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i,m 2. ßtilaot iifo Jorirärls" Sftliiifi Jlnltistikft. SozialdemohratiI(l)er Parteitag. Sechster Verhandlusgstagi Chemnitz, den 21. September 1S12. Haase eröffnet die Sitzung um 8� Uhr. Auf der Tagesordnung steht der Bericht der Beschwerdekommission. Zunächst wird der Fall Hildcbrandt verhandelt. AIS Referent nimmt dazu das Wort Sü�heim-Nürnberg: Die Beschwerdekommisston des Parteitages hat die Berufung Hildebrandts gegen seinen Ausschluh mit 5 gegen 4 Stimmen zurück- gewiesen. Ich zweifle nicht daran, daß der deutsche Parteitag zu dem gleichen Ergebnis gelangen wird. Am 22. August fand m Ohligs eine Versammlung statt, die über einen Antrag des Ge« samtvorstandes zu entscheiden hatte: Die Generalversammlung möge den Vorstand beauftragen, das Ausschlußverfahren gegen den Genossen Hildebrandt-Solingen-Ost einzuleiten. Es wurde in die Verhandlung der Sache eingetreten und Genosse Kurt begründete den Vorstandsantrag. Er führte dabei aus, daß die Stellungnahme Hildebrandts zur Marokkofrage und zu anderen grundsätzlichen Fragen der Partei in einer Distriktsversammlung zu der Auf. fassung geführt habe, daß Hildebrandt sich mit seinen Anschauungen außerhalb der Partei gestellt habe. Es kamen in der Versammlung auch die Genossen Dittmann und Hildebrandt zum Wort. Ich brauche auf ihre Ausführungen nicht einzugehen, weil vorgesehen ist, daß ohnehin Hildebrandt Gelegenheit haben soll, vor dem ge- samten Parteitag seine Ansichten zu äußern und dazu auch der Ver- treter des Wahlkreises das Wort haben soll. Die Versammlung in Ohligs , in der niemand für die sachlichen Ausführungen Hilde- brandts eintrat, beschloß mit 118 gegen 88 Stimmen die Einleitung des Ausschlußverfahrens. Am 24. August wurde dem Genossen Hildebrandt vom Parteisekretär mitgeteilt, daß die Einleitung de? Ausschlußverfahrens beschlossen sei. Am 8. September fand dann in der Ausschlutzsache zur Verhandlung und Entscheidung eine Sitzung statt. An dieser Verhandlung haben teilgenommen Gelvehr als Vorsitzender, Dittmann und Wengert als Vertreter der Or- Konisation, Uhlenbaum, Haberland. Pollens und Backhaus als Beisitzer, sowie-Hildebrandt persönlich. Der Beschluß lautet: Ger - Harb Hildebrandt wird� aus der Parteiorganisation ausgeschlossen. Es folgen dann die Gründe dieses Ausschlusses. Dazu wird darauf hingewiesen, daß Hildebrandt sich mit dem ersten Teil des Partei- Programms über die ökonomische Entwickclung und über die Ver- gesellschaftlichung der Produktionsinittel in Widerspruch gesetzt hat. Hildcbrandt gibt zu, daß seine Anschauungen von dem grundsätzlichen Teile des Parteiprogramms abweichen. Aber er glaube, der sozial- demokratischen Partei am nächsten zu stehen und in dieser am besten für seine Anschauungen wirken zu können. Er tritt für eine Agrarpolitik zur Erzielung einer mittleren Bauernwirtschaft ein, damit die Industrieländer unabhängig von den reinen Agrar- ländern würden. Das führt ihn zur Schutzzollpolitik mit dem Ziele einer Errichtung einer westeuropäischen Zollunion. Ferner tritt er für den Erwerb von Kolonien unter Schaffung von Ge- setzen zum Schutze der Eingeborenen und Arbeiter ein und für Aufrechterhaltung einer Wehrmacht zum Schutze der Kolonien. Der Redner verliest dann zum Belege lange Stellen aus dem Buche Hildebrandts:Die Erschütterung der Jndustricherrschaft und des JndustriesozialismuS", unter anderem:Solange breite Schichten