fcfiicbcncr Ätzträgc. Spezialschöf/evr auszuwählen und in besondere Listen einzutragen, die nach den Erfahrungen seiner Partei von den Gerichten und Behörden in>v illkürlicher und gehässiger Weise gegen mißliebige Personen und Parteien mißbraucht werden wür- den. Gegen die Heranziehung der Lehrer zu Schöffen spreche kein vernünftiger Grund; die Zulassung weiblicher Schöffen bedeute eine Erleichterung des Verfahrens. Nachdem sich noch Abg. P o s p i e ch(Pole) gegen die Zu lassung der Lehrer, die im Dienste der Ostmarkenpolitik stünden, zum Schöffenamt erklärt hatte, kam man zur Abstimmung. Das Obligatorium der Jugendgerichte bei den Amtsgerichten wurde mit 18 gegen S Stimmen(Konservative und Zentrum), die Besetzung des Jugendgerichts durch einen Jugendrichter und zwei Schöffen einstimmig ange- n o m m e n. Dagegen wurde mit 15 gegen 12 Stimmen der sozial- .demokratische Antrag, daß für mehrere Amtsgerichtsbezirke eines Landgerichtsbezirks ein gemeinschaftliches Jugendgericht gebildet Iverden soll, abgelehnt. Nachdem sodann das Obligatorium der Jugendstrafkammer mit 14 gegen 12 Stimmen angenommen war, wurden die Anträge auf Besetzung dieser Kammern mit einem Richter und vier Schöffen bezw. zwei Richtern und drei Schöffen ab g e l e h n t, desgleichen die im Regierungsentwurf vorgesehene Zuziehung von Spezialschöffen, womit alle diesbezüglichen Anträge erledigt waren. Schließlich wurde auch noch der bedeut- same Antrag auf Zulassung weiblicher Schöffen gegen 12 Stimmen(Soz., Vp. und Pole) von der reaktionären Mehr- heit abgelehnt._ Stadtverordneten -Versammlung. 0. Sitzung vom Donnerstag, den 13. Februar, nachmittags 5 Uhr. Vorsteher M i ch e l e t eröffnet die Sitzung nach 5% Uhr. In die gemischte Deputation zur Prüfung des Ortsstatuts für das Gewerbegericht in bezug auf das aktive Wahlrecht find von feiten der sozialdemokratischen Fraktion entsandt: Glocke, H i n tz e. R i t t e r. Dem Abschluß eines Vertrages, wodurch den Verlagsbuch- Händlern Beckmann und Bunge zu Berlin vom 1. April 1913 ab auf 6 Jahre die Genehmigung erteilt wird, die amtlichen Fern- sprcchleitungen und Kanäle der Reichspost zur Uebermittelung von Nachrichten und Musik mitzubenutzen, sowie mit vereinzelten eige- nen Leitungen die Straßen zu unterqueren, hat der eingesetzte Ausschuß fast einstimmig zugestimmt. Die von den Genannten zu stellende Kaution soll 3999 M., die Anerkennungsgebühr 599 M. betragen. Nach dem Referat des Stadtv. Ullstein(Fr. Fr.) tritt die Versammlung ohne Debatte dem Ausschuß bei. Den vollbeschäftigten Lehrerinnen an solchen Berliner Privat- Mädchenschulen, die nicht als höhere Lehranstalten anerkannt sind, will der Magistrat nunmehr auch ein Ruhegeld gewähren, aber nur in Höhe von 599 M.. Im Ausschusse hat man sich zunächst grundsätzlich damit einverstanden erklärt, daß diese Lehrerinnen, soweit sie in der vollen Beschäftigung von mindestens 29 Stunden wöchentlich mindestens 15 Jahre tätig waren, bei eintretender Dienstunfähigkeit oder mit Vollendung des 65. Jahres ein solches Ruhegeld gewährt wird; dann aber soll in einer Resolution der Magistrat ersucht werden, auch diesen Lehrerinnen 299 M. mehr, also 799 M. zu bewilligen. Weitere Wünsche der Resolution be- treffen die Anrechnung der Dienstzeit an hiesigen Privatmädchen- schulen bei Uebertritt in den städtischen Schuldienst, sowie Ge- Währung des Ruhegeldes auch an die Vorsteherinnen, Lehrer und technischen Lehrkräfte der Privatmädchenschulen. Referent