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Knapp etwas über die Hälfte der Gestellungspflichtigen ist Militär- tauglich! Wenn man derDeutschen Tageszeitung" glauben will, liegt das natürlich einzig und allein an der fluchwürdigen Ab- Wanderung in die Großstädte, an der Entvölkerung des flachen Landes. Um den Kern der Frage geht die konservativ-agrarische Clique mit dem Mute der Verzweiflung herum! Wenn sie sich nur selbst mästen kann. Fleischnot besteht bekanntlich für die übrige Bevölkerung nicht. Spartanersinn für die Arbeiter, das ist die Losung, nach der diese mehr oder weniger hohen und er- lauchten Herren die soziale Misere kurieren! Die Not der zahl- losen Familien, die sich bei den heutigen Preissteigerungen nur dann über Wasser halten können, wenn alle halbwegs erwachsenen Familienglieder, insbesondere die Frau, neben dem Mann mit- arbeiten, diese Not sieht man nicht. Unter welchen Umständen heute ein neuer Weltbürger ins Leben tritt, unter welchen Ver- hältnisser er heranwachsen muß dafür hat man keine Augen! Die minimalsten Wünsche zur Herbeiführung einer auch nur einigermaßen gerechten sozialen Gesetzgebung sind dank der ab- lehnenden Haltung der Unternehmer unberücksichtigt geblieben; so die sechsstündige Arbeitszeit an Sonnabenden für Arbeiterinnen mit einem Hauswesen, die Erhöhung des Wöchnerinnenschutzes vrn sechs auf mindestens acht Wochen usw. Die mit der tief- greifenden Unterernährung weiter Bovölkerungsklaffen Hand in Hand gehende Verminderung der Militärtauglichkcit besitzt weiter einen ihrer Hauptpunkte in dem mit unserer heutigen völlig ver- sagenden sozialen Gesetzgebung zusammenfallenden Mangel der Säuglingspflege. Wenn die junge Arbeiter-Mutter unter dem Zwang der Verhältnisse ihr Kind in irgend eine, die mütterliche Sorgfalt natürlich nicht ersetzende Pflege geben muß, in eine Pflege, die sich ihr schließlich auch nur in gewinnsüchtiger Absicht widmet, wie soll da das Kind gedeihen?! Ammen, wie die Herr- schaften der oberen Zehntausend, können sich die Aermsten, denen treue Mutterliebe meist in weit höherem Grade zu eigen ist, als senen Frauen, die kaum Zeit haben zum Kinderkriegen, nicht halten! Nicht einmal stillen dürfen sie ihr Kind, wenn sie auch wollten; der Unternehmer läßt ihnen aus Furcht vor ein bißchen Kapitalverlust keine Zeit dazu. Wir müssen uns unserer söge- nannten Kulturhöhe schämen, wenn wir die soziale Gesetzgebung über diesen Punkt in Staaten betrachten, die man beileibe nicht als mit unserer erhabenen Kultur auf einer Stufe rangierend betrachten darf!' In Spanien beispielsweise ist seit 1907 der sechswöchige Wöchnerinnenschutz eingeführt. Außerdem aber darf die Mutter auf Grund eines ärztlichen Attestes im achten Monat um Urlaub nachsuchen und das ist die Hauptsache der Arbeitsplatz muß ihr dann reserviert bleiben! Wie sieht es damit bei uns aus?! In Spanien , wie auch in Italien besteht weiter schon seit 1992 ein Gesetz für stillende Frauen. Dort bekommen Frauen, die Kinder zu stillen haben, innerhalb ihrer Arbeits st unden ein Freistunde je 30 Minuten am Vor- und Nachmittag! um ihrem Kinde die Brust geben zu können. Ja noch mehr: Die Frauen können sich diese Stunden sogar was würde man bei uns im Reichstag darüber für ein Geschrei hören! selbst wählen, nur müssen sie den Zeitpunkt bei Beginn der Arbeit mitteilen. In italienischen Fabriken müssen für stillende Frauen besondere Stillräume