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Abg. David zwischen der bürgerlichen und proletarischen Frau einen Unterschied machte und die bürgerliche Frau im Gegensatz zur proletarischen als eitel und Kenutzsüchtig hinstellte. Das ist nicht richtig. ES geht ein Hoher idealer Zug durch die bürgerlichen Frauen; der sehnsuchtigste Wunsch auch der bürger- lichen Frauen ist es, ihre Kinder selbst zu stillen. Ein ausreichender Mutter- und Säiiglingsschutz allein kann die Zukunft unseres Volkes sicher stellen. Deshm'b darf die Regierung lediglich wegen der Kosten kein Nein entgegensetzen. Nehmen Sie daher unsere Anträge an.<Bravo I b. d. Vp.) Abg. HlwSmimn(natl.): Auf die ausführlichen Verhandlungen der Kommission und vor allem auf die Kosten nehmen die Sozialdemokraten kerne Rücksicht. Wie können Sie da von uns bei einem Gesetz von mehr als 1700 Paragraphen eine ausführliche Diskussion erwarten.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Dr. David hat gestern hier einen allsgezeichneten wissenschaftlichen Vortrag gehalten. Aber dazu ist die Tribüne des Reichstages nicht da. sWiderspruch links, Zuruf: Wozu denn?) Was sollen wir den» auf diese Rede antworten? sGrosze Heiterkeit.) Wir können uns hier doch nicht über die Konstitution der Frau und die Schönheit der Frauenbüste unterhalten. Wenn irgend einer den Wunsch hat, dost für Mutter- und Säuglingsschutz alles geschieht, was irgend möglich ist, so sind es meine politischen Freunde.(Zu- ruf bei den Sozialdemokraten: Es darf blotz nichts kosten.) Die Abgg. Mugdan und David machen es sich sehr leicht; sie sagen, was gegen sie vorgebracht wird, bezieht sich lediglich auf die Kosten. Nun, in der Kommission ist festgestellt, daß die Durch- führung aller sozialdemokratischen Anträge mehr als eine Milliarde kosten würde. fHört l hört l rechts und im Zentrum.) Die Krankenversicherung müßte bei Annahme des Antrages Albrecht auf eine ganz andere finanzielle Basis gestellt werden. Die Ver- sicherten werden solche unerreichbaren Forderungen richtig einzuschätzen wissen. Wenn die Versicherungsordnung zustande kommen soll, ist es notwendig, daß möglichst wenig an den Kom- missionsbeschliissen geändert wird. Daher stimmen wir gegen alle Abäuderungsuntriige.(Bravo l bei den National- liberalen.) Abg. Freiherr v. Gamp(Rp.); Auch ich halte es für eine Pflicht der bürgerlichen Gesellschaft, energische Maßnahmen gegen die Säug- lingssterblichkeit zu ergreifen. Die freie Liebestätigkeit hat in der letzten Zeil auf diesem Gebiete schon großes geleistet und die Erfolge werden sich bald zeigen. Es wäre ganz u n b i l l ig. diese Auf- gäbe der Krankenversicherung zu überweisen, zu der die Arbeiter zwei Drittel der Beiträge zahlen. Wir halten ebenfalls an den Kommissionsbeschlüssen fest. Der Hinweis auf die g* ringere Säuglingssterblichkeit in Belgien  , Norwegen   usw. beweist gar nichts, denn diese LänderZhaben ja gar keine soziale Fürsorge. Da muß also die geringere Sterblichkeit an anderen Gründen liegen, vielleicht ist auch die Statistik mangelhaft. Das einzig An- nehm bare wäre für uns die Gewährung der Hebammen- Hilfe bei der Geburt. Das gehört wirklich zur Kranken- Versicherung. Vielleicht ist darüber bis zur dritten Lesung eine Wer- ständigung möglich. Abg. Hoch(So,.): Unsere Anträge werden unzweckmäßig genannt. Frhr. v. Gamp meinte, die Wöchnerinnenfürsorge sei nicht Sache der Krankenkasse, sondern der ganzen Gesellschaft. Nicht nur die Wöchnerinnenfürsorge, sondern die gesainte Arbeiterversicherung ist Sache der bürgerlichen Gesellschaft. Haben Sie denn Bismarcks Wort von der Betätigung des praktischen Christentums vergessen? Die Arbeiter werden mit so wenig Lohn abgefunden, daß sie im Falle der Krankheit nicht für sich selbst sorge» können.