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gewissen Geschicklichkeit gegen den teilweisen Widerstand der Rechten durchführte, ist ein halbes Werk geblieben, und- was die Annexion betrifft, so hat sich Schollaert als williges Werk- zeug Leopolds gezeigt und allen Versuchen, den Kongovertrag weniger verhängnisvoll für Belgien zu machen, entgegen- gearbeitet. Ein Klerikaler von engstem Parteigeist, ohne Schwung und ohne irgend eine Größe, neben dem der starrköpfige, zähe Woeste sich sogar zu einer Art Charakter auswächst, wird er jetzt als falliter Politiker zum Haupt der Partei erkoren werden, dieweil Herr Woeste, eine Art Opfer seiner Rechtlichkeit, mit Fußtritten reguliert und abgeschüttelt wird, weil er sich mit seinem eigenen Schul- gesetz vorderhand zufrieden geben wollte und den Minister- Präsidenten opfern ließ. Müßig, sich über die Einzelheiten der Zusammensetzung des künftigen Ministeriums den Kopf zu zerbrechen. Ob es nun ein Ministerium Brocqueville oder ein anderes wird, ob der oder jenecharakterfeste" Klerikale schmollend und portefeuilleverachtend das Ministerdasein aufgibt: Die heutige Lösung läßt nur die eine Möglichkeit zu, daß die neue Re- gierung zu keiner anderen Funktion berufen sein kann, als die Geschäfte zu erledigen und die Schul- v o�r l a g e in irgend einer Form zu vertagen bis ein neues Parlament, nnt einer wirklichen Majorität an die der Lösung harrenden Probleme: vor allem der Wahlrechts» und Schulfrage herangeht. Zur Lösung dieser und anderer Fragen ist aber nur ein Haus berufen, das aus Wahlen des ganzen Landes bei entsprechender Vermehrung der Abgeordnetensitze, die die Ergebnisse der letzten Volkszählung bewirken werden, hervor- gegangen ist. Das Schulgesetz ist erledigt aber der Kamps wird weitergeführt werden, ja er wird erst in seiner vollen Größe einzusetzen haben. In seinem weiteren Verlauf und zumal bei dessen Ende wird sich auch zeigen, ob die Begeisterung der Liberalen im anti- klerikalen Kampfe, ihre Schwungkraft anläßlich der Abwehr des Schulgesetzes auch unvermindert andauern wird, wenn die Arbeiter zum entscheidenden Schlag gegen das Pluralwahlrecht und die verfälschte Verhältniswahl ausholen werden. Wenn der Klerikalismus, der heute aufs Haupt geschlagen ist, gänzlich am Boden liegen wird, wird das belgische Proletariat sein ganzes, weites Kamps- seid überschatten und bemessen können. Schwierigkeiten der Kabinettsbildung. Brüssel , 10. Juni. Nach den Abendblättern begegnet Baron de Brocqueville bei Bildung des neuen Ministeriums größeren Schwierigleiten, als anfänglich angenommen wurde, das Kabinett wird nicht vor Anfang kommender Woche vollzählig sein können, so daß es sich frühestens am Donnerstag der Kammer vor­stellen könnte. poUtifche dcberHcbt Berlin , den 10. Juni 1911. Zeittrvm und Nationalliberalo in Nheinland-Westfalen. Das ZentrumsblattTremonia " beschäftigt sich in ihrer Rummer vom S. Juni mit den gestern von uns erwähnten Aeutze- rungen der.Kölnischen Zeitung " betreffs der Düsseldorfer Reichstags- ersatzwahl und erklärt, daß das Zentrum einem generellen Kuh- Handel für Rheinland und Westfalen durchaus nicht abgeneigt fei; sie meint, daß aber gerade die.Kölnische Zeitung " seit Monaten dem Einigungsgedanken am meisten geschadet habe und fährt dann fort: Jedenfalls nehmen wir keinen Anstand, immer wieder zu betonen, daß das Zentrum gerne bereit ist, mit den bürger- lichen Parteien gegen die Sozialdemokratie zu marschieren, wenn diese bürgerlichen Parteien dem Zentrum dort bei- stehen, wo es mit der Sozialdemokratie in die Stich- Rellebrkfe vom Balltan. Durch die Miridita. in. An Bord derPannonia", Ende Mai ISIl. Ich stand morgens