ange- legt werden. Und auch hier ist die Stilldauer auf eine Stunde gesetzlich festgelegt worden. In beiden Ländern wieder ein Hauptpunkt, der bei uns ganz unmöglich erscheint darf die zum Stillen benutzte Stunde vom Tagelohn nicht abgezogen werden! Ja selbst von Argentinien müssen wir uns beschämen lassen. Dort sind nach einem 1907 erlassenen Ge- setz alle zwei Stunden 15 Minuten zum Stillen der Kinder zu gewähren. Und in Frankreich ist seit 1909 auch bereits die acht- wöchige Schonzeit der Wöchnerinnen eingeführt! Aber bei uns spartanert man, schafft nichts, das wenigstens den allertollsten Niedergang der köperlichen Befähigungen aufhält! Sericbts- Leitung. Eine verfehlte Anklage gegen Jugendliche. Acht Lehrlinge und eine jugendliche Arbeiterin standen bor !- gestern als Angeklagte vor dem Jugendgericht des Amtsgerichts Berlin-Mitte, weil sie am 16. Oktober 1910 in einer öffentlichen angeblich politischen Versammlung anwesend waren. Es handelt sich um die Protestversammlung, die von den Jugendlichen«ach Auflösung der Jugendorganisation einberufen war. Sämtliche Angeklagte erklärten, daß sie den politischen Charakter jener Versammlung bestreiten müßten und daß sie auch nicht be- urteilen könnten, ob eine Versammlung politisch sei. In der Beweisaufnahme wurde festgestellt, daß bor der Ver- fammlung ein großes Schutzmannsaufgebot zu sehen war, daß auf der Straße und dem Treppenflur viele Schutzleute postiert waren. Einer der Angeklagten konnte mitteilen, daß er einen Schutzmann gefragt hätte, wo die Jugendversammluny wäre, und daß der Schutz- mann ihm den Weg zur Versammlung gezeigt hätte. Ueber den Inhalt der in der Versammlung gehaltenen Reden bekundete Polizeileutnant Posemann, es sei von den Rednern PeterS und Scholz an dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Kritik geübt worden, durch welches die Jugendorganisation aufgelöst worden ist. Die Redner hätten darauf hingewiesen, daß die Jugendbewegung nicht tot sei und daß jeder an sich weiterarbeiten müsse, um sich zu einer freien Persönlichkeit m entfalten. Der Amtsanwalt beantragte gegen sämtliche Angeklagten Ver- urteilung zu einem Verweis, wobei er ausführte, daß alle An- geklagten geistig so entwickelt seien, daß sie wissen müßten, was Politik ist, und daß die Versammlung schon deshalb eine politische sei. weil über die Auflösung der Jugendorganisation verhandelt worden sei. Der Verteidiger, Dr. Kurt Rosenfeld , beantragte die Frei- sprechung sämtlicher Angeklagten. Er machte geltend, daß nach den Bekundungen des Polizeileutnants von einer politischen Ver- sammlung keine Rede sein könne, da keiner der VersammlungS- redner Angelegenheiten erörtert habe, die unmittelbar den Staat, seine Gesetzgebung oder Verwaltung berühren, oder seine Organe und Funktionen in Bewegung setzen. Der Verteidiger hob ferner hervor, daß die Angeklagten die zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht gehabt haben, da sie aus dem ganzen Verhalten der Polizei, welche die Jugendlichen ruhig in die Ver- sammlung gehen ließ und teilweise sogar noch den Weg in die Ver- sammlung wies, nicht schließen konnten, daß es sich um eine Ver- sammlung handele, an der sie als Jugendliche nicht teilnehmen durften. Das Gericht folgte letzteren Ausführungen, indem es zwar den politischen Charakter der Versammlung annahm, aber die Frage nach der Erkenntnis der zur Strafbarkeit erforderlichen Einsicht verneinte und