der Industriearbeiter in kommunistischen Utopien befangen sind, können sie nicht die Mehrheit gewinnen und die Demokratie her- stellen. Mit der Erschütterung der Jndustricherrschaft und des JndustriesozialismuS muß sich ihre industrielle Befangenheit, ihre kommunistische Verbohrtheit, ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Bauerninteressen verlieren.... Die Arbeiterbewegung ist also die Kerntruppe im Kampf gegen die industrielle Uebersüttcrung. Versagt sie, so nimmt der Prozeß bis zur Katastrophe seinen Fort- gang, aber bis zu einer Katastrophe, die durch keinen industriesozia- listischcn Zukunftsstaat abgelöst werden kann. Tun die Arbeiter, was ihr Interesse gebietet, so werden sie die Bauern, große Teile der Intelligenz, des gewerblichen Mittelstandes, ja selbst des Unter- nchmertums auf ihre Seite bekommen können.... Wenn irgend wann im bisherigen Verlauf der geschichtlichen EntWickelung, so bietet sich jetzt den Völkern Gelegenheit, über die trennenden Schranken der Nationalität, der Klassengegensätze und der Kon- fessionSunterschiede hinweg sich brüderlich die Hände zu reichen und damit eine Großtat zu tun. die sich in Zukunft ebenso als Vorbilder weitsichtiger, und fruchtbarer Gesittung zeigen müßte, wie sie biS- her wissenschaftliche technische und wirtschaftliche Führer auf dem ganzen Erdenrund gewesen sind. Möge des soziale Verantwortlich. keitSgefühl bei allen Beteiligten stark genug sein, um sie Vor- stellungen überwinden zu lassen, die Unzähligen lieb geworden sein mögen, sich aber im Lichte einer vorurteilsfreien Betrachtung des Gesamtprozesscs als gefährliche Befangenheiten erweisen...." Die Möglichkeit des den, akratischen Sozialismus im Sinne einer einheitlichen und geschlossenen Regelung der gesamten Pro- duktion durch die nichtbesitzende und alle« beherrschende Klasse ist damit ausgeschaltet. Der Schluß des Buches enthält eine Mahnung an die Arbeiterschaft, zur Verwirklichung der in dem Buche ge- steckten Ziele nach Kräften beizutragen. Aus dem Gesamtinhalt seines Buches und seinen mündlichen Darlegungen über die Stellung des Arbeiters im Klassenkampf sowie über die zu erstrebenden Ziele kam das Agitationskomitee zu der Uebcrzeugung, daß Hildebrandt nicht auf dem Boden des grundsätzlichen Teiles des Partei- Programms steht. Er hat sich auch nicht auf theoretische Studien beschränkt, sondern unverkennbar versucht, seinen Anschauungen praktische Verbreitung zu geben durch die Herausgabe seines Buches und durch seine Vorträge. Darin erblickt die Agitationskommission um so niehr einen Verstoß gegen das Parteiprogramm, als die Grundanschauungen Hildebrandts in schroffstem Widerspruch zu den Grundfordcrungen dcS Programms stehen. Nach alledem kam das Agitationskomitee zu dem Beschluß, daß Hildebrandt aus der Parteiorganiiation auszuschließen sei. Gegen diese Entscheidung bei Agitatwnskomitecs hat Hildebrandt sich an den Partcivorstand gewandt und die Einsetzung eines Schiedsgerichts veranlaßt. Das Schiedsgericht ist nach gründlichen Verhandlungen, deren Inhalt in dem Protokoll des Parteitages wiedergegeben ist, mit 4 gegen 3 Stimmen zum Ausschluß gekommen. Unter den drei Minderheitsstimmen war auch die Stimme des Genossen Locwenthal. der acht Tag« später freiwillig aus der Partei ausgetreten ist lHört, hört!). Gegen dieses Schiedsgerichts- urteil, das den Ausschluß Hildebrandt» bestätigt hat, hat Hildebrandt Beschwerde an den deutschen