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Nr. 247.

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Erscheint täglich außer Montags. Breis pränumerando: Viertel: jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Bfg fret in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit tuite. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt.pro Duartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Defterreich: Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Boft- Zeitungs- Breisliste für 1893 unter Nr. 6708.

Vorwärts

10. Jahrg.

Infertfons- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Beritzeile oder deren Raum 40 Bfg., für Vereins- und Verfammlungs- Anzeigen 20 Pfg Inferate für die nächste Nummer musien bis 4 Uhr Nachmittags in Der Ervedition abgegeben werden. Die Grpedition ift an Wochens tagen bis 7 br Abends, an Sonn und Fefttagen bis 9 1hr Bors mittags geöffnet.

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Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Rechtszerrükkung und Kaffenmoral.

Freitag, den 20. Oktober 1893.

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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Nunmehr verfiel der General Kirchhof auf den üblen Offiziersstande tokettirenden Börsenredakteur ist es, daß die und Ausweg, dem der beklagten Redakteure durch Kreuz- Zeitung " einen die Norddeutsche Allgemeine Drohungen ein Schuldgeständniß abzwingen zu wollen. Beitung" den Fall Kirchhof auszunuzen versucht zu einer Bewaffnet mit einem Revolver drang er in dessen Verschärfung der Strafbestimmungen- nicht gegen Atten­Mit der fortschreitenden Zersetzung unserer heutigen Wohnung ein und verlangte von ihm die Unterschrift unter täter auf das Leben ihrer Mitmenschen, sondern gegen die Gesellschaftsordnung mehren sich auch die Zeichen vom Ver- eine in krassen Ausdrücken abgefaßte Erklärung, daß die Presse. Die Kreuz- Zeitung " gelangt über den General fall der Rechtsanschauungen der herrschenden Klassen. Sobald gesammten auf seine Tochter bezüglichen Mittheilungen er Kirchhof zu dem Urtheil:" Solche feinfühligen und dabei Laune oder Eigeninteresse sie antreibt, setzen sich die Be- logen seien, indem er ihm buchstäblich die Pistole auf die kraftvollen Naturen können nur Sympathieen erwecken. vorrechteten unbekümmert hinweg über die Rechtssatzungen, Brust setzte. Als der Redakteur die entwürdigende Zu- Im Vertrauen auf ihr gutes Recht setzen sie sich über die deren Befolgung fie mit eiserner Faust den ausgebeuteten muthung ablehnte, drückte der General los und nur ein Formen der Rechtsprechung hinweg, nachdem dieselben ver­Arbeitmassen aufzuzwingen versuchen. Alle jene Willkür- kugelsicheres Oberhemd- augenscheinlich ein unerläßliches sagt haben." lichkeiten der Privilegirten erhalten aber erst dadurch ihr Requisit für einen verantwortlichen Redakteur im Militär­Uns kam dabei der Gedanke: Wenn einmal alle jene Gepräge als Merkmale des Gesellschaftsverfalls, daß die staat- schützte den Bedrohten vor dem Tode und den gemeinen" Soldaten, die im Militärdienste durch Unter­Handlung der Einzelnen einen Rückhalt findet in seiner Attentäter vor der Blutschuld und ihren Folgen. offiziere und Offiziere weit schlimmer an ihrer Ehre ge­Klasse, daß deren Organe den Rechtsbruch vertheidigen und Die That des Generals läßt sich durch das Zusammen- tränkt werden, nun auch, als das dem Brandenburger General beschönigen. wirken verschiedener Momente erklären, wenn auch feines- passirte, nachdem sie mit dem dürftigsten Erfolg oder ganz Eine solche Beschönigung findet die That des Generals wegs entschuldigen. Wie die Mehrzahl seiner Standesgenossen vergeblich auf dem Beschwerdeweg sich Genugthuung zu Kirchhof jetzt in verschiedenen Zeitungen, welche die junter- steht er unter dem Einfluß der konventionellen Moral, die schaffen versucht haben, das Recht in ihre eigene Hand lichen und sogar in solchen, die die Börseninteressen ver- nicht sowohl die That als das Bekanntwerden der That als nähmen und ihre Beiniger über den Haufen schössen, würde treten. Ja, einzelne derselben haben sogar die Stirn, die das schlimmste Uebel verpönt. Daß an sich der Abscheu da auch die Kreuz- Zeitung " diesen feinfühligen und kraft­Nothwendigkeit reaktionärer Wiaßregeln gegen die Presse vor einer nicht standesgemäßen Liebe das Vorurtheil vollen Naturen" ihre Sympathie aussprechen? Sicher nicht! Sie mißt wie alle ihre Gesinnungsgenossen daraus herzuleiten. Vergegenwärtigen wir uns einmal zur eines verknöcherten Kastengeistes ist, haben wir vorhin schon Würdigung dieser Thatsache die einzelnen Phasen des Falles hervorgehoben. Zu diesen zwei Vorurtheilen kam noch das sich mit zweierlei