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Nr. 195.

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10. Jahrg.

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Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Die Wehrsteuer.

Sonntag, den 20. August 1893.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

so erscheint auf den ersten Anblick gerade die Wehrsteuer halb zum Heere Eingezogene in der Regel glücklicher ist und als etwas Sympathisches, weil sie die belastet, denen mit mehr Erfolg seine Interessen wahren kann, als sein Die Beschlüsse der Frankfurter   Ministerkonferenz weisen durch den Heeresdienst die Freiheit nicht genommen gebrechlicher und schwacher, vom Militärdienst befreiter Klassen­den vortragenden und geheimen Räthen des preußischen wird, weil fte die trifft, die in der Wahl genosse. Finanzministeriums und des Reichs- Schazamtes die Auf- des Aufenthaltes, der Beschäftigung, der Unter- Die Lebenswahrscheinlichkeit der Soldaten ist unzweifel­gabe zu, Gesetzentwürfe über die Tabatfabrikats, Quittungs-, haltung u. f. w. nicht so beschränkt sind wie die haft um weit mehr als drei Jahre in allen Gesellschafts­Börsen- und Luxuswein- Steuer auszuarbeiten. Wie der Soldaten. Somit wird anscheinend durch die Wehrsteuer schichten größer, als die der vom Militärdienste Befreiten. Reichstag   sich zu diesen Gesetzentwürfen stellen wird, läßt eine Ausgleichung der ungleich vertheilten Lasten herbei­sich nicht errathen, da die Abstimmungen desselben bei geführt. Unzweifelhaft ist der Militärdienst kein Vergnügen, Dienstfreiheit allgemein zugestehen könnten, so ließe sich doch Aber selbst wenn wir den ökonomischen Vortheil der Spezialfragen so turze Zeit nach den Wahlen sich unmöglich selbst wenn wir von Soldatenmißhandlungen und dergleichen dieser Vortheil nicht abmessen, nicht gegenüber den so ver­voraussagen lassen. Besonders das Schicksal der Quittungs  - gänzlich absehen, sicherlich fordert die Einberufung der schiedenen förperlichen Gebrechen abwägen, da diese Ver­und Tabakfabrikats- Steuer ist unberechenbar. Wird aber Reservisten und Landwehrmänner zu Uebungen und vor hältnisse in jedem Berufe, bei jeder Vermögenslage, ja bei auch nur eine dieser Steuern abgelehnt, so werden dem allem Mobilifirungen im Kriegsfalle oder bei Kriegsgefahr jeder Person verschieden sein werden, ohne daß sich ein Reichstage unzweifelhaft andere Steuern vorgeschlagen schwere persönliche und häufig auch wirthschaftliche Opfer. Maßstab finden ließe, diesen Vortheil auch nur annähernd werden. In erster Linie wird dann die Wehrsteuer in Aber diese Opfer werden von all denen gefordert, die zu bestimmen. Das aber wäre die unumgängliche Voraus­Betracht kommen. Sie wurde auch bei den Frankfurter nach einer freilich nicht stets genügend gründlichen Unter- fegung einer gerecht zu bemessenden Steuer. Ronferenzen vorgeschlagen und nicht unbedingt abgelehnt. suchung förperlich und geistig so gesund sind, daß sie den Auch im Reichstage wird sie Befürworter finden, da die Anforderungen des Heeresdienstes genügen können. Somit findet, wo die Wehrsteuer zu beanspruchen, wo sie zu erlassen ist, wie Es wird sich, kurz gesagt, nicht leicht feststellen lassen, Antisemiten unter Böckel's Führung ihr das Wort reden. wenn wir uns eines Ausdrucks aus der Darwin'schen hoch sie in jedem einzelnen Falle zu bemessen, und welche Schon einmal wurde dem Deutschen   Reichstage von der Theorie bedienen wollen, eine militärische Auslese statt. Art der Bahlung für sie einzuführen ist. Regierung ein Gesetzentwurf über die Wehrsteuer vorgelegt, Die kräftigsten, gesündesten, widerstandsfähigsteu Jünglinge über den der Reichstag   am 28. und 29. März und 7. Mai werden zum Militärdienste gezwungen, frei bleiben kränk darf man sich gar keinen besonderen Erwartungen hin­Was die Erträgnisse einer solchen Steuer anlangt, so 1881 verhandelte. Man kann wohl behaupten, daß Fürst liche, geistig oder körperlich nicht normal entwickelte Bismarck   mit keiner Vorlage so wenig Glück hatte, wie mit Männer. Bei der Strenge, mit der heute das Militär- geben, selbst