Parteitag eingelegt. In der Be­schwerdekommission wurde über die Sache eingehend verhandelt und insbesondere Werl daraus gelegt, daß Hildebrandt Gelegenheit be- komme, sein« Anschauungen frei und rückhaltlos vor den Mitglie- dern der Kommission zu entwickeln. Es wurden ihm ein« Reihe von Fragen vorgelegt und Stellen aus dem Buch verlesen, um einen Gesamteindruck und Gesamteinblick in die Anschauungen Hilde- brandts zu bekommen und ich kann wohl feststellen, nicht bloß, daß die Auseinandersetzungen dieser Kommission durchaus sachlich ge- führt wurden, sondern auch, daß die Feststellung getrofsen wurde, daß das Verfahren gegen Hildebrandt von Anfang an frei war von jeder persönlichen Gehässigkeit. Hildebrandt selbst mußte bestätigen, daß er pcrsölich als Mensch und auch als Redakteur mit den Ge- nassen, die in Frage kommen, niemals irgend wie persönliche ge- hässige Differenzen gehabt hat. er mußte zugeben, daß er kollegial von ihnen unterstützt wurde und daß die Behauptung, die gufgestellt wurde, das Verfahren gegen Hildebrandt sei auf persönliche Ge- hässigkeit zurückzuführen, als glatte Unwahrheit erwiesen sei, In aller Kürze will ich auf die Kommisfionsverhandlungen ein- gehen. Hildebrandt bekam das Wort, um uns einen Ueberblick über seine Auffassungen und Anschauungen zn geben. Er sagte folgen- des:.Ich bin der Meinung, daß ich im Rahmen der Sozialdemo- kratie Platz finden kann. Es ist mir klar, daß ich in sehr wichtigen Fragen anderer Meinung wie die Partei bin, ich wüßte nicht, wo -ch anderweitig politisch Unterkunft finden sollte.(Heiterkeit.) Der Unterschied zwischen mir und der Partei liegt in der Art der For- mulierung des Programms. Diese Formulierung des Programms ist für mich zu nichtssagend, fodaß ich mich gedrungen fühle, sie nicht zu akzeptieren.(Hört, hörtl) Der Unterschied zwischen der offiziellen Formulierung und mir besteht darin, daß die Partei die Frage gelöst sehen will durch die Formel der Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Ich sehe nicht ein, wie das in der Praxis durch- geführt werden soll.(Heiterkeit.) In bezug auf die augenblickliche Taktlk in der Zoll- und Kolonialpolitik treten die Unterschiede zu- rück. Ich kann mir unter der Aufhebung der Klassengegensätze nichts Bestimmtes vorstellen. Es handelt stch um Veränderungen von Fall zu Fall. Man braucht die Formulierung des Programms nicht als die allein mögliche gelten zu lassen. Der Unterschied zwischen liberaler und sozialistischer Politik scheint mir mehr ein Unterschied in der Tendenz zu sein.(Hört, hörtl) Inwieweit sie 'ich durchsetzen kann, muß ich nach meiner wissenschaftlichen Auf- ässung offenlassen und würde mich vergewaltigt fühlen, wenn ich ägen würde, diese Tendenz müsse unter allen Umständen bis zur Vergesellschaftung der Produktion durchgeführt werden." Sie wer- den sich aus dem späteren Inhalt des Vortrags Hildebrandts über- zeugen, daß dies der wesentlich« Inhalt seiner Auffassung ist. Ich kann sie ergänzen durch sein« weiteren Darlegungen in der Kom- Mission. Auf die Fragen von Kommissionsmitgliedern erklärte Hildebrandt wiederholt, die Formulierung des Programms der Partei sei ihm zu eng. Die Durchführung des Gemeineigentums an dem Produktionsmittel in den Industriestaaten müßte geschützt werden vor dem Verschwinden der bäuerlichen Grundlagen. Er gab den wesentlichen Inhalt seines Buches. Ich lege darauf Wert, weil sich daraus ergibt, t> wir bemüht gewesen