Maß. Das Volk aber erkennt nur ein Recht an, das gelten Kirchhof- Harich. din dritte aus den falschen Ehrbegriffen der Feudalzeit ent Aus Brandenburg hatten einzelne Blätter mitgetheilt, stammende, daß man durch Blutvergießen seine geschmälerte soll für die Mächtigen wie für die Schwachen. Und mag daß die Tochter eines Generals ein Liebesverhältniß mit Ehre wieder vollgiltig machen könne. Eine hochgradige deshalb das Urtheil des Militärgerichts über den General einem Offiziersburschen angeknüpft habe. Nun geht zweifellos nervöse Ueberreiztheit wird dann zur That den erforder Kirchhof ausfallen, wie es will, gerichtet haben sich selbst so etwas die Deffentlichkeit garnichts an. Die Liebes- lichen Impuls gegeben haben. alle diejenigen, welche auch bei dieser Gelegenheit wieder beziehungen junger Leute sind ausschließlich deren Durch solche Erwägungen läßt sich die individuelle ihre Feindseligkeit gegen das Recht der öffentlichen Kritik cigene Angelegenheit, die allenfalls noch deren Eltern und Schuld des Generals einigermaßen mildern und theilweise die Verworrenheit ihrer Rechtsbegriffe und die Verkommen sonstige Verwandte in freudiger oder betrübender Weise auf den Geist seiner Klaffe abwälzen, immer unter der heit ihrer Kastenmoral bekundet haben. crregen kann. Das Publikum hat sich auch ebenso wenig Voraussetzung natürlich, daß er fest überzeugt ist von der Un­darum zu kümmern, wenn eine Generalstochter einen richtigkeit der in Umlauf gesetzten Gerüchte, denn anderen- id Rutscher liebt, als wenn die Tochter eines Schornsteinfeger- falls würde zur Mordbegier noch die Heuchelei als zehn­meisters mit einem Müllerburschen zärtliche Beziehungen fach verschlimmerndes Moment hinzukommen. Bei der bevor­unterhält. Sollte die Sache sich wirklich so verhalten, wie stehenden gerichtlichen Untersuchung des Falls, die ja leider sie dargestellt wurde, so würde das junge Mädchen oben vor dem Militärgericht hinter verschlossenen Thüren statt­drein unserer Sympathie gewiß sein, weil sie hochsinnig finden wird, darf jedenfalls, um die Schuld des Attentäters genug denkt, ihre Liebe nicht thörichten Standes- Vorurtheilen richtig zu bemessen, der Wahrheitsbeweis für die ursprüng- Dem Kriegsminister von Kaltenborn- Stachau ist liche Zeitungsnachricht nicht wieder zurückgewiesen werden. sein Demissionsgesuch endlich bewilligt worden. zum Opfer zu bringen. Wenn wir also einerseits in dem Vorgange an sich Dem Rechtsgefühl des Volkes schlagen aber frech die v. Kaltenborn hat die Vertretung der Militärvorlage ganz nichts Tadelnswerthes weder für die Familie des jungen Leute ins Gesicht, welche in der militärisch- bureaukratisch dem Reichskanzler überlassen müssen, galt also schon seit Mädchens, noch für dieses selbst erblicken könnten und börsenjobberischen Bresse den Mordversuch des Generals längerer Zeit nicht befähigt, seinem Amte vorzustehen. Er andererseits den Zeitungsklatsch mißbilligen, so erblicken Kirchhof als einen Aft der Nothwehr" verherrlichen. Dann hat ohne Geschick, aber mit viel Eifer alle Soldatenmiß­wir auch selbstverständlich keinen Anlaß darin zu einer war auch die Ermordung des Journalisten Victor Noir handlungen , das Militär Strafprozeßverfahren und die Beleidigungsklage. Unter dem Bann der herrschenden An- durch den Prinzen Peter Bonaparte ein Akt der Nothwehr. Maßregelungen sozialistischer Arbeiter in den militärischen schauungen glaubte indeß der Staatsanwalt den sämmtlichen Die Banks und Handels- Zeitung" in Berlin empfiehlt, in Werkstätten vertheidigt. Wir weinen ihm keine Thräne höheren Offizieren Brandenburgs durch eine sogenannte Be- solchen Fällen künftig statt des Revolvers die Reitpeitsche nach. leidigungsklage Genugthuung verschaffen zu müssen. Der zu nehmen, und hat die Schamlosigkeit sich für ihr Gefasel Sein Nachfolger ist der General Bronsart v. Schellen­Richter lehnte den von den beklagten Zeitungsredakteuren auf die Worte Stauffacher's in Schiller's Tell zu berufen: dorf, der Bruder des früheren Kriegsministers gleichen angebotenen Wahrheitsbeweis ab und verurtheilte sie wegen Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, wenn Namens. Er wird den alten Kurs halten und sich somit formaler Beleidigung. Es tritt dabei so recht das Wider- unerträglich wird die Laft" u. s. w. durch die Schiller dem keine Sympathien beim Volke erwerben. finnige der in Deutschland herrschenden Rechtsanschauung Volte das Recht der Empörung gegen eine ausbeutende von der Strafbarkeit sogenannter formaler Beleidigungen Herrscherkaste zuspricht. Der konservativen Korrespondenz erscheinen unsere zu Tage, eine Rechtsanschauung, die die Wahrheit einer be­haupteten Thatsache als ganz unerheblich beiseite schiebt.