wenn sie als eine progressive Einkommensteuer dieser, denn bei der Abstimmung erhob sich blos ein Mann, Ersatzgeschäft im Deutschen Reiche betrieben wird, bei der Klassen sind die jungen Leute troß ihres Ausscheidens aus eingeführt werden würde, denn gerade in den besitzenden nämlich- der Sohn des Reichskanzlers. erst unlängst wieder vorgenommenen sprunghaften Erhöhung dem Familienverbande und ihrer äußerlichen Selbständigkeit Nach dem Gesetzentwurfe von 1881 follten die vom der Soldatenzahl kann man schlankweg behaupten, daß die meist ohne Vermögen und geldeinbringenden Beruf. Sie Dienste im Heere oder der Marine ausgeschlossenen und nicht zum Militärdienst herangezogenen in der Regel nicht werden von ihren Vätern erhalten, ohne daß dies, oder ansgemusterten, die Ersaßreservisten I. und II. Klaffe, die blos zum Militärdienste untauglich sind, sondern auch in die Höhe thres Einkommens festgestellt werden kann. vor erfüllter Dienstpflicht aus jedem Militärdienstverhältniß ihrer Fähigkeit zum Erwerbe hinter den militärtauglichen Gerade bei den steuerkräftigsten Familien wird es oft un­Ausgeschiedenen während eines Zeitraumes von längstens Personen zurückstehen. Somit findet unseres Erachtens 12 Jahren einer festen Steuer von 4 M. und die Personen schon durch die Ableistung der Militärpflicht eine Aus- und einzutreiben, da die Bäter auf Grund der äußerlichen möglich sein, die Wehrsteuer richtig festzusetzen mit einem 1000 M. übersteigenden Einkommen einer von gleichung statt, der gerade durch die Einführung der Selbständigkeit der Söhne die Zahlung verweigern werden, 1-3 pСt. progressiv steigenden Einkommensteuer unterworfen Wehrsteuer entgegengearbeitet wird. Wenn auch sicherlich der Aufenthalt in Kasernen und ihrer Familien zur Steuer herangezogen werden können. die Söhne hingegen nicht entsprechend der Leistungsfähigkeit Die Aussichten für die Annahme eines Wehrsteuergesetz auf Manöverfeldern nicht mit den Ferienkolonien ver­Entwurfes mögen sich seit 1881 gebeffert haben. Obgleich glichen werden darf, so tann andererseits nicht in Abrede Während somit gerade die besitzenden Klassen leicht die Graf Caprivi keinen Sohn hat, der im Reichstage für diese gestellt werden, daß, rein wirthschaftlich betrachtet, Steuern werden abwälzen können, wird sie die Lohnarbeiter Borlage stimmen könnte, so wird sich wohl ein Bruchtheil die Lage des.Soldaten oft günstiger ist, wie die des" freien" klasse doppelt schwer drücken. Bei den Lohnarbeitern fällt der Abgeordneten bei der Abstimmung erheben, aber eine Arbeiters. Dies spricht keineswegs für den Militarismus, die Periode der Wehrsteuer( etwa das 20-32 Jahr) mit Mehrheit wird sich kaum hierfür finden. sondern verurtheilt nur unsere Produktionsweise, 100 der Höhe der Erwerbsfähigkeit zusammen, bei der befizenden Die Schweiz  , Desterreich- Ungarn, Frankreich   und Serbien   arbeitslustige Personen oft lange Zeit teine Arbeit finden, Klaffe dagegen liegt sie meist noch in der Reit der Abhängig­befizen jetzt Wehrsteuern. Außer in Deutschland   wollte wo die Arbeit oft so schlecht entlohnt wird, daß das Leben feit vom Familienoberhaupte. man sie auch in Italien   einführen. Unter den Theoretikern in Gefängnissen und Kasernen eher genügende Sättigung Man kann deshalb Treitschke zustimmen, wenn er hat sie zahlreiche Freunde, im Bolte überwiegen ihre Gegner. und zweifelsohne ein Obdach und Kleidung sichert, das die Wehrsteuer eine unbillig hohe und musterhaft un­Da man schon oft durch mehrfaches Einbringen nicht volks- dem freien Arbeiter in unserer Wirthschaftsordnung nicht gerechte Einkommensteuer nennt. thümlicher Vorlagen die Abgeordneten mürbe gemacht und verbürgt wird. den Widerstand der öffentlichen Meinung vermindert hat, Unter den vom Militärdienste befreiten befinden sich so daß nach zahlreichen Ablehnungen sich endlich doch auch aber gerade sehr viele Arbeiter, denen privatwirthschaftlich für durchaus unpopuläre Gesezentwürfe Mehrheiten ge- aus der Befreiung vom Militärdienste keinerlei Vortheil funden haben, verlohnt es sich jetzt schon, auf die Wehr erwächst. fteuer einzugehen.

