Mg. v. Pappeuheim(k.) ist dagegen.Unterstaatssekretär Holtz: Uns scheint die Vorlage!lar genugzu sein.Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Wir müssen uns doch die Kon-scquenzen des Gesetzes völlig klar machen. Wie kommt denn über-Haupt die Regierung dazu, sich hier einzumischen.(Sehr wahr l beiden Sozialdemokraten.)Abg. Boisly tnatl.): Die wichtigen rechtlichen Bedenken Dr. Fleschssprechen für seinen Antrag.Der Rückverweisungsantrag wird abgelehnt, auch von denNationalliberalen, gegen die Fortschrittler, Sozialdemokraten, Polenund Dänen.Abg. Boisly(natl.) verzichtet daraufhin auss Wort zur Sache.Abg. Dr. Flesch<Vp.) bekämpft das Gesetz nochmals nachdrück-lich, wenn das auch zwecklos zu sein scheine.»Abg. Dr. Licdluccht(Soz.):Wir verwerfen dieses Ausnahmegesetz gegen die Aermstender Armen um eine sozialpolitische Quacksalberei allerärgster Art.Es entstammt dem engherzigsten Fiskalismus und verstößt gegendas Reichsgesetz über die A u f h e b n n g der S ch u I d h a f t undgegen da? R e i ch s st r a f g e s e tz. Der Standpunkt, daß StrafeSühne sein soll, ist längst aufgegeben, auch von der Strafvollstreckungdes Ministeriums des Innern. Besserung soll der Zweck derStrafe sein, erzieherische Arbeit für die Zukunft. Das will ja auchdieses Gesetz und beweist damit seinen strafrechtlichen Charakter,ebenso wenn das Gesetz an eine strafbare Vergangenheit anknüpft,an schuldhafte Vernachlässigung der llnterhaltungspflicht. Aber dasGesetz sieht keine Garantien für den Nachweis der Schuldhaftigkeitvor und verzichtet auf positive Vorschriften und Bedingungen. ESist und bleibt ein Strafgesetz und greift in das GefetzgcbungS-recht des Reiches tief ein. Jetzt auf einmal erklärten die Motivedes Gesetzes, die Bedenken gegen reichsgesetzliche Regelung wärengeschwunden. Es hat sich aber nichts geändert als alleindie gesetzgeberische Gewissenhaftigkeit der Re-g i e r u n g.(Sehr wahr! links.) Dieses Gesetz kann Leute, die sichvon ihm bedroht fühlen, strafbare Handlungen begehen lassen, umsich der Strafrechtsjustiz auszuliefern, die an Garantien gebunden ist,während hier dieVcrwaltnngswillkürallein entscheidet. Bei jedem kleinsten vernwgensrechtlichcn Eingriffgestatten Sie die Anrufung des Oberverwaltungsgerichts, hier aberbei einem so tiefen Eingriff in die persönliche Freiheit nicht. Siemißachten Humanität und Gerechtigkeit und die erlauchten,edlen und geehrten Herren werden dieses Ausnahmegesetzauch noch annehmen. Sie werden es dahin bringen, daß unterdiesem Gesetz das Verbrechen noch ein Palladium gegenüber derVerwaltungswilltür erscheinen wird.(Der Präsident ersucht denRedner sich weniger mißverständlich auszudrücken.) Aber wie sichauch heute gezeigt hat, ist der Weg Ihrer Gesetzgebungmit Verfassungsbrüchen gepflastert.(Präsident: Ich bitte,solche Provokation des Hauses zu unterlassen.Abg. Krcth(k.)— zum Abg. Liebknecht Sie ganz unverschämter Kerl.Abg. Liebknecht(Soz.):S i e tun sich hier als Richter auf, S i e schimpfen hier?Präsident Dr. Frhr. v. Erffa ruft den Abg. Kreth zurOrdnung.Mg. Liebknecht:WaS Kreth hier schimpft, ist nns egal. Er ist n i e d a undweiß gar nicht, worum es sichhandelt. Die Mehrheit sabotiertin ihremgesetzgeberischen Vandalisumsdie Reichsgesetzgebung. Uns kann es nur angenehm sein, wenn Siedurch eme' solche Gesetzmacherei das Ansehen dieses HausesinGrlurd und Boden ruinieren.