Kr. 68. ZS.IchMß. i. Mze des.Awärts" Kcrlim WIMM. Nsnerstss, 2L Mily 1912. I Relcbeta� Abendsitzung vom 19. März 1911 Am BundeSrotStisch: Dr. Delbrück. Präsident Kaempf: Der Herr Abg. Cohn hat nach Ausweis deS Stenogramms erklärt:»Ich wäre in der Lage, aus meinen Er« fahrungen heraus, dem Herrn Minister eine ganze Anzahl strafbarer Handlungen seiner Beamten nachzuweisen. Ich habe zu Hause ein Aklcnstück über den Meineid eines Schutzmannes, auf Grund desien das Gericht einen Augeklagten freigesprochen und dem meineidigen Schutzmann die Kosten des Ver» fahrens auferlegt hat.' Ich bin der Meinung, dost der Herr Abg. Cohn damit nicht hat aussprechen wollen, dast der Herr Minister einen des Meineids überführten Schutzmann im Amte erhalten habe. Aus diesem Grunde habe ich ihn wegen dieser Aeutzerung nicht unterbrochen. � Staatssekretär Dr. Delbrück: In den Ausführungen des Abg. Dr. Cohn befindet sich vor dem soeben verlesenen Satze folgender PosiuS:»Eine derartige Beleidigung nimmt sich um so eigentüm« licher aus im Munde dlescs Ministers des Innern, der an der Spitze einer Behörde steht, von der einzelne Mitglieder in der Oeffentlich» keit schwerer Verbrechen überführt worden sind.'(Stürm. Hört I hört! recht?.) Ich kann diesen Pasius nur so auffassen, datz dem preußischen Herrn Minister der Vorwurf gemacht wird, daß er in dem ihm unterstellten Resiort Leute duldet, die schwerer Verbrechen überführt find. sSehr richtig I rechts.) Gegen eine derartige Kritik muß ich hiermit ausdrücklich Verwahrung einlegen. Sie befaßt sich mit der Geschästsführung de« ResiortchefS eines Bundesstaates, die zu üben ich dem Reichstage oder einem einzelnen seiner Mitglieder ein verfassungsmäßiges Recht nicht zu« erkenne. sStürmischer Beifall rechts. Große Unruhe lmks. Zurufe bei den Sozialdemokraten: Aber wir sollen uns von einem preußischen Minister beschimpfen lasten. Ein Konservativer ruft im Kasernenhofton: Ruhe da drübenl Woraus au? den Reihen der Sozialdemokraten die Antwort kommt: Hier ist doch kein Herrenhaus, hier ist der Reichstag, die Volksvertretung!) Staatssekretär Dr. Delbrück lfortfahrend): Diese Kritik, meine Herren, ist dabei geübt an einem Abwesenden, der mit Rück- ficht auf die Immunität der Abgeordneten außerstande ist, sich außerhalb dieses Hohen HauseS die nötige Genugtuung für den ihm gemachten Vorwurf zu verschaffen.(Stürmischer Beifall recht?. Zuruf links: Aber Sachse darf beschimpft werden.) In der Sache aber möchte ich daraus aufmerksam machen, daß die Frage, ob«in Beamter, der in der tücffenllichkcit eines schweren Ver- brechen? überführt ist. gerichtlich verfolgt werden soll oder nicht, ent- schieden wird ohnejede Mitwirkung des zuständigen R e s s o r t ch e f S(Hört I hört! rechts.) Ich mache serner darauf ausmerksam. daß mit Rücksichi auf die Höhe der Strafe. aut die bei einem schweren Verbrechen erkannt zu werden pflegt, mit Rücksicht auf ß 7 des preußischen Disziplinargesetzes eine gerichtliche Verurteilung wegen eines solchen Verbrechens den Verl » st des Amtes ohne Mitwirkung des Resiortchefs� im Gefolge hat. ES ist also nach Lage der Ver- bältniste vollständig auSgeschlosten, daß der preußische Restortchef Beamte, die schwerer Verbrechen öffentlich überführt sind, Pflicht« widrig in ihrem Amte hält.