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Hieran ist natürlich so viel richtig, daß der FiskuS ebenso wie jeder Privatbesitzer im einzelnen Fall dein oder jenem, der ihm nicht gefällt, nicht zu verkanfen branckt. Sobald er aber ganz allgemein durch ein Gesetz oder auch durch all» gemeine Berordnung durch Berlvaltungsbehörden einer bestimmten Anzahl von Staatsbürgern, die er persönlich gar nicht kennt, das stecht zum Kauseil abspricht, verstößt er g?zen den Grundsatz der Rechtsgleichheit. So wie Herr Beseler hat bisher kein Mensch die Verfassung verstanden. Und alle diejenigen, die bisher darauf bauten, daß die Verfassung das gleiche Recht garantiere, werden nicht schlecht auf- schrecken, wenn sie erfahren, mit welcher Leichtigkeit man auch das gerade Gegenteil herauslesen kann. Wenn das aber bei diesem einen Punkt der Verfassung so leicht geht, dann natürlich auch bei allen anderen und überhaupt bei allen Gesetzen. So ist, wenn es eine hohe Regierung gerade nötig hat, die Verfassung, Gesetz und Recht mit eurer leichten Handbewegung tatsächlich aufgehoben. Ob nicht einst die Urhever solcher Auslegungen ein Grauen erfassen wird über die Wirkung ihrer Tätigkeit? Die lachenden Erben sind wir Sozialdemokraten! verlegene! Schweigen. Die Entscheidung des Papstes gegen die christlichen Ge° tvcrkschaften hat den klerikalen Blättern die Rede verschlagen. DieGermania ", die die Antivort des Papstes veröffentlicht hat, enthält sich jeden Kommentars, und dieKöln . Volksztg." unterschlägt sie ihren Lesern bis auf einen kurzen Absatz natürlich nur darum, weil ihr derauthentische Wortlaut nicht bekannt" ist. Dafür behauptet sie kühn, daß dieAntwort eine Beziehung auf die christlichen Gewerkschaften vollständig ausschließe". Und dabei muß das Blatt selbst zugestehen, daß der Papst auf ein Telegramm der am 27. Mai in Frankfurt abgehaltenen Versammlung des Kartellverbandes der katho- tischen Arbeitervereine West-, Süd- und Ostdeutschlands, die auf dem Boden der Kölner Richtung stehen, gar nicht geantwortet hat. Wie lächerlich überhaupt die Verlegenheitsausrede' der Köln . Volksztg." ist, erkennt man am besten, wenn man die Adresse der katholischen Arbeitervereine liest, bei deren Ueber- reichung die päpstliche Kundgebung erfolgte. Es wird darin von der Organisation der katholischen Arbeitervereine gesagt: Sie verwirst den Grundsatz, daß die Arbeit und das Wirt- schaftsleben alsreinwirtschaftlich" anzusehen sind und dadurch aus dein Konnex mit dem übernatürlichen Leben und der Verbindung mit Gott und dem letzten Ziele gerissen werden Sie verwirft mit der Enzyklika Reruna novarurn insbesondere die Vorstellung, daß zwischen dem Stande der Arbeitgeber und Ar» beiter ein natürlicher Gegensatz bestehe; sie erkennt vielmehr mit derselben Enzyklika an, daß beide Stände durch- aus auf einander angewiesen und von Natur zu b e i d e r« fertigem friedlichen Zusammenwirken berufen sind. Gerade um dieses friedlichen Zusanunenivirkens willen ist aber unser Verband Gegenstand der heftigsten Anfeindungen seitens aller jener Arbeiterverbände geworden, welche ihre Hoffnung vorzugsweise auf den wirtschaftlichen Machtkampf setzen. Der Verband der katho» lischen Arbeitervereine(Sitz Berlin ) erstrebt den Frieden in der Gesellschaft und erweist sich deshalb als eine eminent st a a t s- erhaltende Macht, als festes Bollwerk gegen den Umsturz sowie als sichere Stütze der gesellschaftlichen Ordnung und ftaat- lichen