(Lebhafte Zustimmungbei den Sozialdemokraten.)Abg. Dr. Mizerski(Pole) lehnt das Gesetz ab.Abg. Dr. Fricdberg(natl.) ebenfalls, weil eZ Reichsfache wäreund der Rechtsgarantie ermangele.Abg/Mertm(fk.): Es ist doch unglaublich, daß Abg.Liebknecht hier von einem Ausnahmegesetz gegen die Aermstender Annen spricht, wo es sich darum handelt, solche Leute, die ge-wissenlos ihre Unterhaltungspflicht erfüllen, zu treffen. Uebrigenshat die Staatsregierung immer auf dem Standpunkt gestanden, daßdas eine Verwaltungssache sei.Abg. Dr. Liedknecht(Soz.):Ist denn jemals ein Angehöriger der besitzenden Klassenwegen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht angeklagt worden? Ichhabe in meiner Anwanspraxis die erschütterndsten Fälle erlebt, wodie Allerärmsten deshalb verfolgt wurden, denen die Erfüllungdieser Pflicht in der Tat unmöglich war. Der Reiche kann insAusland gehen oder er kann schließlich zahlen, wenn der Gerichts-Vollzieher kommt. Aber hier handelt es sich um die bedauernswertenOpfer unserer Wirtschaftsordnung, aus der Sie(nach rechts)Ihren Profit ziehen und die Ihnen ermöglicht, hier zusitzen und zun, Schaden des Volkes Gesetze zumachen.(Lärm rechts)Präsident Frhr. v. Erffa: Ich bitte Sie, nicht so scharfe Aus-drücke zu gebrauchen.Mg. Dr. Liebknecht:Bei dieser Sachlage erdreistet sich der Mg. Mertin(an-haltender Lärm rechts und Rufe: Ist das zulässig?), solche Be-Häuptlingen aufzustellen. Das Volk aber wird Ihnen nach dieserGesetzmacherei zurufen: Ende schlecht, altes schlechtl(Beifall bei den Sozialdemokraten, Unruhe rechts.)Abg. Dr. Flesch(Vp.) bemerkt gegenüber dem Mg. Mertin,daß die preußische Regierung, wie der Redner als genauer Sach-kenner feststellt, immer der Ansicht war, daß diese Materie insS t r a f r e ch t gehört.(Lebhaftes Hört I hört! links.)Ein Antrag des Abg. Dr. Liebknecht auf namentliche W-stimnlung über das Gesetz wird nicht ausreichend unter-st ü tz t. Auf Antrag des Ab. Kühr(Vp.) werden einige Worte ausdem 8 1 des Gesetzes gestrichen. Entsprechend der Geschäftsordnungverlangen darauf die Abgg. Hoff mann. Hirsch und Dr. Lieb-k n c ch t Aussetzung der A b st i m ,n lin g, bis das Bureau«ine Zusammenstellung des abgeänderten Gesetzes mit derKommissions-faffung vorgelegt habe, wie sie z. B. auch gestern beim landwirt-schaftlichen Nnfallverstcherungsgesetz vorgelegt wurde, obgleich auchda nur ein Satz gestrichen worden war.Der Präsident behauptet zuerst, eine solche Aussetzung seinicht möglich, worauf die Sozialdemolraten aus dem§ 18 derGeschäftsordnung die betreffende Vorfchrist vorlesen.Abg. v. Kröchcr(k.) erklärt, daß das Hans seit 31 Jahren diebloße Streichung einzelner Bestimmungen nicht als Verbefferungs-beschlüsse! betrachtet hat, wie sie im§ 18 der Geschäftsordnung gc-meint feien.Abg. Hoffmann erwidert, daß das jedenfalls nur geschehen sei,weil niemand Widerspruch erhoben habe. Die GeschästsordnungS-debatte wird auf Antrag v. P a p p e n h e i n»(k.) geschlossen unddas vom Präfidenten gefragte Haus entscheidet gegen das Ver-langen der Sozialdemolraten. Das Gesetz wird darauf gegen dieLinke angenommen.Der Bertagungsantrag der Staatöregierungersucht das Haus um die Zustiinmung zur Vertagung bis zum22. Oktober und zur Tagung der Sparkassengesetz- und Wassergesetz-kommisfion in der Pause.Abg. Frhr. v. Zedlitz(fk.) fragt, wie eS mit den Diätenund Reisekosten der Mitglieder dieser Kommissionen werden soll.Unterstaatssekretär Holtz: Sie werden wie bei der Plenar-tagung pro Tag 15 Mark, Erstattung der Reisekosten hierher undzurück und Freifahrscheine während der Tagung erhalten.Abg. v. Brandenstein(k.): Man hätte' das doch lieber gesetzlichregeln sollen.Das Hau? erteilt die Z u st i m m u n g zur Vertagung und er-«tedigt eine Reihe PetitionenAbg. Dr. Liebknecht(Soz.) beantragt, am 7. Juni auch denBinnenschifferantrag zu