(Lebhafter Beifall rechts. Rufe: Und der Herr Präsident?) Präsident Dr Kaempf: Ich habe zwar nicht dieselben Worte ge- braucht, aber doch geglaubt, aus parlamentarischen Rücksichten die Stellung Narlegen zu müsten, die ich gegenüber dieser Aeußerung de? Herrn Abg. Cohn(Rufe rechts: Cohn!!) einnehme. Die Stellung selbst deckt sich vollständig mit den Aeußerungen des Staatssekretärs Dr. Delbrück. Hierauf wird in die Tagesordnung eingetreten. Etat des Reichsamts des Jauer«. Räch einigen Bemerkungen des Abg. Dr. Dahle» fg.) zum Kapitel.StatiitifcheS Amt' wird die vorher diskutierte Resolution der Volkspartei angenommen. Bei den Streikenden im Rubrejebiet Radbob. ..ES müsten ringsum im ganzen Land Ge- ipenstcr leben. Sie müssen so zahlreich sein, glaub' ich, wie Sand am Meer." Frau Alving in Ibsens „Gespenster ". Ich. glaube, wenn der Gerhart Hauptmann von heute, den wir alle noch seiner Weber wegen lieben, oder ein Wedekind, der bis an die Zähne bewaffnet mit dem unüberwindlichen Drachen Zensur auf Tod ttnd Leben kämpft, mal ein paar Stunden als bescheidene Zuschauer bei einem Streik, wie er jetzt im Ruhrrcvier stattfindet, auf einem Streikbureau verbrächten, daß sie sich ein wenig geduckt fühlen würden und aus dem falschen Wahn herauskämen, in dem die Bourgeoisie sie hinlcben läßt. Wenn eine„bekannte Person- lichkcit" in ein Theater oder ein Cafe kommt, stößt der eine den anderen an, macht man einander auf den- Besucher aufmerksam. Die Bourgeoisie liebt Pcrsonenverehrung. Sie kann ohne sie nicht fein. Sie gehört zu der individualistischen LcbcnSanschauung, die mit„ich" beginnt und mit„ich" endigt. Nichts von alledem, was „bekannte Persönlichkeiten" tun oder lassen, wird als belanglos erachtet und verschwiegen.... Wie anders in der Arbeiter- bewegung, bei Versammlungen und auf solch simplem Streik- bureau. Da sitzt an einem Tisch ein Mann, dessen„Name" außer- halb seines Bezirks unbekannt ist. einer, der von morgens früh bis abends spät mit einem in. den Kreisen der Bourgeoisie unge- ahnten Enthusiasmus seine Pflicht tut. Jeder der Arbeiter weiß, wie er heißt, wer er ist. Jeder gibt ihm treuherzig die Hand. Er •ist ein Kamerad, ein Vertrauter, ein Genosse. Niemand„verehrt" ihn. Niemand bittet ihn um ein Autogramm, niemand um sein Bild. Wenn er einen„Vortrag" hält, erscheinen kcine Snobs, nur Ucberzeugte oder solche, die überzeugt werden wollen. Und als .Honorar" empfängt er von den Kumpels... vier Mark. Solch ein Leiter, Führer oder Referent, solch ein Arbeiter auf einem Streilbureau ist in seiner stillen. Hingabe, seiner Aufopferung. seinem Eifer, seiner Begeisterung für eine Sache, die ihm weder persönlichen„Ruhm", noch das- Material für eine- Couponschcre ein- trägt in bewunderungswürdigercS Individuum, als viele der„be- kannten Persönlichkeiten", die im Grunde genommen für alles, nur nicht für Gemcinschastsinlcrcssen zu haben sind. Unzählbare dieser bcicheidenen„Helden" kennt jeder von uns. aber auf einem solchen Strcikbureau, in der vollen Hitze des Gefechts, lernt man sie erst richtig kennen und schätzen. Diese„unbekannten" Persönlichkeiten in der großen proletarischen Bewegung sind unser Stolz, unsere Hoffnung für die Zukunst. Nachmittags vier Uhr. nachdem ich das Strcikbureau verlassen hatte, wohnte ich einer Bergarbeiterversammlüng in Radbod bei. Da» lctztcmal war ich dort gewesen im Dezember 1908— nach der furchtbaren Grubenlatastrophe auf der zweiten Sohle am 12. No- vember, bei der ungefähr 350 Bergleute ihren Tod fanden. Seit dem Besuch, einem Besuch mit so tragischen Konflikten, daß man sie nie vergessen, und noch weniger) verzeihen kann, war, abgesehen von einer Vergrößerung der Arbeiterkolonie, alles beim alten geblieben. Der Weg von Hanvn nach Radbod befand sich noch in demselben Es folgt da? Kapitel „Gesundheitsamt". Abg. Hartrath(Z.) befürwortet eine Resolution, die 1. Maß- nahmen verlangt, durch welche für die Einfuhr ausländischer Weine eine scharfe Kontrolle durchgeführt werde, 2. Aufhebung der Stundung der Einfuhrzölle für Wein, 3. strengste Handhabung der Kellerkontrolle auch außerhalb der Weinbaubezirke. Abg. Dr. Quarck(Soz.): Beim