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Die Wöchnerinnenfürsorge kann also von der Krankenfiirsorge nicht abgetrennt werden. Welche Sicherheit besteht denn, daß auf dem Wege der Wohltätigkeit etwas geschieht. In den Kommunen unterbleibt die unbedingt notwendige Fürsorge für die Wöchnerinnen aus Mangel an Mitteln, als Folgeerscheinung steigen die Kranken- ziffern, eine schwächliche Generation wird herangezogen und die Krankenkassen werden belastet. Deshalb ist die Fürsorge für die Mutter und das heranwachsende Kind aufs engste mit den Krankenkassen verbunden.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Die Kosten für diesen Teil unserer Anträge würden nicht eine Milliarde betragen, sondern 70 Mil- li o n'e n M a r k j ä h rlich und davon tragen die Arbeiter zwei Drittel. Es ist das eine große Belastung, aber die Arbeiter sträuben sich nicht, dieses große Opfer für Frau und Kind zu bringen. Da müßte doch den Arbeitgebern die Schamröte ins Gesicht steigen, wenn hier ihre Vertreter auftreten und sagen, sie können die Kosten nicht tragen.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Unruhe rechts und bei den Nationalliberalen.) Herr v. Gamp meint, man könne die Arbeiter um so weniger mit diesen Kosten belasten, als der Antrag auf Hälftelung der Beiträge nicht angenommen sei, wir hätten dieses Geschenk für die Arbeiter abgelehnt. Vor solchen Geschenken muß gewarnt werden, das find vergiftete Geschenke. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Sie wollten sie den Arbeitern geben, um ihnen ihre Rechte zunehmen, und als die Arbeiter zu vornehm waren, um ihre Rechte zu schachern, da haben Sie ihnen die Kosten gelassen und dir Rechte entrissen, das ist Ihre Vornehmheit.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemo- kraten.) Hausmann meinte, die Kosten müßten auf andere Weise aufgebracht werden. Gewiß, man soll sie nicht von dem Arbeits« lohn nehmen, sondern von dem Ue b er schuß. Der Staatssekretär Dr. Delbrück hat auseinandergesetzt, daß das deutsche Volk jedes Jahr vier Milliarden erspart, wovon eine Milliarde auf die kleinen Leute kommt. Es bleiben also noch drei Milliarden übrig bei den Reichen und R e i ch st e n. Nehmen Sie davon nur eine Milliarde und führen Sie einige Ver- bcsserungen durch, so werden viele Tränen getrocknet und der Ge« samtheit wird ein Dienst geleistet, ohne daß dazu das Geld der kleine» Leute nötig ist. Aber Sie wollen nichts bewilligen, weil Sie die Reichen und Reichsten nicht belasten wollen. Herr HauSmann nannte die Rede Davids agitatorisch.(Wider- spruch des Abg. Hausmann.) Wenn Sie nichts Unsachliches darin gefunden haben, so müssen Sie konsequenterweise für unsere Anträge stimmen. Ich verwahre mich mit aller Entschiedenheit dagegen, daß unsere Anträge unsachlich find, sie sind sämtlich im Interesse der Arbeiter gestellt und liegen im Rahmen deS Möglichen und Durchführbaren.(Zu- stimmung bei den Sozialdemokraten.) Herr Hausmann sagt, das Gesetz soll unter allen Uinständen durchgcbracht werden, die Arbeiter werden lieber den Sperling in der Hand haben wollen, als die Taube auf dem Dache. Run, dieDeutsche Tageszeitung" schrieb, das Gesetz müsse durchgebracht werden, um zu verhindern, daß cS vor dem neue» Reichstag kommt, weil dann ein Gesetz zu- stände kommen würde, daS den Interessen der Arbeiter besser entspricht. Das Gesetz wird ja nicht einer Partei zuliebe gemacht, sondern das absolut Notwendige wird Ihnen abgerungen und abgezwungen. Es schweben ja jetzt noch Verhandlungen zwischen der Regierung und den Konservativen, und es gibt viele unter Ihnen, die das Gesetz gern noch scheitern lassen möchten. Setzen Sie sich also nicht aufs hphe Pferd. Was hier geschaffen wird, wird unter allen Um- ständen das schlechteste sein, was geschaffen werden kann; ob es aber fertig wird, wollen wir noch abwarten.