um 9 llhr mit meinem bescheidenen Mepäck am Zollhaus von Skutari. bereit und willens, mich von einer Barke zu dem Dampferchen hinübertragen zu lassen, das einige Hundert Schritt weiter draußen angeiegt hatte und täglich über den Skutarisee den Verkehr nach Montenegro hinüber ver- mittelt. Um 0 Uhr war die Abfahrtszeit, S hatte es bereits ge- schlagen, und die Zöllner durchsuchten meinen Koffer mit einer minutiösen Genauigkeit, griffen in jede Ecke hinein, wickelten jede Zigarettenspitze aus dem Papier, daß ich schier wild wurde. Da was ist das? Triumphierend hält mir einer der Knechte meinen Browning unter die Nase, den ich harmlos genüg samt den Pa- rronen im«offer verstaut hatte und der nun aufgestöbert worden war. Na ja! ein Browning! Her damit! Ich muß fort! Aber der FeSträger grinste nur unverschämt. Seit fünf Tagen ist der Belagerungszustand proklamiert und das Waffentragen streng, allerstrengstens Vorboten. Meinetwegen! Aber ich will meinen Browning wiederhaben draußen stöhnt das Dampferchen Ab- fahrtssignale, darum schnell! schnell! Doch man bedeutet mir, daß erst der Bescheid eines höheren Beamten eingeholt werden müsse, und während ich mit Lammesgeduld dieses höheren Beamten harre, stößt das Dampferchen plötzlich eine höhnische Rauchsäule kerzen- gerade aus dem Schornstein in die Luft und macht sich, mit dem Hinterteil wackelnd wie ein Delphin, auf die Reise. Glück zu! Und jch stehe, gaffend und begafft, an der Mole... ES war so ziemlich das einizige Mal, daß ich in der Türkei ein Verkehrsmittel fahrplanmäßig abfahren sah. Als ich am fol­genden Morgen rechtzeitig an Bord war, hielt daS gute Dampferchen die landesübliche Verspätung von einer Stunde pünktlich ein. Es war auch das einzige Mal, daß ich den von den Jüngern der Stoa gerühmten Gleichmut der Seele verlor und meinen türkischen Zeit- genossen in dem bildhaften kräftigen Deutsch deS preußischen Exerzierplatzes eine kurze, aber laute Rede hielt. Leider verstanden sie mich nicht und verloren darum durchaus nicht den Gleichmut per Seele. So hatte ich also noch zwangsweise einen Tag frei, um mich mit den Reizen von Skutari intimer zu befreunden. Wer andere orientalische Städte kennt, für den sind diese Reize gar nicht so besonderer Art. Viel Staub, viel Lärm, viel Farben, viel Gerüche! Ein großer Basar mit engen und schmutzigen Gassen, ein paar europäische Gebäude, eine weitläufige Kaserne, etliche Moscheen, auch eine orthodoxe Kirche und was sonst dazu gehört. Die Festung, hoch oben auf steilem Fels gelegen, scheint mir nur problematischen Wert zu haben. Im Hafen liegen Segler und ab und zu auch ein europaischer Dampfer; überhaupt spürt man auf Schritt und Tritt, daß Skutari von der Seeseite aus von den Wellen der fränkischen Zivilisation bespült wird. Man ahnt die Nähe Italiens . Jeder zerlumpte Hammel weiß sich in der Sprache Dantes und TetrarcaS wenigstens notdürftig auszudrücken, und neben den tür- kischen trifft man an den Kaufläden vielfach italienische Aufschriften. Vereinzelt schlagen auch.schon Oesterreichs Einfluhsphäre er- streckt sich vis hierhin deutsche Laute an dein Ohr, und ein Kerl mit einem wahren Spitzbuben- inii Ohrfeigengesicht versicherte mir treuherzig, hier hexrjqe uitf GMe Talmgtwer". eine Spezies, Wahl kowmt. Da» ist eine klare Stellungnahme. Was die .Essener Volksztg.' in dem Zitat derKöln . Ztg." angedeutet hat, gilt ganz selb st redend für den Fall, daß vorher generelle Abmachungen von Köln bis Hamm nicht zu stände kommen, dann würde es allerdings heißen müssen:Auge um Auge. Zahn um Zahn". In maßgebenden Zentrumskreisen ist aber niemals widersprochen, schon vor den Hauptwahlen einen Weg zu suchen, der