Dr. 271. 29. Jahrgang. I. Kiiqc Ks.Amiirls" Arlim AIKsdlR Iienstag. 19. NovtOerl9l2. Aieckeittäemonitl'ationen im auslände. Frankreich . Die Pariser Kundgebung gegen den Krieg. PariZ, 17. Noveniber.(Eig. Ber.) Eine Volkskundgebung von gleicher Grö�e und Gewalt, wie die heulige. gemäß den Beschliissen der Internationale von der sozialistischen Seine-Föderation einberufene P.?.eftversammlung gegen den Ärreg hat die jitngere Generalion der Pariser noch nicht erlebt. Am ehesten ließe sich ihr noch die Manisestation nach der Hinrichtung Ferrers vergleichen. aber damals wirkten auch die bürgerlichen Freidenker, vor allem die starken Freimaurerorganisationen von Paris mit, während diesmal die klassenbewußte Arbeiterschaft allein aufmarschierte. Hundert- tausend Menschen— nach bescheidener Schätzung— sind dem Ruf der sozialistischen Internationale gefolg». Es war ein er- hebendes, zu stolzen Hoffnungen und tühnen Entschlüssen er- inutigendes Schauspiel und für die Herrschenden eine gewichtige Warnung.# Der Versammlungsplatz lag im Norden von Pari», vor der Stadtumwallung. Das Terrain gehört zur Gemeinde von P r ö- Saint-Gervais, einem Proletaricrvorort, der eine sozialistische Koinmunalverwaltung�bat. I» der Mairie tagte am Vormittag der außerordentliche Kongreß der Seine- Föderation, ein Vorspiel zum Parteilag, der am 21. d. M. stattfindet. Außerhalb des bebauten Gebietes erstreckt sich weithin ein hügeliges, nach einer Seite bedeutend ansteigendes, rasenüberspanntes Gelände, daö im tintergrundc vom Stadtwall abgeschlossen wird. Dort waren acht ribünen ausgerichtet, auf die die anmarschierenden Organisationen ihre roten Fahnen aufpflanzten. Dort sammelten sich, gegen 3 Uhr immer mächtiger anschwellend, die Massen in Riesenkreisen, die die stärksten Rednerstimmen kaum zu überfliegen vermochten. Und Zehn- tausende füllten das Amphitheater des Hintergrundes, um den Ueber- blick über das ganze, selbst von der Höhe der Rednertribüne unüber- sehbare Gebiet der Mamfestation zu genießen. Die Seme« Föderalion hatte vortreffliche Organisationsarbeit geleistet. Eine Extraausgabe der„Humanitö", eine Rundfahrt von Automobilen mit Plakaten und Anschläge in den Straßen riefen da« Pariser Volt zur Kundgebung aus. Die Gewerkschaften hatten ihre Mitglieder zur Teilnahinc aufgefordert. Auch die Redaktion der„Baiaille Syndicaliste" veröffentlichte heute einen Appell an ihre Leser. Die Befürchtungen, die man wegen de« Welters hegen mußte, erfüllten sich glücklicherweise nicht. Wohl blieb eS trüb und feucht, aber die Wolken blieben gnädig. Bevor die Versammlung eröffnet wurde, spielten sozialistische Musikvercine Parieilieder auf. Gutgeschulle Kinderchöre scharten sich um die Tribünen und sangen Lieder vom Leiden und Sehnen der Proletarierjugend. Knapp nach 3 Uhr nahmen die Redner das Wort. Die Internationale und das Internationale Bureau hatte für Deutschland Genossen Scheidemann, für Oesterreich Pernerstorser. für Belgien Vandervelde , für England M a c d o n a l d, für Rußland Rubanowitsch delegiert. Jedem dieser Redner war eine Tribüne zugewiesen. Außer ihnen sprachen noch französische Redner, wie die Deputierten B a i l l a n t, Roblin, Meslier, Sem bat, Thomas, Lauche, die Genossen Dubreuilh, Renaudel u. a. Für Spanien sprach Fabra Ribas, für den Pariser Ungarnverein Popp. Besonders groß war die Menge, die sich um die Tribünen II und III drängte. Auf der erste» sprach Genosse Peru er st orfer. Er legte die besondere Situation Oesterreichs im jetzigen Konflikt dar uno wies daraus hin. daß die österreichische Arbeiterschaft sich ihrer Pflicht von Anfang an bewußt gezeigt habe. Wie sie ihre Ausgabe vor allem darin gesehen hat, Deutschland von einer Er- inutigiing der österreichischen Kriegslust zurückzuhalten, muß das französische