Reichsgesundheitsamt muß die F l e i f ch f r a g e erörtert werden. Es liegt hierzu eine freisinnige Resolution vor, die die Einfuhr von ausländischem Speck und Schinken er« leichtern will, und eine von unserer Seite eingebrachte Resolution, die weiter geht und mit größter Beschleunigung eine Novelle zum Fleischbeschaugesetz verlangt, durch welche die Ein- fuhr von ausländischem Gefrierfleisch, Büchsen« fleisch� und Wurst ermöglicht wird. Schon bei der Beratung des FleischbeschangesetzeS haben wir auf die Folgen hingewiesen, die für die Einfuhr ausländischen FleiicheS eintreten muß. Die Regierung aber hat den Wünschen der Agrarier nachgegeben, und sie ist sogar so weit gegangen, durch die Ausführungsbestimmungen noch über die Vorsckiriflen des Gesetzes hinaus die Einfuhr zu erschweren, indem eine Sendung vernichtet wird, wenn auch nur ein einziges Stück fehlerhast ist. Kolleg« L e u b e hat deshalb dem preußischen LandwirtschaftSministerium mala üäes(Handeln wider Treu und Glauben) vorgeworfen. Präs. Kaempf erklärt einen solchen Vorwurf für unzulässig. Abg. Dr. Quarck(Soz., fortfahrend): Die Fleischteuerug braucht wahrlich nicht noch durch statistische Zahlen bewiesen werden. Die Bevölkerung hat bei den Wahlen darüber quittiert. E? kann ja gar keine Rede davon sein, daß Deutschland sich selbst völlig mit Fleisch versorgen kann. Die Produktionsstatistiken. welche das be- weisen sollen, werden durch die Praxis jeden Augenblick L ü g e n gestraft. Jetzt kommt ganz minderwertiges Vieh auf den Markt zufolge der Dürre deö Sommers, und deshalb werden die Preise für Schweinefleisch ins ungemessene steigen, wenn eine Oeff« nung der Grenzen nicht eintritt. Wird die Regierung denn gar nicht stutzig, wenn sie steht, wie sie alle Kreise gegen sich hat und für sich nur die Nutznießer des FleischwucherS.(Lebhaste Zustimmung links.) Alle großen Dampfer des Lloyd, der Woermannlinie usw. werden mit amerikanischem Fleisch versehen und noch nie ist dadurch eine Gesundheitsschädigung eingetreten. Damit ist bewiesen, daß der§ 12 des FlcischbeschaugesetzeS nicht sanitären Gründen seine Entstehung verdankt, sondern daß er agrarisch« Interesse» schütze» soll.(Widerspruch rechtS' Zustimmung links.) An die Ei»fuhr schwedischen Rindfleisches hat man gedacht; aber die Ouarantäncstotion in Saßnitz , über die es gehen soll, wird absolut nicht fertig. Warum läßt man denn dann daS schwedische Fleisch nicht über Rostock herein. Dadurch muß ja der Anschein erweckt werden, daß man mit der Station in Saßnitz nicht fertig werden will, damit der schwedische Handel wenigstens für diese Saison aus, geschaltet ist den Agrariern zuliebe. In den Kreisen der Arbeiterfamilien ist die Fleischfrage eine ganz ungeheure geworden. Man weiß gar nicht, wie die Frauen sich abmühen, wenigstens für den Mann, den Ernährer, ein Stückchen Fleisch abzudarben, um ihn gesund zu erhalten. Hier sollte da« ReichSgesundheitSamt mit aller Macht eingreifen, um die Zustände zu ändern. Aber wir wissen ja, wie hier alle Be- mühungen um bessere VolkScrnährung an dem ehernen Felsen der Jnterrssenpolitik der Agrarier scheitern. Dabei könnte die Regierung sich sehr leicht auf einen Block für billige und gesunde Volksernährung stützen.