des Ausschusies ist Stadtv. Sökeland(A. L.). Die Versammlung nimmt die Ausschußanträge ohne Dis- lussion an. Zwischen der Stadt Berlin und der St. HedwigS-Kirchen- gemeinde ist über die ehemalige St. Hedwigs-Pfarrschule bezüglich des Schulgebäudes Sinter der Katholischen Kirche 3 und Französische Straße 34 ein Vergleich zustande gekommen, wonach die Stadt gegen eine Abfindung von 199 999 M. auf alle Rechte an dem Gebäude verzichtet. Die Abfindungssumme soll wieder (Mcheindeschulzwecken dienstbar gemacht werden. Die Versammlung erteilt dem Vergleich ihre Zustimmung. Den speziellen Entwurf zum Neubau der VIII. Pflicht- fortbildungsschule auf dem ehemaligen Markthallengrund- stück Grünthaler Straße 5 will Stadtv. C r e m e r(Fr. Fr.) einem Ausschuß überweisen, damit eine Reihe von Einzelheiten noch geprüft werden können. Es wird demgemäß beschlossen. Im Etat für 1913 sollen die Zuwendungen an gemein- nützige Veranstaltungen und Vereine um insgesamt 679 365 M. erhöht werden, die sich auf 44 Posten verteilen. Auf die Schmidt-Gallig-Stiftung(Säuglingsfürsorge) entfallen davon allein 519 599 M., während im Vorjahre 432 499 M. als außerordentliche Zuwendung bewilligt waren. Die Vorlage geht an einen Ausschuß, der sofort ernannt wird und dem auch die Stadtv. Börner, Koblenzer. Mars und Ritter(Soz.) angehören. In der neuen Dienstanweisung für die Schulkom- Missionen soll das Bestätigungsrecht des Magi- st r a t s für die Mitglieder der Schulkommissionen bestehen bleiben. So hat der Magistrat auch nach dem erneuten Ersuchen der Ver- sammlung, dieses Recht fallen zu lassen, beschlossen. Stadtv. Dr. Rofenfeld(Soz.): Alle Beschlüsse, die in dieser Sache durch die Versammlung ergingen, sind einstimmig gefaßt worden; ebenso einstimmig haben die Ausschüsse den Stand- punkt vertreten, daß die Versammlung allein das Recht hat, diese Mitglieder zu wählen und daß es einer Bestätigung nicht bedarf. Abermals ist der Magistrat über diese unsere einstimmigen Be- schlüsse zur Tagesordnung übergegangen; der Magistrat sagt, er sei das seit 1845 ausgeübte Recht aufzugeben nicht„gewillt". Das ist eigentlich kein Rechtsstandpunkt, sondern ein Standpunkt der Macht. Wir bedauern sehr, daß der Magistrat in einer ver- hältnismäßig so unbedeutenden Frage dem Wunsch der Bürger- schuft nicht folgt. Im Ausschuß hat insbesondere Kollege Cassel, der durch seine Arbeit im Landtage Berlin die Schulkommissionen erhalten hat. darauf hingewiesen, daß das Volksschulunterhaltungs- gcsetz kein Wort über dieses Bestätigungsrecht enthält. Also haben auch wir keine Veranlassung, Rechte, die uns zustehen, ohne Not aufzugeben. Wir bitten Sie deshalb, die Vorlage nochmals einem Ausschuß zu überweisen; auch gegen Beratung in einer gemischten Deputation hätte ich nichts. Das Wort wird nicht weiter verlangt; der Antrag auf Aus- schutzberatung wird abgelehnt; die Versammlung nimmt die Vor- läge zur Kenntnis. Mit der Firma Jacquier und SecuriuS soll wegen Anlegung von Ausgängen von den Grundstücken Malmöer Straße 26 und 28 nach der noch unregulierten Nordenskjöld- und Norweger Straße ein Vertrag abgeschlossen werden.