Gin dritter Schlag. Gin Angeklagter freigesprochen, vier zu Geldstrafe� Vön KV bis Zvv M.. vier zu einem Monal Gefängnis, einer zu 5 Wochen, drei zu je s Monaten, zwei zu je 4. einer zu s, einer zu 9 Monaten und ein AngeNagter zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt— das ist daS Ergebnis der neuntägigen, von uns ausführlich wiedergegebenen Gerichlsver Handlung über die Wcdding-Ereignisse. Secks Angellagte waren von der Anklage des Aufruhrs, des Landfriedensbrucks, des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der Polizeibeleidigung beschuldigt, zwölf der Aufforderung zur Begehung strafbarer Handlungen, der Be drohung mit einem Berbrecken, des Widerstandes, der Polizei beleidigung und der Sachbeschädigung. Verurteilt sind nur drei wegen Aufruhrs, LandfriedensbruchZ oder Auflauf», zwei wegen Widerstandes einer wegen versuchter Sachbeschädigung, bei den elf übrigen Ver urteilten ist vom Gericht lediglich Beleidigung als erwiesen erachtet. Das Urteil erscheint uns als ein in vielen Fällen zuungunsten der Angeklagten verfehltes: sowohl rücksichtlich der Schuldfcage wie wegen des Strafmaßes. Auch soweit die Angeklagten durch Erregung zu der teilweise leider der Genuß agrarischen Schnapses mit die Veranlassung war, sich zu Handlungen haben hinreißen lassen, die als strafbar erachtet werden könnten, ist das Strafmaß in den Weddinger wie in den Moabiter Fällen, gemessen an den aus ähnlichen Anlässen gegen Studenten erkannten Strafen, ein überaus hartes. Die Verschiedenartigkeit der Bewertung ist aber keine ab- sichtliche. Im Gegenteil wird man der Leitung der Verhandlungen über die Weddinger Fälle das Zeugnis strengster Objektivität und sichtlichen Bemühens, unparteiisch die Wahrheit und Strafhöhe zu ermitteln, nicht versagen können. Aber die Rickter können aus ihrer Haut nicht heraus: die Klassenanschauung sitzt in ihnen; Die Borbedingungen einer Klassenjustiz halten die Richter gefesselt Handlungen, von Arbeitern begangen, erscheinen ihnen in einem anderen Lichte als ähnliche von Studenten begangene Taten. In einem Klassenstaat lassen sich in solchen Prozessen nur Klassen« justizurteile erwarten. Aber das Urteil hat ebenso wie die Ver Handlungen selbst die Hetze der Scharfmacher arg in die Nesseln gesetzt. Welch klaffender Widerspruch zwischen den Feststellungen des Gerichts im Urteil und den Verhandlungen auf der einen Seite und den Tatarennachrichten der Scharfmacherpresse, allen voran des„Lokal-Anzeigers" l Erst wurde die Legende von der Moabiter ..Revolution" erfunden, ihr folgte die von der„Revolution" am Wedding . Die Sozialdemokratie stehe dahinter.„Schnellfeuer' „.rücksichtsloses Einschreiten" gegen„den sozialistisch verseuchten Mob" sei erforderlich, so lautete eS in den Scharfmachcrorgancn vom Schlage des„Lokal-Anzeigers", der„Deutschen Tageszeitung der„Post" bis hinunter zur„Germania". Und was haben die Verhandlungen zur Evidenz ergeben? Die sozialdemokratische Partei hat mit den Exzessen nicht das geringste zu tun, wohl aber hatte sich der Bevölkerung eine außerordentliche Erregung über brutales, Wohl nur durch die Hetzartikel der Scharsmacherpresse er-- klärliches Verhalten von Polizeibeamten und Polizeispitzeln be mächtigt. Die ekelhaft rohm Schimpfworte von Polizeibeamten insbesondere gegenüber Mädchen und Frauen, die ebenso brutalen wie feigen Mißhandlungen, die an Arretierten und an harmlosen Greise?:, Frauen und Kindern begangen find, der infame Mord, der an dem ruhigen Arbeiter Herrmann verübt wurde, sind