Proletariat bewirken, daß Rußland bei seinen kriege- rischen Aspirationen von Frankreich keine Ermutigung empfange. M>l demonstrativem Beifall wurde in Pernerstorsers Rede die Stelle ausgenommen, wo er vom Einvernehmen von Partei und Gewerkschaft in Oesterreich sprach. Der stürmische Jubel der Zuhörer drückte zugleich die freudige Genugtuung aus, daß der heutige Tag auch in Frankreich ein neue«, glücklicheres Verhältnis der beiden Glieder der Arbeiterbewegung verheißt. Zum Schluß zeigte Pernerstorser. daß der sozialistische Kamps gegen den dynasti- kleines feiiüleron Die Cholera im Kriege. Dürers apokalyptischen Reiter schwingen jetzt ihre Menschheitsgeißeln über der Heercsinachr deS Islam . Zum grausigen Skelett des Todes, zum grimmigen Dämon des Krieges, zum dräuenden Gespenst des Hungers tritt eine vierte entsetzliche dunkel» verhüllte Gestalt: die Cholera. Asien ist ja der uralle Sitz dieser furchtbaren Epidemie: von den Ufern des Ganges schleicht die Krank- heil mit den Handelskarawanen nach den volksreichen Zentren des Verkehrs, nicht selten bis nach Rußland hinein. Auf den frommen Pckgcrtahrleil bringen die Mohammedaner die Krankheil nach Mekka . und von dort wird sie mit fortgetragen, so weit die Lehre des Propheten dringt. So war es denn nur nalürilch, daß das große Heeresaufgebot der Türkei aus Gebieten, in denen die Seucke nie erlischt, die Cholera nach dem Kriegsschauplatz führte, daß sie nun im Hauptquartier ihr düsteres Feldlager aufgeschlagen hat und sich unheimlich rasch verbreitet. Bedeutet so die Cholera für das Volk und Heer der Osinanen eine neue, schlimme Gefahr, so darf man doch die schlimmen Wir» klingen der Cholera gerade im Kriege nicht überschätzen. Bereits einer der ersten wissenschaftlichen Erforscher der Cholereepidemien, der Mnnchener Hygieniker Pettenkofer, hat während des Krieges von l86ti genaue Untersuchungen über die Ktiegscholera angestellt. Der Gelehrte kam zu dem Resultat, daß Kriege mit ihren Bewegungen und«nsainmlungen großer Menschenmassen und mit all ihiem sonstigen Elend die Zahl der Eholera'älle wohl vermehren und die Seuche befördern, daß aber der Einfluß des Krieges aus die Cholera nicht so entsetzlich ist. wie man allgeinein annimmt. Die Cholera wäre 1863 ohne den Krieg wohl nickt viel weniger stark aufgetreten. Auch Rußland , Schiveden. Belgien . Holland , die der preußisch-österreichische Krieg nickt in Milleidenschast zog. hatten schlvere Epidemien; viele Siädte in Deutschland , so Frankfurt a. M.. Darmstadt. München usw., bliebe» von Epidemie» frei, obgleich sie in engem Verkehr init dem Kriegsschauplatz standen und cholerainfizierte Truppen hindurchmarichierteii. Petlenkoser stellt es geradezu als ein Gesetz auf, daß unter den marschierenden Truppen die Cholera meist spärlich erscheint und bald erlischt. Der Krieg hat 1866 in Bayer» sicherlich keine Vermehrung der Cholera hervoigerufen. obwohl cholerainfizierte preußische Truppen zahlreich hier einquartiert waren und durchmarschierlen. Die Verbreitung der Cbolera hängt eben nicht so sehr vom Kriege oder anderen durch äußere Umstände geschaffenen Verhältnissen ab, sondern in viel höherem Grade von der Bodenbeschaffenheit und den Witterungsvei Hältinsjen. Es besteht daher keine Gefahr, daß die Cbolera aus dem türkischen Lager weithin verschlepp, werde, wohl ober wird sie unter den eng zusoniinengcbnlllen Menichenhausen, die zudem unier den ungünstigsten Lebensbedingungen stehen, furKt- bare Opfer fordern. Die drei Henker. In,.Europäischen Boten', einer verbreiteten russischen Zeitschrift, erzählt ein ungenannter Verfasser von seinen Erlebinfien in einem sibirischen Gefängnis und schildert dabei die Persönlichkeiten der Männer, die das Amt des Henkers übernominen hatten. Eine Zeitlang, so heißt es in