I a h i a für sein Angebot, IM MO Mann für den heiligenKrieg gegen Italien stellen zu wollen, seine Befriedigung aus-sprechen lassen. Auch der Grostwesir antworte dankend, fügteaber hinzu, vorläufig sei die angebotene Hilfe un-nötig.DaS Komitee will hartnäckigen Widerstand.Konftautinopel, 9. Oktober. Der türkische Gesandte inSofia Mustapha A s s i m- B e y hat das Portefeuille desMinisteriums des Aeußern angenommen.Der frühere Finanzminister Dschavid-Bey, der heuteabend hier eingetroffen ist, hat dem Großwesir die Be-schlüsfe des jungtürkischen Kongresses in derTripolisfrage niitgeteilt. Der Kongreß empfiehlt, hart-nackigen Wider st and zu leisten.Die Behandlung der Italiener.Konstantinopel, 10. Oktober. Ein Zirkular des Justizministeriumsan die Justizbehörden enthält genaue Anweisungen über die B e>Handlung der I t a I i e n e r auf Grund des Völkerrechts. DieInstruktionen gelten bis zum Friedensschluß. Ferner hat derMinisterrat beschlossen, daß während der Dauer des Abbruchs derBeziehungen Italiener Immobilien nicht erwerben dürfen.Der Beschluß über die Ausweisung der Italiener sollder Kammer unterbreitet werden, weil die Regierung dieVerantwortung für eine so schwerwiegende Angelegenheit nicht alleinübernehmen will.Der Wuusch der Kretenser.Wien, S. Oktober. Wie die.Neue Freie Presse� aus Kaneameldet, ist die kretische Nationalversammlung heutefrüh im Namen des Königs von Griechenland eröffnetworden. Die Abgeordneten riefen: ES lebe die Vereinigungmit Griechenland.Die Antwort der Mächte.Konstantinopel, 10. Ollober. Wie verlautet, sind die bis gesternabend hier eingetroffenen Antworten der Mächte auf denletzten Schritt der Pforte bezüglich Tripolis in dem Sinne ge-halten, daß die Mächte sich über die Anfrage der Pforte ins Ein-vernehmen setze» werden.Das türkische Proletariat und der Krieg.Am 4. Oktober fand in Saloniki, einer Meldung der„Franks. Zeitung" zufolge, ein Protestmcetig gegen den Kriegstatt, obgleich die Negimmg strenge Weisungen erteilt hatte.die Abhaltung von Meetings gegen Italien zu verhindern.Die Versammlung war von den Iß organisierten Arbeiter-syndikaten Salonikis einberufen und fand im Hafen-gebiet statt. Diese Syndikate umfassen bereits 16 000 Ar-bester und bilden eine geschlossene sozialistischePartei. Die Reden wurden in türkischer, bulgarischer,judeo-spaniolischcr, griechischer und französischer Sprache gehalten. Dabei haben sich ganz besonders der bekannte Ar-beiterführer und Abgeordnete Vlahoff und der jüdischeArbeiterführer A r d i t t i durch scharfe Beurteilung derZustände bemerkbar gemacht. Besonders der letztereunterzog das Vorgehen der bisherigen Regierungund der sogenannten leitenden Kreise einer sehrscharfen und wohlberechtigten Kritik, wobei auf den Chaitvi-nismus hingewiesen wurde, von dem sie beseelt sind. DieVersammlung verlief ohne störenden Zwischenfall, und nachVerlesung der gefaßten Beschlüsse, die auch das angestrebteZustandekommen einer Vereinigung der Balkanstaaten be-treffen, zu welchem Zwecke die Unterstützung des inter-nationalen Proletariats herangezogen werden soll, protestierteman ganz energisch gegen die seitens Italiens begangenePiraterie, aber man erhob auch energischen Einspruchgegen die Absicht, die italienischen Staatsange-hörigen von hier