Weiter muß verlangt werden, daß die Unabhängigkeit der Richter geachtet daß sie nicht einem Politischen Druck unterliegen. Der frühere Staatssekretär des Justizamts rief mir einmal zu, der- artiges komme jetzt nicht mehr vor. Dabei wird jetzt sogar gegen nationalliberale Richter vorgegangen. Weil der Amtsrichter Havenstei,n in Pirgallen als' Vorsitzender eines nationalliberalen Vereins einen Aufruf seiner Partei unterzeichnet hat, hat der Justizminister ihm eröffnen lassen, er beanstande sein Verhalten und erwarte von ihm in Zukunft größere Zurück- Haltung in politischen Dingen. Ms ich den Nationalliberalen seiner- zeit zurief, Sie können nicht wissen, ob nicht einmal auch Richter ihrer Gesinnung gemaßregelt würden, schien ihnen das unglaub- lich. Jetzt sehen sie, wie gegen einen nationalliberalen Richter vorgegangen wird, im Grunde deswegen, weil er gegen die Konservativen aufgetreten ist. Das heißt die Unabhängigkeit der Richter herabwürdigen. Auch mir gefällt die Tätigkeit des Amtsrichters Havenstein nicht, ich hätte es lieber gesehen, wenn er nicht für die Nationalliberalen, sondern für die Sozialdemokratie agitiert härte(Heiterkeit), aber ein miserabler Kerl wäre ich. wenn ich zu ihm sagte, ich bestrafe Dich, weil Du nicht meine Gesinnung hast und ich Dein Vorgesetzter bin. Das wäre ein Mißbrauch der Amtsgewalt und die soll doch ein Justizminisier nicht treiben.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozial- demokraten.) Auch der Amtsgerichtssekretär in P'irg allen hatte die furchtbare Dreistigkeit besessen, im dortigen national- liberalen Verein das Amt eines Schriftführers zu be- kleiden. Darauf wurden ihm dienstliche Schwierigkeiten be- reitet und er hat dem Druck auch nachgegeben, was der Amtsrichter Havenstein glücklicherweise nicht getan hat. Wollte man die Beamten, welche Mitglieder eines k o n s e r- v a t i v e n Verein? sind, deswegen maßregeln, wie würden die Herren rechts dann sagen, die Menschen» und Manneswürde sei mit Füßen getreten. Gerade bei einem Richter soll man am wenigsten einen Druck auf die politische Gesinnung ausüben, denn das heißt, ihn für charakterlos und wannesunwürdig erklären.(Lebhaftes Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Aus unseren Anträgen zur Stratprozeßordnung sollte deshalb der Staats- sekretär diejenigen herausnehmen, die sich auf den Schutz der lln- abhängigleit der Richter beziehen, und sie als besondere ?! o v e l l e hier einbringen, eine Mehrheit dafür wird er zweifellos finden. Bei Richtern, die in solcher Drangsalierung ihrer politischen Ge- sinnung leben, muß sich«ine ganz� weltfremde Anschauung ausbilden. Nur so ist eS zu verstehen, daß eine Zusendung sozial- demokratischer Flugblätter an Beamte von einem Gericht als B e- l e i d i g u n g erachtet wurde. Eine Beleidigung wäre es, von einem Beamten anzunehwen, er würde bei ruhiger U e b e r- legung nicht zu der Ueberzeugung kommen, das sozial- demokratische Programm treffe das Richtige.