entsetz- tiche, unauslöschliche Brandmale polizeilicher Roheiten, an denen die moralische Mitschuld die Scharfmacherhetze trägt. Das Treiben von Kriminalschutzleuten, deren mancher von den eigenen Kollegen verhauen»vurde— schade um jeden Hieb, der vorbei ging— ist insbesondere in den Moabiter Prozessen gekennzeichnet. Dem Weddingprozcß eigen ist die Enthüllung des vom Gericht für un- glaubwürdig erachteten Polizeizeugen Schreiber. Dieser wür- dige Zeitgenosse nimmt eigenhändig die Festnahme eines angeb- kichen Exzedenten vor. Er eignete sich auch wie kein zweiter zum Hüter der Ordnung oder Kronzeugen der Scharfmacherpreffe. Hatte er doch nur siebenmal wegen schwerer Eigentumsdelikte, Dieb- stahls und Betrugs, daneben noch wegen einiger anderer Straftaten, längere Konferenzen mit Polizei, Staatsanwalt und Ge- richt, die mit jahrelangen Zwangsinspektionen in Gefängnissen «ndetcn. Ein Jahr Sitzung, die ihm auf Grund seiner tatkräftigen Verwechselungen zwischen Mein ulid Dein zudiktiert war. hatte er noch zu begleichen. Seine AufschubSgesuche waren abgelehnt. Da kam ihm der Kriminalkommissar Kuhn zu Hilfe. Er teilte her Staatsanwaltschaft mit: „Schreiber hat in der Auftuhrsache Wedding die Festnahme eines Menschen veranlaßt, der eine Laterne zertrümmert hat. Er wird bestimmt in dieser Sache als Zeuge geladen werden. Er möchte nun nicht bei der Verhandlung aus der Strafhaft vorge- führt werden und bittet, die Vollstreckung der Strafe von einem Jahre bis zur Erledigung der Verhandlung in Sachen„Streik Wedding " hinauszuschieben." Weit interessanter als das warmherzige Eintreten des Kom- tniffars für den fanatischen Gegner der bestehenden Eigentums- ordnung und Vollstrecker der Propaganda der Tat, war der fernere, durch' den Verteidiger ans Licht der Oeffentlichkeit gebrachte Akten- vermerk desselben Kommissars: „Schreiber ist auch sonst für die Polizei tätig." Inwieweit liefert dieser famose Aktenvermerk den Schlüsse: zu so manchen Vorgängen in Moabit u?rd Wedding? Das lnag der philosophasternde Reichskanzler ergründen. DaS Studium dieser Frage gibt ihm vielleicht Ausschluß darüber, warum er glänzend Fiasko machen mutzte, als er durch verbrecherisch-törichte, nun so gründlicher widerlegte Einflüsterungen der Scharfmacherpresse und der von ihnen beherrschten Berichte sich aufs Glatteis führen ließ. Daß es neben Schreiber kein ähnliches„auch sonst für die Polizei tätiges Element" geben sollte, ist wohl kaum anzunehmen. Ist der- gleichen Patrioten Tätigkeit für die Polizei erforderlich? Fast un- entbehrlich sind sie freilich, um Wahlparolelegenden nach Art der Moabiter- und Wedding -. Revolutionen" in die Welt zu setzen. ES sind dergleichen Ordnungsleute just wie in den fünfziger u?id acht- ziger Jahren recht tauglich, um„Revolutionen auf Lager" zu ar- beiten. Aber dergleichen Ladenhüter ziehen nach dem Reinfall der Scharfmacher und ihrer ministeriellen Instrumente in den Moabiter unl» Wedding -Prozessen nicht mehr. Die Glal)lrecf)tsreform in Kesten . Aus Darmstadt wird uns geschrieben: Obwohl-die Erste Ka?nmcr Hessens seit mehr als einem Jahre die Beschlüsse der Zweiten Kammer über die Wahlrechtsvorlage in Händen hat, kommt sie erst jetzt mit dem Bericht ihres Gesetz- gebungSausschusses heraus. Da das Plenum der Ersten Kammer selten oder nie eine abweichende Stellung von der ihrer Ausschüsse einzunehmen pflegt, so darf der vorliegende Bericht als Aeußerung der Pairska?nmer gewürdigt werden. Zunächst ist daran zu erinnern, daß die schwarzblaue Mehr- heit der Zweiten Kammer der Herrenkammer recht erhebliche Zu- 1 fitzung.