— Ferner sollen 131 Quadratmeter Straßen land vor dem Grundstücke Neue Friedrich st raße 4 für 85 999 M. freihändig erworben werden. — Es ist beantragt, beide Vorlagen einem Ausschuß zu über- weise». Stadtv. Ewald(Soz.): Wir schließen uns diesem Antrag an. In der Neuen Friedrichstraße sollen wir 131 Quadratmeter er- werben, die vor einiger Zeit mit 146 999 M. angeboten waren. Jetzt ist der Eigentümer bis auf 85 999 M. heruntergegangen, fast bis zur Hälfte! Aber auch jetzt noch beträgt der Preis für die Quadrat- rute über 9999 M.; ganz in der Nähe ist uns die Quadratrute mit 5999 M. angeboten. Was sollen wir dazu sagen? Ladet der Magistrat einfach die Leute vor seinen grünen Tisch und stimmt dem zu, was sie fordern? Gibt er sich nicht die Mühe, anzusehen. uni was es sich handelt? Stadtrat Rast: Ich muß diesen Ausführungen widersprechen. �cr Preis von 9999 M. ist keineswegs hoch; es muß behufs Frei- l�aung der Abriß bis zur dritten Etage erfolgen. Stadtv. Ewald: Wir schneiden das Grundstuck za gar nicht an, das Grundstück liegt ja hinter der Fluchtlinie. Es müssen nur einige Balkons entfernt werden. Stadtrat Rast: Nach meiner Ansicht gehören Balkons auch zum Grundstück. Die Einsetzung eines Ausschusses wird beschlossen. Die Vorlagen wegen Anmietung von Räumen für die städtischen R e t t u n g s st e l l e n 3, 7 und 13, sowie wegen U e b e r- n a hm e der gewerblichen und kaufmännischen Bildungsanstalt für Mädchen und Frauen, Alte Jakobstraße 127, durch die Stadt werden genehmigt. Zur Kenntnisnahme übersendet der Magistrat eine von ihm an die beiden Häuser des Landtages gerichtete Petition be- treffend die Fürsorge für die gemeingefährlichen Geistekranken, Idioten und Epileptiker. Die Petition erörtert ungemein ausführlich die Mißstände des Irren- Wesens, welche sich durch die Unterbringung verbrecherischer Kranker, durch die das notwendige Matz weit überschreitende In- anspruchnahme der städtischen Anstalten durch die Polizei für ihr lästige, angeblich gemeingefährliche Kranke und durch den Mangel einer rechtlichen Grundlage sowohl für die Fürsorgepflicht der Stadt in derartigen Fällen als auch überhaupt für die zwangsweise Jnternierung von Geisteskranken ergeben haben. Die Landarmen- verbände von Breslau , Herzogtum Lauenburg und Hohenzollern schließen sich der Petition an, die preußischen Landesdirektoren stehen ebenfalls auf dem Boden der Petition, beabsichtigen aber ein selbständiges Vorgehen. Die Petition fordert die Uebernahme dieser Fürsorgepslicht auf den Staat. Stadtv. Dr. Lazarus(Fr. Fr.): Die Petition berührt ein äußerst schwieriges und peinliches Gebiet der öffentlichen Fürsorge- Pflicht. Erfreulicherweise haben die Ansichten der Psychiater in der Petition voll und ganz Berücksichtigung gefunden; insbesondere hat man die überaus üble Rückwirkung der Anwesenheit dieser Ele- mente auf die sonstigen Insassen der Irrenanstalten gebührend her- vorgehoben. Hoffentlich wird das Ziel der Petition erreicht. Stadtv. Dr. Zadel(Soz.): Ich hätte es kollegialer gefunden, wenn der Magistrat die Petition vor der Absenkung uns unter- breitet und uns erlaubt hätte, daran mitzuarbeiten und unser Vo- tum darüber abzugeben. Wir in der Deputation für die Irren- pflege sind von ihr ebenso überrascht worden, wie die übrige Ver- sammlung; auch ist nicht zu erkennen, ob die Petition einem Psy- chiater vorgelegen hat; einige Bemerkungen scheinen mir auf das Gegenteil zu deuten. Anders der Inhalt der Petition; der ist nnr sehr sympathisch. Seit Jahren haben wir im Plenum wie in der Deputation genau denselben Standpunkt vertreten. Es ist das aber nicht der einzige Punkt, an dem unsere Jrrenpflege krankt. Das Unglück ist, daß wir von Jahr zu Jahr eine größere Zahl unserer Irren in die Privatpflege abschieben mußten, weil