(Große Heiter- kcit und Zuruf rechts.) Sie rechts glauben doch auch, daß Ihr Glaube der wichtige ist, wenn Sie Flugblätter einem Be- amten � zusenden, und wollen ihn zu ihrem Glauben bekehren. (Widerspruch) Bei Ihrem Rückgang haben Sie den Glauben vielleicht nicht mehr, aber in Ihrer Blütezeit hatten Sie ihn doch; lvir jedenfalls sind von der Wahrheit unseres Glaubens überzeugt. (Lebhafte Zustimniung bei den Sozialdemokraten.) Gerade in solchen Abwehrbewegungen zeigt sich die Angst und Furcht, die immer an jenen berühmten Ochsen erinnert, der von Pythagoras bei Erfindung seines Lehrsatzes geovferl wurde und dessen Nachkommen nun annehmen(Große Heiterkeit rechts und Zurufe: Nachkommen des Ochsen I), jede neue Wahrheit erfordere das Opfern von Ochsen. Auch Verstöße gegen die Reichsvcrfnssung finden wir ungemein zahlreich in Preußen. Ich erinnere an die Versuche, durch preußische Gesetze die Reichsverfassung zu durch- brechen, wie es bei den An iiedelungsge setzen geschieht. Der Abg Spahn meinte damals, man müßte wohl ein Amt errichten, das darüber wachte, daß die Einzelstaatcn nicht in die Sphäre des Reich? eingreifen. Trotzdem gehen die Versuche weiter und weiter. So geschieht es auch bei dem Ennvurf zu einem Gesetz über die Ausdehnung der Armenpflege auf Arbeits - scheue, das jetzt dem preußischen Abgeordnetenhause vorliegt. Dort wird vorgeschlagen, daß Arme, weil sie arm sind und deshalb die nicht unlerstützt haben, die sie hätten unterstützen müssen. gegen ihren Willen in eine Zwangsanstalt mit Zwangs- arbeit gebracht werden. Mit vollem Recht ist von einem national- liberalen Abgeordneten hervorgehoben worden, daß solch ein Gesetz in schreiendem Widerspruch mit den ReichSgesetzen steht. Wir haben in den neunziger Jahren eine Strafbestimmung gegen diejenigen be- schlössen, die die Pflicht zum Unterhakt der Ihrigen vernachlässigen. Damals ist ausdrücklich abgelehnt worden, für diese Fälle etwa Mbcitshaus zuzulassen, und ein Partikularstaat hat kein Recht, die Materie, die durch ReichSgesetz geregelt ist, anders zu regeln, und wenn man im Abgeordnetenhaus erklärt hat, über solche juristischen Zwirnsfäden solle man nicht stolpern, so vergißt man, daß man an diese Zwirnsfäden durch Eid gebunden\ ist. Derjenige Beamte, der von diesem Gesetz, und wenn eS zehnmal so erlasse» würde. Gebrauch machen würde, treibt Mißbrauch d e r A m t S g e w a l t und gehört ins Zuchthaus.(Leb- Haftes Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Derjenige gehört ins Zuchthaus, der eine Strafe vollstreckt, die nicht vollstreckt werden darf.(Efneutes Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das Abgeordnetenhaus beruft sich darauf, es handle sich nicht um eine Slrafe, sondern um eine Ausübung des Armenrechts. Der preußische Entwurf ist auch unvereinbar mit den reichsgesetzlichen Bestimmungen über die Freizügigkeit..Derartige Eingriffe in die Reichsver- faflung sind um so merkwürdiger, als die preußische Regierung früher selbst zugegeben hat, auf diesem Gebiete sei sie nicht kompetent. Ist denn die Regierung jetzt soviel schlechter geworden, daß sie das nickt mehr einsehen kann. Das Rcichsjustizamt muß in all diesen Fällen Einspruch erheben gegen diese Eingriffe in die Reichsgesetzgebung.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Der Duellmord bleibt bestehen, weil die Herrichenden Klassen ans Klasseninstiukt lür sich eine besondere Auszeichnung für notwendig halten. So haben wir das Recht zu sagen, die Klassenjustiz schreit zum Himmel. Der Richter, den besondere StandeSvorurteile zwingen, gegen die Gesetze zu verstoßen, wird natürlich im Arbeiter einen minderwertigen Menschen sehen. So kommt sie zu den schweren Strafen Arbeitern gegenüber und zu den milden Bestrafungen Singehöriger der herrschenden Klassen. Ein Schutzmann wurde wegen AmtSmiß- brauchs, trotz s ch w e r e r R o h e i t e n, die er begangen halte, nur zu 100 Mark Geldstrafe verurteilt. Ein Polizeioffizier in einer anderen Gegend bei schwerer Mißhandlung mit dem Säbel zu 30 M a r k G e l d st r a f e.