Feuilleton.

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Politische Lebersicht.

Berlin , den 19. Oktober.

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Herr

Doch schlimmer als diese lächerliche Sinnesverlumpung Erfolge zu klein. Es scheint, daß sie zufriedener gewesen durch den liebedienerisch mit einem hochwohledelgeborenen wäre, wenn unsere Erfolge größer gewesen wären. Künst

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Mein theurer Ritter Valmont"( so hatte sich Edmund daß Sie nicht ungeneigt sein würden, auch den Rebellen genannt), fing der Alte am zweiten Tage an, als sie bei den Sieg zu gönnen; Sie drücken sich wenigstens so milde Zische saßen, je länger Sie bei mir sind, je wohler wird aus, daß ich den Katholiken, der für seine Religion so mir in Ihrer Nähe. Eine wundersame Aehnlichkeit mit eifert, wie er doch sollte, in Ihnen nicht erkenne." einem alten Freunde zwingt mich beinahe, Sie wie einen Verstehen wir uns nicht falsch," erwiderte der Alte,

Der Aufruhr in den Cevennen. theuren Angehörigen, möchte ich doch fait sagen, wie einen ich will nur fagen, daß ich mich ganz und gar und unbe­

Eine Erzählung

von Ludwig Tied.

Sohn zu behandeln. Seit langer Zeit ist kein Fremder in meine Einsamkeit zu mir gekommen, ich erfahre hier von der Welt nur wenig, und darum ist mir auch ein solcher Zuspruch wie der Ihrige um so theurer."