sind, unS mit dem Gedankengang Hildebrandts vertraut zu machen und ich glaube, es gibt keinen besseren Weg dazu, als ihm selbst Gelegenheit zu geben, seine Anschauungen frei vorzutragen. Er führte auS, die Arbeiter- klasse müsse die Tendenz aufnehmen, die bäuerlichen Grundlagen zu schützen. Im Interesse der Arbeiterschaft Westeuropas kommt er zu der Forderung der vereinigten Staaten von Westeuropa . Nach Hildebrandt bekam Dittmann als Vertreter der Organi- sation das Wort, um eine geschichtliche Darstellung des ganzen Falles zu geben. Ich überschlage diese Ausführungen Dittmanns, weil er später Gelegenheit haben wird, sich dazu zu äußern. Hilde- brandt führte im weiteren Verlauf der Verhandlungen auS, daß zwischen ihm und den- Solinger Genossen mehrfach Differenzen, insbesondere auf dem Gebiet der Kolonialpolitik, bestanden. ES sei ihm nicht möglich gewesen, in Parteiversammlungen seine Anschau ungen zu entwickeln und so sei eS denn gekommen, daß er in öffentz lichen Versammlungen seine abweichenden Anschauungen zur Sprache brachte. Das bezieht sich darauf, daß in einer öffentlichen Ver- sammlung, die Scheidemann abgehalten hat, Hildcbrandt aufge- treten ist und versucht hat, seine abweichenden Anschauungen dar- zulegen. Er wurde von Scheidemann darauf verwiesen, daß die Diskussion über solche Fragen in nichtöffentliche Parteiversamm lungen gehöre.(Sehr wahr!) Ein zweiter Fall war, daß in einer öffentlichen Versammlung, nachdem Genosse Äusold gesprochen hatte, Hildebrandt wieder das Wort ergriff und versuchte, seine abweichen. den Anschauungen vorzutragen. Auch diesmal mußte er sich von Busold sagen lassen, daß die Erörterung dieser Fragen nicht in öffentliche Versammlungen gehöre. Er nimmt das Recht in An- spruch, seine Meinung auch öffentlich vorzutragen und beruft sich darauf, daß er in den Versammlungen erst aufgetreten ist, nachdem sich kein Gegner zum Wort gemeldet hat.(Heiterkeit, in der einige Aeußerungen aus der Mitte de? Parteitages unverständlich bleiben. Nach einer kleinen Pause fährt der Redner fort:) Wenn mir der Genosse Dr. Südekum zuruft, daß Hildebrandt ja ein Gegner war, so charakterisiert das...(Zuruf von Dr. Südekum: Ist mir ja gar nicht eingefallen, da« Ihnen zuzurufen!), dann war es einer aus ihrem engeren Kreise, einer Ihrer Nachbarn!(Lebhafte Protest. rufe, andere Rufe: Wer?) Hildebrandt hat dann weiter ausgeführt, er halte in seinem Buch eine Kooperation der Arbeiterklasse mit anderen Klassen für möglich, dabei sei allerdings die Arbeiterschaft die Kcrntruppe. Er wolle die Parteiauffassung ergänzen, der Klassenkampf sei im Gange, er brauche nicht besonders mehr ge- schürt zu werden, davon brauche vom sozialdemokratischen Stand- Punkt aus nicht mehr geredet zu werden.(Lachen.) Hier handele es sich darum, daß die Kooperation der Klassen möglich und not- wendig sei. allerdings mit der Einschränkung: Soweit sich die an- deren Klassen dazu bereit finden.