geeignet ist, die bürgerlichen Parteien im Kampfe gegen die Sozialdemokratie näher zu bringen. Nach der Richtung steht dem Zentrum wirklich das Wohl des Vaterlandes höher als das Interesse an einigen Mandaten." Gut gebrüllt I Dem Kenner der Verhältnisse im Industriegebiet ist es nichts Neues, daß dem Zentrum ungeheuer viel daran ge- legen ist. seine Mandate in Rheinland und Westfalen zu behalten und vielleicht noch das eine oder andere hinzuzugewinnen. Verliert es seine Sitze im Industriegebiet, so ist das ein unverwindbarer Schlag für die schwarzeVolkspartei ". Das Zentrum würde sich deshalb auch dem Teufel verschreiben, wenn es im Industrie- gebiet dadurch Mandate behalten und gewinnen könnte. Daß das Zentrum ein ganz gerissener Kuhhändler ist, der nur Geschäfte macht, wo er auf seine Rechnung kommt; daß jeder, der sich mit diesen politischen Schacherjuden einläßt, Gefahr läuft, eingeseift zu werden, das mag die Sorge der Liberalen sein. Uns könnte eine reinliche Scheidung im Industriegebiet nur erwünscht sein, denn letzten Endes wird dort der EntscheidungSkampf ja doch ausgekämpft zwischen der Sozialdemokratie auf der einen und der gesamten Reaktion auf der andern Seite._ Armes Zentrum! Die Justizkammission des Herrenhauses hat das Gesetz über die Feuerbestattung in der Fassung des Abgeordnetenhauses angenommen. Das Zentrum hatte Tag sür Tag die wackeren Herren- Häusler angefleht, doch ja das schreckliche. Thron und Altar gefährdende Feuerbestattungsgesetz abzulehnen. Nun scheinen sie ihm den Gefallen doch nicht tun zu wollen. Vielleicht entlädt das Zentrum seinen Ingrimm nunmehr in einer erneuten Hetze gegen die fünf ultraniontanen Abgeordneten, die seine Niederlage im Dreiklassenhause verschuldeten I Die Zentrumsrebellen im Elsaß . Tie Rickli», Hauß, Wetterlö usw. machen seit einigen Wochen in Anwendung der sonst der Sozialdemokratie zum Vorwurf gemachtenUebertrumpfungstaktik" den sozial- demokratischen Abgeordneten, die in der Gesamtabstimmung für die Verfassungs- und Wahlrechtsvorlage gestimmt haben, wie dem Reichszentrum den Prozeß, weil man sich nicht auf denAlles- oder Nichts-Standpunkt" gestellt und lieber die Vorlage zu Fall gebracht hat. als sie mit der Stärkung der Kaisergewalt und der Ersten Kammer anzu- nehmen. Der Verdacht ist begründet, daß es sich bei diesen nationalistischen Demagogen nur um einen Schein-Radikalis- mus handelt, der sie von der Mitschuld an der famosen Reichs- finanzreform des Reichstagsschnapsblocks reinwaschen und ihnen bei den nahe bevorstehenden Landtagswahlen auf Grund des demokratischeren Wahlrechts eine bessere Position geben soll. Die direkte Bestätigung, daß es sich dabei nur um ein unehrliches Scheinmanöver handelt, gibt eine von unseren« oberelsässischen Parteiblatt jetzt ausgegrabene öffentliche Erklärung des Abg. Dr.Ricklin. eines der wütend- sten Zcntrumsrehcllen und lautesten Volksverrgtssch«:eiex der NationaUstenpartei im Elsaß , vom Juli 1910. Diese öffentliche Erklärung, die die Unterschrift des Dr. Nickiin trägt und ein angeblich unrichtiges Interview RicklinS über dessen Stellung zur Verfassungsfrage in derStraßburgcr Neuen Zeitung" berichtigt, wendet sich z,«nächst gegen die ge- plante Zusürttmonsetzung der Ersten Kammer unter grundsätzlicher Zustimmung zu der neuen Institution; dann erklärt Ricklin, daß er bei aller Sym- pathie für das ReichstagZwahlrecht, das Altersplural- Wahlrecht, falls diemaßgebenden Faktoren" darauf be- die ich nach dieser Musterprobe in die ethische Kategorie deS ollen ehrlichen Seemann einordnete. Aber Skutari ist auch mehr als eine der von mir besuchten, eine albanische Stadt. Albaner bilden den Kern der Bevölkerung, und