werden.

Wenn wir unter Wehrsteuer eine dem überhaupt nicht oder nur in beschränktem Maße zum Militärdienste heran­gezogenen Wehrpflichtigen auferlegte Sondersteuer verstehen,

Feuilleton.

Nacorua verboten.)

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Die Bekehrung André Savenay's.

Sozialistischer Roman

von Georges Renard.

Autorisirte Uebersehung von Marie Kunert  .

Ju den besitzenden Klassen wird auch der wirthschaft­liche Vortheil in Betracht kommen bei Beurtheilung der Be­freiung vom Militärdienste, aber auch hier wird es nicht bestritten werden können, daß der völlig Gesunde und des­

meine Gegenwart belästigen möchte. Aber ich bitte Sie, mein Fräulein, sie darauf aufmerksam zu machen, daß wir direkt bezogenen englischen Krepp, Korsets für tiefe Trauer, schwarzes Kastorpelzwerk und eine großartige Auswahl von Merino  - und Tuchstoffen haben."

In diesem Augenblick trat Norine ein.

" Ich mache Sie noch darauf aufmerksam," rief der schwarze Herr, daß die Trauer für Dienstboten obligatorisch ist. Wir übernehmen das Färben von bunten Stoffen und liefern ein Kleid nach Maaß in 12 Stunden!"

"

Wird die Wehrsteuer eingeführt, so wird es heißen: Wer nicht dient, zahlt". Wie leicht könnte dies um schlagen in den Sah: Wer zahlt, dient nicht". Die Ver­suchung für den Staat könnte groß werden, die steuer­fräftigsten Personen lieber zu besteuern, als zur Dienstpflicht heranzuziehen, so daß die allgemeine Wehrpflicht unmerklich in eine Wehrpflicht der Armen verwandelt werden könnte. Es würde auf diesem Wege leicht dazu kommen, daß der Adel wie bis nun die Offiziersstellen besetzte, daß die Söhne

Friseur, der der sich für alle Haararbeiten empfahl, der Sargtischler, der Särge zu allen Preisen von dem Nasenquetscher des armen Teufels bis zu den kost­barsten mit Sammet ausgeschlagenen Särgen für reiche Leute anpries; der Gärtner, der sich anbot, den Leichenwagen mit Blumen zu schmücken; die Trödlerin, die sich bereit erklärte, die Kleider der Verblichenen zu den höchsten Preisen anzukaufen u. f. w.