sämtliche Angeklagten auf Kosten der Staats- lasse freisprach._ DieWahrheit" abgewiesen. In den zahlreichen Preßprozessen, die der Reichstagsabgeord- nete Wilhelm Bruhn als Herausgeber derWahrheit" in der letzten Zeit angestrengt hatte, ist soeben ein interessanter Beschluß er- gangen, durch den der umfangreichste der Bruhnschen Beleidigungs- pro�ffe auf Kosten des Klägers zurückgewiesen wird. Es handelt sich dabei um den Prozeß, den Bruhn gegen etwa sechzig deutsche Zeitungen angestrengt hatte, weil sie einen Artikel des Jour- nalisten Schweder in Berlin übernommen hatten, der sich mit dem damals bevorstehenden Erpresserprozetz Dahsel beschäftigte. In dem Artikel war ausgeführt worden, daß Dahsel allerdings nach dem Ergebnis der Voruntersuchung schwer belastet erscheine, daß Verantwortlicher Redakteur: Richard Barth » Berlin . Für den aber Bruhn und dieWahrheit" gewissermaßen die Vorbedingung für die Affäre Dahsel gewesen seien, und daß Dahsel durch die Mitarbeiterschaft an der«Wahrheit" vollständig korrumpiert worden sei. In dem Verfahren gegen Schweder und Genossen war zunächst festzustellen, ob Schweder als Verfasser des Artikels in Betracht kam. Die Redaktionen verweigerten Bruhn gegenüber jede Aus- kunft. Dieser lud darauf den Herausgeber derDeutschen Zei- tung", Dr. Friedrich Lange(Berlin ), als Zeugen hierüber und ließ die Mitangeklagten Zeitungen wissen, daß er bereit sei, den Strafantrag gegen sie zurückzuziehen, wenn sie je 60 M. Honorar an seinen Anwalt Dr. Bredereck zahlten und eine Ehrenerklärung veröffentlichten. Die Zeitungen erklärten sich jedoch sämtlich solida- risch mit Schweder, worauf gegen diesen das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Berlin-Mitte beantragt wurde. Der Vor- sitzende der für die Sache in Betracht kommenden Abteilung 145, Amtsgerichtsrat Wollner, erließ jedoch, soweit der beschuldigte Schweder in Frage kommt, jetzt folgenden Beschluß: Die Privatklagesache des Verlegers Wilhelm Bruhn , M. d. R., zu Berlin , Privatklägers gegen den Journalisten Paul Schweder zu Berlin , Beschuldigten, wegen Beleidigung, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen. Kläger fühlt sich lediglich durch den Passus des Artikels, Dahsel sei durch die Mitarbeit an dem vom Kläger heraus- gegebenen BlatteDie Wahrheit" vollständig korrumpiert worden", beleidigt; jedoch zu Unrecht. Denn es ist gerichtsnotorisch, daßDie Wahrheit" zu der in Betracht kommenden Zeit in weiten Kreisen der Bevölkerung als Bedrohung erachtet wurde und auf dieselben wirkte. Wenn nun mit Bezug hierauf behauptet wird, daß die Mitarbeiterschast an dieser Zeitung von verderblichem Einfluß auf den Mitarbeitenden ist, so entspricht diese Auffassung den Tat- fachen. Dagegen ist weder behauptet, noch aus dem Artikel herauSzu- lesen, daß Kläger einen schlechten und verderblichen Einfluß au Dahsel ausgeübt hat. und kann demnach von einer Beleidigung des Klägers nicht die Rede sein. Königl. Amtsgericht Berlin-Mitte, Abt. 145. gez. Wollner." Es ist anzunehmen, daß mit diesem Beschluß sich auch die übrigen Privatklagen des Herrn Bruhn gegem die in Betracht kommenden 60 Zeitungen erledigen. Die Veruntreuungen eines städtischen BollziehungSbeamten beschäftigten gestern in einer mehrstündigen Sitzung unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Liebenow das Schwurgericht des Land- gerichts III. Wegen Unterschlagung im Amte in Verbindung mit qualifizierter