beraten.Der Antrag wird angenommen.Freitag, 7. Juni. 12 Uhr: Kleine Vorlagen und Anträge.Schluß 4'/« Uhr._Ens der Partei.Wahlrcchtskundgebungen.In Halle(Saale) protestierte die Arbeiterschaft in zwei vonTausenden besuchten Versammlungen gegen die Gewaltakte despreußischen Abgeordnetenhauses. Die Referenten, ReichStagsabgg.Fritz Kuirert und Redakteur Karl Bock, die als letztes Mittel gegendas Treiben der Reaktion den Massenstreik bezeichneten, fandenstürmischen Beifall.In Erfurt nahmen 12—1300 Personen an der Protest-Versammlung teil. Genosse Pieck aus Berlin hielt eine scharfe,gründliche Abrechnung sowohl mit den wahlrechtsfeindlichen Junkernund Junkergenossen, wie mit ihren liberalen Helfershelfern, und mitdem wieder kühner denn je austretenden Absolutismus. Die Polizeiverhielt sich sehr zurückhaltend.Sehr gut besuchte Protestversammlungen gegen die Dreiklassen-skandale und gegen die kaiserlichen Drohreden wurden auch abge-halten in Eilenburg, Delitz sich, Wittenberg, Torgau,E i s le b e n und A r t e r n, sowie in Remscheid.Die in Köln und den Vororten Ehrenfeld und Kalk statt-gehabten Versammlungen waren überfüllt. Die Resolution, die ein-stimmige Annahme fand, wendet sich mit besonderer Schärfe gegendas Zentrum, das durch Abkommandierung nahezu der Hälfteseiner Wgeordneten einen Beschluß zugunsten des ge-Heimen und direkten Wahlrechts hintertrieben und dadurch selbst dieallerbescheidenste Reform des elendesten aller Wahlsysteme verhinderthat. Zwischenfälle sind nicht vorgekommen; die Polizei hatte um-fassende Vorbereitungen getroffen, bekam aber keine Arbeit. Manhatte die Zahl der berittenen Schutzleute dadurch vermehrt, daß manDcutzer Kürrassiere in Schutzinannskleiduug steckte.In D a n z i g wurde in einer von 2000 Personen besuchten Ver-sammlung eine Protestresolution einstimmig angenommen.Im Hanauer Reich StagSwahlkreis fanden drei starkbesuchte Versammlungen statt, die gegen die Dreiklaffenschmachin Preußen protestierten, und zwar in Hanau. Bockenheim undFechenheim.Die Arbeiterschaft der Unterweserorte(Bremerhaven-Geestemünde-Lehe) unternahm am Mittwoch in drei imposantenVersammlungen eine wuchtige Demonstration gegen die Wehr-vorlagen, gegen die Reaktion und gegen die politische KurS-verschärfung._Partei oder Mandat?Man schreibt uns aus Württemberg:Am Sonntag, den 19. Mai, hat die Bozirkskonferenzin Göppingen an Stell, des Inhabers des LandtagSmandatsGcnoffen Dr. L i n d e in a n n den Genossen Kinkel- Göppingen, derzurzeit den Bezirk Welzheim im Landtag bertritt, zum Kandidatennominiert. Der Wechsel derKandidatur wurde nach mehrstündiger griind-licher Aussprache mit 03 gegen 31 Stimmen beschloffen. Die Gründe, diezu diesem Beschluß führten, wurden vom Kreisvorsitzenden GenoffenSchepperle dahin zusammengefaßt,„daß der bisherige Reichs-tagskandidat und Abgeordnete für den Bezirk Göppingen, GenosseDr. Lindemann, in bezug auf die taktischen und prinzipiellenAnschauungen mit der Mehrheit des 10. ReichStagSwahlkreffeS wieauch des Bezirks Göppingen nicht übereinstimme. Aus diesem und demweiteren Grunde, daß derselbe bei seinem geschwächten Äcszv.dheits-zustande den Strapazen eines Wahlkainpfes nicht im gewünschtenMaße nachzukommen vermöge, ihm dagegen auf dem Proporzzettel(der 17 vom ganzen Land zu wählenden Abgeordneten) aller Wahr-scheinlichkeit nach ein Platz zugeteilt werde, der seine Wiederwahl inden Landtag ohne größere Anstrengung ermögliche, schlage derKreisvorstano einen anderen Kandidaten in der Person des GenossenKinkel vor, der durch jahrzehntelange, aufopfernde Tätigkeit inder Partei, wie auch durch seine