(Ein Zuruf: Schmählich!) Wenn man eintrete für die Staaten von Westeuropa , müsse man für die Kooperation eintreten, die Klassengegensätze brauchen nicht auf olle Fragen übertragen zu werden, die Arbeiterschaft könne ja die Führung übernehmen, wenn«S sich um die Staaten von Westeuropa handele. Um zu diesem Ziel zu kommen, sei es notwendig, daß sich die Arbeiterklasse mit anderen Klassen, die Verständnis haben, für die Staaten von Westeuropa vereinige. In der Kommission wurde Hildcbrandt darauf aufmerksam gemacht von einem Mitglied, daß sein mündlicher Vortrag in einzelnen Punkten und Ausführungen mit dem Buch im Widerspruch stehe, und Hildebrandt wurde Ge- legenheit gegeben, sich auch hierüber zu äußern. Hildebrandt er- klärt weiter, das Ideal der Vergesellschaftung hindere vielfach die praktische Agrarpolitik. ES wurde ihm die Frage vorgelegt, ob ihm verweigert worden sei, theoretische Vorträge in Partciversamm- lungen zu halten. Hildebrandt war nicht in der Lage, diese Frage zu bejahen.(Hört! hört!) Im weiteren Verlauf hat Hildebrandt noch einmal Gelegenheit bekommen, seine Anschauungen darzulegen und am Schluß wurde ihm eine Reihe von Fragen vorgelegt, die sich auf das Gebiet der praktiscken Politik beziehen. Es wurden ihm insbesondere Fragen vorgelegt über seine Stellung zu den Kolonien, zur Steuer, und Zollfrage, und Hildebrandt hat am Schluß unserer Verhandlungen folgende? erklärt:Ich gebe zu, daß die Partei ihre Stellung revidieren mutz in den Fragen der kolonialen, Agrar-, Zoll- und Militärpolitik." Ich habe ihn gefragt, ob er grundsätzlich alle indirekten Steuern ablehnt, Hildcbrandt hat diese Frage nicht bejaht.(Hört! hört!) Auch nach dem Zusammen- schluß der westeuropäischen Staaten werde eS ohne Zollschutz nicht abgehen. Er gebe ju, daß durch den Zollschutz eine Verteuerung der Lebenshaltung eintrete. Er gebe zu, daß durch den Getrcidezoll auch eine Verteuerung der Lebensmittelpreise eintrete. Er hat nun weiter ausgeführt:Wenn wir niemals Zollschutz gehabt hätten dann wäre die landwirtschaftliche Bevölkerung von 18 auf 12 Mil- lionen heruntcrgesunkcn." Die Mehrheit der Kommission hat darin eine Billigung dieser Schuhzollpolitik erblickt, unter der wir so schwer zu leiden haben. Hildcbrandt und Dittmann wurden dann vowdcr Kommission entlassen, und die Kommissionsmitglieder traten nun in eine Diskussion, Beratung und Beschlußfassung der An- gelegenheit ein. Von einem Vertreter der Minderheit wurde vor- gebracht, daß Hildebrandt nach seiner Auffassung nicht in grober Weise gegen die Grundsätze der Partei verstoßen habe; eine Schädi- gung der Partei liege nur vor, wenn es sich um eine die Partei schädigende Handlung handle. Wenn wir anders handeln würden, so würde aus uns eine sozialistisch-katholische Partei werden. So- lange jemand erklär«, er stehe auf dem Boden des Programms und der Partei, so habe daS zu gelten.(Widerspruch.) Die Ideen Hilde. brandts enthielten nur die Beschäftigung mit einem Zeitproblem. Er halte lediglich eine teilweise Kooperation der Arbeiterklasse mit arideren Klassen für nötig. Hätte Hildebrandt sich angestrengt, An- Hänger zu gewinnen, so wäre es ihm vielleicht gelungen, seine Ideen in der Arbeiterschaft heimisch zu machen. So aber hätte das völlig versagt. Das ivurde aus dem Kündigungsbrief Hildebrandts ent­nommen. Er hat seine Stellung als Redakteur an der.Belgischen Arbeiterstimme" gekündigt. In dem Kündigungsbriefe erklärt er, es sei ihm nicht gelungen, die Solinger Arbeiterschaft str seine Ideen zu gewinnen, und er würde nun einen weiteren Wirkungs- kreis suchen.