Urkundenfälschung und Registerfälschung war der städtische Bollziehungsbeamte Wilhelm Lebbin angeklagt. Der Angeklagte, welcher nach Ablauf seiner Militärzeit bei dem Leibhusarenregiment Schutzmann geworden war, trat vor einigen Jahren in den Dienst des Berliner Magistrats, bei welchem er den Posten eines Vollziehungsbeamten erhielt. Als solcher hatte er u. a. auch die rückständigen Steuern und andere fällig gewordene Steuern einzutreiben. Wie die Anklage behauptet, soll der Angeklagte schon seit längerer Zeit Beträge, die er in amtlicher Eigenschaft empfing, in seine eigene Tasche gesteckt haben und die Unterschlagung dann durch falsche Eintragungen in die Kontroll- rcgistcr verdeckt haben. Das unterschlagene Geld verbrachte der Angeklagte dann zum Teil beim Spiel und in leichtsinniger Gesell- schuft. Vor Gericht bestritt der Angeklagte, sich schuldig gemacht zu haben. Er wurde jedoch durch die Beweisaufnahme völlig über- führt und dem Wahrspruch der Geschworenen gemäß unter Zu- billigung mildernder Umstände zu einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr und 1 Monat verurteilt._ Bon einem SchutzmannSsäbel arg mitgenommen worden zu sein, behauptete gestern wieder ein- mal ein Angeklagter, der Billetthändler Günther, der wegen Wider- standes vor dem Schöffengericht stand. Er bekräftigte seine Be- hauptung dadurch, daß er sich den Rock auszog, die Bermel auf- krempelte und dem Vorsitzenden und den Schöffen einige Narben auf seinem Arm zeigte. Der Angeklagte hatte eines Sonntags in einem Schanklokal der Kleinen Präsidentenstraße kurz vor Beginn der Vorstellung einem jungen Mädchen ein Billett zum Zirkus Busch verkauft. Der Schutzmann Fleischmann hatte hier- von Wind bekommen, er war mit dem Mädchen in das Lokal ge- gangen und nachdem das Mädchen in das Lokal gegangen und nachdem das Mädchen dort auf die Person des Angeklagten ge- wiesen, hatte Schutzmann Fleischmann diesen zur Wache sistiert. Der Angeklagte machte einige Einwendungen und verwies den Schutzmann darauf, daß dieser ihn doch persönlich schon lange kenne und deshalb zu einer Sistierung gar kein Grund vorliege. Darauf soll, wie der Angeklagte behauptet, der Schutzmann seinen Säbel gezogen und auf ihn losgeschlagen haben. Zur Bekräftigung dieser Darstellung hatte er einige Entlastungszeugen laden lassen, die aber gestern zu einer Aussage noch nicht kamen. Der Schutz- mann Fleischmann gab auf Befragen zu, daß er den Angeklagten kenne; wenn er ihn trotzdem mit zur Wache genommen, so sei er darin nur der vom Reviervorstand erlassenen Anordnung gefolgt. Der Billethandel sei am Sonntag auch in Lokalen über- Haupt verboten und die Schutzleute seien angewiesen, daß Zu- widerhandelnde auf alle Fälle sofort mit zur Wache genommen und dort bis 9� Uhr abends festgehalten werden mußten, um weitere Gesetzwidrigkeiten zu verhindern. Dabei sei es gleich- gültig, ob die betreffende Persönlichkeit dem Polizeibeamten be- kannt sei oder nicht. Dies schien im Gerichtshöfe einiges Be- fremden zu erregen; der Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Oskar Cohn glaubte bestätigen zu können, daß eine solche Anordnung wohl bestehen dürfte, denn dasselbe Verfehlen werde auch gegen Streikposten eingeschlagen. Der Verteidiger meinte, darin zeige sich eben das Wesen des Polizeistaates im Gegensatz zum Rechts- staat, daß das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit jeden Tag in