seitherige Landtagstätigkeit dasVertrauen der Parteigenossen in Stadt und Land erworben habe.". Der Beschluß der Bezirkskonferenz zeitigte in der bürgerlichenPreffe das übliche Nachspiel. Genosse Dr. Lindemann wurde inallen Tonarten gepriesen, die bösen Radikalen und insbesondereGenosse Kinkel mit Schmutz überhäuft. Die Kampagne in derbürgerlichen Presse scheint aber nur da? Vorspiel bilden zu sollenfür einen ähnlichen Coup, wie er in Stuttgart bei der letztenGemeinderatswahl mit Erfolg durchgeführt wurde. Dienstag, am21. Mai wurde nämlich an den Plakatsäulen in Göppingenfolgender Austuf veröffentlicht:Parteigenossen in Stadt und Land! Ich be-absichtige, dem Kreisausschuß folgenden Antrag zu unterbreiten:Die Unterzeichneten hegen die Befürchtung, daß die«ufftellungdes Genossen Kinkel zur Landtagskandidatur gleichbedeutend mitdem Verlust des Mandats sei. Wir beantragen: Der KreisauSschußhat eine Urabstimmung vornehmen zu lassen über die Frage: ObLindemann, ob Kinkel alS Kandidat aufzustellen ist. Da ich alseinzelner einen solchen Antrag nicht stellen kann, bitte ich die Gc-Nossen von Stadt und Land, welche für eine Urabstimmnng sind,mir mit Postkarte Antwort zukommen zu laffen. Als Zustimmunggilt die Angabe des Namens und des Ortes der Mitgliedschaft.Mit Parteigruß: Julius Brückner.Der unterzeichnete Genosse Brückner, Gemeinderat in Göppingen,ist ein Anhänger des Genossen Dr. Lindemann. Damit ist derKampf gegen die von der Bezirksversammlung ordnungs- undstatutengemäß aufgestellte Kandidatur Kinkel offiziell eröffnet. Manmag nun zu dem Kandidatenwechsel stehen wie man will, nachdemdie zuständige Parteiorganisation durch ihre gewählten Vertreter ge-mäß den statutarischen Bestimmungen die Kandidatenfrage erledigthatte, war es für jeden Parteigenossen selbstverständliche Pflicht.seine ganze Kraft für diese Kandidatur einzusetzen. Statt dessendieser Vorstoß, dessen Wirkung nur sein kann, die Einigkeit und Ge-schlossenheit der Partei zu schwächen und das Mandat ausS äußerstezu gefährden._Zu den Solinger Streitigkeiten.Die„Kölnische Zeitung' hatte unlängst von Differenzen inder Solinger sozialdemokratischen Partei zu berichten gewußt. Essollten infolge der Haltung der Partei in den Solinger GeWerk-schnftsstreiligkeiten zahlreiche Austrittserklärungen angemeldet wordensein, die bei verschiedenen Bezirksvereinen des sozialdemokratischenWahlvereinS angeblich bis zu 8/i der Mitglieder umfassen. DaSBlatt veröffentlicht nun eine Zuschrift des sozialdemokratischenParteisekretärs in Solingen, in der es zum Schluß heißt:„Wirstellen demgegenüber fest, daß im ganzen Wahllreise drei Mitgliederwegen der Gewerkschastsstreitigkciten ihren Austritt aus dem Volks-verein vollzogen haben. Unsere Mitgliedcrzahl betrug am 1. Januar1912: 3760, sie beträgt heute 3927. Wie man demnach davon redenkann, daß die Austritte bei verschiedenen Bezirksvereinen bis zu 9/«der Mitglieder umfassen, ist ebenso unwahr wie unverständlich.peUzcUtcfces, Oeriebtttebes ufa.Mal so, mal so.Das Landgericht Meiningen verurteilte kürzlich den RedakteurGenossen Zorn vom. Saatfelder.Bolksblatt' zu einer drei-wöchentlichen Gefängnisstrafe, weil er in einer Rotizeinen Malzfabrttaiiten. der in einer Wählerversammlung die sozial-demokratische Partei angegriffen hatte, beleidigt haben soll. DaSOberlandes gericht Jena verwarf die Revision mit der Begründung,daß Genosse Zorn keine berechtigten Interessen ver-treten habe, der Angriff des Beleidigten fei gegen diePartei und nicht gegen ihn als Anhänger gerichtet gewesen.Dann hatte er aber kein eigenes Interesse, und dieInteressen der