(Lebhafte Zu- stimmung links.) Die französische Regierung hat ohne weiteres solche Maßregeln verfügt, wie wir sie verlangen. Wir müssen der Regierung die Verantwortung überlassen, wenn sie in ihrer Verstiegenbeit an den Prohibitivmaßnahmen gegen eine Ge- sundung der Volksernährung festhält. Der einzige Staats« elenden Zustand. Der Schlamm lag dort noch so tief, daß die Droschke, die wir genommen, hatten, nm zeitiger hinzukommen, dreiviertel Stunde dazu gebrauchte und verschiedentlich in den Schmutztümpeln des Weges und der Kolonie stecken blieb. Passanten begegneten unS fast gar nicht. Niemand schien Lust zu empfinden, bei diesem regnerischen Hundewetter auf diesem auserwählten Landweg zu lustwandeln. Die buchstäblich einzigen- Menschen, die wir sahen, waren, arme Infanteristen, die mit gelangweilten Ge- sichtern die Schlammpfützen, worein kein Huhn den Fuß zu setzen wagte,„bewachten". Es waren junge Burschen, Proletarier in Uniform mit geladenen Gewehren, mit denen man bei der Kälte und dem- herabplatschenden Regen Mitleid hatte. Etwas nach vier langten wir in dem Wirtshaus im Innern der Kolonie an. Küraspere bildeten Spalier davor. Mit den schlaff vor sich hingehaltcnen Lanzen saßen die kräftigen Kerle auf klatschnassen Gäulen, verwünschten wahrscheinlich sich selbst, die ganze Welt und insbesondere die im Saal Tagenden. Außer einigen Polizisten, die damit beschäftigt waren, neue Bekanntmachungen der nervösen Obrigkeit anzukleben, war auch hier kein Sterblicher zu sehen. Nur schräg gegenüber in einer der Arbeitcrwohnungen der Kolonie preßten ein paar kleine Racker ihre Gesichter so äugst- lich-neugierig an die Scheiben, daß die kindlichen Nasenspitzen so platt und weiß erschienen, wie die frisch rasierte Tonsur eines im Sonnenschein die Pfeife schmökendeni Dorfpfarrers. Für die Kleinen, die noch nie einen Kürassier gesehen- hatten, war das Schau- spiel sicher eine wochenlang zu besprechende Sensation— auf uns erwachsene und blasierte Großstadtbewohner wirkte cS lächerlich und abstoßend. Bei dem großen Streik in England blieb es bei dem reinen, fast theoretischen Kampf zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Ohne Parade. Ohne Maschinengewehre. Ohne Ehrenwache für christliche Streikbrecher. In England würde sich, glaube ich. die öffentliche Meinung mit Empörung dagegen auflehnen, so dicht in der Nähe eines Massen» grabs mit 350 Toten und unverkennbar Verstümmelten Militär anrücken zu lassen, wenn die Nachgebliebenen drei Jahre später von ihren Rechten als Staatsbürger Gebrauch machten, um der Tyrannei der Kohlenherren gegenüber eine kleine Lohnsteigerung zu erzielen. Bevor ich das Versammlungslokal betrat, empfand ich an dem grauen, düsteren Nachmittag ein Gefühl aus der Kinderzeit, als ob dort wirklich über die Schlammwege Gespenster huschten.... Drinnen war es brechend voll. Die Zeche Radbod hat nach der Katastrophe keine schlechten..Geschäfte" gemacht. Die Beleg- sck>aft umfaßt im Augenblick 3200 Mann, wovon 2700 streikten. Der größte Teil drängte sich im weiten Saal des„Restaurants Wilk- mann" zusammen. Wohin man blickte, unten an den Tischen, in den Gängen, auf den Balkons gewahrte man lauschende Ohren und Augen. Sie standen Schulter an Schulter, ohne sich zu rühren, in tiefster Aufmerksamkeit, und nur wenn der Referent eine An- spielung auf einen der Terrorakte der Grubcnbarone oder der Gendarmen machte, kam in die wie aus Stein gemeißelte Meng einen Moment Leben und Leidenschaft, riefen sie erregt:„Pfui! oder:„Sehr richtig!" oder ein:„Hört!" mit Hunderten von Echos Im Saal brannte noch kein Licht. Draußen begann es zu dämmern. Aber weil der große Saal verhältnismäßig nur wenige und kleine Fenster hatte, weil viele aus den Fensterbänken saßen und wieder andere in ihrer Nähe auf Stühle geklettert waren, um den Redner auf der Bühne besser verstehen zu können, machte es manchmal den seltsamen Eindruck, als ob«S schon spät am Abend sei, ein Abend in der einen oder anderen Spelunke, mit taufenden . ekret är, der auch den Besitz zu Steuern heranziehen will, wird bei unS in Deutschland ausgeschifft. Der Regierung und der Rechten rufe ich zu, Sie treiben die gedankenlose und verant« wortungsvolle Politik der Verneinung. Präsident Kaempf erklärt diesen Ausdruck für unzulässig. Abg. Dr. Quarck(fortfahrend): Dann will ich sagen. Sie treiben die Politik b«« Eer« neinung, die S'e uns immer vorwerfen: aber Sie werden da« mit scheitern, denn der Erfolg lst bei unS.