auszuweisen, weil dadurch diewirtschaftlichen Interessen der Arbeiter»verbände zu schwer geschädigt würden.ktach Dülicldcrf Konstanz.Aus dem 1. badischen ReichStagSwahlkreise wird MS ge«schrieben:Die linksliberale Presse drückte nach dem sozialistischen Siegevon Düsseldorf den Wunsch aus, eS möchte bei der am 19. Ok-tober stattfindenden Nachwahl im Kreise Konstanz-Ueberlingen ge-lingen, das Zentrum in die Stichwahl zu drängen und ihm dannmit sozialdemokratischer Hilfe den Kreis abzunehmen. DiesePresse ist anscheinend nicht darüber unterrichtet, daß die Liberalendieses Kreises seit der letzten Reichstagswahl alles unterlassenhaben, um die Vorbedingungen für eine Mehrung der liberalenStimmen bei der jetzigen Nachwahl zu schaffen. In den städtischenBezirken hielten sie° und halten sie noch ihre regelmäßigen libe-ralen Stammtischabende ab, schimpften über die Pfaffen und dasZentrum und rührten keinen Finger, um das der letzteren Parteitreuergebene Landvolk politisch aufzuklären und für sich zu ge-Winnen. Der verstorbene Hug siegte 1907 mit 14 327 Stimmenim ersten Wahlgang, während auf den liberalen Block 8596 undauf die Sozialdemokratie 2565 Stimmen entfielen. Will manunter diesen Umständen einen solchen Kreis zu einer liberalenDomäne umwandeln, dann darf man sich nicht auf hie Bärenhautlegen; zumal dann, wenn die Einwohnerschaft dieses Kreises zuvier Fünfteln katholisch ist. Jetzt allerdings setzt die liberaleAgitation mit Hochdruch ein. Auch den Abg. Naumann hatman sich für die letzten Tage vor der Wahl verschrieben; aber aufiet Seite des Zentrums steht der ganze Heerbann der katho«lisch en Geistlichen unter Führung des geistlichen RatsWacker aus Zähringen-Frciburg. An den Sonnabenden undSonntagen spricht er von Torf zu Dorf und schreit:„Die Ne-ligion ist in Gefahr, stattet die Dankesschuld an Hug durchWahl des Zentrumskandidaten Freiherrn von Rüpplinob." Auch die Zentrumspresse ist in Konstanz-Ueberlingen fastdurchgängig in den Händen der Geistlichen, und das Blatt, dasden Wahlkampf am scbärfsten führt, die„Freie Stimme" inNadolfzell. wird von einem katholischen Geistlichen geleitet. Ineiner Versammlung in der Gemeinde Mimmenhausen ließ Wackersämtliche Geistliche und � danach das ganze Laienvolk aufstehen.zum Zeichen dafür, daß es sein Einverständnis„mit der politischenTätigkeit der Seelsorger" laut und öffentlich bekunde. Da kannder Fürstbischof Kopp in Breslau zwanzig Erlasse gegen die Wahl-tätigfett der Geistlichen hinausgehen lassen; in Baden, sagt dieZentrumspresse, gehören die katholischen Geistlichen vor die Front!Für die Beurteilung des Ausfalls der Wahl kommt es vor»nehmlich auf die 1360 Wähler an, welche der Kreis seit 1967zugenommen hat. Schlagen die sich auf die Seite der Gegnerdes Zentrums, dann kommt es zur Stichwahl. Der Zentrums-kandidat ist ein aristokratischer Landgerichtsdirektor, der sich seitJahren als konservativ-klerikal bezeichnet und dem dieheutigen Verbündeten des Junkertums, die Klerikalen, in früherenZeiten zu demokratisch waren. Er hat deshalb auch mehrmals inder rechtsliberalen Presse gegen Wacker polemisiert. waS diesenaber gegenwärtig nicht hindert, mit großem Eifer für den konser«vativ-klerikalen Freiherrn die Wahlpropaganda zu betreiben. Einechter Zentrumsführer vergebe alles; deshalb