Hunderten von Fällen von Polizei wegen nicht re- spektiert werde; daraus erkläre sich auch die Erbitterung gegen die Polizei, die sich bei so vielen Menschen angesammelt habe. Da der Verteidiger gleichzeitig mitteilte, daß er sofort eine Strafanzeige gegen den Schutzmann Fleischmann erstattet habe und ein Verfahren gegen diesen eröffnet sei, so beschloß das Gericht, die Sache bis nach Erledigung jenes Strafverfahrens zu ver- tagen._ Schutzmannsbeleidigung. Ein Nachspiel zu den Wahlrechtsdemonstrationen im Tier« garten beschäftigte gestern unter Vorsitz des Amtsgerichtsrats von Treskow die 136. Abteilung des Amtsgerichts Berlin-Mitte. Wegen öffentlicher Beleidigung der Berliner Schutzmannschaft war der Buchhalter Karl Meyer angeklagt. Der Angeklagte hatte sich am 30. März v. Js. vor der Abteilung 144 des Amtsgerichts Berlin- Mitte unter der Anklage des groben Unfugs zu verantworten. Dieser wurde von der Anklage darin erblickt, daß Meyer gelegent- lich der Wahlrechtsdemonstrationen auf den Sockel des Bismarck- denkmals am Königsplatz geklettert war und die Menschenmenge aufgefordert hatte, ein Hoch auf das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht auszubringen. Der damalig« Vertreter der Anklage führte in seinem Plaidoyer u. a. aus, daß sich der An- geklagte gegen die Staatsautorität schwer vergangen habe. In seinem Schlußwort erklärte der Angeklagte dann, daß nicht er sondern die Schutzleute sich vergangen hätten, diewie die wilden Tiere gehaust" hätten. Von dem Staatsanwalt wurde damals wegen Ungebühr vor Gericht eine Ordnungsstrafe von 50 Mark beantragt. Das Gericht nahm aber von der Verhängung einer Ordnungsstrafe Abstand, da der Angeklagte sofort sein Bedauern über die in der Erregung gefallene Aeußerung aussprach. Wegen des ihm zur Last gelegten groben Unfugs wurde Meyer s. Zt. zu� Inseratenteil verantw.: Th. Glocke, Berlin . Druck u. Verlag: Vorwärts 36 Mark Geldstrafe verurteilt. Wegen jener in dem EerichtSfaa! gemachten Aeußerung,Die Schutzleute hätten wie die wilden Tiere gehaust", wurde jedoch vmn Polizeipräsidenten Strafantrag wegen öffentlicher Beleidigung gestellt. Die gestrige Verhandlung begann damit, daß der Angeklagte den Vorsitzenden Amtsgerichts- rat von TrcSckow wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte und diesen Antrag damit begründete, daß der Vorsitzende ihn in der ersten Sache s. Zt. unterbrochen und nicht habe aussprechen lassen. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß nicht der Amtsgerichtsrat von Tresckow , fondern Amtsgerichtsrat Wapler f. Zt. den Vorsitz in dieser Sache geführt hatte. Der Angeklagte zog deshalb seinen Ablehnungsantrag zurück. In der Beweisaufnahme stellte es sich u. a. heraus, daß der Angeklagte sich schon einmal wegen eines Nervenleidens in der Irrenanstalt Dalldorf befunden hatte und sich augenblicklich in der Raison cke sante in Behandlung befindet. Auf eine Frage des Vorsitzenden, weshalb er damals in die Irren« anstatt gekommen sei, erklärte der Angeklagte:Wenn jeder, der so wie ich damals, in der Trunkenheit Radau macht und dann gleich in eine Irrenanstalt kommt, so würden bald sämliche Richter« stühle und Kanzleien verwaist sein". Der Vertreter der Anklage, Staatsanwalt-Asseffor Block beantragte wegen dieser Aeußerung, die eine grobe Ungebühr darstelle, eine Ordnungsstrafe von 56 Ml. Der Angeklagte erklärte, daß er in seiner krankhaften Erregung das Maß