Platz zu schaffen war für die Kriminellen. Jetzt haben wir in unfern Anstalten, deren Häuser durchaus nicht darauf eingerichtet waren, fast nur unruhige Kranke. Wort für Wort unterschreibe ich die Aus- fühungen der Petition in dieser Richtung. Seit Jahren haben wir unablässig auf Abhilfe gedrungen und unsere Anschauungen über das„Wie" dieser Abhilfe vertreten. Der Magistrat schlägt einen anderen Weg vor. nämlich den. diese Fürsorgepflicht dem Staate zu überweisen. Ob er damit zum Ziele kommt, ist eine andere Frage; aber selbst wenn das geschähe, können wir einige Bedenken nicht zurückdrängen. Auch diese Kriminellen sind doch Kranke, geistig Erkrankte, für die wir gewissermaßen auch eine Verantwortung tragen. Wenn der preußische Staat diese Leute in seine Arme nimmt, wird er die feinen Unterscheidungen, die wir in unseren Anstalten mit diesem Krankenmaterial machen, viel- leicht aufgeben; er wird diejenigen, die als nicht ganz zurechnungs- fähig freigesprochen wurden, eventuell einfach ihr ganzes Leben lang in seinen Anstalten festhalten und die staatlichen Irrenhäuser werden sich, sehr im Gegensatz zu unfern städtischen Anstalten, von Gefängnissen vielleicht kaum noch unterscheiden. Insofern können wir uns mit der Vorlage nicht einverstanden erklären, und des- wegen in erster Linie haben wir Ausschußberatung beantragt, da- mit uns der Magistrat seine Materialien unterbreitet. Was in der Vorlage von dem Einfluß der Polizei auf unser Jrrenwesen gesagt ist, ist ganz ausgezeichnet und verdient unsere vollste An- erkennung. Bei uns entscheidet die Willkür der Polizei tatsächlich über Freiheit oder Festhaltung deS Einzelnen; sie läßt die Leute in den Anstalten, trotzdem die Aerzte sich für Freilassung aussprechen, weil es ihr so bequemer ist. Das finanzielle Moment allerdings, das für den Magistrat ausschlaggebend erscheint, tritt für uns gänzlich zurück. Stadtv. Dr. Cohn(Soz.): Die Vorlage legt den Finger auf eine wunde Stelle unseres Staats- und Gemeindelcbens. Was der Magistrat vorbringt, ist eine sehr dankenswerte Bereicherung unserer Literatur, ist durchaus von wissenschaftlichem Geiste ge- tragen und nimmt in erfrischender Weise gegen die hervorgetre- tenen Mißstände Stellung. Man kann sich eines Gefühls der Be- schämung kaum erwehren darüber, wie es möglich ist, daß die Staatsregierung immer noch an ihrem Standpunkt festhält. Aus den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses ergibt sich, daß ganz unabhängig vom Parteistandpunkt alle in der Praxis des öffent- lichen Lebens stehenden Männer seit fast 39 Jahren gegen diese Belästigung der Gemeinden durch die-Staatsverwaltung ange- kämpft haben und daß ebenso hartnäckig die Verwaltung über diese Beschwerden hinweggeht, einmal, weil sie kein Tipfelchen ihrer Gewalt preisgeben will, indem sonst der Staat womöglich unter- gehen würde, und dann, weil es so bequem ist. daß die Kosten ein- fach auf die Kommunalverbände und Gemeinden abgewälzt werden. Der Fiskalismus der Regierung zeigt sich auch hier im häßlichsten Lichte. Die Ueberspannung des Begriffes der Staatsgewalt muß fortdauernd zu schweren Eingriffen in die persön- liche Freiheit führen, die sehr oft in Widerspruch stehen zu den gesetzlichen Garantien für den Schutz der persönlichen Freiheit. Auch in dieser Hinsicht deutet die Petition hinlänglich den Sachver- halt an. zumal für den. der zwischen den Zeilen zu lesen versteht. Ich hätte allerdings gewünscht, die Petition hätte