(Hört! hört! bei den Sozialdemo- kratcn.) Ein Gutsherr, der ein Dienstmädchen auf das roheste mißhandelt hatte, so daß der Arzt Schwellungen an.fast allen Körperteilen feststellte, wurde zuerst zu öl) Mark verurteilt, in der Berufungsinstanz zu 40 M a r k. Redner führt weitere ähnliche Fälle an. Ein Agrarier, der einen Jugendlichen schwer mißhandelt hatte, wurde zn ganzen fünf Mark verurteilt, weil er„jähzornig" sei.(Hört I hört! bei den Sozialdemokraten.) Für eine barbarische Sioheit gegen eine Slljährige Frau bekam ein Verwalter, Bruder des Gutsbesitzers, von einem Schöffengericht, das aus einem Guts- besitzcr und einem Förster bestand, ganze hundert Mark Geld- strafe.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Wie steht es demgegenüber niit den Bestrafungen streikender Bergleute im Ruhrrcvier? Dort steht die Klassenjustiz jetzt in besonderer Blüte. Das ist ja überall der Fall, wo. Arbeiter um Erringung besserer Lohn- bedingungen kämpfen und dabei wegen geringer Vergehen angeklagt werden. Die Richter zeigen in solchen Fällen ein U ebermaß von Unkenntnis der sozialen VerhSltnisse. Die Ehre der Arbeiter wird mit Füßen getreten, indem man die Ehre der Streikbrecher höher taxiert, als nach dem Strafgesetzbuch die Ehre des Königs taxiert wird. Mit kolossaler Schnelligkeit werden jetzt im Ruhrrevier Huitderts von Arbeitern abgeurteilt unter Außerkraftsetzung des Gerichtsversassungs- gesetzes und der Strafprozeßordnung von derselben Behörde, die den Mörder des Arbeiter Herrmann nicht ermitteln kann und die in sechs Jahren den Fürsten Eulenburg nicht hat zur Verteilung bringen können. Entgegen dem Gerichts- Verfassungsgesetz werden besondere Kammern zur schnelleren Aburteilung der Streikenden gebildet. Im Gesetz heißt es ausdrück- lich: Ausnahmegerichte sind uugcsevlich. Ferner hat man systematisch die Untersuchungshaft angewandt, auch wo gar kein Flucht- verdacht vorlag oder die sonstigen Voraussetzungen des Gesetzes vor- lagen. Man hat einfach gesagt: Fluchtverdächtig sind die Be- treffenden, weil sie Streikende sind.(Hört I hört I bei den Sozialdemokraten.) Ist das keine Klassenjustiz! Die Staatsanwalt- schaft und die Richter des Ruhrreviers haben offenbar die Streikenden in ihrer völligen Unkenntnis der sozialen Verhältnisse den Landstreichern gleichgestellt, bei denen nach dem Gesetz Fluchtverdacht als vorliegend angesehen wird. Wegen der unbedeutendsten Lappalien, einfacher Schimpf- worte hat man Untersuchungshaft verhängt. Auf diese Weise kann ein gewissenloser Staatsanwalt den Angeschuldigten ins Verderben bringen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Dies Vorgehen, wie es jetzt in dieser von den Zechenbesitzern vcr- feuchten Gegend grassiert, verstößt offen gegen das Reichsgcsetz. Zur Dcgradierung der Justiz im Ruhrrevier ist dann noch etwas anderes hinzugekommen. Es sind im Gesetz gewisse Fristen vorgesehen, die den Angeklagten die Möglichkeit geben, für ihre Verteidigung zu sorgen. Da hat man nun ein ganz neues Mittel gefunden, wie es heißt auf höhere Anordnung.