(Hört! hörtl) In diesem Kündigungsbriefe hat HU- debrandt ausdrücklich zugegeben, daß die anderen Genossen mit ihm durchaus kollegial und freundschaftlich verkehrt und gearbeitet hjchen. ES wurde von der Minderheit eingewendet, der Ausschluß Hilde- brandts aus der Partei bedeute eme Schwäche der Partei. Die Kommission ist mit b gegen 4 Stimmen dazu gekommen, die Be« rufung Hildebrandts zurückzuweisen und seinen Ausschluß zu be- stätigen. Ich muß Ihnen nun kurz als Vertreter der Kommission die Gründe angeben, die für diesen Ausschluß matzgebend waren, um ihn zu rechtfertigen. Wenn man den Gedankengang von Hildebrandt, wie er sich aus seinem Buche und seinem mündlichen Vortrage ergibt, an sich vor- überziehen läßt, dann kann man nicht im Zweifel darüber sein, daß er von ganz anderen Grundsätzen und Voraussetzungen aus- geht als die Gesamtpartei. Dabei handelt eS sich nicht etwa um die Lösung und Erörterung eines Teilprogramms; Hiloebrandt ver- tritt die Meinung, unser sozialdemokratisches Endziel würde aar nicht dazu verhelfen können, die Arbeiterschaft aus den Banden des Kapitalismus zu befreien. Für Hildebrandt ist daS Entschei- dende die Schaffimg der Bauerngrundlage und die Errichtung eines größeren Zollgebiets durch die Vereinigten Staaten . Es ist ohne weiteres klar, daß das nur darstellt eine Vergrößerung des ganzen Zollgebiets, und ehrlich, wie Hildebrandt ist, gibt er auch zu, daß auch für diese Vereinigten Staaten von Westeuropa nach seiner Meinung die Notwendigkeit eines Zollschutzes gar nicht entbehrt werden kann. Hildebrandt sucht auf agrarsozialistischer Grundlage den Klassenkampf vollständig zurücktreten zu lassen, er sagt, ob mit oder ohne Sozialismus, die Katastrophe laßt sich nicht ver- meiden. Auf der Grundlage seiner utopistischen Ideen kommt er zu Konsequenzen auf dem Gebiet der Kolonialpolitik, des Im­perialismus und der Zoll- und Steuerpolitik, die zu unseren An- schauungen im direkten Widerspruch stehen. Er spricht für die Notwendigkeit von Kolonien, darüber hinaus vertritt er die Mei- nung, daß unser jetziges Kolonialreich nicht ausreicht und unter allen Umständen vergrößert werden muß. Daß daS nur möglich ist durch Ausbau der Rüstungen und durch Pflege des Jmperialis- muS, den wir in schärfster Weise bekämpfen, daS muß jedem klar sein. Er ist der Meinung, daß die Arbeiterschaft klassenbefanaeu sei und spricht von marxistischer Verbohrtheit. Die Mehrheit der Kommission und, wie ich hoffe, auch des Parteitags, ist der Mei- nung, daß unsere Partei als eine KampfeSpartei nicht ein Dis- kutierklub sein kann. Daß wir zu dem schweren Kampf mit un- seren Gegnern eine gemeinschaftliche Grundlage haben müssen, �ine gemeinschaftliche Grundauffassung, von der ausgehend wir unsere politischen Forderungen vertreten können. Nur so ist eS möglich, unser Ziel zu erreichen. Nach ß 1 unseres Statuts gehört zur Partei jede Person, die sich zu den Grundsätzen der Partei bekennt und Mitglied einer Parteiorganisation ist. Im Zusammenhang damit sagt§ 23:Der Partei kann nicht angehören, wer sich eines groben Verstoßes gegen die Grundsätze des Parteiprogramms oder einer ehrlosen Hand- lung schuldig macht." Nun bin ich der Meinung, daߧ 1 keinen Zweifel darüber läßt, daß der Partei nur angehören kann, wer sich zu ihren Grundsätzen bekennt, nicht aber, wer den Boden ihrer Grundsätze verlassen hat.(Sehr richtig!) Es ist nicht nötig, unser Statut dahin zu ergänzen, daß der Ausschluß auch gegen den ver- fügt werden kann, der sich nicht mehr zu unseren Grundsätzen be- kennt. Eine solche Selbstverständlichkeit'braucht nicht im Statut aufgenommen zu werden.