(Leb- Haftes Bravo I bei den Sozialdemokraten.) Abg. Stolle(Soz.): Wer irgend Gelegenheit hat, einen Einblick in das Leben der Arbeiterfamilien zu nehmen, wird nnt mir der Ueberzeugung sein, daß in bczug auf den Kinderschutz, die Wöchnerinnen- beihilse,«säuglingshilfe es notwendig ist. einzugreifen. In erster Linie verlangen wir einen ivirksamen Schutz für die Schwangeren, e-Z soll ihnen Geburtshilfe geleistet werden. Niemand kann sagen, daß das nicht im Interesse der Wöchnerinnen und der Gesamtheit liegt. Nun behauptet man. es sei nicht durchführ- bar. Aber das sind nur Vorwände. Die Statistik zeigt uns, daß in Jndustriebezirken in bezug auf die Gesundheit der Säuglinge die allerschlimmsten Verhältnisse herrschen, besonders groß ist die Sterblichkeit unter den unehelichen Säuglingen. Man scheut sich vor den Kosten. Aber wer trägt denn die größten Lasten. Die indirekten Steuern sind von Jahr zu Jahr gestiegen, und diese kommen doch nicht aus den Taschen der reichen und reichsten Leute, sondern aus denen der Armen und Nol> leidenden.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Dar man bei Kulturfragen überhaupt einwenden, daß die Kosten zu hoch sind? Bei den Forderungen für das Heer machen Sie diesen Einwand nicht, für das Heer sind seit der Reichsgründung mehr als 23 Milliarden ausgegeben. Vergleichen Sie doch damit einmal die Summen, die wir für die Notleidenden fordern. Ebenso sind die Ausgaben für die Marine dauernd gestiegen und gedeckt sind alle diese Ausgaben zum großen Teil durch indirekte Steuern. Da hahen Sie sich nie vor den Kosten gescheut, nur bei einer solchen Kulturaufgabe sagen Sie: Nein, die Mittel sind nicht aufzubringen._ Wer von der Not- wendigkeit und Gerechtigkeit der Forderung überzeugt ist, darf die Einführung der Geburtshilfe nicht den Satzungen der Kasse überlassen, am wenigsten denen der Landkrankenkassen, bei denen die Versicherten überhaupt kein Wahlrecht haben. Sie klagen über die Landflucht Ihrer Arbeiter. Diese mutz ja noch größer werden, wenn die Arbeiter auf dem Lande auch in bezng auf die Krankenversicherung schlechter gestellt sind wie die in der Stadt. Wer dafür stimmen will, daß das Deutsche Reich weiterhin als Kulturstaat gelten soll, muß für unsere Anträge stimmen. (Bravo I bei den Sozialdemokraten.) Abg. Kulerski(Pole) erklärt, daß seine Freunde für den Antrag Albrecht nur insoweit stimmen könnten,_ als er von der Gewährung der Hebammenhilfe und des Stillgeldes handele. Damit schließt die Debatte. Abg. David(Soz., persönlich): Herr Mugdan   hat aus meiner gestrigen Rede herausgehört, daß ich den bürgerlichen Frauen den Vorwurf gemacht hätte, sie wollten aus Eitelkeit ihre Kinder nicht stillen. Es ist mir nicht eingefallen, den bürgerlichen Frauen im allgemeinen einen solchen Vorwurf zu machen, ich habe vielmehr nur auf einen Zuruf aus der Mitte des Hauses gesagt, daß es allerdings gewisse Damen gäbe, die aus Eitelkeit ihren Kindern die Brust nicht reichten. In der Abstimmung wird der Antrag Albrecht abgelehnt. Die Abstimmung über den Teil des Antrages, der Gewährung von Hebammendiensten und ärztlicher Behandlung an Wöchnerinnen so- wie Wochengeld in der Höhe des Krankengeldes während der ersten acht Wochen nach der Niederkunft verlangt, ist eine namentliche. Der Antrag wird abgelehnt mit 240 gegen ö3 Stinimen bei 2 Stimmenthaltungen. Ebenso wird der Antrag Mugdan  (Vp.), der o b l i g a- torische Gewährung von Hebammendiensten und ärzlicher Hilfe durch die Krankenkassen wünscht, in n a m e n t- licher Abstimmung mit 182 gegen 122 Stimmen abgelehnt. Dafür stimmen von den Nationalliberalen u. a. auch die Abgg. Junck, Thoma, Kochan, Contze, Wachhorst, de Wente, Kleyc, Trautmann, sowie der Lothringer G r ö g o i r e und der fraktionslose Dr. B o e h m c. § 214 bestimmt: Als Sterbegeld wird beim Tode eines Ver- sicherten das Zwanzigfache deS Grundlohnes gezahlt. Ein Antrag A l b r e ch t(Soz.) will hinzufügen:»mindestens 00 Mark". Abg. Noske(Soz.): Der Zweck der Versicherung soll doch sein, mindestens vor der allerbittersten Not zu schützen. Denn wenn nicht einmal dieser Zweck erreicht wird, wie kann man dann ein solches Aufheben von unserer Sozialpolitik machen? Geringfügige Almosen lindern nicht die Not, sie wirken nur aufreizend.