Autorität.... Wie der Verband der kaiholischen Arbeitervereine(Sitz Berlin ) gemäß den Weisungen der Kirche ganz auf der Religion aufgebaut ist und deren Lehren im praktischen Leben zu verwirklichen bestrebt ist, so erklärt er auch, daß sowohl seine einzelnen Mitglieder, als insbesondere auch die die Besserung de? Lohn» und Arbeitsverhältnisses erstrebenden Gewerkschaflsorganisationen als solche in Fragen der Religion und Moral derjenigen Instanz unter st ehe», welcheGott selb st alsHüterin feines Gesetzes eingesetzt hat, und zwar auch für das öffentliche Leben. Offen und frei bekennt sich deshalb der Berliner Verband in seinem ganzen Wirken zur Autorität des Heiligen Stuhle« und der von Gott eingesetzten Hirten der Kirche, wohl wissend, daß alles Heil und alles Wohl der ein- zelnen wie der gesamten menschlichen Gesellschaft nur durch die Verbindung mit derjenigen Autorität zu erzielen ist, welche von Gott selbst zur Verkündigung seines Gesetzes eingesetzt ist. Um dieser dreifachen Richtlinie willen wird der Berliner Verband von vielen Seiten bekämpft, insbesondere von allen, welche lehren, daß die Bestrebungen zur Besserung des Lohn- und ArbeitSverhält- nisses als angeblichrein wirtschaftlich" mit der Religion keinen Zusammenhang haben, und daß deshalb diejenigen Organisationen, welche diese Bestrebungen verfolgen, als solche der Jurisdiktion der Kirche nicht unterstehen." Die Adresse ist ein Pronuuziamento der Berliner Richtung gegen die Kölner und jedes Wort hat eine dcnunziatorische Spitze gegen die christlichen Gewerkvereine. Denn alle Grund- sätze, die hier verworfen werden, werden entweder von den Christen" vertreten.. oder ihnen wenigstens von ihren streng- konfessionellen Gegnern unterschoben. Und der Papst ant- wartet auf diese Denunziation, indem er den Denun- zianten in alleni und jedem recht gibt, ihre Grundsätze billigt, die der anderen verwirft! Und da wagt dieKöln . Volksztg." noch die Behauptung, daß nicht die christlichen Gewcrkvereine, nicht die Kölner Richtung überhaupt gemeint sei? Glaubt sie wirklich daran, sie hätte schon längst die päpstliche Kundgebung veröffentlicht. In Wirklichkeit möchten die Bachcmiten nur Zeit gewinnen für ihre Auslegungskünste. Aber die werden an der klaren Kundgebung des Papstes scheitern, der will, daß die katholi- scheu Arbeiter nicht den Gewerkvereinen, sondern der katholischen Arbeitervereinen angehören sollen. Für die Industriearbeiter des katholischen Volksteils gibt es danach nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie müssen sich den Arbeitervereinen(Sitz Berlin ) anschließen und sich in ihren: ganzen privaten und öffentlichen Leben vorbehaltlos der Führung durch die römische Kurie un-r erwerfen. oder sie müpen entschlossen a u f den Boden der niodernen Arbeiterbewegung treten, die nicht nach den religiösen Anschauungen des einzelnen fragt, aber den arbeitenden Massen des Volkes in politischen und wirtschaftlichen Fragen ein vollkommen freies Selbstbestimmungsrecht zuspricht. Was dazwischen ist. ist vom Uebel. Den christlichen Gewerkverenien ist durch die päpstliche Kundgebung der Boden unter den Füßen weggezogen.. Sie marMsniiche Gefahr. Mehr und mehr wird den Franzosen klar, daß diefried- liche Durchdringung" Marokkos sich als das entpuppt, was es in Wirklichkeit ist: Die militärische Eroberung eines feind- lichen Landes. Die durch Diplomatenschacher zustande ge- komnieiie Protektoratsvollmacht kann nur durch die