Sozialdemokratischen Partei zuschützen, war er(der sozialdemokrattsche Redatteur und Mitgliedder Sozialdemokratischen Partei) nicht berufen.So das Oberlandesgericht in Jena. Anders das Schöffen-gericht in Landeshut i. S ch l. Dort war der verantwortlicheRedakteur der konservativen„LandeShuter Zeitung' wegenBeleidigung des fortschrittlichen Bürgermeisters Achilles aus Saganangeklagt. Der Bürgermeister hatte eine Verfügung erlassen, in dergesagt war, daß alle Lehrer, die es abgelehnt hatten, sich ehren-amtlich bei der Volks- und Viehzählung zu beteiligen, auch an dergewerblichen Volksschule nicht zur Verwendung kommen sollen. Dadie Verfügung vor den ReichZtagswahlen erschien und nach Ansichtder„LandeShuter Zeitung' die konservativen Lehrer am meistendavon betroffen werden sollten, wurde die Verfügung außer-ordentlich scharf kritisiert. Der fortschrittliche Bürger-meister fühlte sich dadurch beleidigt und verklagte den konservativenRedakteur. DaS Gericht erkannte aber auf Freisprechung undzwar mit folgender Begründung:Die Interessen, für die der Angeklagte eintrat, lagen darin,nicht nur als Redakteur eines konservativenBlattes, sondern auch als Vertreter feinereigenen konservativen Gesinnung der Wahlagitationder Freisinnigen Volkspartei entgegenzutreten und die Wahl vonmöglichst viel konservativen Kandidaten herbeizuführen. Dazukomme, daß von dem Bestehen der konservativenPartei das Bestehen der konservativen Presseund schließlich die Existenz des Angeklagten ab-hänge. Wenn auch die gewählten Ausdrücke sehr scharf seien, somüsse man doch in Betracht ziehen, daß sie in der VorbereitungSzeitzu den Wahlen gefallen sind.Man vergleiche beide Urteilsbegründungen und die Schluß-folgerungen über den Rechtsgrundsatz„Vor dem Gesetz sindalle gleich' sind wirklich nicht schwer zu ziehen.Nachklänge vom Wahlkampf. Genosse Arno Reichard inWeißwasser, der vom dortigen Schöffengericht wegen Beleidigungeines Generaldirektors erst im Januar zu drei Monaten Ge-f ä n g n i s verurteilt wurde, ist am 22. Mai wiederum zu vierWochen Gefängnis verurteilt worden, weil er einen Reichs-verbändler namens Wohlfahrt in einer Protestversammlung, die ausAnlaß seiner ersten Verurteilung abgehalten wurde, in seiner Ehregekränkt haben soll.Der freisinnige Redakteur Richter wurde zn der hohen Strafevon 60 M. verurteilt, weil er die Tatsache öffentlich kritisierthatte, daß der Reichsverbändler Gewährsmänner des freisinnigenRedakteurs als Schweinehunde bezeichnet hatte. Dem Reichs-verbändler, der die auch sonst bestättgte Aeußerung„Schweinehunde"zugab, wurde kein Haar gekrümmt, die Widerklage des Redakteurs.die deswegen erhoben wurde, ist glatt abgewiesen worden.?ugenäbev?egung.„Arbeiter-Jugend".An? dem Inhalt der soeben erschienenen Nr. 11 heben wirhervor: Arbeitsschule. Bon B. Zimmermann.— Die Heber»produktton. Von Gustav Eckstein.— Wie ich in der Prüfung„Sehrgut" bekam und doch nichts konnte. Vnn Alwin Rudolph.— DieVerdauung. Von A. Lipschütz(mit Illustration).— Die öfter-reichische Jugendorganisatton. Von Anton Jenschik-Wien.— Kriegs-spiel I— Vom Kriegsschauplatz.— Die Gegner an der Arbeit. Usw.Beilage: Mutter sei froh I Erzählung von Gustav Finke-Bülter.— Pfingstmorgen. Gedicht von Ernst Preczang.— Der KBrief und seine Geschichte.�<Schluß.) Von Richard Wagner.(Illustriert.)— Schule. Von Paul Schurek.— Der Geburtstag. Von Emma taDöltz.— Allerhand Kurzweil.Hue Induftrie und ftandel.Vorstoß des amerikanischen Tabaktrusts in Deutschland?Die„Tabakwelt'(Zeitschrist für den Detailhandel und In-dustrie der Tabcrkbranche) ist in der Lage, über Pläne des amerika-nischen Tabaktrusts, die er in Deutschland durchzuführen gedenkt.zu berichten. Vor kurzer Zeit hat sich das Haupt des Trusts Mr.I. B. Duke, nach Europa begeben und in London persönlich dieLeitung der British-American Tobacco Co. übernommen.