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wir wünschen bekanntlich Urbernahme der Begräbniskosten ans die Allgemeinheit. So lange dies nicht er- reicht ist, muffen wir um so nachdrücklicher ein Sterbe- geld in einer solchen Höhe fordern, daß eS wenigstens für ein einigermaßen anständiges Begräbnis genügt. In diesem Sinne haben wir unseren Antrag gestellt. Im Interesse zahlreicher armer Familien bitten wir dringend, ihn anzunehmen, und nicht wieder die Kostenkrage vorzuschützen. Durch Festsetzung eines MinimalbeitrageS sind sehr wohl alle Schwierigkeiten zu be- seitigen, die sich der von unS geforderten Festsetzung der Minimal- grenze des Sterbegeldes auf 60 M. entgegenstellen könnten.(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Doormann(Vp.) erflärt sich gegen den Antrag. Die Debatte schließt. Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten wird der Antrag Albrecht abgelehnt. Z 21S lautet: Stirbt ein als Mitglied der Kasse Erkrankter binnen einen, Jahre nach Ablauf der Krankenhilfe an derselben Krankheit, so wird da« Sterbegeld gezahlt, wenn er bis zum Tode arbeitsunfähig gewesen ist. Abg. Büchner(Soz.: Wir bitten dringend, die Wortean derselben Krankheit' zu streichen. Die Aufrechterhaltung der Worte bedeutet eine große Härte. Wie oft folgt eine Krankheit ans die andere. Sollen die Angehörigen eines Kranken dafür bestrast werden, weil sich eine neue Krankheit bei ihm eingestellt hatte? Wir hoffen, daß wenigstens in diesem Falle die Mehrheit eine Ausnahme von ihrer Ab- würgungSpraxiS machen wird. Wir beantragen ferner die Zufügung eines Absatzes:Nach Ablauf dieser Frist kann sich der Kranke seinen Anspruch auf das Sterbegeld durch einen Beitrag er- halten, der in der Satzung zu bestimmen ist". Wir bitten auch um Annahme dieses Antrags.(Bravo  ! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Doormann(Fortschr. Vp.) wendet sich gegen den sozial- demokratischen Antrag, der die Kassen vorunmögliche" Auf- gaben stelle. Abg. Molkenbuhr(Soz.): Eine eingeschriebene Hilfskasie in Altona   hat eine Einrichtung getroffen, die dem entspricht, was wir im zweiten Teil unseres An- träges verlangen. Wenn also die angebliche Unmöglichkeit die Freisinnigen hindert, so fällt dieser Grund weg, nachdem in der Praxis die Möglichkeit erwiesen worden ist.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Was unseren Streichungsantrag betrifft, so würde er vielleicht eine wöchentliche Mehrüclastung von 1 Pfennig (Hört! hört I) pro Kassenmitglied bedeuten, eine Mehrbelastung, die wohl kaum in einer Beitragscrhöhnng zum Ausdruck kommen würde. (Hört l hört! bei den Sozialdemokraten.) Der Antrag Albrecht wird in seinen beiden Teilen ab- gelehnt. Z 218 handelt von der Familienbeihilfe. Er lautet: Die Satzimg kann zubilligen: 1. Krankenpflege an versicherungS- steie Familienmitglieder, 2. Wochenhilfe an versicherungssreie Ehe­frauen der Versicherten. 