dem Bericht, gab cS im Gefängnis keine» Henker, so noiivendig er war; aber er fand sich dann bald. In einer großen Zelle verprügelten eines Tages die schen und kapitalistischen Krieg keineswegs ein weichliches Verzichten auf heroische Ziele, sondern vielmehr den opferbereiten Kampf für eine höhere menschliche Gesittung bedeute. Von der Tribüne III sprach Genoffe Scheidemann, den die Masse als den ihr schon wohlbekannten Vertreter der deutschen Sozialdemokratie mit Applaus und Hochrufen auf dos deutsche Proletariat begrüßte. Nachdem er die tapfere Haltung der Genossen der Ballanstaaten gewürdigt hatte, wandte er sich den deutsch - französischen Bez'ehungen z».»Der Frieden', sagte er,.in den, wir seit vierzig Jahren leben, hat uns die furchtbarsten Rüstungen aufgebürdet, war ein Zustand des gegenseitigen Mißtrauen», war ein gegenseitiges ängst- liches Beobachten mit der Flinte im Arm. Es war der Krieg selbst, nicht geführt in offenen Schlachten, sondern durch unaufhörliche Rüstungen, chauvinistische Hetzereien, diplomatische Intrigen. Ver- nunft und geschichtliche Notwendigkeit aber weisen unseren beiden Völkern ihre Plätze nicht gegen-, sondern nebeneinander an. Auch die herrschenden Klassen können nur vom Frieden eine Förderung ihrer Interessen erwarten. Mehr noch, beide sind daran interessiert, ber der Regelung internationaler Fragen Hand in Hand zu arbeiten. Das trifft nirgends mehr zu als jetzt. Frankreich und Deutschland können auf dem Balkan nur wirtschaftliche, nicht aber territoriale Jnteresien verfolgen. Und doch sehen wir, aller ge- schichtlichen Vernunft zum Trotz, Europa heute in zwei Lager ge- spalten. Ueber einem flattert die französische Trikolore, über dem andern die deutsche Fahne. Hie Dreibund, hie Tripelentente! tönt herausfordernd der Ruf. Wohin die beiden Nationen durch dieses System einer mehr als widersinnigen Bündnispolitik gelangen könnten, haben die Ereigniffe der letzten Tage mit er- schreckender Deutlichkeit gezeigt. Kann man etwas Wahnwitzigeres erdenken, als daß Deutsche und Franzosen einander die Hälse ab- schneiden sollen um einen Hafen an der Adria , der sie beide nickt mehr interessiert als die Berge auf dem Mond. Wir Europäer : Franzosen. Engländer und Deutsche , sind im Begriff, durch diese Bündnispolitik das Recht der nationalen Selbstbestimmung zu verlieren und in ein Suzeränftätsverhältnis zu Halb- ästen herabzusinken. Der dynastische Ehrgeiz eines Wiener Betbruders stürzt Deutschlands Frauen und Mütter in Sorgen um das Schicksal ihrer Männer und Söhne. Und die Geister- erscheinungen im Zarensckloß rauben den aufgeklärten und ge- bildeten Franzosen die nächtliche Ruhe.— Darum rufen wir inter - nationalen Sozialisten: Los von dieser Bündnispolitikl Hier bei! uns mus es heißen: Europa den EuropäernI Frankreich, England und Deutschland vereint könnten die Kultur Europas vor der Zerstörung retten. .Wir wissen nicht, ob eS uns gelingen wird, die Regierungen durch'unsere guten Gründe zu überzeugen; aber wir wissen, daß, wenn sie nicht hören und wenn es anders kommt, als wie sie selbst hoffentlich wollen, sie die Verantwortlichen.wären für die Ruinen der Zerstörung und des vergossenen Blutes. Wir wollen keinen Kriegl Und gegen jene, die versuchen, uns in die Bestialität hinabzustoßen, werden wir uns wehren mit dem Mute der Ver- zweiflung. Die deutschen Arbeiter, die deutschen Sozialisten achten und lieben Euch. Proletarier und Sozialisten Frankreichs , als ihre Brüder I Sie wollen nicht aus Euch schießen, sie wollen Euch viel- mehr als Freunde und Bundesgenossen begrüßen.