„Eswird bekannt, daß auch Mr. Whelan, der Präsident der UnitedCigar Stores Co.. mit kurzer Unterbrechung schon seit Anfang desJahres sich in Europa befindet, um die Chancen eines großzügigenVorgehens des Trusts mit unter seiner Kontrolle stehenden Groß-filial-Unternehmungen zu studierest. Gerade die günstigen, vonMr. Whelan eingesandten Berichte sollen es sein, die Mr. Dukedarin bestärkt habe», seinen Plan der Begründung großer Detail-laden-Ketten unverzüglich in Angriff zu nehmen.Dem Bericht nach stcht bereits fest, daß die erste Reihe vonLäden in erreichbar kürzester Frist in England eröffnet werdenwird und daß sich unmittelbar hieran die Begründung von Detail-laden-Unternehmungen in Deutschland und der Schweizanschließen soll. Bereits jetzt sind ausgewählte Agenten inLondon, Manchester, Liberpool und anderen großen Städten Eng»lands, ebenso in Glasgow und Edinburgh an der Arbeit, um übergeeignete Läden zu verhandeln und solche dem Trust zu günstigenBedingungen zu sichern. Andere Agenten sind bereitsnach den Haupt st ädten Deutschlands und derSchlveiz in der gleichen Mission entsandt.Wenn die Unternehmungen, wie Mr. Duke nicht bezweifelt, sichin diesen in erster Linie aufzunehmenden Ländern als erfolgreicherweisen, soll späterhin auch in anderen monopolsteien LändernEuropas, vor allem in Belgien und Holland, in fernerer Zukunftauch in Dänemark, Schweden und Norwegen in der gleichen Weiseborgegangen werden. Die Finanzierung aller Detailladen-Kettenwird selbstverständlich die British American Tobacco Co. überneh-men. Soweit England in Frage kommt, scheint man nach denjetzigen Mitteilungen auch kein Bedenken zu tragen, die Lädenoffen unter dem Namen dieser Gesellschaft zu eröffnen. Andersin Deutschland und der Schweiz, wo an dem englssch-ameri-kanischcn Namen Anstoß genommen werden könnte. Hier dürfteder Plan in der Form von Gruppenunternehmun-gen durchgeführt werden, dieunterverschiedenenNamen operieren."Auch der Vizepräsident der United Cigar Stores Co., Mr.Collin, hat gelegentlich der Eröffnung der ersten Trustläden inNashville(Amerika) erklärt:„In kurzer Zeit werden wir nunmehrauch Zweigunternehmungen in England, Deutschland und derSchweiz ins Leben rufen, wo der Präsident unserer Gesellschaft,Mr. Whelan. bereits seit Monaten mit den Vorarrangements be-schäftigt ist."Zwar hat die British-American Tobacco Co. jede derarttge Ab-ficht in der nächsten Nummer der„Tabakwelt" geleugnet. Aber die„Offizielle Zeitung der Deutschen Zigarrenladen-Jnhaber" teiltauch bereits mit, in welcher Form von Gruppenunternehnmngen.die unter verschiedenem Namen operieren werden, der Trust arbei-ten will.„... Al» stilles Geheimnis geht durch die Branchen, daßder Trust außer den Firmen Georg A. JaSmatzi A.-G. undI o s e t t i G. m. b. H. noch andere Fabriken erworben habe."Für die Firma Jasmatzi ist zwar auf der letzten General-Versammlung von dem Vorsitzenden des AufsichtSrats erklärt wor-den, daß sie mit dem Trust in keiner Weise liiert sei, daß sie ins-besondere keine Aktie der Gesellschaft besitze, noch je besessenhabe. Sehr glaubwürdig kann uns diese ganze Mitteilung nichterscheinen, da die Gencraldirektion der Jasmotzi�iesellschast i»einer„Berichtigung" im„Vorwärts" vom 26. Oktober 1905 selbsterklärt hat, daß sie an der American Tobacco Co. beteiligt gewesenist:„Im Gegenteil, in einem Kalender« den die Georg A. Jqsmatzi