3. Sterbegeld beim Tode eine Ehegatten oder eines Kindes. Es kann für den Ehegatten bis aus 3/B. für ein Kind bis auf'/z des Mitglieder-Sterbegeldes bemessen werden und ist um den Betrag des SierbegeldeS zu kürzen, auf daS der Ver- storbcne selbst versichert war. Abg. Kunert(Soz.): Wir beantragen: 1. Die Familienhilfe obligatorisch zu zu machen und sie nicht der Satzung der einzelnen Kasse zu über- lassen, 2. das Sterbegeld für ein Kind unter 16 Jahren auf die Hälfte, für den Ehegatten auf drei Viertel des Sterbe- g e l d S des Versicherlen selbst zu bemeffen. Wir beantragen diese Abänderungen, weil wir das, was Entwurf und Kommission vor- schlagen, als eine völlig ungrnügciwe Halbheit bezeichnen müssen. («ehr richtig! bei de» Sozialdemokraten.) Was hier den Arbeitern geboten wird, ist in der fortgeschrittenen Praxis des In- und Ans- lemdes längst überholt und wird mit Recht von den hervor- ragendsten nationalökonomischen Autoritäten als völlig� bttaktet bezeichnet. Volkswirtschaftlich ist die Familienhilfe längst als völlig unzureichend erkannt; darin stimmen Arbeiter, Wiffenschaft und intelligente Unternehmer überein. Nicht die unzu- reichende«Familienhilfe", sondern die Familienvcrsichernng ist das Motto der fortgeschrittenen Sozialpolitik. Die Vorschläge des Reichskanzlers und der Kommission sind so beschaffen, daß man sich fragen muß. ob sie sich mehr durch soziale Berständnislosigkeit oder durch Nichtswürdigkeit auszeichne».(Unruhe rechts. Glocke des Präsidenten.) Vizepräsident Schultz: Sie dürfen dem Reichskanzler und der Kommission nicht Nichtswürdigkeit vorwerfen. Ich rufe Sie zur Ordnung.(Bravo  ! bei der Mehrheit.) Abg. Kunert(fortfahrend): Ich hoffe noch immer, daß das Plenum nicht die, sei� es nun verständnislosen, sei es nichtswürdigen Vorschläge des Kanzlers und der Kommission annehmen wird. (Unruhe bei der Mehrheit, Glocke des Präsidenten.) Vizepräsident Schultz: Sie haben den Ausdruck wiederholt, wegen dessen ich Sie zur Ordnung gerufen habe. Ich rufe Sie nochmals zur Ordnung! Abg. Kunert: Ich bedauere, daß mir kein schärferer Ausdruck zur Verfügung steht.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten, Unruhe bei der Mehr- heit, Glocke des Präsidenten.) Vizepräsident Schultz(mit erhobener Stimme): Ich bitte dringend, sich nicht meinen Anordnungen zu widersetzen I Ihr Be- nehmen ist ungehörig!(Bravo l bei der Mehrheit.) Abg. Kunert(Soz.): Jeder, der diese unsere Anträge mit niederstimmen Hilst, setzt sich dem Verdacht aus, daß er sich vom Haß gegen die Arbeiterklasse leiten läßt!(Unruhe bei der Mehrheit, lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Hormann(Vp.): Wir würden gern die sozialdemokratischen Anträge annehmen, wenn nicht der Kostenpunkt wäre. Wir müssen fürchten, daß namentlich kleine, wenig leistungsfähige Kassen unter diesen Lasten zusammenbrechen würden. Abg. Hoch(Soz.): Herr Hormann leitet aus der Existenz schwacher, leiftungs« unfähiger Kassen die Unannehmbarkeit unseres Antrages her. Wir unsererseits sind der Meinung, daß leistungsunfähige Kassen kein Exi st enzrecht haben.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Die Anträge Albrecht werden abgelehnt. Z 225 bestimmt, daß beim Ucbertritt eines Versicherten in eine andere Kasse diese die weitere Leistung nach ihrer Satzung über- nimmt. Die Mehrleistungen erhält der Betreffende dann nur, wenn er sich in seiner früheren Kasse Anspruch auf Mehrleistungen er­worben hatte. Ein Antrag Albrecht will hinzufügen: Hotte er nach der Satzung seiner früheren Kasse einen Anspruch auf Mehrleistungen, die die neue Kasse nicht gewährt, so erhält er die Mehrleistungen nach dem Statut seiner früheren Kaste. Diese Leistungen hat seine frühere Kasse der anderen Kaffe zu ersetzen. Abg. Molkenbuhr(Soz.): Wenn der Versicherte die Auswahl hätte, jeder beliebigen Kasse beizutreten, wäre der Antrag unberechtigt. Aber soviel Selbst« bestimmungsrecht haben ja die Arbeiter nicht. Vielfach müssen sie gegen ihren Willen Mitglied einer Jnnungs- oder Betriebs- krankenkasse werden. Dadurch würden sie die in ihrer früheren Kaste erworbenen Rechte auf Mehrleistungen verlieren und das will unser Antrag verhindern.