Er tonnte es nicht von sich abwehren, daß ihn nicht in dieser Wohnung die frühesten und Auch mir ist wohl in Ihrer Nähe," antwortete Lieblichsten Erinnerungen seiner Kindheit besuchten, Edmund, und ich frage mich nicht ohne Wehmuth, warum er verwunderte sich über sich selbst, daß sein Born, es dem Menschen doch nicht vergönnt ist, seine Tage in fein brennender Religionseifer hier fast ermattet, dieser friedlichen Nuhe, von der Natur erhoben und belehrt, beinahe, mußte er sich gestehen, vergessen war. Er von den einfachsten und schönsten Genüssen erheitert und fann und träumte dann beim Geräusch der Bäume, beim getröstet, hinzuleben?"

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Murmeln des kleinen Wasserfalles, wie weichlich seine Vielleicht wird es Ihnen so, theuerster Mann," ant­Seele dahinschmelze und sein Entschluß, ähnlich dem Reinald wortete der Pfarrer lebhaft, vielleicht sehen wir uns dann in Armidas Baubergarten, alle seine Kraft einbüße. Wenn recht oft und vertraulich, wenn Sie nur erst Besizer jenes er seinen vorigen Muth nicht wiederfinden konnte, so nannte Schlofjes sind, das ja taum eine halbe Stunde von hier er im wachen Traume, am Bach hinwandelnd, diesen den entfernt ist."

Strom des Vergessens, wo er diesseit die Frühlingslüfte" Und," sagte Edmund zögernd,-wenn der Krieg sich eines blumenathmenden Elysiums genieße und ihn Lethe auch hier herunterwälzt? Wenn dieses Schloß, wenn dieses auf immer von jener Welt des Kampfes und der Leiden Haus hier in Flammen aufgeht? Wo ist Sicherheit in unsern Tagen?" Der Herr wird uns beschützen," antwortete der Pfarrer, wie er es bisher gethan hat."

trenne.

Der Geistliche hatte den Jüngling auch aufs freund­lichste aufgenommen; 1o oft Coniund wiederkehrte, glänzte ein solches Vergnügen in Antlitz des Alten, daß sich der Fremde mit Wohlwollen und Rührung an seinen Wirth gebunden fühlte. Dieser betrachtete ihn oft scharf, als wenn er ihn schon fher gekannt hätte, und sann dann nach, als fönne er fame Erinnerungen nicht anknüpfen.

,, Und wenn er den Gegnern den Sieg verleiht?" Sein Wille geschehe," betete der Alte, denn sein Rath­schluß ist Weisheit, er ist gerecht und gütig, und bei der Macht wohnt die Liebe."

" Scheint es doch fast", sagte Edmund verwundert

dingt in den Willen meines Herrn ergebe und ihm die Führung überlasse, ohne zu murren, ohne mit ihm zu Aber ich liebe meine Religion, ich bin von ihr hadern. durchbrungen, und eben darum sei es fern von mir, jene Armen, Verirrten zu bannen und den Fluch auf ihre Häupter herabzurufen."

" So sind Sie ein würdiger Diener Ihrer Religion," antwortete Edmund, und verdienten, daß Ihnen die Er leuchtung der bessern würde."

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erröthen

Der Alte sah den Jüngling lächelnd an und sagte: Jezt haben Sie sich verrathen, junger Herr, ,, besorgen Sie nicht," fuhr er im mildesten Tone fort, Sie von mir nichts; Sie sind mir darum nicht weniger willkommen. Vielleicht verstehen wir uns, wenn wir uns näher kennen, vielleicht auch nicht; aber mein lieber Gast bleiben Sie gewiß, möchten auch wohl noch mein Freund werden, wenn es sich auch fügt, daß ich Ihren Enthusiasmus oder Ihre Schwärmerei tadeln muß. Allein wieviel würdige, edle, wahrhaft begeisterte und liebende Gemüther habe ich auch unter den Hugenotten gekannt und wie viele liebloje in meiner Kirche. Jetzt ist freilich in unserem Lande eine flägliche Zeit, und noch ist kein Ende des Jammers abzusehen."

Edmund hatte sich von seiner Ueberraschung und Ver­Legenheit wieder erholt und sagte: Ist es aber wohl das Rechte, so gleichgiltig und unbestimmt zu verharren, wie