(Sehr wahr!) Z 1 erfordert als un- erläßliche Voraussetzung das Bekenntnis zu den Grundsätzen des Programms. Wir würden ja auch sonst gar nicht in der Lage sein, z. B. einen Nationalliberalen oder Konservativen auszu- schließen, solange er keine bestimmten Handlungen begangen hat. Wenn jemand nicht auf seine Mitgliedschaft verzichtet und es sind die Voraussetzungen seine? Ausscheidens gegeben, so ist die Partei verpflichtet, ihn auszuschließen. Die Sozialdemokratie kann als Kampfpartei unmöglich darauf verzichten, von gemeinschaftlicher Grundlage und gemeinschaftlichen Grundsätzen auS die schweren politischen und sozialen Kämpfe durchzufechten. Es kann jemand Mitglied bei den Hirsch-Dunckerschen sein und dann an die Ver- söhnung der Klassengegensätze glauben, aber ein Sozialdemokrat mutz sich darüber klar sein, daß eS eine Ueberbrückung der Klassen- gegensätze zwischen den Arbeitern und ihren Feinden nicht geben kann. Es ist nach meinem Dafürhalten ein Ehrenzeugnis für die Solinger Arbeiterschaft, daß sie sich den Ideen Hildebrandts gegen- über so vollständig ablehnend herhalten hat.(Sehr richtig!) Er ist den Krbeitermasscn genau so fremd geblieben, wie er auch denen fremd geblieben ist, die sich mit dem Jdeengang seines Buches be- faßt haben. Selbst wenn eS sich, wie Hiloebrandt behauptet, nur um ein Teilproblem handelt, muß daran festgehalten werden, daß auch Teilprobleme nur gelöst werden können von dem grundsätz- lichen Boden der Partei auS.(Sehr richtig!) Er hält wesentliche Teile des Programms für offene Fragen, er glaubt. eS genüge zur Parteizugehörigkeit, wenn er den größten Teil dcS zweiten Teiles anerkennt. Das allein aber bildet nicht die Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur Partei. Der erste Teil dcS Programms steht mit dem zweiten Teil in einem organischen Zusammenhang und es ist unmöglich, zu sagen, man sei schon ganz Sozialdemokrat, wenn man oen politischen Forderungen des zweiten Teils zustimmt. Eine derartige.luslcic gibt es nicht. Hier handelt eS sich nicht etwa um Meinungsverschiedenheiten über Agrarfragen, nicht einmal um Meinungsverschiedenheiten über das Kolonialprogramm, sondern um die Grundauffassung der Partei und ich möchte Sie warnen, t'ch'" der Diskussion auf Einzelheiten einzulassen. Hildebrandt hat di« Grundauffassung der Partei verlassen, wenn er icmais auf dem Boden der Partei gestanden hat. Er kommt zu Konsequenzen, die zu unserer ganzen theovetiscken und praktischen Politik in dem schroffsten Widerspruch stehen. Muß ich Sie an die cktesolutionen erinnern, die wir in den letzten Tagen gefaßt heften? Ich achte Hildebrandts wissenschaftliche Forschungsarveit, sein Be- muhen, der Arbeiterschaft neue Wege zu zeigen. Es kann nicht die Rede davon sein, daß er irgendwie die Absicht hat, die Partei oder die Arbeiter zu schädigen oder irre zu führen.(Lebhafte Zustim- mung.) Er ist ein ehrlicher Mensch, aber hier hat nicht Gefühl und Mitleid zu entscheiden. Hildebrandt sagt, er wüßte nicht, wo er sonst eine politische Unterkunft finden könne. Die Sozialdemokratie ist kerne Zufluchtsstätte für politisch Obdachlose. (Sehr gut!) Wir würden uns ein Armutszeugnis ausstellen, wenn wir uns aus purem Mitleid entschließen würden, einem Mann« Obdach zu geben, weil er nicht weiß, wohin er sonst gehört.(Zustimmung.) Mag sein, daß Hildebrandt zu keiner Partei gehört, aber die Unmöglich. keit, sich einer anderen Partei anzuschließen, ist kein Grund für die Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie. Er sagte, er trete ein für die sozialen Forderungen der Arbeiter, er unterstütze si« in ihrem