einen Teil der markantesten Fälle, die ihre Veranlassung sind, aufgeführt. AuS letzter Zeit möchte ich nur mit zwei Fällen dem Material der Pe- tition nachhelfen. Ein gewisser Barchender war auf Erfordern der Polizei nach Dalldorf gebracht worden. Er mußte einen sehr leb- haften Kampf um seine Entlassung führen; mehr als zwei Jahre wurde er dort festgehalten auf Grund eines kreisärztlichen Attestes wegen Querulantenwahnsinns. Schließlich hat er beim Bezirks- ausschuß ein Urteil envirkt, durch welches der Bescheid des Poli- zeipräsidenten, der seinem Antrage auf Entlassung die Zustim- mung versagt hatte, aufgehoben wurde. Dieses Urteil ist weniger interessant wegen der Person als wegen der Auslegung des Be- griffes der„Gemeingefährlichkeit". Der Bezirksausschuß hat diesen Begriff erfreulicherweise eingeschränkt; nach dem Urteil ist Ge- Meingefährlichkeit erst vorhanden in dem Falle, daß Leben oder Gesundheit von Personen gefährdet sein würden. Das Urteil ist rechtskräftig geworden; der Polizeipräsident hat es nicht durch Re- Vision angegriffen. Nach der Petition ist aber für die Polizei nicht die Gefährdung von Leben oder Gesundheit der Bürger maß- gebend, sondern schon die sogenannte Störung der öffentlichen Ordnung, ja sogar schon eine gewisse Polizeilästigkeit, die jeder dar- bieten kann, dessen Wesen� dem Polizeireviervorstchcr oder dem Polizeipräsidenten nicht gefällt. Wie leicht man aber ins Irren- Haus kommen kann, wenn man sich lästig gemacht hat, ergibt der zweite Fall. Er betrifft einen Straßenhändler, den Sie wohl alle schon an der Ecke der Leipziger und Friedrich- straße gesehen haben der 15 Jahre lang sich vom Straßen- Handel ernährte. Auf der Brust trug er ein Schild:„Er- blindet durch E-ehnervenschwund". Die Polizei behauptete, er Hobe Vorübergehende auf seine elende Lage aufmerksam gemacht. Diese Tatsache hat für sie ausgereicht, ihn ins Irrenhaus zubringen und ihn dort 17 Tage lang festzuhalten. Da die Irren- ärzte der Stadt Berlin an ihm nichts entdecken konnten, ist er auf ihre dringende Empfehlung entlassen? worden und klagt jetzt gegen dew Polizeipräsidenten wegen entgangenen Verdienstes. Was ich an der Petition vermisse, ist der Versuch, den die Stadt einmal machen müßte, ans dem Wege der Klage hei den Gerichte» gegen- über solchen Uebcrgrisfcn der Polizei zu ihrem Rechte zu kommen. Die Scheu vor dem Zahlen wird auch hier ihre Wirkung tun, wenn erst ein obsiegendes Urteil erstritten ist. Wenn die Stadt vom Mi- nister des Innern mit polizeilichem Zwange, mit körperlicher Ge- walt bedroht wird, falls sie sich weigert, derartige Kranke aufzu- nehmen, wenn der Minister es für erlaubt hält, mit körperlicher Gewalt die Tore der städtischen Irrenanstalten zu sprengen, die städtischen Beamten zurückzuhalten und die Kranken hinein- zubringen, so kann von dieser Gewalttat auch das Oberverwaltungs- f wicht nicht freisprechen. Auch mir gefällt nicht, daß die ganze rage in der Petition nur an dem finanziellen Ztagel aufgehängt ist. Wenn ernstlich Remedur herbeigeführt werden soll in dieser außerordentlich wichtigen, in die tiefsten Tiefen des Berfasiungs- lebens eingreifenden Frage, dann muß noch mehr Material bei- gebracht werden, dann muß vor allem die staatsrechtliche Seite in Angriff genommen werden und die Versammlung mit oder ohne Magistrat an den Landtag gehen. Jetzt redet die Polizei überall in unsere Jrrenhausverwaltung hinein; um die Lage der Kranken zu bessern, dazu