man sieht fabelhafte Gewänder, bei den Männern weihe faltige Knieröcke, wie sie drunten in EpiruS häufiger vorkommen, und Käppchcn mit einer oft armdicken, lang herabbaumelnden Quaste. ähnlich fast dem Roßschweif der französischen Kürassiere und Dragoner. Nicht nur der Wunsch, meinen Browning wiederzubekommen. trieb mich zu Anmeldung und Besuch bei Torghut Schewket Pascha, dem Oberkommandierenden der türkischen Operation»- truppen, sondern ich wollte Rom auch nicht verlassen, ohne den Papst gesehen zu haben. Der Ruf eines grausamen Bluthundes geht Torghut Pascha voraus, und ein Blick nur in dieses harte ver- kuifsene Gesicht ließ es mir erklärlich erscheinen, warum den Al- banern vor Grimm das Herz im Leibe zittert, wenn dieser Name nur genannt wird. Dem Besucher gegenüber zeigte er natürlich viel Konzilianz, plauderte in geläufigem Französisch über mancher- lei Fragen der Orientpolitik und erwähnte mit lebhaftem Interesse Dr. Ernst Jäckh , einen Bruder unseres.verstorbenen Genossen, der im letzten Jahre im Stabe de» Generals das aufsässige Albanien durchquert hatte. Kriegsgerichte? Ja, Kriegsgerichte werde auch geben, meinte der Pascha auf eine Frage und preßte die schmalen Lippen auf- einander. Kriegsgerichte und Galgen! Vom Belagerungszustand merkte man vorderhand nur soviel, daß nach Einbruch der Dunkelheit die Straßen und Gassen leer waren, als hätte sie ein großer Besen gefegt, und daß die trüben Oelfunzeln, die der öffentlichen Beleuchtung dienen, die ganze Nacht qualmen. Aber sonst ahnte man nicht nur an den Ver- mundeten, auf die man hier und da stößt, den nahen Krieg. Man sitzt etwa vor einem Kaffee, bläst einer Zigarette Rauch von sich und schlürft einen Fingerhut Mokka da gibt es eine Luft- erschütterung, ein dumpfes fernes Geräusch folgt, und alles spitzt die Ohren. Wieder die Lufterschütterung, etwas stärker, d,e Scheiben klirren leise, wieder und wieder Gescbützfeuer! Dort oben, sechs Runden weiter nördlich, kanoniert TsrghutS Artillerie die Stellung der Aufständischen. Doch bald hört niemand mehr hin, eS ist ein alltägliches Geräusch geworden. Auch einen Kollegen traf ich hier. Er gibt ein Blättchen heraus, das sich..Sole"(Sonne ) nennt und einmal wöchentlich zwei seitig, halb italienisch, halb albanisch, erscheint, in einem Druck, als stamme eS aus dem 16. Jahrhundert. Aber der Kerl selbst ist noch köstlicher als sein Blatt. Geborener Kroate, war er erst Jude, sprang dann mit beiden Beinen ins Christentum hinein und ist heute überzeugter Moslem der zweite Uebertritt vollzog sich schmerzlos, weil die Beschneidung, die auch der Islam verlangt, nicht mehr nötig war. Dieser Mann ist eine stramme Stütze der türkischen Regierungs- Politik. Am Morgen der Abreise kam er aufgeregt in mein Hotel gestürzt. Der montenegrinische Konsul habe wegen eines scharfen Artikels die Suspension desSole " verlangt, anderenfalls sei der casus belli gegeben! Er schien zu erwarten, daß ich diese Bot- schaft als dringendes Telegramm nach Deutschland kabeln werde, aber ich lachte ihm nur inS Gesicht und ließ ihn stehen. Zwei Stunden später schwamm ich auf dem Skutarisee. Auf der Westseite treten kahle und wilde Berge bis in sein Wasser hinein, das Ostüfer dagegen ist flach. Viereinhalb Stunden Fahrt brachten mich nach Vir Bazar, daZ schon zu dem Lande der schwarzen Berge gehört, dort nahm mich ein anderer Dampfer auf, und zwei Stun- een später ward zck>!L Wse!s ausaeschjsjt«md sosort von rotröckigev sieffen sollten,«i i N t zu ßetfjihS'ern fueffett* firittfie, und schließlich schreibt er(die Erklärung ist von C a r s p a ch- Sonnenberg in seinem Wahlkreise, 22. Juli 1910, da- ticrt): Selbstverständlich