*) Unser Feind steht anderwärts, er steht dort, wo der Eure steht I Laßt uns ge- meinsiim in den Kampf ziehen. Kameraden I Für den Fortschritt des Menschengeschlechts l Für die Freiheit der Arbeit I Für den Frieden der Welt I' Nachdem'die Redner gesprochen hatten, kam eine Resolusion zur Abstimmung, die den Entschluß, den Krieg mit allen von den Kongressen der Internationale anerkannten Mitteln zu be- Der.L'Jntransigeant', ein Pariser Hetz- und Boulevardblatt, hat diese Stelle falsch übersetzt und legt S ck e i d e m a n n die Worte in den Mund:.Sie werden nicht aui Erich schießen'. DaS Wolffsche Bureau gibt dies wieder und die.Deutsche Tageszeitung' ist aus dem Häuschen gerate» und bezeichnet Scheidemann als Hochverräter. Man sieht, ein Franzose braucht bloß einen Uebersetzungssehler zu machen und schon sehen deutsche Mordspatrioten darunter Hoch- Verräter, wie gewöhnliche Alkoholiker lauter weiße Mäuse. Arrestanten einen ihrer Genossen. Dieser wurde auf sei» Gesuch in einer besonderen Zelle untergebracht, schmiedete hier Rachepläne gegen seine Beleidiger und bot hierauf der Verwaltung seine Dienste als Henker an. Das war ein robuster, vierschrötiger Kerl mit rohem, stumpfsinnigem Gesichtsausdruck; er saß für irgendeinen Raubmord. Die Verwaltung fand ihn für das Henkeramr tauglich. Er erhielt für jede Hinrichtung 25 Rubel und drei Monate Straferlaß, und da eS tüchtig Arbeit gab, hatte er sich bald frei- gearbeitet. Aber schon ei» paar Monate nach seiner Entlassung wurde er wieder eingeliefert, da er in der kurzen Zeit eine ganze Reihe neuer Raubmorde vollführt hatte. Er bot sich wieder als Henker an. da er nur auf diese Weise sich selbst vor dem Strick schützen konnte. Und man installierte ihn wieder. Inzwischen aber hatte er einen Nebenbuhler erhalten: da die Verwaltung nickt ohne Henker auskommen konnte, hatte sie sich eine Kraft aus dem Westen verschrieben. Das war ein wahres Scheusal. Er ging stets gebückt, lachte nie und sprach mit niemand. Sein Kopf saß tief in den Schultern; die Stirn niedrig und schräg; schwarze zusammengewachsene Augenbrauen, darunter stechende Augen, die böse und unstet umherirrten, säst verdeckt durch das wirr ins Gesicht hineinhängende Kopfhaar; das Gesicht klein und barilos; ein breiter Mund mit schmalen Lippen und einem Raubtiergebiß. Zu diesen beiden, die in einer Zelle untergebracht waren, ge- sellte sich dann noch ein unwillkommener dritter alö Konkurrent: ein junger, gewandter, verschmitzter Bursche, ber wie ein KommiS oder Kellner aussah. Er verrichtete heimlich Henkerdienste und suchte das vor de» Arrestanten, in deren Zelle er lebte, zu verbergen, da er fürchieie, ermordet zu werden. Aber bald verbreitete sich das Gerücht, daß er bereits sechs Hinrichtungen vollzogen habe, während er immer vorgegeben balle, er sei von der Verwaltung mit häuslichen Arbeiten, mit Holchauen, Scheuern und andere» Dingen beschäsiigl gewesen. Unter seinen Genossen entwickelte sich ein fürchterlicher Haß gegen ihn. Aber er leugnete. Da stellte sich eines Tages die Gewißheit heraus, und nur mit Mühe entging er der Wut der Gefangenen, und wurde nun von dielen abgesondert. Nun aber kam eS zwischen den drei Henkern zum Koilflikt. Die beiden ersten hatten sich noch leidlich vertrage», aber für die drei war ihrer Ansicht nach nicht ausreichend zu tun. Jeder suchte sich bei der Verwaltung anzuschmeicheln und dem andern die Beute wegzuschnappen. Schließlich verschworen sich zivei gegen den dritten, und es gelang ihnen, dielen kaltzustellen. Das nahm sich der Mann zu Herzen. Eines Morgens hatte er Selbssinord verübt— mit dem Strick, mit dem er scüee Genoffen in? Jenseits befördert hatte... Musik. Im Theater des Riesenzwecks und der Riesenvernunft, im Deutschen Opernhaus zu Charloltenburg, treten nun im Laufe des Alltags die Vorzüge und Nachteile immer schärfer hervor. Die Aufführung der Mozart schen Oper„FigaroS Hochzeit ' an, Sonnabend war ausverkauft. Ueber 2606 Besucher also werden sich vielleicht