Gewalt des Säbels in die Praxis umgesetzt werden. Bei der Natur des Landes und der Eigenart der fanatisch islamitischen Be- völkerung wird die Durchführung des französischen Pro- tektorats über Marokko eine Neuauflage der jahrzehntelangen Kämpfe um den Besitz Algeriens sein. Mit den rund 50(XX) Mann, die Frankreich jetz� auf marokkanischem Boden stehen hat, wird es auf die Dauer nicht auskommen. Was wir schon oft, und zuletzt erst wieder bei der Beurteilung der deutschen Wehrvorlagen betont haben, daß nämlich die Festsetzung Frankreichs in Marokko die Republik auf lange hinaus militärisch schwächen werde, wird durch die Ereignisse bestätigt. In ganz Marokko ist jetzt der Aufruhr zu hellen Flammen emporgelodert: im Süden, wohin überhaupt noch kein französischer Soldat gekommen ist, haben die rebellischen Stämme einen Gegensultan aufgestellt, im Mulnjagebict stößt die französische Kolonne auf starke Streitkräfte vereinigter Stämme, im Schaujagebiet ist die Lage gleichfalls sehr kritisch, am schlimmsten aber ist die Lage der Fran- zosen in Fez, das von über 20 000 Berbern umzingelt wird. Die Aufständischen greifen energisch die Hauptstadt an und haben schon in die Stadtmauer Bresche gelegt, so daß die französische Besatzung der Stadt und die zu Hilfe geeilte Garnison der südlich von Fez gelegenen Stadt Mekines kaum ausreicht, den Ansturm der fanatischen Berberscharen abzuwehren. Das schlimmste bei alledem ist aber, daß aus dem Auf- stände allerlei internationale Verwickelungen entstehen können, da Frankreich nicht in der Lage ist, seinen durch das Protektorat übernommenen Pflichten anderen Mächten gegen- über nachzukommen. So wittern die deutschen Marokko - Hetzer wieder Morgenluft und suchen die Affaire der Farm Renschhausen und die Festhaltung Deutscher in Tarundat (darunter auch zwei Brüder Mannesmann) zu großen Staats- aktionen aufzubauschen. Es ist daher mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Marokkoaffäre uns auch in diesem Sommer in Atem halten wird; jedenfalls hat der deutsch -französische Marokkovertrag die Gefahren, die dem europäischen Frieden aus dem nordwestafrikanischen Wetterwinkel drohen, noch nicht be- seitigt. Die deutsche und französische Arbeiterschaft hat auf jeden Fall alle Ursache, die Augen offen zu halten. Am allerwenigsten hat die deutsche Arbeiterschaft Ursache, sich in einen Konflikt mit Frankreich hineinhetzen zu lassen. Wenn deutsche Kapitalisten, wie die Brüder Mannesmann, die die Situation in Marokko genau kennen, sich in Gefahr begeben, so mögen sie auch die Folgen ihrer verwegenen Profitpläne tragen: man mute aber dem deutschen Volke nicht zu, für die abenteuerlichen Privatinteressen von ein Paar mit keinerlei Verantwortlichkeitsgefühl belasteten Herren die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Eine pessimistische Kundgebung des Generals Lyantey. Paris , 30. Mai. In der bereits erwähnten Depesche des Generals Lyantey über die Lage in Fez heißt es: ES ist unerläßlich, die ehemaligen Behörden, von denen keine Spur mehr vorhanden ist, schnellstens wieder einzusetzen. Ich habeim Laufe meiner Unterredung mit dem Sultan er» k a n n t, daß wir uns hier wie in Feindesland befinden und nur auf unsere Truppen, jedoch auf keinerlei lokale Unter st ützung rechnen dürfen. Im Einvernehmen mit dem Konsul Gaillard und dem General Moinier habe ich bereits Maßnahmen ergriffen, um wenigstens dem Anschein nach die Autorität des Machsen wieder