verlange ich wie jeder gute und aufrichtige Elsaß-Lothringer, daß unserem Heimatlande die weitgehendste Autonomie im Rahinen des Deutschen Reiches, so wie sie die deutschen Bundesstaaten besitzen, eingeräumt werde. Nachdem aber die Erfüllung dieses Wunsches nicht von unZ abhängt und wir kein Mittel besitzen, um die Erfüllung unserer berechtigten Forderungen zu erzwingen, würde ich es als ein Verbrechen am rlsaß-lothringischen Volke ansehen; wenn ich, dein Grundsatze huldigend:Alles»der nichts!" das Zustande- kommen von Äenderunzen in unserer Verfassung zu verhindern versuchen würde, die, so unbedeutend sie auch scheinen mögen, als Berliesscrungen unserer staatsrechtlichen Lage angesehen werden müssen. Auf diesen weiterbauend und weiterkämpfend, wird das elsaß -lothringische Volk und seine berufenen Vertreter die baldige Erfüllung unserer Wünsche durchsetzen. Hochachtungsvoll Dr. Ricklin." Der rabiate Zentrums-Revoluzzer Dr. Ricklin erklärte somit im Juli 1910 demAlles- oder Nichts-Standpunkt", der ihn iin Juni 1911 so sehr begeisterte, daß er die Fahne der Empörung selbst gegen die geheiligte Zentrumspartel erhebt. alsVerbrechenamelsaß-Iothringischen Volke"!... Die Grundlinien des erst kurz vor Weih- nachten 1910 veröffentlichten Verfassungs- und Wahlrechtsent- Wurfes kannte Dr. Ricklin schon im Sommer 1910, weil am 13. Juni 1910 in Straßburg das vielerörterte Del- brück-Diner stattgefunden hatte, bei welchem die Ricklin nnd Konsorten bekanntlich den von ihnen kurz vorher iin Landcsausschuß beantragten Proporz fallen ließen. Ter Brief Ricklins zeigt, wie richtig und genau er mit seinen politischen Freunden schon vor einem Jahr über die Zusammen- setzung der Ersten Kammer, den Charakter des Wahlrechts zur Zweiten Kammer in der erst sechs Monate später in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" veröffentlichten Vor­lage unterrichtet war. Und er zeigt, daß dieguten und wahren Elsaß-Lothringer" von Ricklins Kaliber damals bereit waren, das Ganze zu schlucken aber m i t dem Plural- Wahlrecht! Als dieses aus der Vorlage beseitigt war, hatte man ihnen plötzlich den Geschmack daran verdorben. Den nationalistischen Siegesmeldungen über diö Stellungnahme der Zentrumsvereine im Lande der Zcn- trumsverein in C o l m a r hat natürlich ebenfalls prompt die Loslösung vom Reichszentrum beschlossen- ist übrigens rasch eine bedenkliche Hiobspost gefolgt: in K i n z h e i m, im Wahlkreise des Dr. V o n d e r s ch e e r, der als einziger elsässischer Zentrumsabgeordneter für die Verfassungsvor- läge gestimmt hat, nahm eine von über 290 ZentrumSmitglie- dern besuchte Versammlung eine begeisterungsvolle Ver- trauensresolution für Vonderscheer an. Auch in Mülhausen stößt der von Ricklin und seinem Anhang betriebene Abmarsch ins nationalistische Lager auf ernsten Schivierigkeiten. Hier vertritt der V o r s i tz e n d e des Zen- trumswahlvereins, das Gemeinderatsmitglied Professor Dr. Kilbinger, ein geborener Rheinländer, recht nach- drücklich die Kölner Richtung in der Partei. Die nationa- listischen Bäunie werden also, wie sich jetzt schon zeigt, so rasch nicht in den Himmel wachsen. Der brüderliche Geist in den Zentrumöorsianisationen. In Berlin hat die Generalversammlung des katholischen ArHeiterverbandeS(Sitz Berlin ) stattgefunden. Dieser Verband repräseittiM die sogenamiteBerliner Richtung", die mft dem Kardinal Kopp gegen die Kölner Richtung geht. Wie schroff die Gegensätze trotz unlängst aufgestihrter AersöhnungSkoinödie noch sind, da» geht auS dem Paderborner Zentrum Sblatt, demWestfälischen Volksblatt" hervor; da» Blatt schreibt: Polizisten einer eingehenden Personalvernehmung unterzogen. Derweil