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Man hat den Angeklagten einen R e v er s vorgelegt, ivodurch sie auf die Jnnehaltung der Ladungs- fristen verzichten. Die Vorlegung solcher Reverse an Ange- klagte, die zum Teil nicht einmal der deutschen Sprache mächtig sind, ist der deutschen Justiz unwürdig, sie kommt der Erpressung gleich. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Man hat sogar von ein- zelnen Angeklagten den Verzicht auf die Jnnehaltung sämtlicher Fristen verlangt.(Zurufe rechts.) Wenn das allgemeine Hebung, so müßte erst recht dagegen eingeschritten werden. Auf die zum Schutze des Angeklagten gegebenen Fristen kann gar nicht rechtskräftig verzichtet werden; ebensowenig wie jemand sich freiwillig einer Todesstrafe unterwerfen kann, der ein anderer an ihm zu vollstrecken hat, kann er auf die vom Gesetz vorgeschriebenen Schutzfristen für den Angeklagten verzichten. Dringend ist nötig, daß hiergegen eingeschritten wird. Braucht es weiterer Beweise der Klassenjustiz? Sie ist vielmehr geradezu zur Parole erhoben, und die Unternehmer jubeln den drakonischen Strafen, die über Arbeiter verhängt werden, zu. Eine Frau, die einen Streikbrecher Streikbrecher genannt hat, ist zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Ist denn�„Streik- brecher" eine Beleidigung.(Zuruf rechts: Eine Beschimpfung!) Es ist die Feststellung einer Tatsache. Gewiß gilt der Strcikbruch für schimpflich bei denen, die den Streit billigen, genau wie ein Verräter des Vaterlandes.(Zuruf rechts: Na, also!) Für denjenigen, der den Streik verurteilt, gilt das doch nicht. Das Gewerbe des Nachrichtcrs galt für schimpflich, aber deshalb blieb doch der Nachrichter ein Nachrichter, und wer ihn Zktchrichtcr nannte, hatte ihn doch nicht beleidigt; so gilt der Streikbruch für ein schimpfliches Gewerbe in den Augen der anderen. Aber deshalb bleibt doch der Streik- brecher ein Streitbrecher, und wer ihn so nennt, kann ihn nicht be- leidigen. Die Streikbrecher sind zum Teil Leute, d'c zusammengesucht werden aus dem Auswurf der Menschheit; wie Hintze gesagt hat, Leute, die Gelegenheit haben wollen, mal losz ur eilen. In dieser Sucht, strafbare Handlungen zu begehen, ähneln sie aller- dings den Duellanhängern.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Ein bis zwei Monate wurden verhängt gegen Streikende, die nur Pfui und»streilbrecher gerufen hatten. Wegen einer geringen Majejtätsbeleidigung wird nicht mehr Anklage er- hoben, aber Majestät Streikbrecher steht höher.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Ein Monat Gefängnis wurde verhängt gegen eine Frau, die beschuldigt war, Pfui gerufen zu haben, obgleich der Gendarm aussagte, er habe das Pfui nicht gehört, aber der Oberkörper der Frau habe gezuckt.(Heiterkeit.) Daraus schloß das Gericht, es müsse dem Munde der Frau ein Pfui entflohen sein. Vier Monate Gefängnis bekam ein Arbeiter, der Pfui ge- rufen und ausgespuckt hatte.(Rufe: Unerhört! bei den Sozialdemokraten.) Ueber öllll solche einzelne Urteile sind bereits gefällt worden. Ein Streikbrecher trug einen Revolver bei sich, der ihm von drei Streikenden weggenommen wurde. Die Streikenden wurden angeklagt wegen Nötigung, sie wollien ihn nötigen, sie nicht totzuschießen.(Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Der Landgcrichtsdirektor sagte zu den Angeklagten: Was geht es denn Sie an, wenn der Mann einen Revolver hat? Der Staatsanwalt beantragte je 3 Tage Ge- fängnis, das Gericht erkannte auf eine und drei Wochen Gefängnis, weil die Leute sich nicht hatten totschießen lassen. Dringend notwendig ist eine Reform der Qrganisa- tion der Rechtspflege. Die Regierung sollte doch überlegen, wie aufpeitschend solche Justiz auch auf den Ruhigsten wirken muß. Sie zeigt aber, daß sie den Arbeiter nicht für gleichberechtigt, ja nicht für einen Menschen hält, sonder» daß sie nur zwei ?! a t i o n e n kennt, die der Zechenbesitzer und der übrigen besitzen- den Klasse und die der Unierdrückten der Arbeiter. Die Justiz ist nicht fähig zu objektiven Urteilen, sie b e- trachtetde«Arbeiter st etsalsAmboß. die besitze»de Klasse als Hammer. In vielen Strafkammern treiben die Richter geradezu politische Orgien. Ich erinner« nur an Breslau und den dortigen Landgerichtsdircktoer M a n d r y, der erklärt hat, die Beamten, die sich an Sozialdemokraten wenden, sind Schweinehunde. Zu wieviel Jahren Gefängnis hätte Herr Mandry verurteilt werden müssen, wenn diese Beleidigung gemessen würde an dem Strafmatz für die Verletzung der Ehre eines Streikbrechers im Ruhrrevier!(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Statt unabhängiger Leute, die ohne Rücksicht nach oben und unten, nur nach Ansehen der Tat richten, wird bei uns verurteilt, ohne Ansehen der Tat nur nach Maßgabe, wer Angeklagter ist.(Sehr richtig!) Dieser Klassenjustiz ein Ende zu machen, ist nur dadurch möglich, daß die Richter aus allen Kreisen der Bevölkerung gewählt werden, daß sie v o m Volke und aus dem Volke gewählt werden. Auch dann werden menschliche Irrtümer nicht ausbleibe». Solange das aber nicht erreicht ist, solange die Richter abhäiigig sind und politisch bedrückt werden, kann kein Vertrauen zu ihnen auflommen, und können sie keine Fähigkeit zum gerechten Urteilen haben. Möge die Regierung bedenken, wer Wind sät, wird Sturm ernten.(Leb- hafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) f'ierauf vertagt das Haus die Weiterbcratung auf Donnerstag c; vorher I e s u i t en i n t e r p c l l a t i o n der National- liberalen und Wahlprüfungen; hierunter die des Abgeord- neien Becker(natl.)._' Senedw- Leitung» Ein?!achspiel zum Falle Dubrowsky. Vor etwa Jahressrist erregte das tragische Geschick des' russischen Studenten Dubrowsky allgemeines Aufsehen. Bekanntlich hat sich DubrosvSky erschossen, Keil ihnt die Aufnahme rn die Berliner Universität verweigert wurde. Die Universitätsbchörde folgte bei der Abweisung des jungen Mannes einem Wink der politischen Polizei, welche Dubrowsky als einen— vom Standpunkt der russischen Regierung betrachtet— politisch unzuverlässigen Menschen bezeichnete. Nach dem Tode Dubrowskys stellte sich heraus, daß ein Beamter der politischen Polizei, der bei ihm recherchiert hatte, ihm den Rat erteilt hatte, er möge in die hier bestehende Lands- Mannschaft russischer Studenten eintreten. Da diese Landsmann- schast einen politisch reaktionären Charakter trägt, lehnte es Dubrowsky ab, die Mitgliedschaft in diesem Verein zu erwerbe». Den Umständen nach mutz mau annehmen, daß diese Weigerung für die politische Polizei das Merkmal der politischen Unzuverlässig- kcit Dubrowskys war. Am 24. Mai 1911 wurde im preußischen Abgeordnetenhausc eine Interpellation über den Fall Dubrowsky verhandelt. Bei dieser Gelegenheit kam zur Sprache., daß die Landsmannschaft russischer Studenten, die nur eine winzige Anzahl von Mitgliedern hat, mit der russischen Botschaft in sehr nahen Beziehungen