nützt uns die Befreiung der Stadt von der finan- ziellen Belastung nicht. Hunderte und Tausende werden ohne Richtevspruch aus Monate, Jahre, ja aus Lebenszeit ihrer Freiheit beraubt- Das ist ein unhaltbarer Zustand. Wenn die Liberalen eine gründliche Aenderung herbeiführen wollen, dann kommen sie mit Deklamationen über finanziell« Lasten nicht weiter, dann muß man einen ernsten politischen Kampf aufnehmen, indem man die Einrichtungen zum Schutze der persönlichen Freiheit der Bürger zu verstärken sucht. Die Petition verfällt in den Fehler, eine Scheidung vornehmen zu wollen, die, wie jeder Arzt weiß, nicht ohne weiteres durchführbar ist. Wenn ein Hysterischer, ein Epileptiker irgendein Strafgesetz übertritt, dann bleibt er doch immer ein Kranker: es gibt da zahllose Grenzfälle. Vielfach ist es eine Frage des Geldbeutels: wird der Betreffende von seinen Angehörigen in eine Privatanstalt gebracht, dann ist es ein Geisteskranker: handelt es sieb aber um einen armen Mann, dann wird man viel eher geneigt sein, von einem verbrecherischen Jrreni zu sprechen. l Andauernde Unruhe.) Ich bitte ebenfalls um Einsetzung eines Ausschusses; die Petition braucht dadurch nicht verzögert zu werden. Wir haben es mit einer gut fundierten juristischen Arbeit zu tun. es fehlt aber das Tatsachenmaterial. Mit der Petition allein ist die Sache nicht getan; es mutz noch ein weiterer Sturmlauf folgen. Gerade auf die alten liberalen Prinzipien gründet sich doch das Bestreben nach einer besseren Stellung der Geisteslranken. Bürgermeister Dr. Reicke: Ich möchte uns vor allem gegen den Verdacht in Schutz nehmen, daß wir, wie bemerkt worden ist. die Sache an dem finanziellen Nagel aufgehängt hätten. Hier liegen ganz andere Motive vor. Eine Petition, die so auf die Vermind«. rung der Garantien für die persönliche Frecheit in den letzten Jahrzehnten und andererseits auf die moderne Entwickelung des Jrrenwesens hinweist, sollte über solchem Verdacht erhaben sein. Die Fälle, die der Vorredner hinzuzufügen wünscht, haben wir sehr reichlich, auch die beiden Fälle, die er besonders erwähnt hat; aber die Einreichung der Petition an den preußischen Land- tag ist noch nicht der Moment, mit diesem Material hervorzutreten. — Die Verfassung muß auch vom Magistrat befolgt werden; gegen Anordnungen der Aufsichtsbehörde können wir den Klageweg nicht beschreiten. In einem Falle haben wir den betreffenden Kranken auf Empfehlung unserer Aerzte gegen den Willen der Polizei ent- lassen. Der Oberbürgermeister ist angewiesen worden, unseren Beschluß zu beanstanden; darauf haben wir gegen den Oberbürger- meister Klage erhoben und diese Klage schwebt noch.(Bewegbng.) Ist es richtig, wenn man Sturm laufen will, die Stoßkraft der eigenen Lanze durch angehängte Bleigewichte zu schwächen? Die wi ch t i g e n Gesichtspunkte sind in der Petition recht deutlich ver- treten.(Beifall.) Stadtv. Mommsen(Fr. Fr.): Die Petition ist abgesandt. Aus- schußberawndg könnt« ihre Wirkung nur abschwächen. Wenn wir dem Staate nicht trauen, daß er mit den irren Verbrechern gut umgeht, müßten wir ja schließlich als Stadt Berlin alles machen. den ernsten politischen Kampf als Liberale führen wir, doch nicht in diesem Saale . Lehnen Sie den Antrag auf Ausschuß mit mög- lichst großer Mehrheit ab! Stadtv. Hahn(A. L.): Einen Ausschuß quasi als Studien» komniission einzusetzen, würde verfehlt sein, so kann man die Ge- schäfte der Stadt nicht führen. Die Beweiskraft der von