herzustellen. Ich appellierte an die- jenigen eingeborenen Persönlichkeiten, die noch etwas Ansehen und Einfluß besitzen, und diese werden die traditionellen täglichen Audienzen beim Großwestr wieder aufnehmen. Die Kämpfe um Fez. Paris , 30. Mai. Aus Fez wird unter dem 27. Mai gemeldet: Die Nacht, von der man glaubte, sie würde unruhig verlaufen, ist, abgesehen von einigen Gewehrschüssen, die aus den Gärten abge- feuert wurden, ruhig vorübergegangen. Alle Vorsichtsmaßregeln waren getroffen, die Garnison war verstärkt worden. Jeder war bewaffnet wie an den Tagen des Aufruhrs. Der Feind rührte sich nicht. Die Haltung der Bevölkerung war ruhig. Die energischen Maßnahmen, welche die Franzosen ergriffen hatten, um einen An- griff zurückzuweisen, riefen einen ausgezeichneten Eindruck hervor. Drei Heiligengräber, die im Osten der Stadt bei Tandert liegen, und den Meuterern und Plünderern seit den Tagen des April als Zufluchtsort dienten, sind durch Genietruppen mit Melinit in die Luft gesprengt worden. Die Haltung der Stämme im Westen ist unbekannt. Wenn diese gegen Fez marschierten, würde die Lage kritisch und eine Verstärkung der Truppen notwendig werden. Augenblicklich liegen in Fez und Dardebibagh sieben Bataillone mit 4500 Mann, außerdem Kavallerie und Artillerie. Eine energische Offcnsivbewegung ist also unmöglich, wenn die Stadt von allen Seiten angegriffen wird. Ein Bataillon Verstärkungen ist für morgen angekündigt, ein anderes für den 1. Juni. Bei dem An- griff am 25. und 23. Mai wurden auf französischer Seite ein Offizier getötet, zwei schwer und drei leicht verwundet. Der Feind hatte beträchtliche Verluste. In den Verschanzungen des Lagers der Abteilung Fellert ließ er 35 Tote zurück; viele Tote hatte er mit fortgetragen. Der Kampf war einer der schwersten, den die Fran- zosen bisher in Marokko zu bestehen hatten. Infolge dieser Er- eignisse wurden die Unterredungen zwischen dem Sultan und dem General Lyauteh aufgeschoben. Am Abend des 28. Mai hatte eine Abteilung französischer Truppen, die aus 3 Bataillonen, 3 Batterien und 5 Eskadronen Kavallerie bestand und außerhalb der Stadt Wache hielt, ein Gefecht mit einer feindlichen Abteilung, die von dem im Nordwesten der Stadt liegenden Berge Talag! herabkam. Aus Saffi wird vom 25. Mai gemeldet: Die Gegend be- findet sich in Aufruhr. Die Mehrzahl der Albastämme hat sich gegen ihren Kaid empört. Die eingeborenen Polizeitruppen sind durch Gerüchte, sie könnten möglicherweise nach anderen Orten ge- schafft werden, erregt. Paris , 30. Mai. Wie General L y a u t e y gestern abend tele- graphiert, haben am 28. Mai nachmittags erhebliche Streitkräfte die Ikord- und O st front der Stadt Fez angegriffen, sind aber zurückgeschlagen worden. Einige hundert Berber drangen in die Stadt ein und einen Augenblick fürchtete man, die Straßen der Stadt Schritt für Schritt verteidigen zu müssen. Infolge der getroffenen Maßnahmen besserte sich die Lage in der Stadt jedoch gegen 10 Uhr abends. Da die Feinde durch die Kämpfe außerhalb der Stadt erschöpft waren und die Bevölkerung sie nicht unterstützte, verloren sie die Fühlung mit den französischen Truppen, ergriffen jedoch beim Tagesgrauen am 29. Mai die Offensive im Norden von Fez. wo in einer Entfernung von 10 Kilometern feindliche Ansammlungen bemerkt wurden. Man erwartet für den Abend Verstärkungen aus Mekines, die große Munitionsvorräte mitbringen. Der Sultan war zuerst sehr erschrocken, beruhigte sich