steht, also eine Organisation ist, welche die Politik der Zarenregierung zu unterstützen und zu fördern bemüht ist. Der Abgeordnete Korfanty nannte die Landsmannschaft russischer Studenten einen Verband echt russischer Leute und Genosse Karl Liebknecht kenn- zeichnete im Abgeordnetenhaus« die Landsmannschaft mit den Worten:„Dieser Botschafterverein zählt zu seinen Mitgliedern den Sohn jenes Mentschikoff, des Deutschenhetzers der„Nowoje Wrcmja". Der Verein wird subventioniert von der russischen Botschaft. Er nimmt keine Juden auf, aber ist ein Beweis für das Reinlichkeits- gefühl der russischen Studenten, daß sich ihm bisher nur 16 bis 17 Mitglieder angeschlossen haben." Ueber die Verhandlung im Ilbgeordnctenhause hat Schriftsteller Jlian Trotzki einen Bericht in einem Moskauer liberalen Blatte veröffentlicht. In dem Bericht kommt eine Wendung bor , welche von der Entlarvung der Schwarzhundertmänncr spricht, womit die Landsmannschaft russischer Studenten gemeint ist. Wegen dieser Wendung haben die Vorstandsmitglieder der Landsmannschaft, die Studenten Lepp, Szydlowsky, Dameiloff und Hamm , die Bclcidi- gungSklnge gegen Trotzki erhoben. Das Schöffengericht Charlotten- bürg hat, wie unseren Lesern erinnerlich, den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 196 M. verurteilt. Es ging davon aus, daß im Abgeordnetenhause nicht gesagt worden ist, die Landsmannschaft gehöre zu den Schwarzhundertmännern und daß der Angeklagte durch diese Bezeichnung eine Beleidigung begangen habe. Gestern wurde die Klage in der Berufungsinstanz(Land- gcricht III) verhandelt.'Der vom Rechtsanwalt Dr. Karl Liebknecht verteidigte Angeklagt« wollte durch die geladenen Sachverständigen Buchholz und Großmann den Beweis erbringen, daß man in Ruß- land nicht nur die Veranstalter von Pogromen und sonstigen Gewalt- mitieln im Interesse der Reaktion als Schwarzhundertmänner bezeichnet, sondern daß dieser Ausdruck allgemein auf alle Vertreter der reaktionären Politik der russischen Regierung angewandt werde. — Zicchtsanwalt Vredcrcck, der die Kläger vertrat, hatte drei Sach- verständige geladen, die sich ebenfalls über russische Verhältnisse auslassen sollten. Es kam aber nicht zu einer materiellen Ver- Handlung. Auf Anregung des Vorsitzenden wurde zunächst die formelle Frage geprüft, ob die vier Vorstandsmitglieder der„Lands- Mannschaft russischer Studenten e. V." ihren Verein als beleidigt ansehen und für diesen klagen, oder ob sie für sich persönlich als Kläger auftreten. ?!ach längerer Beratung kam das Gericht zu dem Urteil: Die Kläger treten nicht für ihre persönliche Ehre auf, sondern der Verein ist der Kläger . Ein Verein aber ist nicht beleidigungsfähig. Nur physische Personen können beleidigt werden. Der Angeklagte wird deshalb freigesprochen. Einengung des 8 133 Str.-G.-B. Gegen 29 Einwohner von Tegel , darunter die Kommcrzienräie E. von Borsig und C. von Borsig, Postdirektor Bastian, Geh. Regie- rungsrat Dr. Meyer, Prof. Drrhfchmidt, Sanitätsrat Dr. Rocser, Fabrikdirektor Niiger und andere Honoratioren, richtete sich eine Privatklage des Redakteurs der„Tegeler Nachrichten", Alex Pyriy, die gestern vor dem Schöffengericht Berlin-Wedding verhandelt wurde. Der Privatkläger wurde durch Rechtsanwalt Dr. Werthauer vertreten, die Angeklagten durch die Justizräte Bernstein und Dr. von Gordon verteidigt. In Tegel herrscht seit längerer Zeit Streit über