jedesmal um 60 oder 80 Pf. bis ö M. zusammenfinden. Man freut sich auch solcher Vernünfligkeiten, wie daß z. B. der Vorbang nickt nach oben, sondern zur Seite geht. Aber nun in solchen modernen Weiten das intime Juwel aus der Rokokozeit, der.Figaro' I Man merkte die Verlegenheit, durch Vermiltelnngen das Unmögliche möglich zu machen. Eine alte aknstijche Regel kämpfet,, ausdrückt. Hunderttausend Arme streckten sich empor, Hüte und Mützen wurden geschwungen. Hochrufe auf die Internationale brausten über das Gefild, Daun begann— in der herabsinkenden frühen Nacht der Abzug. Vor den Toren von Paris mußten die Fahnen eingerollt werden. Dort warteten republikanische Garden und Polizisten von Herrn Löpine in Person kommandiert, die einmarschierenden Massen— ihre» Zug sinnlos und schikanös stauend. ES war eine Gegendemonstration gegen die Friedensmanifestanten: eine Demo»- stration des fortdauernden Bürgerkriegs in der Klassengesellschaft. Die heimkehrenden Delegierten der Internationale waren noch wiederholt Gegenstand begeisterter Kundgebungen der Maffe. Italien . Rom , 18. November. (Privattelegramm des«Vor» wärts'.) Ein Ausweisungsdekret vorschützend, hat die Polizei H e r v ö verhaftet, der der Versammlung gegen den Krieg beiwohnen sollte. Die Versammlung war trotzdem zahlreich besucht. ES sprachen der Deputierte Campanozzi, Treves und andere. Ein Zwischenfall ereignete sich nicht. Auch die Mailänder Protest- Versammlung gegen den Krieg war äußerst zahlreich besucht. England. London , 18. November. (Privattelegramm deS „Vorwärts".) Eine große Friedensdemonstration fand am Sonntagabend unter Vorsitz Keir Hardies im Londoner Opernhause statt. Große Massen Menschen konnten keinen Platz mehr finden. Es sprachen F r a n k- Deutschland, A n s e e l e- Belgien, L o n g u e t- Frankreich, Drakonles- Griechenland, Barnes, Queich und Genossin H i ck S. Die ausländischen Genossen wurden mit großem Jubel be- grüßt. Es wurde eine Resolution angenommen, in der sich die Versammlung dem vom internationalen Bureau ver- öffentlichten Manifest anschließt und brüderliche Grüße den in anderen europäischen Städten versammelten Genossen schickt. Auch in Leeds fand ein Meeting statt, in dem Genosse Stlberschmidt sprach. Holland. Amsterdam , 17. November.(Eig. Ber.)' Im großen Saale von Het Palais voor Volksvligt sprach Genosse Molienbuhr (Paricivorstand). Er verwies einleitend auf die Rolle, die die Türkei in der europäischen Politik gespielt'hat. Schon der Krim - krieg habe gezeigt, daß auch Westeuropa in die Türkenkriege hinein- gezogen werden könne. Viel schlimmer sei es jetzt, wo der Im- perialismus die Bourgeoisie beherrsche. Redner schildert dann die Entwickelung auf dem Balkan , wie dort die Staaten entstanden sind, die als Vasallenstaaten Rußlands betrachtet werden können, wie sie den Versuch zur Selbständigkeit machten und wie Rußland durch Rebellion und Meuchelmord seinen Einfluß zu sichern ver- suchte. Die Agrarier Ungarns hinderten die wirtschaftliche Eni». Wickelung der Balkanstaaten, wo cS irgend in ihrer Macht stand. Mit der Annexion von Bosnien und Herzegowina durch Oester» reich und der Annexion von Tripolis durch Italien nahm die Er- oberungslust der Wcstmächte zu. Weiter beschäftigt sich der Redner dann mit dem Verhalten der Diplomatie der europäischen Groß- mächte iwder Zeit der akuten Kriegsgefahr und schildert in kurzen Zügen den bisherige» Kriegsverlauf. Die Türkei ist zerfallen und nun denkt keine Großmacht mehr an die Erhaltung des StatuSquo. Aber plötzlich erschien Oesterreich auf dem Plan als Verteidiger deS Nationalitätsprinzips; dasselbe Oesterreich, dessen ganze Existenz ein Verstoß gegen das Nationalitätenprinzip ist, will die Unab- hängigkeit Albaniens schützen. DieS ist der erste Schritt zur Em- nnschung der Großmächte in den Streit, und die Einmischung Oesterreichs kann einen Gegenstoß Rußlands und dieser einen Krieg des Dreibundes gegen die Tripleentente zur Folge haben. Es gibt Kriegshetzer, die einen solchen Krieg mit aller Gewalt herbej- führn möchten. Aber ein solcher Krieg würde eine Periode der Grausanrkcit sein, wie sie die Welt noch nicht gesehen. 