rühren keinen Finger, um die Lage der Arbeiter verbessern zu helfen.(Widerspruch rechts.) Das ist eine Tatsache. Ich kann nur feststellen, daß die Kirche die A b n e i g u n g. die sich bei den Massen gegen sie gebildet hat, selbst ehrlich verdient hat, und wenn uns vorgeworfen wird, daß wir gegen Kirche und Geistliche gehässig vorgehen, so halten wir dem entgegen, daß wir nur Tatsachen feststellen. Das ist nicht gehässig. Wohl aber wird auf anderer Seite die Sozialdeniokratie von der Geistlichkeit und der Kirche nahestehender Seite aufS allerhektigste angegriffen. So schreibt der Pastor v. Bodelschwingh in den Blättern des Gustav-Adolf-VereinS von dem„satanischen Treiben der Sozialdemo» kratie ". Und verrät es nicht unglaubliche Stupidität, wenn ein Organ, wie der„Bayerische. Bauer", ein Zentrumsgan, schreibt: Burschen, die lehren, daß eS keinen Gott gibt, und beweisen wollen, daß der Mensch vom Affen abstammt, sollte man überhaupt köpfen. (Zurufe rechts.) ES ist auch bekundet worden im Moabiter Prozeß, daß Lockspitzel ihre Hände im Werk hatten. Es ist unrichtig, wenn von rechts- stehenden Blättern behauptet wurde, daS Gericht hätte die? nicht konstatiert. Das Gericht sagte: Die Frage der Lockspitzel sei nicht hinreichend autgeklärt worden. Eine Reihe von Zeugen bekundete aber, daß tatsächlich polizeiliche Beamte sich in einer Weise benommen haben, die einen Schluß auf Lockspitzelttim zulassen. Bedauerlich ist nur. daß die polizeilichen Organe in dem Momente, wo ihre Aussage von Wert lväre, nicht aussagen dürfen. Jedesmal, wenn so ein Lockspitzel entlarvt werden soll, erklärt'der Polizei- beamte: Wir können nicht aussagen. Und so muß ein solcher Prozeß als eine Farce bezeichnet lverden.(Zurufe: Sind etwa Ihre Zeugen ganz zuverlässig?) Glauben Sie, daß unsere Zeugen Meineioe leisten?(Sehr richtig! links.) Das Zentrum sollte doch wissen, daß das Lockspitzeltum bei Unruhen immer eine gewisse Rolle spielt; hat doch Herr Bachem selb st mitgeteilt, daß Lockspitzel unter einer friedlich demonstrierenden Menge sich befunden hätten. Der spätere Ber - liner Polizeidirektor v. Meerscheidt- Hülles fem ist ja nach Bachem als Lockspitzel bei ähnlichen Anlässen tätig ge- wesen. Die Herren von der Rechten behaupten immer, daß die kirchliche und religiöse Erziehung das beste Mittel gegen die Verrohung der Jugend sei. Die Kriminalstatiftik zeigt aber, daß gerade die Katholiken, denen doch eine religiöse Erziehung iB,.hohen Raße zuteil wild« iv ihr ganz erheblich vertreten
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