seiner Worte nicht genau abwägen könne und ihm die Aeußerung sehr leid tue. Da der behandelnde Arzt aus der Maison de sante an das Gericht ein Schreiben gerichtet hatte, in welchem er mitteilte, daß der Angeklagte an krankhaften E» regungszuständcn leide, nahm das Gericht von der Berhängniig einer Ordnungsstrafe Abstand. Der Antrag des Staatsanwalts, den Angeklagten erst durch den Gerichtsarzt auf seinen Geisteszu- stand untersuchen zu lassen, wurde vom Gericht abgelehnt. Der Staatsanwalt beantragte eine Geldstrafe von 56 Mark. Rechts- anwalt Dr. Kurt Rosenfeld beantragte die Freisprechung, da der Angeklagte die Aeußerung nur bildlich gemeint habe. Der Ange« klagte erklärte in seinem Schlußwort: Wenn sie mich nicht frei- sprechen, so liefern Sie die Berliner Bevölkerung den Schutzmanns« säbeln und Revolvern aus. Das Gericht erkannte auf 30 Mark Geldstrafe und sprach dem Polizeipräsidenten die Publikation deK Urteilstenors zu._ Unfall im Hotel Bristol. Eine Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung, die gestern vor dem Schöffengericht Berlin-Mitte verhandelt wurde, richtete sich gegen Generaldirektor der Hotelbetriebsgescllschaft Eduard Elkan. Die Anklage ist die Folge eines schon vor vier Jahren im Hotel Bristol vorgekommenen Unfalls. Am 5. Dezember 1906 löste sich von der Decke des Nestaurationsraumes im Hotel Bristol ein Stück des Deckenstucks und fiel dem Kellner Hermann Stade, der in der Nähe der Kasse stand, auf den Kopf. Der Getroffene sank sofort bewußtlos zu Boden und mußte in ein Krankenhaus geschafft werden. Er hatte eine Gehirnerschütterung erlitten und es bildete sich eine Gemütskrankheit bei ihm heraus, die ihn der« anlatzte, einen Entschädigungsprozetz gegen die Gesellschaft, von der er eine fortlaufende Rente verlangt«, anzustrengen. Dieses Zivil- Prozeß schwebt zurzeit noch bei dem Reichsgericht zur endgültigen Entscheidung; die zweite Instanz hatte die Klage des Kellners dem Grunde nach für berechtigt anerkannt. Inzwischen war auch noch die Klage wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen General- direktor Elkan erhoben worden. Die Loslosung des Stucks war darauf zurückzuführen, daß an der kritischen Stelle über dem Restaurationsraum ein Badezimmer liegt und von dort nach und nach Wasser durchgesickert ist. Die gestrige Verhandlung, zu der mehrere Bausachverständige geladen waren, ergab, daß der An» geklagte für den Unfall nicht verantwortlich gemacht werden kann. Es erfolgte daher die Freisprechung. AuS dem Sprachschab eines Polizeikommissars. Der Polizeikommissar Priebe in Stolp i. P. sah am Abend des 15. August in der Bahnhofltrasse den Droschkcnbcsitzer Stricker mit seiner Droschke fahren. Es fiel ihm auf, daß Stricker eigen» tümliche Kopfbewegungen machte und meist vor sich hinstarrte. DaS hatte in Wirklichkeit seinen Grund darin, daß St. ein neues Pferd zum erstenmal vor seinen Wagen hatte und den Gang des Pferdes beobachtete, sowie darauf aufpaßte, ob das Pferd nicht irgendeinen Fehler habe. Der Beamte nahm jedoch an, daß Stricker betrunken sei und stellte ihn schließlich auch zur Rede. Bei der dann folgenden Auseinandersetzung zwischen Stricker und dem Beamten gebrauchte der Kommissar mit Bezug auf St. den Ausdruckbesvffcn". St. fühlte sich beleidigt und klagte gegen den Kommissar. Er konnte sich darauf stützen, daß er inzwischen in dem auf Anzeige des Kommissars g'gen ihn eingeleiteten Strafverfahren