©eine konservativen Brüder jubelten Beifall. geständnisse für Gewährung des direkten Wahlrechts gemacht hat. Jordan v. Kröcher uild seine Freunde hoffen, daß »daS direkte Wahlrecht ist unsereki hessischen ffestorKen üfiss he- �rufenen Gesetzgebern noch nicht hoch genug. In dem erstgenannten Artikel der Regierungsvorlage hatte die Zweite Kammer den letzten Absatz gestrichen, um damit zu dokumentieren, daß eine Verwerfung des Finanzgesetzes und des Hauptvoranschlages im ganzen durch die Zweite Kammer als eine von den Ständen end- gültig beschlossene Ablehnung zu erachten sei. Die Erste Kammer erklärt nun. wenn sie dagegen nicht auftrete, so geschehe daS„mit der bewußten Absicht eines weitgehenden Entgegenkommens gegen die Zweite Kammer". Also wenn die PairS dem bisher unbestritte- neu Budgetverweigerungsrecht der Volkskammer nicht wider- sprechen, so ist das ein weitgehendes Entgegenkommen. Damit zeigen die Standesherren offen, daß es Ihnen bei der Wahlrechts- reform nur darum gilt, die budgetrechtliche Stellung der Volks- kammer einzuengen. Zudem soll das„Entgegenkommen" auch nicht ganz umstmst sein. Die Pairs fordern vielmehr einen Zusatz, daß Gegenstände, die einen Kostenaufwand von mehr als 209000 M. erfordern und im Wege der Anleihe gedeckt werden sollen, nicht mehr im Rahmen des Budgets, sondern nur durch besondere Gesetzesvorlagen angefordert werden dürfen. Die hierin steckende Absicht einer weiteren Besserstellung der Position der Herrenkammer tritt offen zutage in dem weiteren Begehren einer Aenderung des Gesetzgebungsparagraphen 75(der Verfassung) dahingehend, beide Kammern in der Legis- lative völlig gleichzustellen. Auch lehnt die Erste Kammer den gefaßten Beschluß der Zweiten Kammer ab, wonach eZ einer Ablehnung gleichstehen soll, wenn eine Kammer eine Ge- setzesvorlage nicht durch Abstimmung im Plenum erledigt. Damit will sich die Erste Kammer die von ihrem Führer Freiherrn von Hehl seinerzeit gegenüber dem Gnauthschen Gemeindesteuer- refor?n-El?twurf beliebte Praxis sichern und, unter Umgehung einer Abstimmmrg, durch einfache Rückgabe eines Gesetzentwurfes an die Regierung„zur Umarbeitung", der gefürchteten Prozedur einer verfassungsmäßigen Abstimmung beider Kammern vorbeugen. Im eigentlichen Wahlgesetz hätten die PairS ja gerne das vom blau- schwarzen Block eingefügte Pluralwahlrecht„ausgebaut wie im Königreich Sachsen" nach Verhältnis von Bildung und Besitz. Sie wollen sich aber mit der doppelten Stimme für die Fünfzig- ul?d Mehrjährigen begnügen, weil mehr nicht zurzeit zu erreichen sei. Die von der Zweiten Kammer gestrichene Ve- schränkung des passiven Wahlrechts gewisser Kategorien von Lokal- beamten,»vollen jedoch die PairS wiederhergestellt haben. Für die Erste Kammer wird ferner eine Konservierung der Landesherrlichen Vertretung angestrebt durch Vererbung deS Sitz- und Stimmrechts einer ausgestorbenen standesherrlichen Familie aus die Agnaten der übrigen Standesherren. Zugleich verlangt die Erste Kammer die Ablehnung des Arbeitervertreters zur Ersten Kammer. Sie meint, ein unbedingtes Bedürfnis für eine sich auf die Lohnarbeiterschaft erstreckende Vermehrung der Ersten Kammer sei nicht gegeben. Auch wollen die Herren nur je einen Vertreter des Handels und der Industrie, der Landwirtschaft und des Handwerks vom Großherzog in ihre Mitte berufen haben. Die Wahlkreiseinteilung, das dritte Hauptstück des ganzen Reformwerks, hatte der schwarzblaue Block lediglich als ein WandatsversicherungSgeschäft auf Gegenseitigkeit betrachtet, um die Linke möglichst zu bemogeln. Daran hat die Erste Kammer natürlich nichts auszusetzen. Was wird die Mehrheit der Zweiten Kammer auf diese An- maßung antworten?