aber gegen Abend infolge der fortgesetzt beruhigenden Nachrichten. Lyantey bemerkt hierzu, daß er beim Diner mit dem Sultan versuchen werde, im Einvernehmen mit diesem Maßnahmen zu treffen, um die guten und einflußreichen Elemente der Stadt zufriedenzustellen und die Stämme zum Auseinandergehen zu bewegen. Von dem Erfolg des Generals Alix am Muluja , der gestern hier bekannt wurde, er» wartet man gleichfalls einen wirksamen Eindruck. Die Lage in der Stadt ist augenblicklich besser. Die Franzosen haben fünf Tote und acht Verwundete. Ein neues Gefecht am Mulujaflusse. Paris , 29. Mai.Journal" meldet aus Udschda: Die Kolonne Giradot, welche sich auf dem Wege nach Saf Safat befand. stieß auf eine bedeutende Gruppe des Stammes der Uruain, der sie erhebliche Verluste beibrachte. Auf feiten der Franzosen waren 2 Tote und 10 Verwundete der Fremdenlegion, darunter ein Offi- zier. In Udschda herrscht große Aufregung unter den Eingeborenen. 88 Marokkaner sind verhaftet worden. Der Posten wird verstär« werden. Französische Verluste. Paris , 30. Mai. Nach einer Blättcrmeldung betrugen die V e r- lnste der Franzosen bei den in den letzten Tagen von den Marokkanern auf Fez unternommenen Angriffen insgesamt 4 3 Tote und über 70 Verwundete. politilcbe Qeberficbts Berlin, den 30. Mai 1912. Wo bleibt das liberale Gewissen? Unser Leitartikel über den skandalösen Fall des Sohnes des Genossen Düwell, der wegen Uebertretung des Reichsvereins- gesetzes nicht nur zu einer Geldstrafe von 3 M., sondern auch zur Annullierung seines Einjährigen-Examens und zur Nichtzulassung zum Abiturientenexamen verurteilt worden war, hat erstaunlicherweise in der bürgerlichen Presse ebensowenig Widerhall gefunden, wie seinerzeit die aus demselben Anlaß gehaltenen Reden der Genossen Schulz und Frank im Reichstage einer Resonanz bei den bürgerlichen Parla» mentariern begegneten. Und doch bildet dieses Vorgehen gegen den jungen Düwell das tollste, was uns in der RechtloSmachung der Anhänger sozialistischer Ideen bisher in Preußen-Deutschland bekannt geworden ist. Man sage uns nicht, daß die Sozialdemokratie, die ja das Ein» jährigenprivilcg als Geldsackprivileg bekämpfe, auf die parteiische Ungültigerklärung der Einjährigenberechtigung kein Gewicht zu legen brauche. Gegen die generelle Beseitigung des eigent. lichen Privilegs wäre selbstverständlich nicht das geringste ein- zuwenden: das Unerhörte und Ungeheuerliche besteht aber gerade darin, daß man es für Personen trotz des vorgeschriebenen wissenschaftlichen Nachweises der Befähigung zum Einjährigendienst ausnahmsweise für solche jungen Leute außer Kraft setzen will, die, wie der junge Düwell. sozialistischer Ge- sinnung verdächtig sind i Etwas so Ungeheuerliches war selbst vor 20 Jahren noch nicht möglichl Wurde doch dem Per- fasser dieser Zeilen, als er sich damals zum Einjährigendienst stellte, nicht die geringste Schwierigkeit aus der Zivil- und Militär- behörden hinlänglichst bekannten Tatsache gemacht, daß er bereits seit geraumer Zeit Redakteur eines sozialdemo» kra tischen BlatteS und Verfasser zahlreicher Thron und Altar gefährdender Artikel war! Heute aber soll schon die Zugehörigkeit zu einem proletarischen Jugendverein und die mit 3 M. geahndete Uebertretung des Vereinsgesetzes dazu genügen, um einen Einjährigen seines Rechtes zu berauben! Das ist ein Ausnahmezustand so pro- dozierender Art, daß es geradezu unbegreiflich ist. wie sich die bürgerliche, namentlich