Als Johanna diese Reklame Offerten las, sprach sie bitter bei sich:" Diese feile Gesellschaft, in der selbst der Tod als Vorwand für ein Geschäft dienen muß!" Sie mies energisch die dreistesten Schnorrer ab, die in Person erschienen. Dafür hatte sie aber eine lange Auseinander sehung mit dem Kirchhofsinspektor.

Während Johanna Frau Savenay wieder aufsuchte, besprach Norine die nöthigen Bestellungen mit dem Manne Da Sie nur eine Freundin der Verstorbenen und gab ein Kleid ihrer Herrin als Maaß. Der Vertreter sind, mein Fräulein, gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, der Trauerweide" versuchte noch einen neuen Anzug für daß wir die letzten Neuheiten, die sämmtlich von der Mode den jungen Herrn Savenay   anzubringen, aber einer sonder schien, in den Bureaus der Verwaltung gewesen. Nur hatte und dem feinen Geschmack sanktionirt sind, in allen Artikeln baren Sitte zufolge ist bei den Männern die Trauerkleidung er, als er bestellte, daß die Beisetzung auf dem Père- Lachaise  auf Lager haben. Ich erlaube mir, Ihnen Haarschmuck in die gleiche wie die für Festlichkeiten. André war mit stattfinden sollte, zu bemerken vergessen, auf wie lange er Jet, Tüllhüte und unsere Taschentücher mit schwarzen Ver- allem versehen, und der Kommis zog sich, noch immer die Grabstelle zu besitzen wünsche, und der Inspektor, ein zierungen zu empfehlen." mit forrekter und respektvoll theilnehmender Miene nach kleiner, alter Mann, dürr und ausgetrocknet wie eine Mumie, Ter Prospettmann glaubte, daß eine Freundin nur eine einer tiefen Verbeugung zurück, alles während er für sich wollte nun die Wünsche der Familie in bezug hierauf elegante Trauertoilette wünschen fonnte, die sie möglichst berechnete, daß dieser Todesfall ein schlechtes Geschäft war, wissen. schön erscheinen ließ. Johanna dankte trocken, aber der das ihm keine große Provision einbringen werde. Wenn keine besondere Bestimmung getroffen Rommis hielt sich noch immer nicht für geschlagen. Er wurde, ward der Leichnam in einem gewöhnlichen Grabe Den ganzen Morgen über wurde das Trauerhaus von beigesetzt. Johanna machte eine Bewegung der Entrüftung. fuhr eifrig fort: einem wahren Regen zudringlicher Prospekte, einer endlosen Der Beamte bemerkte dies, betrachtete das Zimmer mit Sie werden mir wenigstens sagen, mein Fräulein, Folge von Besuchern, die aus derartigen Anlässen ein Ge- dem Blick eines Tagators und sagte dann mit gutmüthiger welches die nächsten Verwandten der Verblichenen sind?" schäft machen, heimgesucht. All diese tausend verschiedenen Miene: Eine Mutter und ein Sohn, mein Herr." Gewerbetreibenden, die von den Todten leben, überfielen Nun, dem ist leicht abzuhelfen. Es ist nur Geld dazu die Familie wie eine willkommene Beute. Da war der nöthig. Für einige hundert Franks kann man sechs Fuß fich, eine mitleidige Grimasse zu stande zu bringen, während Kranzhändler, der auch unvergängliche Kränze und Palmen Erde   auf fünf Jahre pachten, für einige tausend kann seine Augen befriedigt aufleuchteten. aus Metall und Erinnerungszeichen aus weißen Perlen ver- man die Grabstelle auf dreißig Jahre oder für immer Danu, mein Fräulein, werde ich Ihnen für Frau kaufte, der Grabsteinfabrikant, der keinem seiner Kon- taufen." Eavenay ein Preisverzeichniß unserer Waaren hier lassen. turrenten zutraute, daß er ebenso schöne Denksteine und Johanna konnte sich nicht enthalten, bitter aus Ich achte ihren Schmerz zu sehr, als daß ich sie durch ebenso billige knieende Engel liefern tönnte wie er; der zurufen:

Der Mund des Vertreters der Trauerweide" bemühte