_ poUtifche OebcrHcbt. Berlin , den 25. Januar 1911. Die zweite Lesung der Znwachssteuer beendet. Aus dem Reichstag , 25. Januar. Endlich am iebenten Tage wurde die zweite Lesung der Z?lMachSsteiier zu Ende gebracht. Der Staatssekretär Mermuth benutzte diese Gelegenheit, um die Notwendigkeit, dem Reich diese neuen Einnahmen zu beschaffen, mit einer pathetischen Aus- malung der dem Reiche mit dem Verfall seiner Uebermacht drohenden Gefahren zu begründen. Es ging übrigens alles nach Wunsch der Agrarier und ihrer wieder löblich ins agrarische Fahrwasser einschwenkenden Regierung. Ein zweites Fürstenprivileg, das diesmal im§ 56 enthalten war, wurde ganz nach Wunsch der Regierung unter Dach und Fach gebracht. Es handelte sich diesmal um die Befreiung der Landesfür st en und sogar der Standesherren von der für F i d e i k o m m i s f e als Ersatz für die Zuwachssteuer vorgesehenen Abgaben. Die Sozialdemokraten hatten in einein von Binder wirksam begründeten Antrage die Streichung auch dieses Privilegs gefordert. Das half nichts; die agrarische Mehrheit, der sich diesmal auch ein Teil der Nationallibcralen und die Polen anschlössen, stimmte den Antrag nieder. Allgemein wird daS als ein Vorbote dafür angesehen, daß auch das Hauplsteuer- Privileg der Landcssürsten in der dritten Lesung wieder her- gestellt wird. Bei dem Schlußparagraphen 57 vers?ichte die Sozial- demokrafte dann noch dadurch dem Gesetz eine für die Partei annehmbare Gestalt zu geben, daß sie beantragte, an die D>»rchsührung der Erbschaftssteuer die Aufhebung der Zündholz st euer zu kilüpfcn. Auf die von G ö h r e in warmen Worten gegebene Begründung des Antrages ant- wartete die Rechte nur durch Lärmen. Auch dieser A?ltrag wurde gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Frei- sinnigen abgelehnt. Damit war die zweite Lesung beendet; nachdem auch das RetchLbesteuerungsgesetz nach kurzer Debatte in der Kommissionsfassung unverändert angenommen war, wurde die Fernsprechgebührenordnung an die Kom- Mission zurückverlviesen. Am Donnerstag beginnt die erste Lesung des Ver- sassungSgesetzes für Elsaß-Lothringen . Der nervöse Jordan von Kröcher. Die bösen Sozis haben es Herrn Jorda?» von Kröcher. dem Präsidenten der preußischen Duma, angetan. Nach der Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion vom letzten Montag will er das „Wohlwollen", das er bisher an den Tag gelegt hat, nicht mehr walten lassen und mit unnachsichtlicher Strenge gegen die Mit- glieder deL Hauses vorgehen, die sich seinen Weisungen nicht fügen. Zunächst will er es mal einige Zeit mit dem Rausschmeißpara- graphen versuchen, den ihm die Mehrheit in der vorigen Session auf seinen Wunsch geschaffen hat, und wenn auch das nicht Hilst, dann soll die Geschäftsordnung weiter verschärft werden. So ver- kündete es der„wohlwollende" Präsident bei Beginn der Mittwoch- Aber wenn sie nun die Hassels, sie Kerssen sich?K thvtt Pflichk ssurch keinerlei VriHlWen oder Gewaltakte beirren lassen. Gleichsam um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu der- leihen, suchte der Präsident noch in derselben Sitzung an unserem Genossen Liebknecht sein Mütchen zu kühlen, aber er bekam, wie an anderer Stelle geschildert ist, die gebührende Antwort. Herr v Kröcher dürfte bald zu der Einsicht kommen, daß