konnte auch MatthiasErzberger bei seiner jüngsten Anwesenheit im Kreise die Be-hauptung wagen, dem Zentrum habe man es zu ver-danken, wenn die indirekten Steuern in Deutsch-nicht noch höher seien.Der liberale Kandidiat ist ein GärtnereibesttzerSchneider im Jndustriestädtchen Singen; seit zwei Jahrensitzt er im badischen Landtag. Politische Konsequenz ist nicht seinestärkste Seite. Er macht der ländlichen Wählerschaft— im Kreisehat die Industrie nur größere Bedeutung in Konstanz, Radolfzellund Singen— ziemlich weitgehende Zugeständnisse in bezug aufden Zollschutz. Immerhin besitzt er als Kreiseingesessener einegrößere Popularität als der Konstanzer Landgerichtsdirektor, dendie Zentrumspresse täglich„zum populären Volksmann mit hohenKenntnissen und tief religiöser Gesinnung" stempelt, um ihn denBauern des badischen Seelreises einigermaßen empfehlenswertzu machen.An der sozialdemokratischen Agitation ist charak-ieristisch, daß unsere Partei bei der diesmaligen Wahl auch inden schwärzesten Dörfern Versammlungslokale erhält. Ihr Kan-didat, Buchdrucker Großhans in Konstanz, eilt an den Ver-sammlungstagen— Sonnabend, Sonntag und Montag— vonDorf zu Dorf und findet überall gute Aufnahme. Ein Zeichendes steigenden Einflusses der Sozialdemokratie ist ferner diestarke Zunahme der Abonnenten der neugegründeken Parteizeitungdes badischen Oberlandes, der Freiburger„Volkswacht".Der Pariser Codifpltzelprozeß.Paris, 9. Oktober.(Eig. Ber.)Am Sonnabend hat vor den Geschworenen des Seine-Departements die Verhandlung gegen die„revolutionären jungenGarden" begonnen, die die„revolutionäre Sicherheitspolizei" organi-siert und auf der Redaktion der„Guerre Sociale" die LockspitzelBled und Motivier entlarvt hoben. Auf der Anklagebanksitzen sechs Angehörige der revolutionären Organisation, darunterder Redakteur der„Guerre Sociale" Almereyda. Die Anklageberuht namentlich auf den nachträglichen Beschuldigungen der Spitzel,daß man sie während ihres unfreiwilligen Aufenthalts auf derRedaktion dieses Blattes mit Revolvern bedroht und mißhandelthabe. In ihren schriftlichen Geständnissen wird das Gegenteilbezeugt. Die Anklage lautet auf Einschränkung der persönlichenFreiheit und Verletzung des Hansrechts— durch eine bei Bled ohnesein Wissen vorgenommene Hausdurchsuchung. Zwei weitere, in dieStrafverfolgung einbezogene Personen, die Redakteure der„GuerreSociale" Merle und Perceau, sind aus Belgien, wohin siesich, um das Weitererscheinen der„Guerre Sociale" zu sichern, ge-flüchtet haben, nicht zurückgekehrt. Vier der Angeklagten, die gleich-falls in Belgien waren, haben sich zur Verhandlung dem Gerichtgestellt.Dagegen ist der Kronzeuge der Anklage Motivier nichterschienen, ebenso sein�Geliebte. Angeblich halten sie sich in Casa-blanca auf, wo Metiviers Schwester ein öffentliches Haus besitzt.Personen, die ihn gut kennen, bezeugen aber, ihn noch vor wenigenTagen in Paris gesehen zu haben. Warum er es vorgezogen hat,durch Abwesenheit zu glänzen, ist bei der Verhandlung klar geworden.Da? Verhör bietet zunächst nicht viel Juteresiantes. Die An«geklagten bestreiten entschieden, gegen die von ihnen verdächtigtenPersonen— es war noch eine dritte, der„Anarchist" Dudragne,dabei, der indes nicht überführt werden konnte— Gewalt an-gewendet zu