wegen Uebertretung der Droschkenverordnung freigesprochen worden war. Es handelte sich um die Bestimmung, daß die Droschkenlenker bei Ausübung des Gewerbes nüchtern sein müssen. Das Gericht hatte für erwiesen angenommen, daß der Kommissar sich geirrt habe und daß St. an jenem Abend tatsächlich nüchtern gewesen sei. In der Beleidigungssache wurde nun der Kommissar in zweiter Instanz freigesprochen, weil der Ausdruck besoffen in Kreisen des Klägers gang und gäbe sei und nicht als Beleidigung St.s aufge« faßt werden könne. St. legte Revision ein. Bevor über diese verhandelt werden konnte, erbob die Regierung zu KöSlin zugunsten des Kommissars den Konflikt, weil er seine Amtsbefugnisse nicht überschritten habe. DaS Oberverwaltungsgericht erklärte den Konslik für begrüa» det und entschied demgemäß, daß das Verfahren gegen den Kam« missar endgültig einzustellen sei. Was den Ausdruckbesoffen" be« treffe, so habe unter den obwattenden Umständen darin ein« Ueber. schreitung der Amtsbefugnisse nicht gefunden werden können. Es sei ein vulgäres Wort, ein derbes Gort, das sei ja richtig; es werde aber im allgemeinen für den Zustand der Trunkenheit gebraucht. Es sei nun zu entscheiden, ob darin eine Uoberschreitung der Amts» befugnisse zu finden sei. daß der Beamte St. irrtümlich für be» trunken hielt und seiner Ueberzeugung Ausdruck gab in Gegenwart anderer. Auch darin liege keine Amtsüberschreitung. Unzweifel- Haft stehe fest, daß der Beamte der Ueberzeugung war, daß St. betrunken sei. Dieser Ueberzeugung durfte er Ausdruck geben. Wenn er sich irrte, so sei das bedauerlich, eine Amtsüberschreitung aber liege nicht vor._ Haftpflicht der Schulgemeinbe für die ZugangSwcge zur Lehrer- Wohnung. Gegen die Schulgemeinbe Kemminghausen hat der Hauptlehrer Wigge Ansprüche auf SchadloLhaltung aus einem Unfall erhoben, den er bei Gelegenheit des Besuchs eines Freundes und Kollege» erlitten hat. Der Freund des Klägers wohnt in einem der Ge» meinde gehörigen Schulhause. Dieses Haus wird von der Ver- kehrsstraße durch einen schmalen Graben getrennt. Ueber den Graben führt ein aufgeschütteter Weg, der durch Zertrümmerung eines Abflußrohres und das dem Rohre entströmende Wasser unter- höhlt worden ist und an einer Stelle etwas gesunken war. so daß ich ein Loch gebildet hatte. Als der Kläger in der Dunkelheit das Schulhaus verlassen wollte, geriet er mit einem Fuß in das Loch des Weges und zog sich dabei eine erhebliche Knieverletzung zu. Seine gegen die Schulgemeinde Kemminghausen erhobenen Ansprüche sind vom Landgericht Dortmund wie auch vom Ober- landsgericht Hamm und am Montag auch vom Reichsgericht dem Grunde nach als gerechtfertigt anerkannt worden. Die Erkennt- nisse gehen davon aus. daß die Gemeinde zur Unterhaltung des Weges verantwortlich sei. Sie habe den Verkehr auf ihm nicht nur 'ür die Schulkinder eröffnet, sondern auch für den Schullehrer, dem sie in dem Schulhausc die Wohnung angewiesen habe. Um ihrer Pflicht nachzukommen, hätte die Gemeinde vorbeugende Matz- regeln treffen müssen. Die Nachlässigkeit der Vertreter der Schul. gemeinde sei deshalb ausschlaggebend für ihre Haftpflicht. Die Gemeinde habe sich um die Unterhaltung der Gebäude und ihrer Zugänge kümmern müssen. Das sei, meint das Reichsgericht, leicht dadurch zu erreichen gewesen, daß sie den betreffenden Lehre» entsprechend instruierte.__ Buchdruckerei u. VerlagSanstalt Paul Singer u. Co.. Berlin SW."