er sich auf dem Holzwege befindet, wenn er glaubt, sozialdemokratische Abgeord- nete lassen sich eine Behandlung gefallen, wie sie seine Standes- genossen»hren Arbeitern gegenüber anzuwenden pflegen. Sachlich ist aus den Verhandlungen vom Mittwoch nur herbor- zuHeben, daß die agrarische Mehrheit sich redlich abmühte, die An- klagen Leinerts gegen den Großgrundbesitz und über die schlechte Behandlung der Landarbeiter zu entkräften. Herr Diederich Hahn , der Führer des Bundes der Landwirte, war eigens zu diesem Zweck aus Hannover , wo er noch gestern Wahlagitation be- trieb, herbeigeeilt. Wären seine Worte so wahr, wie sie eS nicht sind, so würde es auf der ganzen Welt kein besseres Los geben. als das eines Landarbeiters in Ostelbien. Leider beweisen die Tatsachen das Gegenteil. Da die Junker selbst sehr genau wissen, daß Dr. Hahn unrecht hat, so griffen sie zu dem im Dreiklassen- Parlament schon so oft mit Erfolg erprobten Mittel: sie machten unseren Genossen durch einen Schlußantrag die Erwiderung un- »nöglich. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Donnerstag: Fortsetzung der Etatsberatung. besonders in bezug auf die Bcrfassungsparagraphen 67 und 75 Sozialdemokraten verhindern können, das zu sagen, was sie für stVudgetrecht und Gesetzgebungsrecht). Aber dieser Kaufpreis für t richtig Kalten, so jrreo fie, Llffere ßSeupsseo wissen, vgS fie zu tun Weil die Trauben hoch hängen, sind sie sauer l Das war die Quintessenz der Kröcherschen ErklZnmg, die er vor Eintritt in die Tagesordnung am Mittwoch im preußischeil Landtag abgab. Nachdem man sich bei einem Teil der Parteien vergebe??s um eine Verschärfung der Geschäftsordnung bemüh? hatte. mußte Jordan v. Kröcher sich mit seiner recht sonderbaren Erklärung und einer Anleihe an die Zukunft— falls er mit der jetzigen verschärften Geschäftsordnung nicht aus- komme— begnügen. Wir wollen dem Herrn Junker v. Kröcher verraten, wie er auch ohne verschärfte GeschäflSordi?ung allSkommt. Er hätte nichts weiter nötig, als sein Präsidentenamt so aufzufassen, wie eS einem unparteiischen Präsidenten zukommt. In seiner Hand liegt es, solche Szenen im Parlament zu verhüten, wenn er selbst seine Präsidialgewalt nicht mißbraucht gege»? eine ihm nicht genehme Partei, die nun einmal— und daran m»iß sich Herr v. Kröcher nun schon mal gewöhnen— „Subjekt der Gesetzgebung'-geworden istl Mit dieser Tatsache muß sich auch ein Oberjunker wie Kröcher abfinden, wenn er länger Präsident eines Parlaments, selbst eines solchen, wie daS Drei- klasse??haus in der Prinz-Albrecht-Straße, bleiben will. Denn selbst den geduldigsten und gernäßigsten bürgerlichen Parteien könnte eines Tages die Lust vergehen, sich fort- während wegen einem Präsidenten nach außen hin bloß zu stellen und denselben bei seinen Uebergriffen zu stützen, nur weil sie ihn doch nun mal gewählt haben und ihn des» halb nicht fallen lassen möchten. Schließlich könnte die Zahl derer, die da seufzend unseren Ge- nossen erklären:„Ja, Sie haben'S gut, S i e haben ihn nicht gewählt l" so groß werden, daß Herrn v. Kröcher eir?es Tages klar werden dürste, daß er selbst bei denen ab« g e Wirt sch a stet hat. die sonst jeden junkerlichen Knuff vertragen können. Denn schließlich fragt sich doch auch derjenige, der sonst diesen Vorgängen noch so fern steht, wie kommt eS denn, daß, da der preußische La?ldtag doch drei Präsidenten hat, daß die Herren P o r s ch und Krause noch nie derartige Zusammenstöße mit der Soz?alde»nokratie hatten? Kein Mensch wird doch dem ZentrumSmann