haben. Als beim Fall Mälivier zur Sprache kommt,daß die Angeklagten die Polizeiberichte deS Spitzels in Hände»hatten, bemerkt der Präsident:„Das beweist also, daß Ihr Sicher-heitSdienst gleich dem anderen(ein nettes Geständnis!) einschwarzes Kabinett hat, wo die auf den Postämtern cnt-wendeten Briefe geöffnet, photographiert und hernach wieder befördertwurden." Almereyda erwidert:„Ich kann bezeugen, daß der BriefMütivierS an Clemenceau nicht auf einem Postamtebeiseite gebracht worden ist." Präsident:„Nun also..Almereyda:„Nun, es gibt höhere A e m t e r als es die Post-ämter sind."(Heiterkeit.) Präsident:„Sehr gut! Es ist aus-gezeichnet, daß die Jury nun weiß, daß Ihr revolutionärer Sicher-heitSdienst selbst in die höchsten Regionen eindringt."Der Spitzel Bled macht bei seinein Auftreten einen kläglichenEindruck. Er wiederholt stammelnd seine Sätze oder korrigiert daseben gesagte. Sein Bestreben, in die„junge Garde" Einlaß zufinden, will er damit rechtfertigen, daß er Anarchist sei. Aber erkann nicht leugnen, daß er sich z u v o r b e i den m o n a r ch r st i-schen„Camelot du roi" herumgetrieben hat.Die geladenen Polizeibeamten find nicht erschienen.„Siewürden sich ohnedies auf das Amtsgeheimnis berufen," meint derPräsident nicht unrichtig.Nach der Verlesung der Aussage MetivierS kommt eS zu einersensationellen Szene. Almereyda legt zunächst dar, wie Motivier vor3 Jahren von Clemenceau angeworben wurde, um über die Tätigkeit derpolitischen und Gewerlschaftsorganisationen Berichte zu liefern:„Wir wußten aber, daß er auch ein Lockspitzel sei. Wirwußten, daß ihm die Manifestation von Villcnciivc-Saint-GcorgrS zudanken war, wo es 3 Tote und 300 Verwundete gab. Wir wußten,daß dank ihm beim Färbcrstreik der Zusammenstoß vonC l i ch y stattfand, bei dem Streikende und Polizisteneinander massakrierten. Aber ich liefere denBeweis, daß er eS war, der zur Zeit deS Eisenbahnerftreiks dieBombe bei dem Redakteur der„Patric" und Gcmrindcrat Massardniederlegte und so die Verhaftungen und Bcrsolgungeu des HerrnBriand provozierte. Hier das Dolunient:Und unter ungeheilrer Spannung liest Almereyda:„Ich weiß über die Petarde Massard Bescheid, die währenddeS Eisenbahn er st reiks platzte. Ich verpflichte mich.darüber Schweigen zu bewahren. Ich bekenne, am Legen der Petardeteilgenommen zu haben." Ntöiivier.Und Almereyda fügt hinzu:„Ich glaube, meine Herren Ge-schworencn, durch die DemaSkieriuig dieses Menschen haben wirnicht nur uns selbst gedient, deren Betvegiing er zu entehren drohte,sondern auch jenen, die seine Opfer hätten werden können l"Die Wirkung dieser Enthüllung ist ungeheuer. Die Ge-schworenen sehen einer den anderen an und können ihre Entrüstungnicht verhehlen. Der Vorsitzende aber sagt mit gewichtigerStimme:Kraft meiner diskretionären Gewalt erkläre ich diese? Schriftstückfür in Beschlag genammen. Meine Herren, Sie haben einenVerbrecher angezeigt. Wenn die Totlachen, die in diesem Schrifistückberichtet werden, wahr sind, haben Sie der Gesellschaft einen Diensterwiesen und die Justiz dankt Ihnen durch meinen Mund!Welche Tragweite Aluicrchdas Euthüllmig hat, braucht wohluicht erst ausgeführt zu werden. Motivier hat also nicht nurClemenceau, sondern auch Briand gedient und diesem denVorwand für seine Gewaltpolitik