die Tätigkeit des Gemeindevorstehers Bürgermeister Weigert. Ein Teil der Bürgerschaft war mit dem Bürgermeister zufrieden, ein anderer Teil nicht. Zu den unzufriedenen Elementen gehörte der Kläger . Ilm Weihnachtsabend brachten sodann die „Tegeler Nachrichten" nach dem Bekanntwerden eines in der Bürger- schaft viel und unliebsam besprochenen Vorfalls aus dem Privat- leben des Bürgermeisters einen gegen diesen gerichteten gehar- nischten Artikel, in welchem das Landratsamt, der Regierungs- Präsident, der Oberpräsident und schließlich der Minister ausgerufen werden, für die Entlassung des Bürgermeisters aus dem Amt ohne Pension zu sorge». Gegen diesen Artikel veröffentlichten die jetzigen Angeklagten ein Flugblatt, das inzwischen zahlreiche Unterschriften von Tegeler Einwohnern gesunden hat. ES wurde darin gesagt, daß sich die„Tegeler Nachrichten" die Rolle eines berufenen Richters der öffentlichen Moral anmaßen, daß eine so zügellose Ausnutzung privater Dinge im Kampf um die kommunalen Interessen das öffentliche Leben des Ortes aus ein geistig und sittlich niedriges Niveau herabzerre und gegen solch unerhört niedrige Handlungs- weise protestiert werden müsse. Dies der Gegenstand der Privat- klage. In der Verhandlung kam zur Sprache, daß gegen den Bürger- meisler das Disziplinarverfahren eingeleitet und er einstweilen vom Amte suspendiert worden sei.— Nach längeren Plaidohers der Vertreter beider Parteien erkannte das Schöffengericht: Der Kläger hat mit dem Artikel sein Recht als Redakteur, öffentliche Mißstände zu besprechen, wahrgenommen. Es könne ihm mcht versogt werden, daß er jenen unliebsamen Vorfall aus dem Privatleben des Bürger- Meisters in der Zeitung veröffentlichte. Denn einen Siechtssatz, daß er dies zu unterlassen habe, gebe es nicht. AuS der Form des Artikels ergebe sich nicht, daß der Privatkläger sein Recht über- schritten hat. Wenn ein Teil der Bürgerschaft seinen entgegen- gesetzten Standpunkt geltend machte, so mutz ihm im weitesten Sinne der Schutz des Z 103 Str.-G.-B. zugebilligt werden. Der Gerichtshof hat aber angenommen, daß durch den im Flugblatt gebrauchten Ausdruck„unerhört niedrige Handlungsweise" die Grenzen des Schutzes durch§ 193 überschritten sei. Daß die Handlungsweise des Klägers niedrig sei, habe die Verhandlung nicht ergeben; nach der Ansicht des Gerichts war der Vorgang dazu angeian, daß der Privatkläger energisch gegen den Bürgermeister Stellung nahm. Das Gericht hat die Angeklagten zu je 29 Mark Geldstrafe eventuell je zwei Tagen Haft verurteilt. Eine Freisprechung hätte dem Sinne des ß 193 Str.-G.-B. mehr entsprochen: wer Dinge, die das Privatleben betreffen, in der erwähnten Art an die Oeffentlichkeit zerrt, muß damit rechnen, daß andere diese Handlungsweise für niedrig halten. Sprechen sie das aus, so handeln sie im Wahrnehmung berechtigter Interessen, be- leidigen also nicht, auch wenn ihre Ansicht falsch ist. Ein ungläubiger Pastor. Der Pastor von Stahnsdorf , Luther , soll auf Behauptung des Arztes Dr. Wilhelm Eckert sehr freimütige Aeußerungen getan haben. Der Pastor Lestritt dies. Das Konsistorium stellte Straf- autrag. In der gestrigen Verhandlung dieser hochnotpeinlichen Sache wurden einige freimütige Aeußerungen des Pastors durch Zeugen bestätigt. Es wurde neuer Termin anberaumt, in dem auch der Pastor als Zeuge erscheinen jyll,
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