(Lebhaftes Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Blankenhorn(natl.) befürwortet eine von der national« liberalen Partei eingebrachte Resolution, wonach bei der Be« urteilung der Einfuhrfähigkeit ausländischer Weine neben der chemischen Analyse auch die Geschmackprobe durch erfahrene Sachverständige aus der Praxis sowie der Inhalt der einschlägigen Gescbäftspapiere berücksichtigt werden soll. Abg. Dr. Struve(Vp.) begründet eine von der Volkspartei be« antragt« Resolution, die einen Gesetzentwurf verlangt, durch welchen die A r b e i t S v e r h ä l t n i s s e der in öffentlichen und privaten Krankenhäusern, Heilstätten und Genes nngS- Heimen sowie in der privaten Krankenpflege beschäftigten Personen geregelt werden. Ein solches Krankenpflegergesetz sei dringend notwendig.— Ferner führt der Redner Beschwerde, daß Medizinalpraktikanten von einzelnen Krankenhäusern, z. B. in Britz und Lübeck , aus konfessionellen Gründen zurückgewiesen werden. Staatssekretär Dr. Delbrück: Gegenüber den Krankenhäusern, die Kommunen, Kreisen usw. gehören, hat das Reich gar nicht die Möglichkeit, sie zu zwingen, alle Praktikanten aufzu« nehmen, die sich melden. Ein solcher Zwang ist auch nicht nötig, denn wir haben mehr Praktikantenstellen alS Praktikanten. Es wäre auch ein sehr bedenklicher Eingriff in die Selbstverwaltung der Krankenanstalten, wenn man sie zwingen wollte, alle sich meldenden Praktikanten anzunehmen. Abg. Gröber(Z.>: Im Falle Britz ist die Zurückweisung Ui Praktikanten lediglich wegen seine? Glauben« erfolgt. Die Regierung hat sehr wohl Mittel an der Hand, auf eine Kranken« anstalt, die derartiges tut, einen Druck auszuüben, daß derartiges unterbleibt: sie kann z. B. eine solche Krankenanstalt aus der Liste derjenigen streichen, die Praktikanten annehmen dürfen. Wenn aber gar nichts gegen derartige Borgänge geschieht, so ist daS eine Verletzung des Gesetzes über die Gleichberechtigung der Konfessionen.(Lebh. Sehr richtig l) WaS heute dem Israeliten geschieht, kann morgen dem Katholiken geschehen; ein Fräulein auS Württemberg, das sich zur Krankenschwester ausbilden wollte und sich desbalb an den Professor Zimmerer in Zehlendorf wandte, erhielt den Bescheid, die Schwesternschaft sei zwar interkonfessionell, aber katholische würden wegen des zu besürchteten Einflusses deS Beichtvaters nicht angenommen. Man würde bei ihr «ine Ausnahme machen, wenn sie sich verpflichte, alles, wa? sie ihrem Beichtvater sage, auch der vorgesetzten Schwester oder dem Profeffor Zimmerer zu sagen.(Große Heiterkeit.) Wir haben also jeden Anlaß, vom Staatssekretär zu verlangen, er möge über die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen wachen.(Lebhaste Zustimmung.) Staatssekretär Delbrück : Profeffor Zimmerer ist ein evange« lischer Geistlicher, der einen privaten Berein leitet, aus den wir keinen Einfluß haben.— Eine Krankenanstalt können wir ebensowenig zur Annahme jede? Praktikanten zwingen, wie etwa einen Rechtsanwalt zur Annahme eines Referendars. Abg. Waldstcin(Vp.): Die Justizverwaltung hat sehr wohl die Macht, einem Rechtsanwalt einen Reserendar zur Ausbildung auch gegen seinen Willen zuzuweisen. Der Staatssekretär legt hier das Bekenntnis einer staatlichen Impotenz ab. die sehy im Gegensatz steht zu der Machlfülle des Staates.