geliefert. Ein neuer Lichtscheinfällt auf die dunkeln Vorgänge des EisenbahncrstreikS. der bekannt-lich in einem für die Eisenbahner ungünstigen Augenblick, gegen denWillen deS gewählten Generalstreikkomitees ausgebrochen ist. Briandhat damals als Ordnungsretter Diktatorgewalt erlangt— mitHilfe des Bombenmanns Motivierl Und wie denktHerr Löpine über seinen Gehilfen? Nebenbei— hängt derrälselhafte lange Besuch, den Briand vor einigen Tagen Caillauxgemacht hat, vielleicht mit diesem Prozeß zusammen? Herr Caillauxmochte allerdings ihm zuliebe nicht auf die Verhandlung verzichten,die Clemenceau, der sich wieder mausig macht und anscheinendden Kongo-PatriotismuS zu parlamentarischen Intrigen ausbeutenmöchte, dermaßen kompromittiert.Die heutige Verhandlung brachte bei der Zeugenvernehmungnoch manches interessante Detail. So sagte Genosse A u t a g n i e r,der als Sekretär des Gewerkschaftsverbandes der Seine bei den Er-eignissen von Villeneuve-Saint-Georges im Vordergrund stand, auS:„Alles wäre ohne Blutvergießen ausgegangen. Aber man hatte unsden Kameraden Ricordeau und Motivier gesendet, der dieSeele des Ausstands wurde. Es ist wahr, daß er sich i mrichtigen Augenblick verhaften ließ, indem er einenDragonerlentnant beschimpfte. Er muße ja währendder Repressalien im Loch sitzen..."Im gleichen Sinne sagt GriffuelheS und andere Zeugenaus. Mehrere Journalisten, die zur EntlarvungSszene nach der Rc-daktion der„Guerre Soziale" eingeladen worden waren, bezeugen,daß die entlarvten Spitzel durchaus nicht den Eindruck von Äeutenmachen, denen Gewalt angetan worden wäre. Mit jugendlicher Vervetritt der achtzigjährige R o ch e f o r t an den Zeugenstand und sagtauf die Frage, was er von der politischen Spitzelei denke:„Was ichdenke? Mein Gott, alle Regierungen gleichen einander. Ich habeoft mit Lockspitzeln zu tun gehabt. Aber ich muß feststellen, daßdie Bomben, die man ehedem niederlegte, meistens inoffensiv waren.Heute sehen wir zum ersten Male einen axont provocateur, derEisenbahnzllge in die Lust sprengen will und eineBombe in einem bewohnten Haus niederlegt".Woraus der Staatsanwalt entrüstet fragt, was dem Zeugen erlaube,der Geheimpolizei solche Abscheulichkeitcn zuzutrauen. DaS BekenntnisMetiviers sei„ein Papierfetzen". Was aber ist dann seine Zeugen-ausjage, die die Basis der Anklage bildet?Freisprechung!Paris, 10. Oktober.(W. T. B.) Ii: dem Prozaß gegen dieRedakteure der„Guerre Sociale" wurden gestern sämtliche An-geklagte freigesprochen. Es hantelt sich dabei um folgendes. DerRedakteur Almereyda konnte nachwrifcn, daß Motivier bei Leguugeiner Bombe in dem Hanse eines Pariser Grmcindcratsmitglicdesbetciligt war und von der Pariser Polizei ein Monatsgehalt bezog.poUtüchc Oebcrficbt.Berlin, den 10. Oktober 1911.Sozialdemokratische Interpellationen.Durch den Abg. Bebel wurden am Dienstag, den10. Oktober, namens der sozialdemokratischen Fraktion folgendeInterpellationen im Reichstage eingebracht:1. Die Unterzeichneten richten an den Herrn Reichskanzlerdie Anfrage, welches der Stand der Dinge in den Ver-Handlungen mit Frankreich bezüglich der Marokkofrage ist.2. Was gedenkt der Herr Reichskanzler zu tun, um dernotorischen Teuerung der notwendigsten Lebens- und Futter-mittel, die zu einer Kalamität für den größten Teil desdeutschen Volkes geworden ist, entgegenzuwirken?3. Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß von feiteneiner Reihe von Behörden gröbliche Verstöße gegen den klaret:Wortlaut des Vereins- und Versammlungsgesetzes für dasDeutsche Reich begangen wurden? Und ivas gedenkt derHerr Reichskanzler zu tun, um dem erwähnten Gesetz seitensder Behörden Geltung zu verschaffen?Die Kongoverhandlungen.Neber die Marokkoverhandlungen schreibt heute der„Figaro":Viele Leute schreien bei uns über Demütigung, weil die Regierungsich rüstet, einen Teil des Kongo an Deutschland ab-zutreten. Diese Abtretung ist gewiß sehr unangenehm.aber wir wußten eS, und wir hatten sie im Prinzip bereitsseit Juli ait genommen. Am ersten Tage, an dem wir inUnterhandlungen zu Zweien traten, mußten wir wissen, um was essich handelt, um die Freiheit des Handelns für Frank-reich in Marokko gegen Ucberlassung von Gebiets-teilen des Kongo an Deutschland. Jetzt ist eS zu spät.darauf noch einzugehen, auch können wir nicht mehr über dasPrinzip der Kompensationen diskutieren, sondern mrr noch fiö(tihren Umfang. Mit gutem Willen und mit Geduld kannman zu einer für beide Länder annehmbaren Lösung gelangen.Zur Information.Wie die„Nordd. Allg. Zeitung" mitteilt, wird der AuSfch,,�des Bundesrats für die Auswärtigen Angelegenheiten Mittwoch versammelt werden, um, wie in den letztenJahren vor dem Zusammentritt des Reichstages, Mitteilungendes Reichskanzler-? entgegenzunehmen.Dieses verfasiungsniäßige Glied ist bekanntlich längst verdorrt'es darf warten, sehen und manchmal sogar hören, aber beileibekeinen Einfluß nehmen.Zur Charakteristik der KanipfcSweise des Zentrums.Wie uns telegraphisch aus München gemeldet wird ent-hält die Tienstagnunimer der„Müitchener Post" einen'„Vergleich". der einen Verleunidungsfeldzug der Zentruntspressein einer für diese geradezu vernichtenden Weise abschließt'Im April dieses Jahres wies die..Münchener Post" einenAngriff des Organs der christlichen Eisenbahner zurück und be-merkte dabei, daß gerade der Redakteur des Eisetrbr'hner-blattes. der bayerische Zentniinsabgeordnete Dauer genauwisse...wie nachsichtig die sozialdemokratische Presse selbst gegenpolitische Gegner ist. denen sie manches am Zeuge sticken könnte".Darauf wandte sich Herr Dauer gegen das sozialdemo-kratische Tuscheln und Mauscheln. Jene Bemerkung sei..Er-presserpolitik"; es sei ja bekannt,,„daß hie..Münchener Post"nach dem System der Revolverblätter über jeden GegnerPersonalakten führt".Das Münchener Zentrumsblatt, der„Bayrische Kurier".unterstrich dann diese Aeußerungen noch kräftig:„Mit Drohungen von„Enthüllungen" will die„MünchcnerPost" den Gegner einschüchtern, auch wenn sie nichts weiß.~ sierechnet damit, daß jeder Mensch„dunkle Punkte" hat. Das isteine zwar sehr schäbige, aber nicht wirkungslose Methode. In wiemanchen städtischen und staatlichen Acmiern nimmt man eine be-sondere, durch nichts gerechtfertigte ängstliche Rücksicht ans dasSozialislenblatt. weil man fürchtet, es könnte einem persönlichunbequem werden! Man bemüht sich um da? Wohlgefallen dersozialdemokratischen Herren, wie etwa Geldinstitute dem„KleinenJournal" oder der„Kritik"(Anmerkung: Zwei Münchcner Skandal-blätter) fette Inserate geben, in der stillen Hoffnung, so seineRuhe zn haben."