Dr. Cohn angeführten Fälle können wir nicht nachprüfen. Wir können auch dem Staat nicht vorschreiben, wie er nachher die Sache einrichten soll; die Auffassung, daß sich die staatlichen Irrenhäuser von Ge- fängnisien nicht unterscheiden würden, ist eine Uebertreibung, die ebenfalls die Wirkung der Petition nur abschwächen kann. Nehmen wir einfach von der Petition Kenntnis. Stadtv. Rasen««(N. L.): Ausschußberatung einer bereits ab- gesandten Petition wäre pro nibilo. Unverständlich bleibt fieilich, weshalb die Petition die Deputation für Jrrenpflege nicht be- schäftigt hat. Der Antrag der Sozialdemokraten bleibt in der Minderheit. Die Petition wird zur Kenntnis genommen. Schluß ss8 Uhr._ Hua Indurtne und Handel Wirkungen des Einfuhrscheinsystems. Die Königsberger Walzmühle A.-G. weist für da» abgelaufene Geschäftsjahr einen Verlust von 82 738 Mark aus. Der Verlust ist zum Teil durch die Erweiterung des Betriebs, bau« liche Veränderungen, Anschaffungen von Maschinen einstanden; zum andern Teil schreibt die Verwaltung ihn dem Einfuhrsckieinsystem zu. Durch die andauernde Roggenausfuhr treten für die Mühlen in Ost- deutschland Getreideknappheit und hohe Einkaufspreise ein. Ueber die allgemeinen Wirkungen des Systems äußert sich die Verwaltung weiter:„Ts scheint, daß Rußland (noch bis vor wenigen Jahren für Roggen das Hauptexportland) nicht mehr seinen Roggen nutz- bringend exportieren kann, seitdem Deutschland mit Hilfe des Ein- suhrscheinsystemS. welches in seiner jetzigen Form genau wie eine Exportprämie von 59 Mark pro Tonne wirkt, seinen Roggen so außerordentlich billig nach dem Auslände verkauft. Der Roggenexport Deutschlands übersteigt wesentlich seinen Roggen, import, so daß Deutschland der Statistik gemäß jährlich ca. 39 Mill. Mark zugunsten des ausländischen Konsums einbüßt und sich vo» dem notwendigsten Brotgetreide entblößt." Die« Urteil ist um so wertvoller, als bekanntlich der ostdeutsche Getreidehandel und seine politischen Vertreter, die Liberalen Ost- Preußens und Westpreußens , für die Beibehaltung der Einfuhrscheine eintreten.__ Allgemeiner Deutscher MietSversicherungsverem. Obgleich die für Mittwoch einberufene Generalversammlung des MtelsversichenmgsveremS aus formellen Gründen nicht befchluß- fähig war, kam eS doch zu recht lebhaften Debatten über die Frage der Weiterexistenz deS Berelns. Innerhalb des Vereins, der durch Organisationsmangel und versoiiuches Verschulden in ein Defizit von 759 999 Mark geraten, st. machen sich starke Gegensätze zwiscden Frunden und Gegnern der Auflosung geltend. Das in der Versammlung vertretene kaiserliche Aumchisamr für Privatversicherung erklärte offiziell, dafj eS btc Äufloiung crzttnngcn werde. Ueber die Ursacben der finanziellen Schwiengkelten führte der Borstand aus: Aur An- Meldung de» Konkurses.bestehe keine Veranlassung, da eine Ueber- schuldung der Gesell, chaft nicht vorliege. Nach der vorläufigen«üf- stellung der Bilanz ergebe sich per gi. Dezember 1912 ein Fehl- betrag von 759 999 M. Dieser werde mit<59 099 M. aus dem Reservefonds und nnt dem Rest aus den eingeforderten l00prozentigen Nachschußprannen, die etwa 379 990 bis 389 900 M. ausmachen, ge- deck-. Der Gründungsfonds besteht dann noch mit 159 999 M. Die Geiellschatt besitze ,» z-ertraa« mit der Suddeutichen RückversicherungS- Gesellschaft ein wertvolles Sktivmn. Der Prozeß nut ihr verspreche da» Ergebnis, daß der B«-
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