70/71 stau- den noch nicht V,i Millionen Deutsche im Feld, heute würden mehr als 3 Millionen hinauSrücken. 70/71 wurde» an 180 Kriegs- tagcn reichlich ein Zehntel der Soldaten getötet oder verwundet, bei dem heutigen Stande der Kriegstechnik würden mehr als die wünscht Berlangsamung des Zeitmaßes im Verhältnis zur Größe des Raumes; sie aber ohne weiteres auf ein bestimmtes Werk mit seinen ganz bestimmten Ansprüchen an die Tempi anzuwenden, geht auch nicht. Ausweg: etliche kleine Berlangsamungen. Paßt aber doch weder nach der einen noch nach der anderen Seite I Dagegen war der Versuchung, das Orchester dem Raum entsprechend groß zu machen, ausgewichen, und Kapellmeister R. K r a s s e l l dirigierte kn zutreffender Weise aufs Zarte hin. Von dem gesprochenen Dialog sollte auf die schon von Mozart für die damaligen italienischen Aufführungen komponierten .trockenen' sSecco-) Nezitative zurückgegangen werden. Dazu ge- hört auch ein Klavier von damals(Cembalo). Aber würde cS im.Jetzlkunstraum' nicht komisch wirken? So bearbeitete Direktor Ä. Hartmann die Rezitative mit Begleitung von Harfe, Violoncelli und Bäffen. Das„steht gut im Raum', wirft aber den Mozart um. Im übrigen machten wieder die einzelnen Künstler mancherlei Freude; sie verstanden zum Teil auch das individuelle Beleben ihrer „Rollen'. Der«historische Mime", Julius L i e b a n, in lang- jährigem Wirken an unserer alten Oper ein Muster von Gesangs- kultnr, ist von Charlottenburg übernommen und war als Basilio ganz der alte. Wie wenig Gegensatz zwischen einem Wagnerscken und einem Mozartschen Darstellungsstil angenommen werden darf, zeigte die so recht im Geist eines Gesamtkunstwerkes gehaltene Leistung von C. Braun(Figaro). Dagegen waren andere Partien wieder mehr nach älterer Weise dargestellt, isoliert musikalisch, darin aber gut: E.Schüller(Gras), Kaesser (Gräfin), E. Painter(Cherubin). Unter den übrigen, die einer billigenden Erwähnung würdig sind, ragte H. Stolzenberg (Susanne) hervor. An dritter Stelle sollen wir Webers.Oberon' in einer— allerdings wünschenswerten— Neubearbeitung bekommen. Also noch immer weder moderne noch historische Produktivität der AuS- wähl._ sz- Notizen. — Musikchronik. Im Deutschen Opernhause gib! Dienstag eine Neubesetzung von«FigaroS Hochzeit ' einigen weiteren Hauptkrästen Gelegenheit, sich dem Berliner Publikum vor- zustellen. Am nächsten Sonntag geht statt der angekündigten «Figaro'-Aufführung abends.Fidelio' in Szene, fällt aber nach- mittags aus. — Kaiserliche Wissenschaft von Industrie- gnaden. Die Industrialisierung der deutschen Wistenschast, ihre unmer größer werdende Abhängigkeit vom Kapital, das sie unter» hält, wird gekennzeichnet durch einige Ziffern, die über die Sub- ventionierung des Kaiser- Wilhelm- Instituts für Kohlen» f o r s ch u n g bekannt werden. Diese Aufteilt, für die der Kaiser den Nomen und die Industrie daS Geld hergibt, soll in Mülheim an der Ruhr errichtet wexden. Die rheinisch-westfälische Industrie gibt jährlich 105 000 M. Beihilfe, man hofft aber auf noch mehr. Die Beglücker des Volkes, deren hohe Rente die ungeheuerlichen Opfer an Menschenleben und-glück jährlich bedingt, lassen sich die Wissen- schafl also immerbin einen Batzen kosten. Die Wissenschaft, die ihre Profite mehren soll und mit der Sicherung deS Lebens der Gruben» sklaven keinen Ernst machen darf.
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