Porfch oder dem National- liberalen Krause die Rolle eines Schutzengels für die Roten oder eine besondere Z»»ncignng zur Sozialdemo- iratie zutrauen wollen. Vielleicht dämmert auch einmal bei Herrn v. Kröcher die Einsicht, wo denn die Schuld liegt. Bei ein wenig gutem Willen sollte eS ihm nicht allzu schwer fallen. Allerdings, mancher lernts nie I Wie wahr die letzten Worte sind, dafür brachte der„gutmütige" Prästde??t in derselben Sitzung den BelveiS: Als Herr Diedrich Hohn sich in seiner bekannten Manier in unglaublichen Märchenerzählungcn über die paradiesischen Verhältnisse der Landarbeiter erging, rief Genosse Liebknecht ihm zu:„O Sie M ü n ch h a u s e n I' Herr v. Kröcher klingelte und machte aus. seine Lnord??ung aufmerksam, n?lr vom Platze aus Zwischenrufe zu mache»?, worauf Liebknecht erwiderte:„Abgeord- neter Hahn spricht ja von seinem Platze', womit er darauf aufmerksam machen wollte, daß wir von unseren Plätzen den Herrn Hahn, der nicht von der Rednertribüne sprach, gar n?cht höre?» könnten. Nun brach Herr v. Kröcher in seiner J»i??ker- monier mit den Worten los:„DaS geht Sie, Herr Abgeordneter Liebknecht, gar nichts an! Ich rufe Sie zur Ordnung!' Worauf Liebknecht die un- erhörte Tonart, in der sich der Junker wieder einmal gefiel, mit den Worten z?irückwies:„Wir find doch hier in keinerKlippfchule". was ihm den zlveitenOrdnungS» ruf einbrockte. AIS dann Liebktieckt z?>r Geschäftsordnung diese dem preußischen Parlament zur Zierde dienende Tonart des Prä» sidenteu geißeile, bolte er sich den dritten OrdnungSrus t Wie lange noch wird der„starke Mann' die»parla« mentarische' Würde in dieser Art travestieren? l Aus dem Rechenschaftsbericht des ReichSverbandeS. Am IS. und 17. fand in Berlin eine Sitzung des Gesamt» aiiSschusseS des Reichsverbandes statt; die Sitzung diente der Be- ratung des Rechenschaftsberichts für 1910. In der Reichsverbands- presse ist ein recht hübsch zugestutzter Waschzettel über diesen RechenschastSbericht verbreitet worden, in dem jedoch verschiedene recht interessante Einzelheiten verschwiegen werden. Eine kleine Er- gänzung kann demnach nichts schaden. Der Geschäftsbericht erzählt z. B. in umständlichster Weise allerlei über die Mitgliederbewegnng— und versichert triumphierend. daß die Zahl der direkten Mitglieder deS Reichsverbandes sich im Jahre 1910 um ziemlich 3 Proz. veiinehrl habe, die eingegangenen Beiträge und Spenden hätten sich sogar um 7Vz Proz. gehoben statt S'/z Proz. im Jahre 1909. Der Bericht vermeidet aber peinlich, auch nur andeulungsweise etwas über die Gesamtmitgliederzahl und über die Höhe der Gesamtbeiträge und Spenden zu sagen. ES wird nur mitgeteilt, daß 1910 III Ortsgruppen und 10 Sammelstellen mit rund 6000 M'lgliedern neu gegründet werden konnten,„während aus der anderen Seite 32 Ortsgruppen und 14 Sammel- st e l l e n. deren Leiter und Vertrauensmänner den Pflichten gegen den Reichsverband nicht nachgekommen waren, a u S den Listen gestrichen wurden'. «u« der beiläufigen Bemerkung, daß trotzdem eine Vermehrung der Ortsgruppen und Sammelstellen um? Proz. zu verzeichnen sei. würde sich ein Gesamibestand von zirka 1100 dieser Organisationen ergeben. Der Geschäftsbericht teilt weiter mit, daß geplant sei, .für die bevorstehenden Lteichstagswahlen. ebenso wie 1907, eine „Wahl-Korrespondenz' herauszugeben. die während der eigentlichen Zeit deS WahlkompfcS mehrmals wöchentlich erscheinen und nicht nur größeren Zeitungen, sondern auch kleineren Blättern zur Verfügung gestellt werden soll.