ober die liberale Presse solch Ungeheuerlichkeiten gegenüber auszuschweigen vermag! Mindestens ebenso ungeheuerlich ist das andere Faktum, daß Düwell auch die Ablcgung des Abiturientenexamens, also die Pforte zum ordnungsgemäßen akademischen Studium, versperrt worden ist, weil er sich einer Kontravention gegen das Vereinsgesetz, die mit 3 M. Geldstrafe geahndet wurde, schuldig gemacht hatte. Daß Schüler und Studenten, die sich sozialdemokratischer Betätigung schuldig machen(um solch furchtbares Verbrechen handelte es sich ja bekanntlich im vor- liegenden Falle nicht einmal) relegiert werden, ist ja eine zwar bekannte, aber nichtsdestoweniger skandalöse Tatsache. Aber Düwell war ja, als er das Verbrechen beging, sich an der Gründung einer Jugendorganisation zu beteiligen, gar kein Schüler, sondern KaufmannSlehrling! ES ist also eine potenzierte Ungeheuerlichkeit, daß man Düwell die Ablegung des Abiturientenexamens und den ordnungsgemäßen Zutritt zum Universitätsstudium durch den lächerlichen Hinweis darauf unmöglich machte, daß er ja wegen Vergehens gegen das Vereinsgesetz bereits zu 3 M. Geldstrafe verurteilt worden sei und demnach des erforderlichenmoralischen Rufes" entbehre! So sehr uns das persönliche Opfer eines solch skandalösen Klassenregiments leid tun mag. so ist es doch nicht die Rücksicht auf die vernichteten Zukunftspläne eines einzelnen, die uns Stellung zu solch preußischen Barbareien nehmen läßt, sondern die Pflicht, hier wieder einmal klipp und klar festzustellen, daß in Preußen-Deutschland die Staatsbürger, rechte nicht nach verfassungsmäßigen und ge, etzlichen Grundsätzen bemessen, sondern nach der brutalen Willkür der herrschenden Parteien und Klassen berücksichtigt werden! Handelt es sich doch um nichts Geringeres als um das Zu- geständnis, daß im Prinzip allen Anhänger» der stärksten Partei nicht nur das Recht deS einjährig, reiwilligen Militärdienstes, sondern auch das Recht des Universitätsstudiums verweigert werden soll! So skandalös und aufreizend ein solches Bekenntnis zur f ch l e i e r- losesten Klaff« npolitik auch sein mag, noch skandalöser ist das Faktum, daß sich außer zwei sozusagen parteilosen Ullstein- bläftern bis jetzt kein Blatt gefunden hat, das unsere Dokumente ungeheuerlichster preußischer Unkultur mit den entsprechenden Glossen wiedergegeben hätte! Die Reichstagsneutvahl für Hagenow -GredeSmühle», ist bereits auf den 20. Juni angesetzt worden. Die Ersatzwahl wurde dadurch nötig, daß der Reichstag das Mandat des konser - vativen Abgeordneten Pauli für ungültig erklärte. Herr Pauli kandidiert auch diesmal wieder, und auch für die anderen Parteien, den Fortschrittlern und die Sozialdemokratie, sind wieder dieselben Kandidaten wie bei der Hauptwahl aufgestellt worden, für die Fort» chrittler Seminaroberlehrer S i v k o v i ch und für die Sozialdemo» kratie Arbeitersrkretär Kober. Am 12. Januar d. I. wurden für den Sozialdemokraten 3151 Stimmen abgegeben, für den Konservativen 7083 und den Fortschriuler 3140. Bei der Stichwahl erhielt der Sozialdemokrat 8755 Stimmen, während der Konservative 9835 Stimmen aus sich vereinigte. Auch in diesem Wahlkreis hätte es also die fort- 'chrittliche Wählerschaft in der Hand gehabt, dem Antireaktionär zum Siege zu verhelfen. Nach den mancherlei parlamentarischen Heldentaten des Fortschritts wagen wir freilich kaum darauf zu hoffen, daß diesmal der Freisinn in seiner Mehrheit eine andere Stellung einnehmen wird.