(Bravo  ! bei den Sozialdemokraten.) Geheimrat Caspar wendet sich gegen den Antrag. Der Antrag wird abgelehnt. 8 226 sagt in seinem dritten Absatz: Der Anspruch fällt weg, wenn der Erwerbslose fich im AllÄandtz aufhält und die Satzung mchts anderes bestimmt. Abg. Hoch(Soz.): Dieser Absatz ist sehr unklar, wie auch dasZenstalblatt für Reichsversicherung" anerkannt hat. Es wäre doch Pflicht der Mehrheit, wenigstens die wenige wissenschaftliche Kritik, die zu den KommissionSbeschliissen erscheint, durchzulesen. Wir müssen jede Ver- antwortung für die Unklarheiten, die im Entwurf stehen bleiben. bei dieser Art der Beratung ablehnen. Es stagt sich, ob der Ausdruck der Anspruchfällt weg' bedeuten soll erruht" oder ererlischt". DaS letztere wäre eine große Härte. Im ganzen Entwurf ist sonst der Ausdruckfällt weg" gestrichen Ivorden. Geheimrat Caspar: Dieser Absatz entspricht dem geltenden Recht. Die ganze Rechtsprechung konnte nicht in dem Entwurf berücksichtigt werden. Die Talsache, daß jetzt das ReichsversicherungSamt immer höchste Instanz ist, wird jedenfalls zu einer Vereinheitlichung führen. In diesem Falle verstehen wir unterfällt weg"erlischt". Abg. Hoch(Soz.): Dann sollte man doch die Wortefällt weg' durcherlischt' er« setzen, um Klarheit und Einheitlichkeit zu schaffen. Geheimrat Caspar: Der Ausdruckfällt weg' findet sich auch onst im Gesetz. § 226 wird hierauf angenommen. Nach 8 227 kann für diejenigen, die der Verficherung freiwillig beitreten, die Satzung mit Zustimmung deS Oberversicherungsamtes die Kassenleistungen auf Krankenpflege ohne Hausgeld oder deren Ersatz ohne Krankengeld resp. auf das Krankengeld beschränken. Abg. Schmidt(Soz.) befürwortet einen Antrag auf Streichung dieser Bestimmung. Alle die Herren, die immer vorgeben, für den Mittelstand einzu- treten, sollten für diesen unseren Antrag stimmen. Für den kleinen Gewerbetreibenden hat der Beitritt zur Krankenkasse kein Interesse mehr, wenn die Satzung die Handwerker in bezug auf die Rechte schlechter st eilen kau»als die Arbeiter. Rund 2'/2 Millionen Handwerker würden durch diesen Paragraphen chlechter' gestellt. Das ist Ihre Haudwcrkerfrcundlichkeit! Dabei handelt es sich hier um die A ernisten der Handwerker, denn Handwerker mit über 2000 Mark Einkommen können ja der Versicherung gar nicht beitreten. Sie werden keinen Grund anführen können, weshalb Sie die Hand- werler, die sozial den Arbeitern völlig gleich stehen, schlechter behandeln. Daß die Kassen, speziell die Landkrankenknssen, wo die Versicherten gar keinen Einfluß haben, von dem ihnen hier gegebenen Recht Gebrauch machen würden, ist klar, es werden also gerade die vielen kleinen Handwerker, Schmiede usw. auf dem Lande durch diese Bestimmung benachteiligt. Wem eS ernit ist mit der Hand- Werkerfreundlichkeit, der muß für unseren Antrag stimmen.(Bravo I bei den Sozialdemokraten.) Geheimrat Caspar: Erfahrungsgemäß machen von dem Recht der freiwilligen Versicherung gerade die Kleingewerbetreibenden mit schwankender Gesundheit Gebrauch. Um also einen zu großen Zu- ström schlechter Risiken zu vermeiden, müssen die Kassen das ihnen hier gewährte Recht erhalten. Abg. Schmidt(Soz.): DaS Recht fich dieser großen Risiken zu erwehren, haben die Krankenkassen schon durch einen anderen Paragraphen erhalten. Können sie doch von allen zur freumlligen Versicherung Berechngten ein ärztliches Gesundheitsattest einfordern. Also sie können sie überhaupt abweisen, wenn sie krank sind oder ein be- sümmteS Alter überschritten haben. Aber diejenigen, die dann noch übrig bleiben für die freiwillige Versicherung, sollten wenigstens den übrigen Versicherte» gleichgestellt sein.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Der Antrag Albrecht wird abgelehnt. ß 232 spricht von den verschiedenen Arten der Araylenlaisen,