waren die beiden einzigen Mietsivagen, die für eine Fahrt nach Cettinje bcrcitstanben, wcggekapert worden. Mit unsäglicher Mühe gelang eS zwei Reisegefährten vom Dampfer her, einem Deut- schen und einem Italiener, und inir, einen Wagen aufzutreiben, der allerdings in geradezu phantastischer Weise mit Draht und Bindfaden verhindert wurde, in seine Bestandteile zu zerfallen, und dessen Räder sichtlich schon die letzte Oelung empfangen hatten. Im Augenblick der Abfahrt kam ein Montenegriner von Umfang und Gewicht eines mäßigen Mastodonts, und ließ sich mit gelassener Selbstverstäildlickjkeit auf dein vierten Sitz nieder, daß daö gcguälte Wägelchen laut ächzte und stöhnte. Trotzdem er kühn und dräuend dreinschaute, wollte ich den Helden ohne viel Federlesens hinaus- werfen, aber der deutsche Reisegefährte verwies beschwichtigend auf die Gastfreundschaft oer schwarzen Berge und auf die geladene Pistole, die das Mastodont, wie jeder Gauch hierzulande, im Gürtel trug. Ich resignierte. Aber eine halbe Stunde später standen wir vor den Trümmern unserer Hoffnung und unseres Wageps. Was nutzte eS jetzt, daß ich dem freien Sohn der Felsen begreiflich machte, daß er seine drei Zentner Lebendgewicht besser zu Fuß weiter schleppe der Wagen war dahin. Nachdem er mit Stricken und Leibbinden ganz, aber ganz notdürftig repariert war, kamen wir auch nur im Leichenkutschertempo vorwärts, und wir priesen eS als einen großen und unverdienten Glücksumstand, daß uns nach zwei Stunden ein besseres Gefährt begegnete und mit der Dunkelheit heil und gesund in der montenegrinischen Hauptstadt absetzte. In der Luftlinie beträgt die Entfernung von Rijela nach Cettinje kaum 8 Kilometer, aber über die kahlen und schwarzen Berge leitet eine mühsam angelegte Serpcntinenstraße, die in unendlich vielen und unendlich langen Windungen verläuft und drei bis vier Stunden Wagensahrt erfordert. Cettinje selbst ist sür Europa , was Halensee für Berlin , lvaS Laubegast für Dresden , was Pullach für München , was Cronberg für Frankfurt ist: ein Ausflugsort. Was in den Straßen, das will sagen: in der einen Hauptstraße in Landestracht lustwandelte, benahm sich mit einer salontirolerhaftcn Gespreiztheit. Ein halb Dutzend Läden bot zu Fabelpreisen Pistolen und Seidenstickereien für die Fremden feil. Im Grandhotel trug der Wirt einen feier- lichen Gehrock, und der Oberkellner sah aus wie ein Gesandtschaft»- attache. Mein Tischnachbar stellte sich als preußischer Ober- regierungsrat auf der Hochzeitsreise heraus bier war meines Bleibens nicht länger! Ich genoß am anderen Morgen noch die neugebackene Majestät von Montenegro, die, zur Vorsicht umgeben von zwei Dutzend Polizisten, vor dem sogenannten Schloß den biederen Landesvater mimte. Es war ein Bildchen aus dem acht- zehnten Jahrhundert: Serenissimus auf- und nicderhinkend und mit dem Krückstock ab und zu auf einen der Bittsteller außerhalb des Polizistenringes deutend; der trat dann eilends hinzu, beugte sich und küßte die Hand, an der eine beträchtliche Menge Blut und Schmutz klebt. Denn eS ist ein raffinierter alter Gauner, dieser Serenissimus! Ich war froh, als mich das Postautomobil in zweieinhalb Stun- den auf einer ähnlichen Serpentinenstraße, wie es die von Rijeka nach Cettinje führende ist, nach Cattaro hinuntertrug, das herrlich in Felsen eingebettet liegt. Jetzt schwimme ich auf derPannonia" von der Ungarisch-Kroatischen Dampferlinie längs der Dalmatini- schen Küste nach Fiume. Auch hier sind Wunder der Natur aus- gebreitet. Wer das Adriatische Meer benimmt sich recht ungeberdig, Regenböen gehen über Deck und ein anfeHnWer Szirokko forderte schon zahlreiche Opfer der Seekrankheit.' H, W..