(Lebhafter Beifall.) Hierauf vertagt das Hau« die Weiterberatung auf Mitt« woch 1 Uhr. Schluß 11-/, Uhr. von unbeweglichen Köpfen, woraus das Leben gewichen zu fein schien.. Auf den Balkons hingen sie über die Balustrade herab, so dicht zusammengepreßt, eng aneinander gelehnt, daß man sich fast ängstlich fragte, ob wohl die paar Säulen diese Menschenlast tragen könnten. Männer, Frauen, Burschen, alles stand im bi- zarren Dunkel zusammengeschoben. Darunter Greise, aber auch ganz kleine Kinder auf dem Schoß der Mutter oder deö Vaters. Die in der Nähe der Bühne, auf der ein Gendarm neben dem Vor» standstisch saß, Platz gefunden hatten, sahen wie natürliche Men» scheu mit bleichen Gesichtern aus— ein Kumpel hat selten eine gesunde Gesichtsfarbe—, aber die hinten im Saal im Schatten dft Balkons horchten, hatten sich zu einer düsteren, kaum erkennbaren. mtssti scheu Kopfmcnge gewandelt. Fast schien eS, daß die Versaimn- lung in einem der unterirdischen Flöze abgehalten würde und daß der falsche TageSschein, der einzelne Stellen, mal ein Stückchen Gesicht, einen Hut oder einen roten Schlips aufblitze� ließ,«ine auf einen Stempel gesteckte Grubenlampe sei. » Wirklich, der Anblick dieses übervollen Saale » mit Kumpels, die nun schon eine Woche lang.feierten', dieses Saale « in seinem Halbdunkel ohne jede brennende Lampe, mit Kürassieren am Ein- gang und Infanteristen im Rücken, war von außen gesehen wenig anregend, aber innerlich— für den, der es begriff und ver» stand— von einer ergreifenden, erhebenden, packenden Schönheit. Was hier in diesem Augenblick vor sich ging, war von so gewaltiger Lebensschönheit, daß dagegen die glänzendste Theatervorstellung der nicht genug zu preisenden Hauptstadt zu einer toten, seelen- losen, faden Panoptikumszene zusammenschmolz. Die schlammigen Wege entlang, an den Schmutztümpeln ihrer fern den„Kultur» zentren' gelegenen Arbeiterkolonie vorbei, vorbei an den Maschinen« gebäudcn ihrer Zeche, an dem Kirchhof mit seinem Massengrab und seinen Erinnerungen, waren sie herbeigeströmt, diese Bergleute, die sonst um diese Zeit mit dem„Korb" aus der ersten, zweiten. dritten Sohle lamen, um sich in der„Waschkaue" den Schmutz vom Körper zu spülen, oder aus der„Bühne" des Signals zu warten. um mit der Mittagsschicht ins Loch zu kriechen. Die Schlamm« wege entlang waren sie zu taufenden aus ihren Behausungen in das Versammlungslokal gezogen. Die Kolonie selbst war zu dieser Stunde so leer und ohne Männer, wie in jenen berüchtigten Tagen, als man von den„Lustigen Witwen von Radbod" sprach. Zum erstenmal seit Jahren hatten sie freiwillig, nicht durch eine Kata» strophe gezwungen, nicht durch„Feierschichten" veranlaßt, ihr gegen- fettiges„Glückauf" nicht mehr vernommen. In der Kolonie waren nur Kinder, Kranke— Tote zurückgeblieben. Die Häuser lagen verlassen, aber hier, hier in diesem dunklen Saal mit seinem Schlamm vor der Tür und dem Militär, hier brannte ein Festlicht in den Köpfen und Herzen, hier hatten sie das Gefühl, Mensch zu sein und als Mensch etwa? zu können, hier lebte sich die proleta« rische Seele aus, hier waren sie keine Arbeitstiere, kein numerier« tes Zechcnmaterial. hier wurden sie sich des starkmachenden Gefühls ihrer Kraft bewußt, hier weilten sie in der Kirche des modernen Proletariats, daS. sofern es einig und nicht durch kapitalistischen Einfluß künstlich zerteilt wäre. Herr und Meister seiner Zeit sein würde. Tie Schlammwege cntlana, von Soldaten bewacht, waren sie herbeigeeilt. Diese"Menge gleichgesinnter Kameraden, der Männer und Frauen im Dunkels dieses Saales, bedeutete eine große Freude— und für den tiefer nachdenkenden Zuschauer die einzige Schönheit, die einzige wirkliche Schönheit, die dieses Wch junge, ober alle? versprechende Jahrhundert geben dann«
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